Dialyse aktuell 2011; 15(09): 532-534
DOI: 10.1055/s-0031-1295598
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nephrologische Versorgung der Patienten – Was haben wir erreicht und was kommt auf uns zu?

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Publication Date:
10 November 2011 (online)

 
 
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(Bild: CD 03 Health & Medicine)

Die letzten 10 Jahre haben faszinierende Ergebnisse in der Nephrologie zutage gefördert. Auf dem Symposium "10 Jahre Nephrologie im Dialog" gab Prof. Eberhard Ritz, Heidelberg, eine Auswahl aus wichtigen Ergebnissen der letzten Zeit und wagte einen kleinen Ausblick auf die nächsten Jahre.

Membranöse Glomerulonephritis

Der genetische Hintergrund für die Entstehung der membranösen Glomerulonephritis (GN) konnte geklärt werden: Es gibt 2 Risikoallele – HLA-DQA1 (Chromosom 6p21) und PLA2R1 (Chromosom 2q24), wobei letzteres weniger ins Gewicht fällt [ 1 ]. Es ist möglich geworden, den Verlauf der immunsuppressiven Therapie zu überwachen: Es findet sich ein paralleler Rückgang der Albuminurie und der Antikörper gegen den Phospholipase-A2-Rezeptor (PLA2R) bei membranöser GN [ 2 ]. Es ist allerdings wichtig, nicht nur zirkulierende Antikörper zu messen, sondern auch die Immunhistologie in der Nierenbiopsie zu berücksichtigen, erinnerte Ritz [ 3 ].


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Fokal segmentale Glomerulosklerose

Der "circulating permeability factor suPAR" ("serum soluble urokinase Podocyte Activating Receptor") gelangt über den Kreislauf in den Glomerulus, wird gefiltert und bindet an das β3-Integrin der Podozytenfußfortsätze. Dadurch kommt es zur Leckage in den Fußfortsätzen, weshalb Albumin in das Filtrat übergeht und es zur Albuminurie kommt, erklärte Ritz. Die Serumkonzentration von suPAR ist bei Glomerulopathien nur bei fokal segmentaler Glomerulosklerose (FSGS) erhöht, genauso wie beim wiederkehrenden nephrotischen Syndrom nach einer Nierentransplantation (im Gegensatz zum nicht wiederkehrenden nephrotischen Syndrom) [ 4 ]. Die Serumkonzentration von suPAR kann man über -Plasmapheresesitzungen absenken, gleichzeitig fällt die Proteinurie ab [ 4 ].


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Mineralokortikoidrezeptor und Rac-1

Beim metabolischen Syndrom werden die Podozyten geschädigt und es tritt ein Nephrinverlust auf, erläuterte Ritz. Die viszerale Fettsucht führt in Anwesenheit von Salz zur Aktivierung des Mineralokortikoidrezeptors, woran sich eine Nierenschädigung anschließt, wie Fujita postuliert [ 5 ].

Interessant sind laut Ritz Versuche mit hypertensiven, fettleibigen Ratten, die eine kochsalzreiche Kost erhalten und eine Podozytenschädigung aufweisen: Der Nephrinverlust lässt sich verhindern, und zwar durch das Medikament Eplerenon [ 5 ]. Das heißt, dass das mineralokortikoidrezeptorblockierende Medikament für die Behandlung dieser Form der Proteinurie für die Zukunft auf die Agenda kommen wird, so Ritz.

Ebenso haben Mäuse mit genetisch bedingter konstitutiver Aktivierung von Rac-1 geschädigte Podozyten und Glomeruli [ 6 ]. Der Rac-1-Hemmer NSC23766 vermindert bei diesen Mäusen die Proteinurie und glomeruläre Schäden [ 6 ]. Dies verhindert auch einen Blutdruckanstieg, Albuminurie und glomeruläre Schäden bei dahlsalzsensitiven Ratten auf salzreicher Kost [ 7 ]. Rac-1 und der Mineralokortikoidrezeptor sind daher potenzielle Zielmoleküle für Therapieansätze, so Ritz.


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Interstitielle Fibrose der Niere und damit verbundene Fibrose

Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Serum-Kreatinin-Konzentration und dem renalen interstitiellen Volumen, sagte Ritz. Das haben Bohle et al. schon in einer Publikation 1977 vorgestellt [ 8 ], was damals aber noch größtenteils ignoriert worden sei. Heute ist man einen großen Schritt weiter im Verständnis des Pathomechanismus: Die interstitielle Fibrose der Niere nach unilateraler Ureterligatur ist vermindert, wenn man den Kalziumkanal KCa3.1 entweder hemmt (durch TRAM-34) oder seine Synthese genetisch blockiert [ 9 ].

Interessante Ergebnisse gibt es auch zur Fibrosebildung (Wundheilung) und zur Progression renoparenchymaler Schädigung: Letzteres geschieht im Gegensatz zur Wundheilung auch dann, wenn der initiale Insult verschwunden ist. Dies ist auf die Inaktivierung des Rasal-1-Gens zurückzuführen, das methyliert und damit epigenetisch verändert wird [ 10 ]. Rasal-1, ein Hemmer des Onkoproteins Ras, kann so seine Wirkung nicht mehr entfalten. Daher ist Ras aktiv und aktiviert Fibroblasten, was eine Fibrose auslöst [ 10 ]. Laut Ritz wird die Industrie in den nächsten 10 Jahren wohl intensiv daran forschen, wie die Methylierung des Rasal-1-Gens zu hemmen und dies in der Therapie einzusetzen ist.


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Nrf2 als therapeutisches Zielmolekül und Ergebnisse mit Bardoxolon

Nrf2 ("nuclear factor erythroid2-related factor 2") ist ein zellständiger Sensor von oxidativem (elektrophilem) Stress, der durch chemische Prozesse oder Strahlung ausgelöst wird [ 11 ]. Normalerweise ist er an den Inhibitor INrf2/Keap1 gebunden und wird im Zytoplasma zurückgehalten, damit ist er zum Abbau freigegeben [ 11 ]. Bei oxidativem (elektrophilem) Stress wird Nrf2 angeschaltet und gelangt in den Zellkern. Hierbei aktiviert Nrf2 Gene zur Detoxifizierung und zur Abwehr von oxidativem Stress [ 11 ]. Bei Inflammation und oxidativem Stress nach subtotaler Nephrektomie wird der protektive Faktor Nrf2 herunter- und der Nrf2-Repressor Keap1 hochreguliert [ 12 ].

Das ursprünglich als Antikrebsmittel eingesetzte Bardoxolon verbessert den Verlauf des akuten Nierenversagens, indem es Nrf2 hochreguliert – dies konnten Wu et al. im Mausmodell zeigen [ 13 ]. Interessant ist dies, da eine amerikanische Studie zeigen konnte, dass bei Typ-2-Diabetikern unter der Gabe von Bardoxolon die eGFR ("estimated glomerular filtration rate") im Vergleich zu Placebo anstieg [ 14 ]. Je höher die Dosis war, desto mehr Patienten hatten eine verbesserte eGFR [ 14 ]. Ritz erwartet aufgrund dieser Befunde, dass in nächster Zeit aus laufenden Studien hierzu weitere Ergebnisse geliefert werden.


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Medikamente für alternative Zielstrukturen

Ritz findet folgende Studie besonders bemerkenswert: Der oral aktive CCR2-Antagonist (CCR: Chemokinrezeptor) ver-hindert Glomerulosklerose und Nierenversagen im Typ-2-Diabetes-Modell (uninephrektomierte db/db-Mäuse) [ 15 ]. Sayyed et al. nutzten Enantiomere (stereochemische Spiegelbilder): Sie tauschten in RNS die natürlich im Körper vorkommende D-Ribose gegen L-Ribose, welche von antikörperbildenden Zellen nicht erkannt wird [ 15 ]. Die Autoren zeigten, dass L-enamtiomerische RNS (Spiegelmere) den Chemokinliganden CCL2 und CXCL 12 ("stroma cell derived factor") hemmen [ 15 ]. Dies reduzierte im Mausmodell glomeruläre Läsionen, verbesserte die eGFR und die Albuminurie [ 15 ]. Dies sei ein vielversprechender Ansatz für zukünftige Strategien, schloss Ritz.


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Was leistet die nephrologische Versorgung?

Werner Kleophas, Düsseldorf, erklärte im folgenden Vortrag, dass es den Nephrologen bisher noch nicht gelungen sei, so präsent zu sein, wie es die Niere bei vielen Krankheiten ist. Bei originären nephrologischen Krankheiten geht die Zahl der Erkrankten zurück, während die Zahl von Patienten mit Systemerkrankungen mit Nierenbeteiligung zunimmt und den nephrologischen Alltag immer mehr prägt [ 16 ].


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Rechtzeitige Überweisung zum Nephrologen ist essenziell

Die Lebenserwartung eines Nierenpatienten hängt direkt davon ab, ob er vor der dem Dialysebeginn in einer nephrologischen Mitbehandlung war oder nicht. Die Lebenserwartung ist wesentlich größer, wenn der Patient auch nur einen Monat diese Mitbehandlung erfahren hat [ 17 ]. Dies gilt auch in früheren Stadien als in CKD-Stadium 5 (CKD: "chronic kidney disease") und kann den Beginn der Dialysebehandlung hinauszögern [ 18 ]. Nach dem Bundesmantelvertrag, der seit dem 01.07.2009 gültig ist, ist die konsiliarische Kooperation bei entsprechenden -Risikopatienten zeitgerecht einzuleiten [ 19 ]. In Deutschland werden circa 80 % der Patienten rechtzeitig zum Nephrologen überwiesen, was im Vergleich zu anderen Ländern relativ wenig ist, so Kleophas.


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Entwicklung der Patientenzahlen und der Dialysekosten

Bei der terminalen Niereninsuffizienz gibt es in China und Osteuropa große Wachstumsraten pro Jahr (33 bzw. 11 %), in der EU und Deutschland dagegen nicht (3–4 bzw. 2 %), so Kleophas. Die geringe Rate in Deutschland (z. B. auch im Vergleich zu den 1990er-Jahren) ist u. a. der Verdienst der verbesserten nephrologischen Prävention und Struktur, postulierte Kleophas.

Die Dialysekosten haben sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr von den Gesundheitskosten und dem Grundlohn entkoppelt und sind relativ stark gestiegen, erklärte Kleophas. Deutschland hat hierbei eine der günstigsten Versorgungsstrukturen aufbauen können (164 US-Dollar pro Hämodialysebehandlung im Vergleich etwa zu Belgien mit 321 US-Dollar).


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Qualität der nephrologischen Versorgung

In Deutschland haben wir eine in der Welt einzigartige Regelung, erläuterte Kleophas: "Vertragsärzte […] sind nach Maßgabe der §§ 136a verpflichtet, sich an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen, die insbesondere zum Ziel haben, die Ergebnisqualität zu verbessern und einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiter zu entwickeln." [ 20 ]. Dies schlägt sich in der Statistik nieder: Bei der Todesrate der Hämodialysebehandlung ist Deutschland Viertbester [ 21 ]. Die einzelnen Qualitätsparameter (Kt/V, Hb-Wert etc.) sind seither deutlich besser geworden, so Kleophas. Deutschland hat außerdem den niedrigsten EPO-Verbrauch [ 21 ]. Ökonomie und Qualität sind also kein Widerspruch.


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Zukünftige Anforderungen

Zukünftige Anforderungen an die nephrologische Versorgung sind laut Kleophas:

  • Anwendung der Qualitätssicherungsrichtlinie sektorübergreifend auch auf teilstationäre und stationäre Leistungen (dies ist laut Kleophas bereits beschlossen)

  • Entwicklung einer Qualitätssicherungsrichtlinie auch für die Diagnostik und Therapie früher CKD-Stadien.

  • Förderung des nephrologischen Nachwuchses

  • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen

  • Ausbau der Qualitätssicherungsrichtlinie für Prävention und stationäre Leistungen

Christian Schäfer, Stuttgart

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Teva GmbH, Ulm.
Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "10 Jahre Nephrologie im Dialog", veranstaltet von der Teva GmbH, Ulm, auf dem Kongress für Nephrologie, Berlin.
Der Autor ist Mitarbeiter des Georg Thieme Verlags, Stuttgart.


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  • Literatur

  • 1 Stanescu HC et al. N Engl J Med 2001; 364: 616-626
  • 2 Beck Jr LH et al. N Engl J Med 2009; 361: 11-21
  • 3 Debiec H, Ronco P. N Engl J Med 2011; 364: 689-690
  • 4 Wei C et al. Nat Med 2011; 17: 952-960
  • 5 Fujita T. Hypertension 2010; 55: 813-818
  • 6 Shibata S et al. Nat Med 2008; 14: 1370-1376
  • 7 Shibata S et al. J Clin Invest 2011; 121: 3233-3243
  • 8 Bohle A et al. Virchows Arch A Pathol Anat Histol 1977; 375: 87-96
  • 9 Grgic I et al. Proc Natl Acad Sci U S A 2009; 106: 14518-14523
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  • 12 Kim HJ, Vaziri ND. Am J Physiol Renal Physiol 2010; 298: F662-F671
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  • 16 QuaSi-Niere-Bericht 2005–2006. Im Internet: www.bundesverband-niere.de/files/QuaSi-Niere-Bericht_2005-2006.pdf Stand: 30.09.2011
  • 17 Hasegawa T et al. Clin J Am Soc Nephrol 2009; 4: 595-602
  • 18 Taskapan H et al. Int Urol Nephrol 2008; 40: 841-848
  • 19 Bundesmantelvertrag Anhang. 9.1.6, § 3 Abs. 1
  • 20 SGB V. § 135a
  • 21 Dor A et al. Int J Health Care Finance Econ 2007; 7: 73-111

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(Bild: CD 03 Health & Medicine)