Pneumologie 2012; 66(03): 179-183
DOI: 10.1055/s-0031-1291635
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gedächtnisrede auf Robert Koch[1] , [2]

von G. Gaffky – Gehalten am 11. Dezember in der neuen Aula der UniversitätSpeech in Remembrance of Robert KochBy Georg Gaffky – Held on December 11, 1910 in the New Aula of Berlin University
R. Kropp
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Dr. Robert Kropp
Liegnitzer Straße 5
36100 Petersberg

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Publication Date:
01 March 2012 (online)

 

Vorbemerkung der Herausgeber

Liebe Leser!

Seit mehreren Jahren wird – von der IUATLD angestoßen – der 24. März als Welt-Tuberkulose-Tag begangen, am Jahrestag der epochalen Entdeckung der Tuberkulosebakterien und damit der Einordnung der Tuberkulose als einer Infektionskrankheit, die Robert Koch 1882 vor der Physiologischen Gesellschaft in Berlin mitteilte. Dieser Tag jährt sich heuer zum 130. Mal. Das Historische Kaleidoskop bietet Ihnen zu diesem (runden) Anlass keine erneute Würdigung Robert Kochs an, sondern den Nachdruck der Gedenkrede, die Georg Gaffky 1910 auf ihn gehalten hat. Außerdem wird in einem späteren Heft der „Pneumologie“ ein Artikel Robert Kochs selbst über die „Epidemiologie der Tuberkulose“ aus dem Jahre 1910 reproduziert werden.

Professor Dr. Tom Schaberg

Dr. Robert Kropp


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Hochansehnliche Versammlung! Noch stehen wir unter dem Eindruck der erhebenden Feier, die am Schlusse ihres ersten Säkulum die Friedrich Wilhelms-Universität in dieser ihrer herrlichen neuen Aula begangen hat. Noch hallt in uns wieder die von ihrem allerhöchsten Protektor, seiner Majestät dem Kaiser und Könige, an dieser Stelle verkündete verheißungsvolle Botschaft, dass der wissenschaftlichen Forschung neue, ihr ganz ausschließlich gewidmete Heimstätten geschaffen werden sollen. Durch die Weihe und Freude aber jener unvergeßlichen Tage klang uns, die wir heute hier versammelt sind, ein ernster Ton der Trauer und der Wehmut.  R o b e r t  K o c h,  dessen Name auch in die Annalen der Alma Mater Friederico-Guilelmia eingeschrieben ist mit unvergänglichen Zügen, hatte, als die Jubiläumstage herannahten, die Augen für immer geschlossen.

Im Frühjahr noch stand er unter uns in voller Schaffenskraft und Schaffensfreudigkeit. Wohl mahnten schon länger bestehende Unregelmäßigkeiten der Herztätigkeit, in letzter Zeit auch leichte Atembeschwerden und vorübergehende Schmerzen in der Herzgegend zur Vorsicht. Aber der Sechsundsechzigjährige achtete ihrer wenig und gönnte sich weder Ruhe noch Schonung; Tag für Tag war er seit vielen Monaten bemüht, zum Kampfe gegen die Tuberkulose die alten Waffen zu schärfen und neue zu schmieden. Das Ziel, auch diesen Feind des Menschengeschlechtes endgültig zu besiegen, stand ihm unablässig vor Augen, mochte er in der Stille des Laboratoriums oder am Krankenbette um die Vervollkommnung der spezifischen Behandlung bemüht sein oder weitausschauende Pläne zum Schutze der Gesunden gegen die Infektion im Geiste bewegen.

Nur zu bald sollte sich zeigen, daß jenen vorübergehenden Beschwerden bereits tiefgreifende Organveränderungen zugrunde lagen. In der Nacht vom 9. Zum 10. April erkrankte  K o c h,  nachdem er sich tags zuvor völlig wohl gefühlt hatte, unter Erscheinungen, die seine Gattin und den schnell herbeigeholten Arzt das Schlimmste befürchten ließen. In den nächsten Tagen durften wir wieder Mut schöpfen. Am 22. April konnte der Kranke bereits zeitweise das Bett verlassen und der Hoffnung sich hingeben, daß er die auch während der Krankheit seinen Geist ständig beschäftigenden Arbeiten in absehbarer Zeit werde wieder aufnehmen können. Aber die Genesung mache keine rechten Fortschritte. Zuversichtliche Stimmung wechselte mit Todesahnungen. Ungeachtet der sorgsamsten Pflege wollten die Kräfte nicht wiederkehren, und selbst leichte körperliche Bewegung rief Atembeschwerden hervor. Immerhin konnten gegen Mitte Mai die ersten Ausfahrten unternommen werden, und so glaubten die Ärzte,  K o c h s  dringendem Wunsche nach stillerem Aufenthalt, Waldesgrün und reiner Luft nachgeben zu dürfen. Am 20. Mai trat er mit seiner Gattin die Reise nach Baden-Baden an. Die Fahrt wurde gut überstanden, und der Kranke fühlte sich in der neuen Umgebung offenbar wohler.

Da kam am 27. Mai abends der Welt die Kunde, daß  R o b e r t  K o c h  gestorben sei. Sanft und ohne Todeskampf war er entschlafen, an einem herrlichen Abend bei weit geöffneter Balkontür in seinem Sessel sitzend.

Länder und Erdteile waren erfüllt von Klage und Trauer über den Verlust des Mannes, der allen ein Helfer und Wohltäter gewesen war; der die Menschen gelehrt hatte, den Kampf mit den gefährlichsten Feinden von Gesundheit und Leben siegreich zu bestehen. Wir aber, die dem Dahingeschiedenen nahe gestanden, die wir durch seinen Tod am meisten verloren hatten, wir wußten, daß das Geschick ihm gnädig gewesen war. Zu schwer waren lebenswichtige Organe seines Körpers bereits verändert, als daß ärztlichem Wissen die Wiederherstellung zur Arbeitsfähigkeit noch möglich erschienen wäre. Ein Leben ohne Arbeit aber wäre ihm, dessen Wahlspruch war: „Numquam otiosus“, kein Leben mehr gewesen.

Am 30. Mai sind, seinem Wunsche und Willen gemäß, die sterblichen Ueberreste  R o b e r t  K o c h s  in aller Stille der läuternden Flamme übergeben worden.

In dem Hause seines Wirkens und Schaffens, über dem sein Geist walten möge alle Zeit, hat seine Asche ihre Ruhestätte gefunden, haben Dankbarkeit und Verehrung dem Unsterblichen das erste Denkmal errichten dürfen.

Heute, am dem Tage, an dem  R o b e r t  K o c h  sein 67. Lebensjahr vollendet haben würde, wollen wir seiner in ernster Trauer gedenken, zugleich aber uns erheben und aufrichten an seinem Bilde und seinen Werken.

R o b e r t  K o c h  entstammte einer angesehenen Bergbeamtenfamilie des Hannoverschen Oberharzes. Sein Vater, der 1877 als Geheimer Bergrat zu Klaustal gestorben ist, wird als ein lebhafter, tätiger und geistvoller Mann von seltener Begabung geschildert, der weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus geschätzt war und um das Berg- und Hüttenwesen große Verdienste sich erworben hat. Ihm stand in der Gattin eine edle und hochgebildete Frau zur Seite, die ganz in der Sorge für ihre Kinder und für das Hauswesen aufging. Der glücklichen Ehe sind nicht weniger als elf Söhne, von denen freilich zwei früh starben, und zwei Töchter entsprossen.

In der fröhlichen Schar, die in ungebundener Freiheit aufwuchs, war  R o b e r t  das dritte Kind. Da der Vater durch seine Berufsgeschäfte voll in Anspruch genommen, sein Einkommen gering und Vermögen nicht vorhanden war, so gab es für die Mutter keine Ruhe, und es bedurfte der unvergleichlichen Pflichttreue dieser bewunderungswürdigen Frau, die große Familie durch Not und Sorge glücklich hindurchzuführen. Daß unter solchen Verhältnissen der Erziehung der neun wilden Knaben nicht viel Zeit gewidmet werden konnte, ist begreiflich. Sie mußten sich untereinander abschleifen. Treu hielten sie zusammen. Jeder konnte sich nach seiner Eigenart entwickeln.

Bei  R o b e r t  traten schon früh Neigungen und Eigenschaften hervor, die auf den künftigen Naturforscher hindeuten. Zwar nahm auch er Teil an den Spielen, Körperübungen und Kämpfen der Brüder, aber seine größte Freude war doch, in den herrlichen, seine Vaterstadt umgebenden Bergen und Tälern alle seine Aufmerksamkeit fesselnden Pflanzen, Käfer, Raupen, Schmetterlinge und Mineralien zu sammeln, sie zu zergliedern und ihren Bau und ihre Zusammensetzung zu ergründen. Dabei war er ein stets fleißiger, lernbegieriger und für jede Anregung empfänglicher Schüler.

Bemerkenswert ist auch seine Freude am Schachspiel, in dem er schon als Gymnasiast den künftigen Meister ahnen ließ.

Der Vater hatte in Hinsicht auf die Knappheit der verfügbaren Mittel  R o b e r t  für den Kaufmannsstand bestimmt, konnte ihm aber dank der Verbesserung seines Einkommens später die Wahl des Berufes frei stellen.  R o b e r t  entschied sich für das Studium der Medizin, in der Hoffnung, so am ehesten seinen naturwissenschaftlichen Neigungen leben zu können und – vielleicht als Schiffsarzt – seinen sehnlichen Wunsch erfüllt zu sehen, überseeische Länder kennen zu lernen. Im April 1862 bezog der 18jährige die Universität Göttingen, hier zunächst durch mathematische, physikalische und botanische Studien ganz in Anspruch genommen, mit gutem Humor darüber sich hinwegsetzend, daß er in seiner Lebenshaltung die äußerste Beschränkung sich auferlegen mußte.

Von seinen akademischen Lehrern haben der Physiologe Meissner sowie der Anatom und Pathologe Henle am nachhaltigsten auf den jungen Studenten gewirkt. Wie eifrig und erfolgreich er in Göttingen seinen Studien obgelegen hat, erhellt daraus, daß ihm bereits in seinem siebenten Semester die Stelle eines Assistenten am Pathologischen Museum übertragen und kurz darauf ein akademischer Preis zuerkannt wurde. Im Januar 1866 bestand K o c h zu Göttingen das Doktorexamen und nach kurzen Nachstudien in Berlin im März desselben Jahres zu Hannover mit größter Auszeichnung das ärztliche Staatsexamen.

Nachdem er einige Monate als Assistent am Allgemeinen Krankenhaus in Hamburg fungiert hatte, bekleidete er vom Oktober 1866 bis Juli 1868 die mit bescheidener Landpraxis verbundene Stelle eines Arztes an der Idiotenanstalt zu Langenhagen bei Hannover und war dann als praktischer Arzt zuerst in dem Brandenburgischen Städtchen Niemegk und von 1869 an in Rakwitz in der Provinz Posen tätig. Von Rakwitz aus nahm er an dem Kriege gegen Frankreich freiwillig als Arzt teil. Heimgekehrt unterzog er sich, einer Anregung des Landrats Freiherrn von Unruh-Bomst folgend, der Physikatsprüfung und erhielt bereits 1872 die Stelle des Kreisphysikus in dem nahe Rakwitz gelegenen Wollstein.

Trotz aller Mühen und Plagen des vielbeschäftigten Arztes hatte K o c h in diesen Jahren stets noch Zeit zu mikroskopischen Studien gefunden. Aber erst in Wollstein war es ihm dank den besseren Einnahmen möglich, kostspieligere Apparate und Instrumente zu beschaffen und etwas freier wenigstens über die Einteilung seiner Zeit zu verfügen. Ein neues Mikroskop und Mikrotom wurden erworben. Von dem geräumigen ärztlichen Sprech- und Arbeitszimmer wurde die eine Hälfte durch einen Vorhang als Laboratorium abgegrenzt, in dem auch die zur Mikrophotographie erforderlichen Apparate und eine kleine Dunkelkammer ihren Platz fanden. Das war der Raum, in dem der junge Kreisphysikus und vielbeschäftigte praktische Arzt Entdeckungen gemacht hat, die ihn alsbald den Meistern der Wissenschaft zugesellten. Das Ziel und die Aufgabe seines Lebens standen von nun an unverrückbar ihm vor Augen. Es galt, Licht hineinzutragen in das Dunkel der Infektionskrankheiten, die alte, vielumstrittene Lehre vom Contagium animatum auf sicheren Boden zu stellen und die Wege zu weisen zur Verhütung und Bekämpfung der Seuchen.

Es bot sich  K o c h  damals Gelegenheit, Untersuchungen über den Milzbrand anzustellen. Schon seit dem Jahre 1849 war bekannt, daß im Blute milzbrandkranker Tiere fremdartige, stäbchenförmige Gebilde sich finden; die Bedeutung dieser Stäbchen aber war trotz aller Forschungen noch so weit ungeklärt geblieben, daß die Auffassung vertreten werden konnte, es handele sich nicht um kleinste Lebewesen, sondern um kristallinische Gebilde. Mit scharfem Blick erkannte  K o c h, wie allein die Frage zu lösen sei.

Waren die Stäbchen nicht Erzeugnisse, sondern vielmehr die Erreger der Krankheit, so mußte es gelingen, ihr Wachstum und ihre Entwicklung zu verfolgen. Durch Verimpfung stäbchenhaltigen Blutes konnte  K o c h  eine tödlich verlaufende Milzbrandkrankheit bei Mäusen erzeugen, diese Krankheit durch Fortimpfung von Maus zu Maus beliebig lange erhalten und stets in der Milz der verendeten Mäuse die Stäbchen in größter Zahl nachweisen. Als er dann eine geringe Menge bazillenhaltiger Milzsubstanz in einen Tropfen Rinderblutserum oder Humor aqueus von Rindsaugen übertrug und diesen Tropfen auf dem heizbaren Objekttisch mikroskopisch beobachtete, da sah er, daß die Stäbchen nach einigen Stunden sich zu verlängern begannen und allmählich den Tropfen in Gestalt eines aus zierlichen Bündeln zusammengesetzten Flechtwerkes erfüllten. Dann nahmen die Fäden ein körniges Aussehen an, es bildeten sich in regelmäßigen Abständen in ihnen stark lichtbrechende Körperchen, die nach Zerfall der Fäden frei wurden. Uebertrug er diese Körperchen, deren Natur als Dauerformen, als Sporen der Milzbrandstäbchen ihm alsbald klar war, in frischen Humor aqueus, so quollen sie auf, und es wuchsen aus ihnen Fäden hervor, die wieder denselben Entwicklungsgang durchmachten. Verimpfte er eine Spur der sporenhaltigen Flüssigkeit auf eine Maus, so erlag sie sicher dem typischen Milzbrande.

Mit bewunderungswürdigem Scharfblick hat  K o c h  gleich auch die aus diesen grundlegenden, jeden Zweifel ausschließenden Untersuchungen für die Verbreitungsweise der Krankheit sich ergebenden Folgerungen erkannt. Die widerstandsfähigen Dauerformen sind es, welch in Milzbrandgegenden den Krankheitskeim erhalten. Sie bilden sich bei Luftzutritt und Wärme in den blutigen Abgängen der kranken und gefallenen Tiere und werden später auf der Weide von empfänglichen Tieren wieder aufgenommen. Daß mit dieser Erkenntnis auch der erfolgreichen Bekämpfung der Krankheit die Wege gewiesen waren, liegt auf der Hand.

Neben seinen Untersuchungen über die Milzbrandätiologie beschäftigte sich  K o c h  in seiner Wollsteiner Zeit vor allem mit der Aufgabe, die damals noch offene Frage zur Entscheidung zu bringen, ob die sog. Wundinfektionskrankheiten parasitären Ursprungs seien oder nicht. Beim Mangel geeigneter Krankheitsfälle sah er sich lediglich auf das Tierexperiment angewiesen. Im Laufe seiner Studien über die Wirkung putrider Stoffe gelang es ihm indessen, bei Mäusen und Kaninchen die wichtigsten Wundinfektionskrankheiten – Septikämie, Pyämie, progressive Eiterung, Gangrän und Erysipelas – künstlich zu erzeugen und dann von einem Tier auf das andere in einer Weise zu übertragen, die jede Verwechslung mit einer Giftwirkung ausgeschlossen erscheinen ließ. Dabei entsprach einer bestimmten Krankheit stets auch eine bestimmte, wohl erkennbare Form von Bakterien, und diese Bakterien wurden in den Tieren in solcher Menge und Verteilung gefunden, daß die Krankheitssymptome und der Tod ausreichend erklärt waren.

Den Gang, das Ergebnis und die Tragweite dieser Untersuchungen hat  K o c h  mit unvergleichlicher Klarheit in einer 1878 erschienenen, durch vortreffliche Abbildungen erläuterten Druckschrift niedergelegt, die stets den genialsten Werken experimenteller Forschung zugerechnet werden wird. Um ihre Bedeutung richtig zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß in jener Zeit die Botaniker mit wenigen Ausnahmen von einer Trennung der Bakterien in wohl charakterisierte Arten überhaupt nichts wissen wollten. Hatte doch z. B.  N ä g e l i  noch 1877 geschrieben, dem nüchternen physiologischen Bewußtsein komme die Theorie der spezifischen Krankheitspilze nahezu phantastisch naiv vor; sie erinnere an die Personifikationen, mit denen ursprüngliche Völker große Erscheinungen in der Natur und im Völkerleben sich zum Bewusstsein gebracht hätten. Fast allein war es  F e r d i n a n d  C o h n  in Breslau, der unter den Botanikern damals auf Grund eigener Untersuchungen für die Berechtigung und Notwendigkeit eintrat, wie die höheren Pflanzen so auch die Bakterien in Arten zu trennen und sie systematisch zu ordnen. Zu ihm begab sich im Sommer 1878 der junge Kreisphysikus, um die reife Frucht seiner Studien ihm vorzulegen. Der tiefe Eindruck, den  K o c h s  Demonstrationen hinterließen, führte dazu, daß man ihn – zunächst als Stadtphysikus – für Breslau zu gewinnen suchte, und so siedelte er im Sommer 1879 dorthin über. Da er sich aber in seinen Erwartungen getäuscht sah, kehrte er bald in das ihm offen gehaltene Physikat nach Wollstein zurück, begrüßt von dem Jubel der Bevölkerung, die den allzeit bereiten, Trost und Hilfe bringenden Arzt schmerzlich vermißt hatte.

Aber sein wissenschaftlicher Ruf war doch schon zu sicher begründet, als daß seines Bleibens in Wollstein noch lange gewesen wäre. Am 28. Juni 1880 erfolgte seine Bestallung als Mitglied des damals in seiner ersten Entwicklung stehenden Kaiserlichen Gesundheitsamtes, und nun endlich konnte  K o c h  frei und ausschließlich seinen großen Zielen sich widmen.

Früh hatte  K o c h  erkannt, daß vor allem der Mangel leistungsfähiger Methoden es gewesen war, der dem Fortschritt der Bakteriologie im Wege gestanden hatte. Daß es ihm gelungen ist, hier Abhilfe zu schaffen, hat er selbst unter seinen Verdiensten wohl als das bedeutungsvollste geschätzt. In seiner in der Akademie der Wissenschaften gehaltenen Antrittsrede sagte er rückblickend ein Jahr vor seinem Tode:

„Diese neuen Methoden haben sich so hilfreich und nützlich für eine große Anzahl von Aufgaben erwiesen, daß man sie geradezu als den Schlüssel für die weitere Erforschung der Mikroorganismen, wenigstens soweit medizinische Fragen in Betracht kommen, bezeichnen kann.“

Schon in Wollstein war es  K o c h s  wunderbarem Scharfsinn und Geschick geglückt, die mikroskopische Untersuchung der Bakterien zu einem hohen Grade der Vollkommenheit auszugestalten. Mit neuen Verfahren der Präparation, der Färbung und der Belichtung hatte er es erreicht, in Gewebsschnitten Bakterien als solche dem Auge noch erkennbar zu machen, die wegen ihrer überaus geringen Dimensionen bis dahin durch die Strukturelemente des Gewebes verdeckt geblieben waren oder doch von feinsten Gewebsbestandteilen sich nicht mit Sicherheit hatten unterscheiden lassen. Auch in der Mikrophotographie, die ihm unanfechtbare Beweisstücke für seine Befunde lieferte, war er bereits Meister geworden. In Berlin schuf er nun seine ebenso einfachen wie genialen Methoden zur Züchtung von Bakterien, die Methoden der Reinkultur mittels fester und erstarrungsfähiger Nährböden. Jetzt erst war es möglich, aus Bakteriengemengen heraus die einzelnen Arten mit Sicherheit zu isolieren, sie beliebig lange in Reinkultur zu erhalten und mit ihnen exakte Versuche anzustellen. Gewissermaßen wie reife Früchte fielen, um mit  K o c h s  eigenen Worten zu sprechen, nachdem die richtigen Methoden gefunden waren, ihm und seinen Mitarbeitern die Entdeckungen in den Schoß.

Bezeichnend für seinen praktischen Sinn ist, wie  K o c h  alsbald nach seinem Eintritt in das Gesundheitsamt die Ergebnisse seiner Forschungen unmittelbar der Bekämpfung der Seuchen dienstbar gemacht hat. Ich meine seine grundlegenden und schöpferischen Arbeiten über Desinfektion, die in kurzer Zeit zum Gemeingut aller Nationen geworden sind.

Der Herbst des Jahres 1881 war über diesen Arbeiten herangekommen, als  K o c h  sich entschloß, die Erforschung der verheerendsten aller Krankheiten, der Tuberkulose, in Angriff zu nehmen. Daß dieser vielgestaltigen Krankheit ein spezifischer und einheitlicher Infektionsstoff zugrunde liegen müsse, stand für ihn seit den Untersuchungen von  C o h n h e i m und S a l o m o n s e n  über die experimentelle Iristuberkulose des Kaninchens unerschütterlich fest. Welcher Art aber der Infektionsstoff sei, das war damals auch ihm noch eine völlig offene Frage. Diesen Stand der Dinge muß sich ins Gedächtnis zurückrufen, wer die Großtat  R o b e r t  K o c h s,  die Entdeckung des Tuberkelbacillus und die Klarlegung der Tuberkulose-Aetiologie, zu würdigen unternimmt. Ein halbes Jahr nur war verstrichen vom Beginn der Arbeit bis zu jenem 24. März an dem der Meister sein in allen Teilen fertiges, unvergleichliches Werk enthüllte, freilich ein halbes Jahr angestrengtester Forschung.

Mit der Entdeckung des Tuberkelbacillus war der Weltruf R o b e r t  K o c h s  begründet; und als er von seiner im folgenden Jahre im Auftrage der Reichsverwaltung angetretenen Expedition nach Aegypten und Indien heimkehrte, nunmehr auch Herr über die Geheimnisse der Cholera-Aetiologie, da ehrten ihn Kaiser und Reich; und die Aerzteschaft, aus deren Reihen er hervorgegangen war, zollte ihm jubelnd und begeistert ihre Anerkennung.

Das Jahr 1885 stellte  K o c h  vor völlig neue Aufgaben. Er wurde, nachdem er einen Ruf nach Leipzig abgelehnt hatte, zum ordentlichen Professor der Hygiene in der Medizinischen Fakultät der Universität und zum Direktor des neu begründeten Hygienischen Instituts ernannt.

Eine vielseitige Tätigkeit begann. Den akademischen Vorlesungen wurde die größte Sorgfalt gewidmet; in den Laboratorien des Instituts fanden sich aus aller Welt Aerzte ein, die in das neue Gebiet der Bakteriologie eingeführt und mit den neuen Forschungsmethoden vertraut gemacht sein wollten; und dabei waren mit dem Meister zahlreiche Gehilfen eifrig und erfolgreich bemüht, wichtige Fragen auf den verschiedensten Gebieten der Hygiene ihrer Lösung zuzuführen. Die damals aus dem Institut hervorgegangenen Arbeiten über den Gehalt des Wassers und des gewachsenen Bodens an entwicklungsfähigen Bakterien und über den Einfluß der natürlichen und künstlichen Filtration auf den Keimgehalt des Wassers sind von unberechenbarem Nutzen für die Versorgung der Bevölkerung mit einwandfreiem, gegen Infektion geschütztem Wasser gewesen.

Schon bald nach der Entdeckung des Tuberkelbacillus hatte K o c h  in umfangreichen, aber stets erfolglosen Versuchen sich bemüht, durch entwicklungshemmende Chemikalien die Vermehrung des Bacillus im infizierten Körper zum Stillstand zu bringen und so die Heilung herbeizuführen. Jetzt nahm er diese Aufgabe, von deren Lösung er sich auch für die Verhütung weiterer Infektionen den größten Erfolg versprach, wieder auf, und bald erschloß sich seinem Forschergeiste ein Weg, der ihn und seine Mitarbeiter zu ganz neuen Entdeckungen führen sollte. Die grundlegende Beobachtung  K o c h s  war, daß tuberkulöse Meerschweinchen auf eine Einimpfung von Tuberkelbacillen, lebenden sowohl wie abgetöteten, in einer Weise reagierten, die von dem Verhalten ebenso behandelter gesunder Meerschweinchen völlig abweicht.

K o c h  erkannte sofort die Tragweite dieser Tatsache und gelangte bei ihrer weiteren Verfolgung zu der Ueberzeugung, daß in den Tuberkelbacillen eine lösliche Substanz vorhanden sein müsse, in der nicht nur ein ausgezeichnetes diagnostisches Hilfsmittel, sondern auch ein Spezificum zur Heilung der Tuberkulose gegeben sei.

Als er dann sein Tuberkulin – ein Glyzerinextrakt aus Reinkulturen der Tuberkelbazillen – den Aerzten zur Prüfung übergab und dessen wunderbare spezifische Wirkung auf tuberkulös verändertes Gewebe vor aller Augen lag, da kannte der Enthusiasmus keine Grenzen; Aerzte und Kranke aus aller Welt strömten nach Berlin, und  R o b e r t  K o c h  wurde gepriesen als der größte Wohltäter der Menschheit.

Wir wissen, daß dem Sturm der Begeisterung bald ein jäher Rückschlag folgte; wir wissen aber heute auch, daß  K o c h  in allen wesentlichen Punkten recht behalten hat. Langsam, aber stetig hat nicht nur die spezifische Diagnostik, sondern auch die spezifische Therapie der Tuberkulose ihr Terrain sich erobert.

Auch in einer anderen wichtigen Tuberkulose-Frage ist  K o c h über die Gegner Sieger geblieben. Denn kaum kann heute noch seine Lehre ernstlich bestritten werden, daß den sog. Perlsuchtbazillen für die tuberkulöse Infektion des Menschen nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt und daß im besonderen für die Entstehung der Schwindsucht, dieser verbreitetsten und verheerendsten Form der Tuberkulose, nicht der Genuß von Milch perlsüchtiger Kühe, sondern die von dem tuberkulösen Menschen ausgeschiedenen Tuberkelbazillen verantwortlich zu machen sind.

Im Jahre 1891 hatte  K o c h,  um sich wieder ganz seinen Forschungen widmen zu können, seine akademische Tätigkeit aufgegeben und die Leitung des für ihn neugeschaffenen, mit einer eigenen Krankenabteilung verbundenen Instituts für Infektionskrankheiten übernommen. Ein Stab von begeisterten Mitarbeitern umgab ihn auch hier, unter ihnen Männer, die als bahnbrechende Forscher der Wissenschaft neue Gebiete erschlossen und den Ruhm der  K o c h schen Schule in aller Welt verbreitet haben.  K o c h aber war die Seele des Ganzen und wußte sie alle seinen Zielen dienstbar zu machen, auch in Zeiten, in denen große Aufgaben der Seuchenbekämpfung zu lösen waren. Dann war er der frohgemute, siegesgewisse Feldherr, ein Organisator ohnegleichen.

Als 1892 die Cholera verheerend in Hamburg einbrach und jahrelang Deutschland bedrohte, da erwies sich so recht, was  K o c h, gestützt auf die Ergebnisse seiner Forschungen, dem Vaterlande zu leisten vermochte. Und wenn heute die Bevölkerung einer Einschleppung des Cholerakeimes mit Ruhe entgegensieht, in der sicheren Ueberzeugung, daß die Medizinalverwaltung der Gefahr schnell Herr wird, so danken wir das allein  R o b e r t  K o c h.

Nicht minder großzügig und erfolgreich hat er noch im letzten Jahrzehnt seines Lebens die Typhusbekämpfung im Südwesten des Reiches organisiert. Stets war er in der Seuchenbekämpfung, in der Seuchengesetzgebung, bei kommissarischen Beratungen und internationalen Konferenzen des Reiches und Preußens zuverlässiger Berater. Auch der Heeressanitätsverwaltung hat er wertvolle Dienste geleistet; er war Generalarzt à la suite des Sanitätskorps, ordentlicher Professor und Mitglied des Wissenschaftlichen Senats bei der Kaiser Wilhelms-Akademie.

Wie mit Sehergabe ausgerüstet hat  K o c h  die Bedeutung vorgeahnt, welche auch niedersten tierischen Organismen, den Protozoen, als Erregern von Infektionskrankheiten zukommt. In seiner berühmten, 1881 erschienen Arbeit „Zur Untersuchung von pathogenen Organismen“ schrieb er, der Begründer der Bakteriologie:

„Es ist gewiß eine einseitige, wenn auch augenblicklich allgemein adoptierte Meinung, daß alle noch unbekannten Infektionsstoffe Bakterien sein müssen. Warum sollen nicht ebensogut auch andere Mikroorganismen ein parasitisches Leben im tierischen Körper zu führen imstande sein?“

Schon im folgenden Jahre fand  La v e r a n  im Blute von Malariakranken jene eigentümlichen Protozoen, die Malaria-Parasiten, und 1883 – gelegentlich der Cholera-Expedition – entdeckte K o c h  selbst in Amöben die Erreger der tropischen Ruhr. In rascher Folge wurden dann von verschiedenen Forschern noch bei einer Anzahl von Infektionskrankheiten eigenartige Protozoen – Trypanosomen, Piroplasmen und andere – gefunden und in mühevollen Untersuchungen als die Erreger erkannt. Dabei stellte sich heraus, daß ebenso wie bei der Malaria, so auch bei diesen überwiegend tropischen Krankheiten die Uebertragung nicht unmittelbar vom Kranken auf den Gesunden stattfindet, sondern durch Vermittlung von Zwischenwirten, vor allem blutsaugenden Insekten. Der Mitarbeit an diesen schwierigen und verwickelten Problemen und an der Erforschung tropischer Tierkrankheiten, deren Erreger auch heute noch unbekannt sind, hat K o c h  neben seinen Tuberkulosestudien in den letzten drei Lustren seines Lebens fast ausschließlich sich gewidmet. Sie hat ihn in einem Alter, in dem der Mensch sonst nach Ruhe zu verlangen pflegt, in wiederholten, mit Gefahren und Strapazen aller Art verbundenen Expeditionen nach Italien, Britisch- und Holländisch-Indien, nach Neu-Guinea und den verschiedensten Teilen Afrikas geführt. Seine letzte große Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit ist noch in Ihrer aller Erinnerung.

Ich muß es mir versagen, auf seine vielfach auch hier grundlegenden Arbeiten – über Malaria und Schwarzwasserfieber, über die Trypanosomen- und Piroplasmen-Krankheiten, die Lepra, das afrikanische Rückfallfieber, die Rinderpest, das afrikanische Küstenfieber der Rinder und die afrikanische Pferdesterbe – im einzelnen einzugehen. Wo immer er seine Kraft eingesetzt hat, da hat er seinem wissenschaftlichen Ruhmeskranze neue, unverwelkliche Blätter eingefügt und oft der Verhütung und Bekämpfung auch jener Infektionskrankheiten neue, ihrer Eigenart entsprechende Wege erschlossen. Daß er dabei sein Leben aufs Spiel setzte, daß er an seiner Gesundheit Schaden nahm, hat ihn nie gekümmert.

Wer möchte sich vermessen, die Werke dieses Mannes, ihre Bedeutung für die Volkswohlfahrt und für die verschiedensten mit ihr in Beziehung stehenden Gebiete des Lebens heute schon in ihrem vollen Umfange zu würdigen! Erst spätere Geschlechter werden dazu imstande sein.

In dieser seinem Gedächtnis geweihten Stunde aber wollen wir auch den Menschen  R o b e r t  K o c h  noch einmal uns vergegenwärtigen:

Ausgestattet mit klarem Verstande und kritischem Sinn besaß K o c h  eine wunderbare Beobachtungs- und Auffassungsgabe, die ihn stets den Kern der Dinge schnell erfassen und nichts übersehen ließ, was seinen Zielen zu dienen vermochte. Sein Gedächtnis war bis zuletzt ausgezeichnet; nur für Gesichter ließ es ihn, wie man das bei Myopischen nicht selten findet, gelegentlich im Stich.

Zu seinen Hauptcharakterzügen gehörte fester, stetiger Wille und zähe Ausdauer. „Ich lasse nicht locker“ war, wenn alle Mühe vergeblich aufgewandt schien, sein Lieblingswort. Von einer Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit ohne Gleichen, auch körperlich jeder Anstrengung gewachsen, stellte er an andere hohe Anforderungen, die höchsten stets an sich selbst. Die beste Erholung von anstrengender Arbeit fand er in der Beschäftigung mit anderen Wissensgebieten, und so war er zu Hause in Botanik und Zoologie, Physik und Mathematik, Chemie und Mineralogie, in Geologie und in Astronomie. Urgeschichtliche, anthropologische und ethnologische Studien gehörten zu seiner Lieblingsbeschäftigung. Reiche Sammlungen zeugten von seinen vielseitigen Interessen.

Ein großer Naturforscher, hatte er auch Sinn für philosophische Probleme. Schrankenlosen Spekulationen und jeder Art von Mystik aber war er abhold. Hypothesen waren ihm nach dem Goetheschen Worte nur Gerüste, die er abtrug, wenn das Gebäude fertig war.

So ist ihm denn das Glück zuteil geworden, das Goethe als das höchste des denkenden Menschen preist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.

Aber der große Forscher hatte im Grunde doch immer das A n w e n d e n  und das  T u n  vor Augen. Sein praktischer Sinn und sein technisches Geschick ließen ihn dabei nie im Stich. Stets wußte er, wo der Hebel anzusetzen und wie mit einfachen Mitteln das Höchste zu leisten war.

Furcht hat  R o b e r t  K o c h  nie gekannt. Unbedingte Wahrhaftigkeit war ihm eigen. Von Haus aus mäßig und bescheiden, einfach und anspruchslos, blieb er so ungeachtet aller Ehrungen, die Könige und Fürsten, wissenschaftliche Körperschaften und seine Mitbürger auf ihn gehäuft haben. Schroff und unnahbar stolz aber konnte er sein, wenn jemand seine Wege zu sperren drohte, oder die Neugier an ihn sich herandrängte. Nie war er kleinlich, immer sachlich. Seine umfassenden Kenntnisse, seine unerschütterliche Ruhe, Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit ließen ihn jede Diskussion beherrschen. Klar und durchsichtig wie Kristall war seine Rede. Griff er zur Feder, so schrieb er knapp und leicht verständlich. Nachträgliche Aenderungen nahm er an seinen Manuskripten kaum vor: sie bedurften ihrer nicht.

Als Lehrer war er groß durch sein Beispiel und seine Anregungen.

In Freundeskreisen konnte er harmlos fröhlich sein; er war dann unübertrefflicher Erzähler und wurde nicht müde, aus seinen reichen Erlebnissen und Erfahrungen mitzuteilen.

R o b e r t  K o c h  gehörte und diente der Welt, aber wie von Geburt, so war er nach Wesen und Sinnesart ein Deutscher.

Nun ist auch er dem Allbezwinger erlegen. Wir stehen in Trauer um ihn, der unser Stolz, der uns Führer und Helfer war. Aber die Klage um  R o b e r t  K o c h  vergeht vor der Größe seiner unsterblichen Werke.


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1 Die ursprüngliche Schreibweise wurde durchgehend belassen. Dies betrifft vor allem den Gebrauch von ß und ss sowie von Ae, Oe, Ue statt Ä, Ö, Ü. (Anmerkung der Herausgeber)


2 Erstveröffentlicht in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 1910 (No. 50); 36: 2321 – 2324



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Dr. Robert Kropp
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