Dialyse aktuell 2011; 15(8): 415
DOI: 10.1055/s-0031-1292652
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Eine Zumutung?

Christian Schäfer
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Publication Date:
04 October 2011 (online)

Ja, genau das soll der Zwang zu einer Meinungsäußerung über die Spende der eigenen Organe nach dem Hirntod sein, wenn man Kritikern glaubt. Aber kann man das wirklich behaupten, dass es nicht zumutbar sei, sich dazu zu äußern, ob man für oder gegen die Spende seiner Organe nach dem Tod ist bzw. ob man dies (noch) nicht weiß? Es ist jedenfalls eine größere Zumutung für Menschen, im Angesicht des (Hirn-)Todes eines nahen Angehörigen unter großer Trauer, Verwirrung und großem Stress entscheiden zu müssen, ob die Organe gespendet werden sollen oder nicht – und das geschieht eben genau dann, wenn sich der Betroffene zu Lebzeiten nicht eindeutig dazu erklärt hat.

Wie der Präsident der 3. Jahrestagung der DGfN (Deutsche Gesellschaft für Nephrologie) Prof. Ulrich Frei, Berlin, in einem Round-table-Gespräch am 11.09.2011 erläuterte, entscheiden sich wohl circa 1 Viertel der Angehörigen in solch schweren Momenten ”falsch“: Fragt man deutsche Staatsbürger in einer entspannten Situation, ob sie bereit wären, ihre Organe nach ihrem Tod zu spenden, beantworten dies etwa 3 Viertel mit ”ja“. Die Angehörigen entscheiden sich aber in ungefähr der Hälfte der Fälle am Bett des Hirntoten dagegen, seinen Körper für die Entnahme von Organen zur Spende freizugeben. Das heißt, zusätzlich zu der stressbelasteten Situation für die Angehörigen kommt die negative Tatsache dazu, dass hierdurch eine stattliche Anzahl an Organen einfach verloren geht – also nicht für die Spende zur Verfügung steht.

Weitere Organe gehen laut Frei zum Beispiel unnötig verloren, weil Ärzte potenzielle Spender voreilig als ungeeignet einstufen (da sie keinen Spezialisten konsultieren) oder das aufklärende, unangenehme und anspruchsvolle Gespräch mit Angehörigen über die Möglichkeit einer Organspende des Hirntoten scheuen – diese Gespräche können in solch einer Situation nicht nur die Angehörigen, sondern auch der Arzt als Zumutung empfinden.

Letzteres scheint tatsächlich nicht selten zu sein, wie die an dem Round-table-Gespräch teilnehmende Elke Wittenberg eindrücklich vermittelte: Nachdem ihre 4-jährige Tochter nach einer Routineoperation völlig unerwartet verstarb, klärte kein Arzt sie oder ihren Mann über eine mögliche Organspende auf. Sie selbst wäre in diesem Moment des Schocks auch nicht darauf gekommen, erst ihr Mann hätte das Thema aufgebracht, so Wittemann. Die Eltern entschieden sich schließlich dafür, die Organe ihrer Tochter zu spenden. Letztendlich konnten hiermit eine Frau und 2 kleine Jungen gerettet werden – für Wittemann ein kleiner Trost, wie sie erwähnte. Um nierenkranke Kinder dreht sich übrigens auch die vorliegende Ausgabe der Dialyse aktuell – und zwar vor allem um die nicht primär medizinischen Belange. Lesen Sie hierzu die informativen Beiträge unserer Schwerpunktautoren bzw. unseres Gasteditors ab Seite 426.

Machen wir nun einmal Halt und denken über die Eingangsfrage nach: Ist es eine Zumutung, angeben zu müssen, wie man zur möglichen Spende seiner Organe nach dem Hirntod steht? Mal ehrlich, das Wort ”Zumutung“ mutet doch in diesem Kontext übertrieben und unpassend an. Es ist daher also zumutbar, zu Lebzeiten eine Entscheidung zu treffen. Diese sogenannte Entscheidungslösung könnte vielfach Leben retten und dabei helfen, echte Zumutungen zu vermeiden.

Der Fraktionsvorsitzende Dr. Franz-Walter Steinmeier (SPD), der auch an dem Round-table-Gespräch teilnahm, favorisiert diese Lösung. Er rät von Forderungen nach einer Widerspruchslösung (jeder, der nicht zu Lebzeiten widersprochen hat, ist nach seinem Tod ein potenzieller Organspender) ab, da diese derzeit im Parlament nicht mehrheitsfähig sei – so gut die Auswirkungen auf die Spenderzahlen hiermit auch sein mögen. Besser sei es, nun die möglichen positiven Effekte einer Entscheidungslösung mitzunehmen, so diese denn im Gesetz festgeschrieben wird. Damit könnte Steinmeier recht behalten.