Rofo 2012; 184(01): 72-73
DOI: 10.1055/s-0031-1301019
DRG-Mitteilungen
Radiologie und Recht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Plausibilitätsprüfungen in der Radiologie

Überschreitung der zeitlichen Auffälligkeitsgrenzen
Anke Harney
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Rechtsanwälte Wigge
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Publication History

Publication Date:
04 January 2012 (online)

 
 

Einführung

Während in der Vergangenheit im Fachgebiet der Radiologie Plausibilitätsprüfungen geringere praktische Relevanz hatten, gibt es aktuell Anhaltspunkte für ihre vermehrte Durchführung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Da die aufgrund einer implausiblen Abrechnung möglichen Rechtsfolgen für den Radiologen erheblich sein können, ist diese Entwicklung von entsprechender Bedeutung. Zunächst drohen Honorarrückforderungen, die – je nach Umfang der zeitlichen Überschreitungen und der Anzahl der überprüften Quartale – in 5- bis 6-stelligen Summen bestehen können. Abhängig von der Schwere des Fehlverhaltens können für den betroffenen Radiologen möglicherweise Folgeverfahren entstehen. Denkbar sind ein Disziplinarverfahren, ein Zulassungsentziehungsverfahren, ein berufsgerichtliches Verfahren sowie ein Approbationsentzugsverfahren und ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren. Hinzu kommen ggf. Kosten für die rechtliche Vertretung sowie nicht unerhebliche Verfahrenskosten.


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Zeitprofile für radiologische Leistungen

Die zuständige Kassenärztliche Vereinigung hat die Möglichkeit der sogenannten sachlich-rechnerischen Richtigstellung von Honorarabrechnungen, wenn radiologische Leistungen entgegen den Abrechnungsbestimmungen des EBM-Ä erbracht worden sind. Die Plausibilitätsprüfung ist dabei ein Instrument zur Feststellung, ob die radiologischen Leistungen unter Beachtung dieser Abrechnungsbestimmungen erbracht worden sind. Dazu werden von den Radiologen Zeitprofile erstellt, mithilfe derer festgestellt wird, ob das Abrechnungsverhalten auffällig ist. Geprüft wird mithin, ob die abgerechneten Leistungen in zeitlicher Hinsicht im Einklang mit den Abrechnungsbestimmungen erbringbar waren. Ermittelt wird der Zeitbedarf für die radiologischen Leistungen, d. h. die zur Abrechnung gebrachten EBM-Ziffern. Die Kassenärztlichen Vereinigungen greifen dabei auf die im Anhang 3 zum EBM-Ä festgelegten Prüfzeiten, die für die einzelnen EBM-Ziffern als Minutenwert von der KBV und den gesetzlichen Krankenkassen festgelegt werden, zurück.


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Überschreitung der zeitlichen Auffälligkeitsgrenzen

Auf der Grundlage der addierten Prüfzeiten wird die arbeitstägliche Zeit des Radiologen ermittelt. Zeitlich auffällig wird der Radiologe, wenn die Addition der Prüfzeiten ergibt, dass er im Tageszeitprofil an mindestens 3 Tagen im Quartal mehr als 12 h oder im Quartalszeitprofil mehr als 780 h gearbeitet hat. Der Anhang 3 zum EBM-Ä bestimmt ebenfalls, welche EBMZiffern im Tageszeitprofil und/oder im Quartalszeitprofil berücksichtigt werden dürfen. So dürfen beispielsweise die Zeitvorgaben für die radiologischen Konsiliarpauschalen (Ziffern 24210 bis 24212) allein in die Quartalsprofilberechnung einfließen, nicht jedoch in die Tageszeitprofilberechnung, da die Konsiliarpauschalen nur einmal pro Behandlungsfall abrechenbar sind. Die ebenfalls im Anhang 3 zum EBM-Ä enthaltenen Kalkulationszeiten dienen der betriebswirtschaftlichen Kalkulation des radiologischen Honorars.

Da es sich hierbei um Durchschnittszeiten handelt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedoch nur Mindestzeiten berücksichtigungsfähig sind, dürfen sie im Rahmen von Plausibilitätsprüfungen nicht herangezogen werden.

Die Überschreitung der genannten Zeiten (mehr als 12 h an mindestens 3 Tagen im Quartal oder mehr als 780 h im Quartal) kann unterschiedliche Ursachen haben und führt nicht zwangsläufig zu einer Kürzung der die Zeitvorgaben überschreitenden Leistungen. Die Überschreitung der zeitlichen Grenzen bedeutet zunächst nur ein Auffälligkeitskriterium. Sie bringt allerdings den Radiologen in eine unangenehme Verteidigungsposition, da er die Plausibilität seiner Leistungserbringung nachweisen muss. Der Kassenärztlichen Vereinigung geht es darum festzustellen, ob die Überschreitung der zeitlichen Grenzen möglicherweise auf einen oder mehrere der folgenden sie zur Rückforderung von Honorar berechtigenden Gründe zurückzuführen ist:

  • die radiologischen Leistungen wurden tatsächlich gar nicht erbracht

  • die radiologischen Leistungen wurden unvollständig erbracht

  • der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung wurde nicht beachtet

  • radiologische Leistungen werden nach für sie nicht einschlägigen EBM-Ziffern abgerechnet

  • Vertreter werden unter Missachtung der vertragsarztrechtlichen Bestimmungen eingesetzt

  • Qualifikationsvoraussetzungen für die Erbringung von radiologischen Leistungen werden nicht eingehalten

Besteht ein von der Kassenärztlichen Vereinigung festgestelltes zeitlich auffälliges Leistungsverhalten, so muss der Radiologe erklären und nachweisen, dass die Zeitüberschreitungen plausibel sind, also nicht auf eine der genannten Ursachen zurückzuführen sind.


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Detaillierte Patientendokumentation zwingend erforderlich

Daher sollte die Praxis eine detaillierte Patientendokumentation führen, aus der hervorgeht, dass die abgerechneten Leistungen tatsächlich und vollständig von dem betreffenden Radiologen (der über seine Arztnummer identifizierbar ist) in dem entsprechenden Quartal bzw. an dem entsprechenden Tag erbracht worden sind. Die Software der Praxis sollte einen solchen Nachweis unbedingt möglich machen, indem mit ihrer Hilfe arzt- und tagesbezogen die behandelten Patienten und die jeweils erbrachten Leistungen (EBM-Ziffern) in zeitlicher Chronologie abgebildet werden können. Das Vorliegen einer Patientendokumentation wird häufig darüber entscheiden, ob der Radiologe seine Abrechnung plausibel machen und damit die Rechtsfolgen einer Plausibilitätsprüfung erfolgreich abwehren kann. Ohne entsprechende Software dürfte ein solch detaillierter Nachweis schwer fallen. Streng genommen müsste der Nachweis für jeden einzelnen Arbeitstag des Radiologen erfolgen. Allerdings reicht es regelmäßig aus, die Plausibilität der Abrechnung zunächst für diejenigen Tage nachzuweisen, an denen eine besonders hohe Überschreitung der täglichen Arbeitszeit vorliegt (z. B. mehr als 24 h). Dabei ist argumentativ an diejenigen Gebührenziffern anzuknüpfen, die besonders häufig abgerechnet worden sind.


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Delegationsfähige Leistungen

Das Bundessozialgericht hält die Überprüfungen über Tages- und Quartalsprofile für rechtmäßig, allerdings muss sich die Bemessung der Zeiten unter Weglassen der delegationsfähigen Leistungen orientieren.

Gerade im Bereich der Radiologie ist bekanntermaßen wegen der gerätebezogenen Untersuchungsleistungen der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung wesentlich liberaler ausgestaltet als bei anderen medizinischen Leistungen. Da weitreichende Delegationsmöglichkeiten bestehen, sind diese, soweit sie aus den Zeitprofilen noch nicht heraus gerechnet worden sind, zu korrigieren. In dem Zusammenhang ist die Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 29.08.2008 zur persönlichen Leistungserbringung im Fachgebiet der Radiologie relevant. Dort werden die Delegationsmöglichkeiten in der Radiologie erläutert.


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Kontrastmittel

Dort heißt es z. B. für die Kontrastmitteleinbringung, dass diese delegiert werden kann. Wird daher die für die Kontrastmitteleinbringung vorgesehene Prüfzeit (bei Ziffer 34343 = 9 min) in den Zeitprofilen als Arztzeit angesetzt, so wird die arbeitstägliche Zeit des Radiologen nach diesseitiger Auffassung zu hoch angesetzt, weil der Arbeitsanteil der MTRA bezogen auf die reine Applikation des Kontrastmittels bei 100 % liegt.


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Überschneidung von Betriebszeiten

Darüber hinaus ist bei großen Praxen, die über mehrere CT und/oder MRT verfügen, zu berücksichtigen, dass die Untersuchungen parallel durchgeführt werden, sodass sich die Betriebszeiten zeitlich überschneiden. Demnach dürfen Leistungen, die zeitgleich oder in zeitlicher Überschneidung erbracht werden, nicht addiert, sondern müssen miteinander verrechnet werden. Auch hier sollte dem Radiologen der Nachweis möglich sein, welche Leistungen im Einzelnen in zeitlicher Überschneidung erbracht worden sind.


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Prüfzeiten

Häufig wird seitens der Radiologen argumentiert, dass die Prüfzeiten einzelner Ziffern zu hoch angesetzt sind, der Radiologe die Leistungen tatsächlich also schneller erbringt als es der EBM-Ä vorsieht. Dies betrifft die Frage der rechtlichen Angreifbarkeit der Prüfzeiten, was durchaus mit unterschiedlichen Argumenten möglich sein kann. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müssen die für die einzelnen ärztlichen Leistungen zugrunde zu legenden Durchschnittszeiten so bemessen sein, dass auch ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann. Gerade für das Argument, dass einzelne Ziffern des EBM-Ä in kürzerer Zeit erbracht werden können, ist die bereits angesprochene Patientendokumentation von überaus wichtiger Bedeutung. Sie wird, wie bereits mehrfach erwähnt, vielfach darüber bestimmen, ob die Folgen einer Plausibilitätsprüfung erfolgreich abgewendet werden können. Kann nachgewiesen werden, dass der tatsächliche durchschnittliche Zeitaufwand niedriger ist, zeigt sich die Fehlerhaftigkeit der im EBM-Ä festgelegten Mindestzeiten. Denn dann wäre belegt, dass die betreffenden radiologischen Leistungen sehr wohl in kürzerer Zeit erbringbar sind und somit die Mindestzeiten des EBM-Ä nicht mit den Vorgaben des Bundessozialgerichts im Einklang stehen.


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Fazit

Eine Plausibilitätsprüfung bringt den Radiologen in eine unangenehme Situation, weil er im Nachhinein im Detail begründen muss, warum seine Abrechnung trotz überhöhter arbeitstäglicher Zeiten korrekt erfolgt ist, insbesondere also sämtliche Leistungen von ihm persönlich und vollständig erbracht worden sind. Mithilfe der Praxissoftware sollte daher regelmäßig und vor Einreichung der Abrechnungsunterlagen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe geprüft werden, ob die Abrechnung in zeitlicher Hinsicht Auffälligkeiten aufweist, um so zu verhindern, dass es zu Plausibilitätsprüfungen kommt. Kommt es zu Plausibilitätsprüfungen, muss es dem Radiologen über die Patientendokumentation möglich sein, arzt- und tagesbezogen die behandelten Patienten und die jeweils erbrachten Leistungen (EBM-Ziffern) in zeitlicher Chronologie abzubilden. Eine sorgfältige Patientendokumentation kann in einem solchen Fall existenzielle Bedeutung erlangen.


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Anke Harney

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht


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