Operative Therapie
Indikationen und Kontraindikationen zur konservativen vs. operativen Therapie
Die Indikation zum operativen Verschluss ist von vielen Parametern abhängig. Es gibt
hierzu vitale, absolute und relative Indikationen (Tab. [1]). Abhängig von der Ausdehnung eines Dekubitus sollte primär ein konservativer Therapieversuch
unternommen werden. Die konservative Therapie ist den Stadien I und II (nach Seiler)
vorbehalten. Alle höhergradigen Ulzerationen sollten plastisch-chirurgischen Lösungen
zugeführt werden. Konservativ können diese in der Regel nur schwer bzw. kaum zum Verschluss
gebracht werden. Meist bildet sich ein instabiles Narbenfeld, aus dem sich oft erneute
Ulzerationen bilden, da sie den erneuten Druckbelastungen auf Dauer nicht standhalten.
Trotzdem sollte die operative Indikation v. a. bei multimorbiden Patienten streng
gestellt werden, da diese möglicherweise einen operativen Eingriff aus anästhesiologischer
Sicht nicht überleben bzw. eine fehlende Wundheilung aufweisen könnten. Allerdings
sollte bei frisch querschnittgelähmten oder polytraumatisierten Patienten die frühzeitige
plastische Deckung angestrebt werden, denn nur dann kann mit einer suffizienten Frührehabilitation
begonnen werden.
Tabelle 1 Operationsindikationen.
vitale Indikation
|
absolute Indikation
|
relative Indikation
|
Aufklärung
Die Patienten müssen über allgemeine und spezifische OP-Risiken sowie Komplikationen
aufgeklärt werden. Wundheilungsstörungen treten in 15–30 % der Fälle auf, da es sich
um „septische“ Operationen handelt.
Chirurgisches Wunddébridement
Hierbei wird mit dem scharfen Löffel und Skalpell das nekrotische Gewebe entfernt.
Dies wird in einer Sitzung meist nicht gelingen, da die Wundränder sich erst nach
einer Latenzzeit demarkieren. Beim Débridement sollte das Gewebe so ausführlich wie
nötig und sowenig wie möglich reseziert werden, um einerseits den Defekt nicht unnötig
auszuweiten und um andererseits eine ideale Wundkonditionierung zu erreichen. Erst
nach dem Débridement zeigt sich das ganze Ausmaß des Defekts.
An ein ggf. mehrfaches chirurgisches Débridement schließt sich die Wundkonditionierung
an. Bei kleineren Ulzera beinhaltet dies die täglichen, mehrfachen Verbandwechsel
mit mit Ringer-Laktat-Lösung versetzten Kompressen. NaCl-Verbände sind zelltoxisch.
Es werden in der Literatur Verbandwechsel alle 4–6 Stunden empfohlen, um eine gute
Reinigung der Wunde zu gewährleisten und Infekte früh zu erkennen. Die lokale Applikation
von Antibiotika sollte vermieden werden, die systemische Gabe setzt eine manifeste
Infektion voraus. Bei größeren Defekten können nach Débridement Vakuumverbände (VAC)
zum Einsatz kommen.
VAC-Therapie
Die VAC-Therapie ist ein invasives, aktives Wundverschlusssystem, das durch Vakuum
die Wundgranulation unterstützt. Durch intermittierenden oder kontinuierlichen Sog
von 125 mmHg wird durch eine feuchte Wundreinigung eine kontinuierliche Drainage mit
Reduktion des Wundödems und Verbesserung der Durchblutung mit Angiogenese erreicht,
und ein Granulationsgewebe entsteht. Zudem wird eine Umgebungsverschmutzung verhindert.
Des Weiteren kommt es zur Reduktion der bakteriellen Kolonisationen und der Wundkontraktion
durch Zugwirkung. Wird ein Vakuumsystem nicht richtig angewandt, kann ein zusätzlicher
Druck auf das Ulkus entstehen (Abb. [1]).
Abb. 1 VAC-Therapie mit schwarzem Schwamm, dem Absaugansatz und einer Folienversiegelung.
Eine komplette Wundheilung wird durch die VAC-Therapie nur selten erreicht. Erschwerend
kommt eine wochenlange Behandlung hinzu, zudem ist die epithelialisierte Oberfläche
wenig druckresistent. Chronische Wunden sollten somit einer zeitnahen Defektdeckung
zugeführt werden. Jedoch kann die Indikation zum kompletten Wundverschluss mittels
VAC-Dauertherapie gestellt werden, wobei dies auf wenige Patienten begrenzt bleiben sollte, die für
eine chirurgische Defektdeckung nicht geeignet sind, wie z. B. Multimorbidität. Empfohlener Therapiemodus: 125 mmHg mit Dauersog.
Nach Konditionierung der Weichteile sollte zügig eine Weichteildeckung mittels Lappenplastik
oder in Einzelfällen durch Hauttransplantation erfolgen. Der VAC-Verband kann v. a.
bei Hauttransplantationen als Fixierungshilfe auf das Transplantat gelegt werden.
Durch die Sogwirkung wird eine gleichmäßige Fixierung des Transplantats auf der Wundoberfläche
erreicht; dies dient der Serom- und Infektprophylaxe. Durch das feuchte Milieu wird
die Nutrition des Transplantats erhöht.
Standard-Therapiemodus: 125 mmHg kontinuierliches Vakuum, weißer PVA-Schwamm für 5–7 Tage (Abb. [2]).
Abb. 2 Grundprinzipien der unterschiedlichen Schwammanwendungen.
Komplexe, große Weichteildefekte können oft nicht mehr durch Lappenplastiken gedeckt
werden. Hier kommt die „Delay“-Technik zum Einsatz. Hierbei kann ein Lappen in Etappen
unter Einbeziehung von Angiosomen gehoben werden. Es wird der VAC dabei zwischen Lappen
und Muskulatur platziert. Bei der sog. Präfabrikation können funktionelle Strukturen
wie Haut, Knochen, Knorpel in den Lappen integriert werden.
Komplikationen bei VAC-Therapie werden in der Literatur selten beschrieben. Eine Komplikation
stellt die Keimvermehrung v. a. bei Staphylokokkken (cave: MRSA) dar. Deshalb sollten
die Systeme alle 3–5 Tage gewechselt werden. Weitere Komplikationen sind:
Schwenklappenplastik
Die Wahl des Operationsverfahrens zur plastischen Deckung wird von lokalen und allgemeinen
Faktoren beeinflusst.
-
Lokale Faktoren: Lokalisation des Ulkus, Größen und Tiefenausdehnung, Knochen und Gelenkbeteiligung,
Haut und Weichteilzustand. Narben und Voroperationen können die Wahlmöglichkeiten
der Lappen einschränken. Sorgfältige Planung der Lappenplastik, um die Gefäßversorgung
anderer potenzieller Lappen für Rezidive zu erhalten.
-
Allgemeine Faktoren: Diese hängt von EZ und AZ, der Compliance und psychosozialen Faktoren ab. Entscheidend
ist die Rehabilitationsfähigkeit, wobei die Entscheidung, ob ein Patient in Zukunft
vermehrt liegen oder sitzen wird, maßgeblich ist. Bei kachektischen Patienten kann
ein muskulokutaner Lappen Vorteile bieten. Dagegen kann bei adipösen Patienten ein
Kalibersprung des Subkutangewebes Probleme bereiten. Bei Paraplegikern mit Rückenmarkläsion
distal L2/3 kann ein sensibler Tensor-fasciae-latae-Lappen eine Reinnervierung von
druckbelasteten Stellen bewirken. Bei Patienten mit stark reduzierter Compliance sollte
erwogen werden, ob eine plastische Deckung Erfolg verspricht.
-
Radikale Exzision des Ulkus mit Narbengewebe, Bursae und Weichteilverkalkungen.
-
Bei Knochenbefall mit Osteitis sollte das Periost eröffnet und mit dem Meißel ca.
1 cm der Knochen abgetragen werden. Bei ausgeprägtem Befall des Knochens muss auch
dieser débridiert werden. Eine Rekonstruktion von Knochenprominenzen zur besseren
Druckverteilung kann erwogen werden.
-
Zur Hämatomvermeidung Einlage mindestens einer Wunddrainage.
-
Verschluss jedes potenziellen Totraums durch muskuläre oder deepithelisierte Lappenanteile.
-
Planung von gut vaskularisierten Lappen, wobei die Nähte nicht in die druckbelastete
Zone zu liegen kommen sollten.
-
Verschluss des Hebedefekts durch spannungsfreie bzw. -arme Adaptation oder Hauttransplantate.
Eine Kombination von Débridement und sofortiger plastischer Deckung wird aus verschiedenen
Gründen nicht empfohlen:
-
Die Grenzen von gesundem und nekrotischem Gewebe sind nicht klar erkennbar. Damit
entstehen Wundrandnekrosen bei primärer plastischer Deckung.
-
Das Gewebe ist vom Druck noch geschädigt und enthält gewebetoxische Stoffe wie Proteasen
und Zytokine.
-
Vor dem Débridement kann eine erhebliche Bakterienlast vorhanden sein. Durch ein Débridement
kann solche eine Verunreinigung in eine einfache Wundkontamination überführt werden.
-
Der Patient befindet sich ein einem reduzierten Allgemeinzustand. Durch 2-zeitiges
Vorgehen konnte die Rezidivrate nach plastischer Deckung deutlich gesenkt werden.
Nach der Wundkonditionierung folgt das radikale Débridement in der Pseudotumor-Technik
nach Guttmann. Dabei werden der Wundrand in einem ausreichenden Abstand umschnitten
und die Wundränder mit Haltefäden miteinander einstülpend vernäht, sodass das Ulkus
mit sämtlichem Granulationsgewebe in toto reseziert werden kann.
Lappenwahl
Aufgrund der Komplexität der Schwenklappenchirurgie wird an dieser Stelle beispielhaft
darauf eingegangen (v. a. im Beckenbereich), und wir verweisen hierzu auf detaillierte
plastisch-chirurgische Literatur. Für die richtige Schwenklappenwahl sollten mehrere
Kriterien in Betracht genommen werden:
-
Muskellappen oder fasziokutane Lappen: In der Vergangenheit wurden überwiegend Muskellappen im Gegensatz zu den fasziokutanen
Lappen durchgeführt. Inzwischen konnte allerdings in der Literatur eine weitgehende
Ebenbürtigkeit der fasziokutanen Lappen gezeigt werden, da andere Faktoren, wie Lappenvolumen
und Begleitosteitis eine ebenfalls entscheidende Rolle spielen.
-
Sensible Lappen: Bei Querschnittgelähmten liegt es nahe, eine plastische Deckung mit sensibler Versorgung
anzustreben, um Rezidive aufgrund Hypo- bzw. Asensibilität zu verhindern (z. B. TFL).
Allerdings haben diese eine begrenzte Reichweite und einen Sensibilitätsverlust an
der Donorstelle zur Folge.
-
Lappenplastik ohne definierte Gefäßversorgung: Dies sind Lappen aus unmittelbarer Umgebung des Defekts ohne definierte anatomische
Gefäßversorgung, sog. Nahlappenplastiken („random pattern flaps“). Voraussetzung ist,
dass die Lappen spannungsfrei im Defekt zu liegen kommen und die Hebestelle außerhalb
der Belastungszone liegt. Hier kommt der meistbenutzte Limberg-Lappen zum Decken von
kleinen Defekten im Bereich des Sakrums und der Sitzbeine zum Einsatz. Bei größeren
Defekten eignet sich der fasziokutane Rotationslappen.
-
Lappenplastik mit definierter Gefäßversorgung: Die Lappenplastiken mit definierter Gefäßversorgung beinhalten Muskellappen wie auch
fasziokutane Lappen, die eine sehr gute Vaskularisation versprechen. Der fasziokutane
Lappen zeigt sich druckresistenter als der Muskellappen, da der Muskel durch die Deinnervation
atrophiert und fibrotisch umgebaut wird. Durch die Deinsertion an Ansatz oder Ursprung
des Muskels kann es zu einer Kraftminderung kommen. Die Indikation für Muskellappen
besteht für tiefe Defekte, bei denen Wundhöhlen ausgefüllt werden müssen. Nach fasziokutaner
Lappendeckung besteht immer noch die Möglichkeit der Muskellappentransplantation bei
Rezidiven.
-
Freie mikrovaskuläre Lappenplastik: Bei jungen Patienten, z. B. rollstuhlfähige Paraplegiker, eignet sich die Deckung
v. a. bei Osteomyelitis mit mikrovaskulären Lappen.
Prinzipiell sollte möglichst ein einzeitiger Verschluss angestrebt werden. Jedoch
zeigt sich erst nach dem radikalen Débridement das gesamte Ausmaß des Defekts, sodass
erst dann der Entscheid zur richtigen Lappenwahl gestellt werden kann. Zur Wahl des
Lappen kann man sich am Stufenkonzept der rekonstruktiven Chirurgie (rekonstruktive
Leiter) orientieren (Abb. [3]). Dies richtet sich auch nach der anatomischen Region des Dekubitus und der Funktionalität
des Schwenklappens (Tab. [2]).
Abb. 3 Rekonstruktive Leiter. Ein allgemeingültiges Stufenkonzept zur Defektdeckung in der
plastisch-rekonstruktiven Chirurgie.
Tabelle 2 Lappenwahl nach anatomischer Region und Funktionalität (mod. nach [Kremer et al. 1999]).
Lappen
|
Ulkusgröße
|
Verschluss des Hebedefekts
|
Sensibilität
|
Eingriffgröße
|
Bevorzugte Lokalisation
|
Schwierigkeit der OP
|
S = Sakrum; Si = Sitzbein; Tr = Trochanter
|
(Primärnaht)
|
+
|
kein Hebedefekt
|
ja
|
+
|
Fisteln, (S, Si, Tr)
|
+
|
Spalthaut
|
++(+)
|
Epithelisierung
|
aus Umgebung
|
+
|
Si, Tr
|
+
|
Nahlappen
|
+(+)
|
primär
|
teilweise
|
++
|
S, Si, (Tr)
|
++
|
Glutaeus-Rotationslappen
|
++
|
primär
|
ja
|
++
|
S, (Si)
|
++
|
Glutaeus-maximus-Lappen
|
++(+)
|
primär
|
nein
|
+++
|
S, (Si, Tr)
|
++(+)
|
Posterior Thigh Flap
|
++
|
primär
|
ja
|
++
|
Si, (Tr)
|
++(+)
|
Biceps-femoris-Lappen
|
++
|
primär
|
nein
|
++
|
Tr, (S)
|
++
|
Grazilislappen
|
++
|
primär
|
nein
|
+++
|
Tr
|
+++
|
Verschiebelappen nach Conway
|
++
|
primär/Spalthaut
|
nein
|
++
|
Tr, (Si)
|
++
|
TFL
|
++(+)
|
primär
|
ja
|
++(+)
|
Tr, (Si)
|
++(+)
|
Total Thigh Flap
|
++++
|
Amputation
|
ja
|
++++
|
Si, Tr, (S)
|
+++
|
freier Lappen
|
++++
|
unterschiedlich
|
möglich
|
++++
|
Si, Tr, S
|
++++
|
S = Sakrum; Si = Sitzbein; Tr = Trochanter
|
Primärverschluss. Der primäre Wundverschluss verbietet sich weitgehend, da es nach Verschließen der
Haut meist zu Weichteilhöhlen kommt, die zu Hämatomen, Abszessen und Wunddehiszenzen
neigen. Außerdem ist ein spannungsfreier Verschluss in schlecht durchblutetem Gewebe
nicht möglich. Durch zugbedingte Wundrandischämie besteht die Gefahr der Vergrößerung
des Dekubitus bzw. septischer Komplikationen. In Ausnahmefällen können sehr kleine
Fisteln mit gutem Umgebungsgewebe oder einer prophylaktischen Kokzygektomie mit Primärverschluss
behandelt werden.
Spalthauttransplantation. Prinzipiell ist die Deckung eines Dekubitus mit Spalthaut nicht geeignet, da sie
den Druckverhältnissen nicht standhalten kann und sich instabiles Narbengewebe bildet.
Diese Therapie ist für Ausnahmesituationen vorbehalten, in denen sich Patienten in
einem schlechten Allgemeinzustand befinden. Es setzt einen gut granulierten, keimarmen
(< 105 Keime/g Gewebe) Wundgrund voraus. Die Überlebenschance der Hauttransplantation liegt
in der Literatur bei 60 %. Mit dem Dermatom wird an geeigneter Stelle (z. B. Oberschenkel)
ein 0,2–0,3 mm dickes Hauttransplantat entnommen. Eine Transplantatvergrößerung erreicht
man durch die „Meshgraft-Technik“ (Gitternetz) die im Verhältnis 1 : 1,5 angefertigt
werden sollte. Die Spalthaut wird geschützt durch Fettgaze und in Überknüpftechnik
mit Schaumstoff oder Stahlwolle 5 Tage, bis zur vollständigen Vaskularisation, gesichert
(alternativ: temporäre Vakuumversiegelung). Es schließt sich die Hautpflege mit Paraffinöl
oder Panthenolsalbe an. Die Aufbelastung des Transplantats kann frühestens nach 21
Tagen begonnen werden.
Lappenwahl nach Dekubituslokalisation
Sakrumdekubitus
Ulzera im Bereich des Sakrums treten v. a. bei respiratorischen und urogenitalen Infekten
auf. Kleine Defekte können mit lokalen Hautlappen wie dem Rhomboidlappen nach Limberg
oder Verschiebeschwenklappen nach Schrudde gedeckt werden (Abb. [4]). Größere Defekte werden mit faszio- oder myokutanen Lappen der Glutäalregion aus
dem Gefäßgebiet der oberen und unteren Glutäalarterien versorgt. Die Muskelursprünge
und Ansätze an Sakrum, Crista iliaca und Tractus iliotibialis können durchtrennt werden,
was die Mobilität des Lappens erhöht. Glutäallappen können als VY-Lappen (Abb. [5], Abb. [6]), Rotationslappen (Abb. [7]) oder Insellappen geschwenkt werden. Je größer der Lappen ist, umso mehr müssen
die die Haut versorgenden Gefäße durchtrennt werden, was die Lappendurchblutung gefährden
kann.
Abb. 4 Sogenannter Schrudde-Lappen.
Abb. 5 Fasziokutaner VY-Schwenklappen. a Primärer Dekubitus mit Nekrosen. b Z. n. Wundkonditionierung nach VAC-Anlage. c Fasziokutaner VY-Schwenklappen am 14. postoperativen Tag. d Ausheilung nach 6 Wochen.
Abb. 6 Fasziokutane doppelseitige VY-Plastik bei großem sakralem Defekt.
Abb. 7 Rotationslappen zur Deckung eines sakralen Dekubitusulkus.
Eine Alternative stellt der Perforatorlappen dar. Hierbei werden mikrochirurgisch
myokutane Perforatorgefäße präpariert, die ein definiertes Hautsegment (Angiosom)
versorgen. Das Angiosom kann mit seinem Gefäßstiel über die Muskulatur gehoben werden.
Der Vorteil dieser Methode ist die Schonung der Muskulatur, die Mobilität und dünne,
flexible Hautinseln.
Tuber-ischiadicum-Dekubitus
Ein optimaler Lappen zur Sitzbeindekubitusdeckung ist der fasziokutane „posterior
thigh flap“, der durch die A. glutaea inferior und den N. cutaneus femoris posterior
versorgt wird.
Die Sitzbeinhöcker sollten ggf. geglättet werden, um eine gleichmäßige Druckverteilung
der beiden Sitzbeine und dorsalen Oberschenkelregion zu erreichen. Von einer prophylaktischen
Ischiektomie wird abgeraten, da sie eine hohe Inzidenz perinealer Ulzera und urogenitaler
Komplikationen aufweist. Da in dieser Region gehäuft Rezidive eintreten, muss die
Gefäßversorgung zukünftiger Lappenplastiken in die chirurgische Strategie einbezogen
werden. Erste Wahl ist der „glutaeal thigh flap“ (Abb. [8]), der die Gefäßversorgung anderer Lappen nicht gefährdet. Bei tiefen Ulzera kann
hierbei der Biceps femoris mit eingeschlossen werden, wobei allerdings die inferioren
Glutäalgefäße durchtrennt werden müssen. Alternativ kann der „inferior glutaeal artery
perforator flap“ verwendet werden. Dieser gefäßgestielte Lappen bietet optimale Mobilität
unter Schonung der inferioren Glutäalgefäße.
Abb. 8 Glutaeal Thigh Flap in VY-Technik.
Ferner ist der Tensor-fasciae-latae-Lappen (TFL) zu erwähnen, der allerdings die dorsalen
Gefäße der Oberschenkelregion verletzten kann (Abb. [9]). Soll die Sensibilität durch das Versorgungsgebiet des N. femoris lateralis und
N. iliohypogastricus jedoch erhalten bleiben und geschwenkt werden, bietet der TFL
einen Vorteil. Reservelappen ist der myokutane Grazilislappen.
Abb. 9 Tensor-fasciae-latae-Lappen mit primärem Verschluss des Entnahmebereichs.
Trochanterdekubitus
Typischerweise weisen Trochanterdekubitalulzera eher kleinere Hautdefekte auf, die
oft mit Taschenbildung vergesellschaftet sind. Zur Trochanterdeckung bietet der „Tensor-fasciae-latae-Lappen“
(Abb. [9]) durch eine gute Gefäßversorgung (A. circumflexa femoris lateralis) und durch Wiederherstellung
der Sensibilität durch den N. femoris cutaneus lateralis Vorteile.
Dieser kann als VY-Vorschublappen, Brückenlappen oder sensibler Lappen geschwenkt
werden. Nachteilig kann es v. a. bei weiblichen und adipösen Patienten durch Auftragung
des subkutanen Fettgewebes zur sog. „Dog-Ear“-Bildung kommen. Alternativ wird in der
lateralen Oberschenkelregion der „sliding flap“ verwendet. Als sehr schonende Variante
kann der „anterolateral thigh flap“ benutzt werden.
Perioperatives Management
-
Dekubitalulzera gelten primär als kontaminiert, da sie oft lange Zeit offen therapiert
werden und oft in der Beckenregion lokalisiert sind. Dabei ist von einer Mischflora
auszugehen, da Hautkeime mit Keimen aus dem urogenitalen System und Darmkeimen sich
vermischen. Bei sauber granulierten Ulzera finden sich häufig Keimbesiedelungen mit
Staphylokokken, E. coli, und Enterokokken, bei reduzierter Heilungstendenz Pseudomonas
aeruginosa und Anaerobier.
-
Die bakterielle Kontamination kann häufig nicht vollständig beseitigt, aber deutlich
reduziert werden. In diesem Stadium ist eine plastische Deckung indiziert. Durch die
Lappenplastik wird ein gut durchblutetes Gewebe in das Ulkus geschwenkt, womit eine
verbesserte Gewebetrophik und Wirksamkeit von Antibiotika erzielt werden kann.
-
Bei offener Wundbehandlung ist keine generalisierte antibiotische Therapie indiziert,
außer bei entzündeten, phlegmonösen Ulzera oder septischen Krankheitsbildern. Prinzipiell
erfolgt die antibiotische Therapie nach Antibiogramm, jedoch kann im Akutstadium eine
Kombination eines Cephalosporins der 2. Generation mit Metronidazol verabreicht werden.
-
Ist eine definitive plastische Deckung geplant, sollte peri- und postoperativ eine
resistenzgerechte Antibiotikagabe erfolgen, da diese Operationen Wundheilungsstörungen
in bis zu 20–35 % der Fälle aufweisen. Es kann intraoperativ über eine Einlage eines
Antibiotikaträgers entschieden werden. Postoperativ sollte bei Lappenplastiken mindestens
5–7 Tage, bei Osteomyelitis mindestens 6 Wochen eine antibiotische Therapie erfolgen.
Die Drainage kann 5–10 Tage belassen werden.
-
Zur Prophylaxe thromboembolischer Komplikationen sollte eine Thromboseprophylaxe mit
niedermolekularem Heparin perioperativ eingeleitet werden.
-
In der Literatur wird eine präoperative Darmreinigung empfohlen, da hierdurch das
Infektionsrisiko um 30 % gesenkt werden kann.
-
Die Urinableitung kann durch Dauerkatheter oder suprapubische Harnableitung erfolgen.
-
Bei querschnittgelähmten Patienten mit aufgehobener Sensibilität sollte eine Anästhesie
in Standby bereitgestellt werden, da diese Patienten Kreislaufinsuffizienzen, respiratorische
Instabilitäten, autonome Massenreflexe und Muskelspasmen bieten können.
Nachbehandlung
-
Konsequente Immobilisation mit optimaler Druckexposition postoperativ durch spezielle
Lagerungstechniken und Lagerungsmatratzen, ggf. Wechseldruckmatratzen ist Grundvoraussetzung
für den Erfolg einer Lappenplastik, da sonst Frührezidive drohen. Durch Spezialmatratzen
ist z. B. eine Rückenlagerung auch bei sakralen Schwenklappenplastiken möglich.
-
Eine Bauchlage sollte 10–14 Tage nach Lappenplastik im Gesäßbereich eingehalten werden.
Für die psychisch belastende Bauchlage sind den Patienten sedierende Medikamente anzubieten.
-
Nach 5–6 Wochen wird eine sukzessive Aufbelastung erfolgen.
-
Eine Physiotherapie sollte insbesondere auch aus einer Atemgymnastik bestehen.
-
Vor Entlassung aus dem Krankenhaus ist sicherzustellen, dass der Patient auf einer
superweichen Matratze zu Hause liegen kann.
-
Rollstuhlanpassung, Sitzkissenoptimierung, Schonung des Patienten.
Komplikationen
Lebensbedrohliche Komplikationen bestehen in der Ausbildung einer Sepsis oder Pneumonie.
Durch eine entsprechende Prophylaxe kann die Inzidenz gesenkt werden (Abb. [10]).
Abb. 10 Komplikationen. a Frühkomplikation: Hämatom und Teilnekrose nach Schwenklappenplastik. b Spätkomplikation: Hämatom und Infektion bei zu früher Belastung. c Postoperatives Hämatom und Schwellung.
-
Hämatome stellen die häufigste Komplikationsform. Diese sollten frühzeitig verhindert
werden. Serome und nachfolgende Infektionen und Lappennekrosen begünstigen Rezidive
mit Revisionen um 10–20 %.
-
Serome entstehen auch durch ein zu geringes Lappenvolumen, inkomplette Resektion von
Bursae und frühzeitige Druckbelastung des Schwenklappens. Drainagen sollten 5–10 Tage
belassen werden.
-
Wundheilungsstörungen treten in 15–30 % der Fälle auf.
-
Instabile Narben können rezidivierend aufbrechen. Aus mehrfachen Rezidiven können
selten Narbenkarzinome entstehen.
-
Abhängig von der Lokalisation und Größe des Defekts entsteht ein Spenderarealdefekt
mit teilweise Funktionsverlust z. B. der Muskulatur.
-
Weitere Komplikationen sind Osteomyelitis, Bakteriämie, Sepsis.
Grenzen der chirurgisch-plastischen Dekubitusbehandlung
In Grenzfällen ist ein Patient aufgrund allgemeiner Faktoren nicht operabel. Dies
sind z. B. kardial oder pulmonal dekompensierte Patienten, ein schlecht eingestellter
Diabetes mit starken Wundheilungsstörungen, Tumorkachexie usw. Trotz ausgedehnter
Nekrosen kann eine aufwendige plastische Deckung nicht mehr ohne weitere Gefährdung
des Patienten durchgeführt werden.
Der Erfolg einer Dekubitusbehandlung ist von weiteren Faktoren abhängig und kann nicht
nur durch eine optimale konservative wie auch operative Therapie erreicht werden.
Damit eine konservativ oder operativ behandelte Wunde heilen kann, braucht sie optimale
Umgebungsvoraussetzungen. Hierzu sind die Vermeidung bzw. Verringerung von Risikofaktoren
sowie wundheilungsfördernde Maßnahmen indiziert.
Behandlung von Risikofaktoren
Primäre Risikofaktoren wie z. B. Tetraplegie oder Demenz können zwar nicht therapiert
werden, jedoch können die sekundären Faktoren gezielt beeinflusst werden:
-
Erhöhung des Sauerstoffangebots im Gewebe: Behandlung z. B. von Pneumonien, Herzinsuffizienz,
-
Verbesserung des Sauerstofftransports, Nährstoffangebots und Verminderung des Sauerstoffverbrauchs:
Nikotinabusus, Diabetes mellitus, Adipositas, chronische Erkrankungen des kardiovaskulären
Systems.
Wundheilungsfördernde Maßnahmen und Vermeidung von Störfaktoren
Beim Dekubitalulkus zeigt sich das typische klinische Bild einer gestörten Wundheilung.
Vorrangiges Ziel ist die Wiederherstellung der physiologischen Wundverhältnisse, damit
die Wundheilungskaskade beginnen und ablaufen kann. Wenn Wunden schlecht heilen, kann
dies an Störfaktoren liegen, die vermindert bzw. vermieden werden müssen.
Mobilisation verbessert die Blutzirkulation, wodurch der Heilungsprozess initiiert
und beschleunigt wird. Ein Bewegungsplan sollte sich an den individuellen Bedürfnissen
des Patienten orientieren.
Als Primärfaktor gilt die Mangelernährung. Diese betrifft insbesondere ältere pflegeabhängige Patienten und jüngere Querschnittgelähmte
mit Neigung zu einseitiger Ernährung.
Zur Diagnostik gehört ein Nutrigramm mit Überprüfung von Albumin, Transferrin, Zink,
Vitamin B12, Folsäure, Lymphozyten. Somit wird hinsichtlich der Ernährung bei Dekubitalläsionen
eine ausgewogene Ernährung mit einer Energiezufuhr von 30–35 kcal pro kgKG und einer
ausreichenden Proteinzufuhr von 1,0–1,5 g pro kgKG gefordert.
Zur Wundheilung benötigt der Körper Nährstoffe, die ggf. ersetzt werden müssen. Wirkung
und Behandlung sind in (Tab. [3]) aufgeführt. Weitere allgemeine und lokale Störfaktoren und ihre Behandlung zeigen
Tab. [4] und Tab. [5].
Tabelle 3 Nährstoffe und ihre Wirkung bei der Wundheilung.
Nährstoff
|
Rolle in der Wundheilung
|
Quellen
|
Protein
|
Kollagenbildung
Fibroblastenproliferation
Revaskularisation
Immunität
Bildung des lymphatischen Systems
Synthese und Sekretion von Wachsfaktoren
|
Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte, Hülsenfrüchte, Sojaprodukte, Getreide
|
Kohlenhydrate
|
Energie für Leukozyten und Fibroblasten
|
Brot, Getreide, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Obst, Gemüse
|
Fette
|
Phospholipide der Zellmembran
Prostaglandinsynthese
Energiequelle
|
pflanzliche Öle, Margarine, Butter, Fischöle und versteckt in fettreichen Lebensmitteln
|
Vitamin A
|
Cross-linking und „Remodeling“ des Kollagens
Epthelialisierung
Immunantwort
|
gelbe und grüne Gemüse und Obst, Milchprodukte, Eigelb, Leber, Lebertran
|
B-Vitamine
|
Verstoffwechselung von Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten
|
Hefe, Leber, Fleisch, grüne Gemüsesorten, Milch, Vollkornprodukte
|
Vitamin K
|
Synthese der Gerinnungsfaktoren
|
Milchprodukte, Eigelb, Leber, grüne Blattgemüse
|
Vitamin C
|
Hydroxylierung von Prolin und Lysin in der Kollagensynthese
Leukozytenfunktion
|
Obst und Gemüse
|
Zink
|
Zellproliferation
Kofaktor der RNA- und DNA-Polymerase
|
rotes Fleisch, Leber, Nüsse, Vollkornprodukte
|
Eisen
|
Hydroxylierung von Prolin und Lysin in der Kollagensynthese
|
Fleisch, grünes Blattgemüse, Vollkornprodukte
|
Tabelle 4 Allgemeine Störfaktoren der Wundheilung und ihre Behandlung (nach [Hartmann 2001]).
Allgemeine Störfaktoren der Wundheilung
|
Therapieoptionen
|
Allgemeine Störfaktoren der Wundheilung
|
Therapieoptionen
|
Infektionen
-
Pneumonie (akut, chronisch)
-
chronische Bronchitis
-
Harnwegsinfektionen (akut, chronisch)
-
Osteomyelitis
-
Sepsis
-
Lokalinfektion des Ulkus
-
Nekrose des Ulkus
-
Fieber
-
Leukozytose
-
CRP-Anstieg
-
Lymphopenie
|
|
Krankheiten
|
Krankheiten immer optimal behandeln, da Krankheiten zum Katabolismus führen
-
Depression: SSRI, Betreuung
-
Hämoglobin > 11 g/dl
-
Trinkmenge: > 20 ml/kgKG
-
Diabetes mellitus: optimaler Glukosespiegel
-
Herzinsuffizienz, z. B. keine Beinödeme!
-
Lymphozytenzahl > 2000 (abs.)
-
Serum-Zink > 12 mmol/l
-
Mobilisieren
|
Malnutrition
-
Katabolismus
-
Appetitmangel
-
Dehydratation
-
eiweißarme Ernährung
-
eiweißlose Ernährung
-
fleischlose Ernährung
-
Albuminmangel
-
Transferrinmangel
-
Ferritinmangel
-
Cholinesterasemangel
-
tiefes Cholesterin
-
Vitamin-B12-Mangel
-
Folsäuremangel
-
Hyperhomocysteinämie
-
Zinkmangel
-
Eisenmangel
-
Vitamin-D-Mangel
|
-
Ursachen des Katabolismus suchen
-
Ursache der Malnutrition suchen (multifaktoriell), z. B. Magenulkus, Depression, Zinkmangel
-
Kausaltherapie der Malnutritionsursache
-
optimale Ernährung:
-
Proteine: 1,0–1,5 g/kgKG
-
Kalorien: 30–50 kcal/kgKG
-
Fette: 30 % der Tageskalorien
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Trinkmenge: > 20 ml/kgKG
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Vitamin B12: 10 × 1 mg s. c.
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Folsäure 1 mg per os
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Zink (org.) 20 mg/Tag per os
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Eisen, immer intravenös, Dosis je nach Schweregrad
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vollbilanzierte Trinknahrung bis 1500 ml/Tag
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Multivitaminpräparat
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Kalzium-Vitamin-D-Präparat
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Medikamente
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Tabelle 5 Lokale Störfaktoren der Wundheilung und ihre Behandlung (nach [Hartmann 2005]).
Lokale Störfaktoren (Lokalbefund)
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Prozedere
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ungenügende Druckentlastung
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Nekrose
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Débridement
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Druckentlastung optimieren
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nur dünne, feuchte Verbände verwenden
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Antibiotika systemisch, wenn Infektionsparameter erhöht
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Lokalinfektion
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Ulkusrand: gerötet, überwärmt, ödematös, druckschmerzhaft, schmerzend
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Infektionsparameter erhöht
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Wundfläche ohne Granulation, ausgetrocknet
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Wundspülung mit Ringer-Lösung
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permanentes Feuchthalten mit geeigneten hydroaktiven Wundauflagen, z. B. Hydrokolloidverbänden
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toxische Lokaltherapeutika; gewebetoxisch sind:
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Der Therapieerfolg lässt sich in Laborparametern wie CRP, Albumin, Lymphozyten und
klinisch an der Bildung des Granulationsgewebes kontrollieren.