Pädiatrie up2date 2012; 7(01): 39-54
DOI: 10.1055/s-0031-1291829
Gastroenterologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pathologische Leberwerte – Interpretation in der Praxis

Michael Melter
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Publication Date:
12 April 2012 (online)

Einleitung

Pathologisch veränderte sog. „Leberwerte“ werden auch bei Kindern und Jugendlichen sehr häufig im Blut gemessen. Die Messung der Aminotransferasen und anderer Zellenzyme, der Cholestaseparameter, Parametern der hepatischen Synthese und der Detoxifikationskapazität sind geeignet, zwischen hepatischen und extrahepatischen Störungen zu unterscheiden, aber auch die Art, Schwere und Akuität einer hepatobiliären Störung abzuschätzen. Neben der Beurteilung einzelner Parameter können hierzu zudem das Verhältnis der Enzyme zueinander bzw. bestimmte Enzym-Muster genutzt werden.

Das Parenchym der Leber besteht beim Erwachsenen aus mehreren hundert Milliarden Hepatozyten, die ca. 65 % der Zellmasse und 80 % des Lebergewichts ausmachen. Dabei weisen die Hepatozyten zahlreiche Funktionen auf (Tab. [1]). Die in hohem Maße polarisierten Hepatozyten sind polyedrische (vielflächige; 6 – 10) Epithelzellen mit ausgeprägt konturierter Zellmembran, die drei unterschiedliche Abschnitte aufweist [1]. Diese unterscheiden sich aufgrund ihrer lokalisationsbedingten Funktion nicht nur in ihrer Morphologie, sondern auch in ihrem Enzym- und Antigenbesatz [1]. Um dem sie umströmenden portalen Blut eine möglichst große absorptive und sekretorische Oberfläche zu bieten, bilden die sinusoidalen Membranen multiple Mikrovilli aus (Abb. [1]). Zentral zwischen zwei bis drei Hepatozyten bilden deren aneinander grenzende Membrananteile unmittelbar die Oberfläche der Kanalikuli (Gallekanälchen) aus, die ebenfalls zahlreiche Mikrovilli aufweist und von einem gering verdickten Ektoplasma mit zahlreichen Fibrillen umgeben wird (Abb. [1]). Die lateralen Anteile der interzellulären Membranen sind glatt und dienen im Wesentlichen dem Zusammenhalt der Hepatozyten in ihrem trabekulären Zellverbund, wozu sie sich der mit tight und gap junctions ausgestatteten Desmosomen bedienen (Abb. [1]).

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Abb. 1 Darstellung von Hepatozyten in ihrer typisch trabekulären Anordnung entlang der Sinusoide von portalvenös nach zentralvenös.
Tabelle 1

Zentrale Funktionen der Hepatozyten.

Synthese der meisten Plasmaproteine (keine Immunglobuline)

  • Albumin macht ca. 50 % der sekretorischen Proteinsynthese aus

  • Akutphaseproteine (z. B. C-reaktives Protein [CRP])

  • Transportproteine (z. B. Thyroxin-bindendes Globulin)

Gallesynthese

Biotransformation

  • Umwandlung hydrophober Substrate in wasserlösliche Metabolite, die dann über die Galle oder via Blut über die Nieren ausgeschieden werden können

  • von „Toxinen“/metabolische Substrate/Arzneimittel (auch pflanzliche!) durch „Katalysatoren“ (z. B. das sehr bedeutende Cytochrom P450-System)

zentrale Bedeutung im Stoffwechsel von u. A.

  • Glukose (-Bildung, Speicherung als Glykogen)

  • Fett

  • diverse Vitamine

  • Plasma-pH-Regulation

  • Eisen (größter Speicherpool nach dem Knochenmark)

  • Spurenelemente (z. B. Zink, Mangan, Kupfer [Clearance])

Neben dem hepatozytären Parenchym besitzt die Leber mit dem endothelial ausgekleideten Gallenwegsystem ein tubuläres System zum „Abtransport“ von Galle, drei Gefäßsysteme (arterielles, venöses und portalvenöses) und ein ziemlich ausgeklügeltes „Abwehrsystem“. Vor allem durch die Sternzellen (früher von-Kupffer-Sternzellen; Gewebsmakrophagen), die mit ihren langen Pseudopodien das Lumen der Sinusoide durchspannen, gelingt eine Art „Wächterfunktion“ gegenüber allen aus dem Intestinaltrakt angeschwemmten „Fremdstoffen“ und Antigenen (einschließlich aller Nahrungsantigene; Abb. [1]).

Zur Beurteilung der Art und Akuität einer hepatobiliären Störung, des Ausmaßes der Leberschädigung und der verschiedenen hepatischen Funktionen dienen eine Reihe von Blut-Laborparametern, die aus dem klinischen Zusammenhang heraus ausgewählt und beurteilt werden müssen. Neben der Höhe der Aktivität der einzelnen Enzyme kann das Enzymmuster generell und die Relation der Enymaktivitäten zueinander für die Interpretation genutzt werden.

Diesbezüglich kann prinzipiell zwischen Markern und Mustern

  • einer hepatozellulären Integrationsstörung,

  • einer Cholestase,

  • der hepatischen Synthesekapazität und

  • der hepatischen Detoxifikationskapazität unterschieden werden.

 
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