ergopraxis 2011; 4(9): 30-31
DOI: 10.1055/s-0031-1287758
ergotherapie

Assessment: Nine-Hole-Peg-Test – Ein alter Hut auf dem Prüfstand

Markus Kraxner
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Publication Date:
02 September 2011 (online)

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Er begleitet Ergotherapeuten bereits seit 26 Jahren weltweit vorwiegend in der Orthopädie und in der Neurologie. Zeit, sich zu fragen, ob der Nine-Hole-Peg-Test mit den beruflichen Entwicklungen Schritt gehalten hat.

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Markus Kraxner, Ergotherapeut aus Österreich, arbeitet hauptberuflich in der Akutpsychiatrie und freiberuflich in den Bereichen Geriatrie und Neurologie. Seine Spezialgebiete sind die Sturzprävention und www.handlungsplan.net - eine offene und kostenfreie Internetplattform für Ergotherapeuten, die er im Sommer 2010 gegründet hat.

Der Nine-Hole-Peg-Test (NHPT) besteht im Wesentlichen aus einem rutschfesten Steckbrett mit neun Löchern und den dazu passenden Stiften. Mit seiner Hilfe können Ergotherapeuten Feinmotorikstörungen von Klienten feststellen - vor allem in den Bereichen Neurologie und Orthopädie.

Eine Forschungsgruppe um Kellor beschrieb ihn 1971 erstmals und ermittelte im Rahmen dieser Arbeit auch die ersten Normwerte anhand einer Stichprobe von 250 Personen. Für den NHPT in seiner heutigen Form sind Mathiowetz und Kollegen verantwortlich. 1985 untersuchten sie Reliabilität und Validität des Tests, unterteilten ihn für verschiedene Altersbereiche und ermittelten die Normwerte anhand einer Stichprobe von 628 Personen im Alter zwischen 20 und 94 Jahren. Mit einer Stichprobe von 826 Kindern ergänzten Smith und Kollegen im Jahr 2000 die Normwerte für die Anwendung bei Kindern von 5 bis 10 Jahren.

Der NHPT ist auch Teil des Multiple Sclerosis Functional Composite (MSFC), einer Sammlung von Assessments zur klinischen Evaluierung des Behandlungsoutcomes bei Klienten mit Multipler Sklerose.

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Einzeln und nacheinander

Während der Durchführung des NHPT sitzt der Klient an einem stabilen Tisch. Das Steckbrett liegt so vor ihm, dass sich der Behälter mit den Stiften auf der zu testenden Seite befindet. Die Aufgabe des Klienten besteht nun darin, die neun Stifte einzeln und nacheinander mit einer Hand aus dem Aufbewahrungsbehälter zu nehmen und in die dafür vorgesehenen Löcher auf dem Steckbrett zu stecken. Sobald alle Löcher bestückt sind, legt er mit derselben Hand die Stifte einzeln und nacheinander wieder vom Steckbrett in den Aufbewahrungsbehälter zurück. Währenddessen misst die Therapeutin mittels Stoppuhr, wie lange der Klient für das Bewältigen der Aufgabe mit einer Hand benötigt. Er beginnt mit der dominanten Hand, mit der anderen hält er das Steckbrett fest oder er legt sie daneben.

Eine Testung besteht pro Hand grundsätzlich aus zwei Durchgängen: einem Probedurchgang und einem zur Ermittlung des tatsächlichen Messwerts.

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Die Zeit läuft ab der ersten Berührung

Versteht ein Klient die Aufgabe nicht, kann die behandelnde Therapeutin das praktische Vorgehen zunächst demonstrieren. Nach dem Probedurchgang erfolgt der eigentliche Test mit entsprechender verbaler Anweisung. Sobald der Klient den ersten Stift berührt hat, läuft die Zeit. Sie endet in dem Moment, wenn der letzte Stift in den Behälter fällt.

Sollte ein Stift während des Tests auf die Tischplatte fallen, darf ihn der Klient aufheben und weitermachen. Fällt ein Stift auf den Boden, muss ihn die Ergotherapeutin aufheben und wieder in den Aufbewahrungsbehälter legen.

Eine „Solldauer“ für den Test existiert nicht. Hat ein Klient die Aufgabe verstanden und keine stark ausgeprägten motorischen Einschränkungen, ist die gesamte Durchführung innerhalb von fünf Minuten machbar. Braucht ein Klient zu lange, kann die Ergo-therapeutin den Test abbrechen. Eindeutige Zeitangaben dazu gibt es nicht. Je nach Literatur empfehlen die Forscher den Abbruch eines Durchgangs nach 50 oder 300 Sekunden.

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Maximal drei Durchgänge

Der NHPT misst das, was er messen soll, nicht mehr und nicht weniger - nämlich die Fingergeschicklichkeit. Die von Mathiowetz und Kollegen erhobenen Normwerte wurden 2003 von der Forschungsgruppe um Grice anhand einer kommerziellen Version des NHPT überprüft. Die Studie schloss 703 Testpersonen ein und kam zu dem Ergebnis, dass keine statistisch signifikanten Abweichungen von den ursprünglichen Normwerten auftraten. Die Interrater-Reliabilität - also die Objektivität des Tests unabhängig von der Person, die ihn durchführt - bezeichnen die Forscher als exzellent. Die Retest-Reliabilität - also die Zuverlässigkeit des Tests bei Wiederholung nach einem bestimmten Zeitraum - bewerten verschiedene Forscher unterschiedlich. Zusammenfassend kommen allerdings mehrere Studien zu dem Schluss, dass bei häufiger Wiederholung ein signifikanter Übungseffekt eintritt, der die Ergebnisse verfälschen kann. Um dem entgegenzuwirken, sollte ein Klient nicht mehr als drei Durchgänge absolvieren.

Ist der NHPT Bestandteil eines neurologischen Baseline-Assessments, ist die Aussagekraft mit Vorbehalt zu genießen. Denn: Die Testung der betroffenen Hand scheint einer höheren Fehlerquote zu unterliegen.

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Überholt oder noch relevant?

Die Frage, ob der NHPT für die Ergotherapie überholt oder noch relevant ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Es hängt stark davon ab, unter welchen Rahmenbedingungen die Therapeuten tätig sind. Orientieren sie sich eher an funktionellen Ansätzen, können sie den Erfolg der Behandlung mithilfe des NHPT durchaus transparent und nachvollziehbar dokumentieren. Der geringe Zeitaufwand, das standardisierte Setting und die prinzipiell gute Reliabilität erleichtern eine zeitsparende und adäquate Integration in ergotherapeutische Arbeitsabläufe. Außerdem geben standardisierte Tests Berufsanfängern ein gewisses Maß an Halt und Orientierung und bedienen damit den Wunsch nach „Messbarem“. Ergotherapeuten sollten beim NHPT allerdings bedenken, dass er nicht die ganze Bandbreite an feinmotorischen Fähigkeiten abdeckt. So bleiben zum Beispiel die Fähigkeiten zur Manipulation von Gegenständen in der Hohlhand oder zur Translation von Objekten zwischen den Langfingern völlig unberücksichtigt.

Vor dem Hintergrund eines klientenzentrierten, betätigungs-orientierten, ergotherapeutischen Vorgehens verliert der Test ohnehin deutlich an Wert. Denn: Auch eine Feinmotorikstörung sagt schlussendlich nichts über die tatsächliche Beeinträchtigung im täglichen Leben aus. Ebenso wenig, wie verbesserte Testergebnisse Rückschlüsse auf eine verbesserte Alltagsbewältigung erlauben.

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Markus Kraxner, Ergotherapeut aus Österreich, arbeitet hauptberuflich in der Akutpsychiatrie und freiberuflich in den Bereichen Geriatrie und Neurologie. Seine Spezialgebiete sind die Sturzprävention und www.handlungsplan.net - eine offene und kostenfreie Internetplattform für Ergotherapeuten, die er im Sommer 2010 gegründet hat.