Via medici 2012; 17(01): 3
DOI: 10.1055/s-0032-1301711
editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Warum warten?

Dieter Schmid

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
27 January 2012 (online)

 
Zoom Image

Dr. med. Dieter Schmid, Redaktionsleitung

Ist das nicht eigenartig? Junge Erwachsene probieren heute gerne alles durch, was die Welt spannend macht: entbehrungsreiche Rucksack-Trips durch ferne Länder, extreme Sportarten mit Frakturrisiko, den exzessiven Gebrauch moderner Mobilfunk-Applikationen bis zur Rizarthrose. Doch spricht man eines der anatomisch-physiologisch naheliegendsten Abenteuer an, reagieren viele mit Fluchtreflexen: Kinder kriegen. Ich gestehe: Mir ging es damals als Studienanfänger nicht anders. Ich erinnere mich noch gut an folgende Begebenheit: Ich war im 2. Semester und schlenderte gut gelaunt mit einem Kommilitonen vom Präpsaal zur Mensa. Die Welt gehörte uns! Wir schmiedeten Pläne! Da verkündete mir mein Freund eine überraschende Botschaft: „Übrigens: Im Sommer werde ich heiraten!“ Heiraten? Warum das denn? Doch er ließ mich gar nicht zu Wort kommen und fügte gleich hinzu: „Ja, und außerdem werde ich Vater!“ Ich schaute ihn an wie ein Alien. Vater! Wie sollte denn das gehen? Brauchte man dafür nicht erst mal ein Haus? Einen „ordentlichen“ Beruf? Eine Risikolebensversicherung? In den folgenden Semestern observierte ich ihn. Gab es Anzeichen für vorzeitige Alterung? Desozialisierung? Verarmung? Zu meiner Überraschung hatte der Kerl zwar öfter dunkle Ränder unter den Augen, und die meisten Prüfungen schaffte er nur knapp per Punktlandung. Aber: Er schien glücklicher und ausgeglichener als je zuvor – und heute ist er Mitinhaber einer erfolgreichen Praxis.

Kann man einen solchen Weg also generell zur Nachahmung empfehlen? In unserem Titelthema „Medizin studieren mit Kindern“ auf S. 8 gehen wir dieser Frage nach. Warum es eine kluge Lösung sein kann, die kleinen Racker noch vor dem Berufseinstieg ins Leben zu pflanzen, wird besonders deutlich, wenn man sich die Karrieresituation junger Frauenärztinnen anguckt: In der Gyn sind 77% der Assistenzärzte weiblich, bei den leitenden Oberärzten sind es nur 34% [1]. Ein Hauptgrund für diese Schieflage: Kinder sind zwar süß, mangels flexibler Betreuungsmöglichkeiten bedeuten sie für einen Elternteil aber fast immer einen Karriereknick, der – dank traditioneller Rollenverteilung – meistens die Frauen trifft. Startet man die Familienphase dagegen schon im Studium, ist die betreuungsintensive Kleinkindzeit zum beruflichen Einstieg überwunden. Laut einer Ulmer Studie sind 61% der Eltern, die ihren Nachwuchs im Medizinstudium bekommen haben, deshalb der Auffassung, dass es leichter ist, die Familienphase schon im Studium zu starten [2]. Wer einen Kinderwunsch hegt, kann dies als Fingerzeig deuten. Doch Vorsicht: Kinder großziehen ist kein Zuckerschlecken. Die lieben Kleinen kosten Zeit, Geld und Nerven und stellen einfach alles komplett auf den Kopf. Kurz gesagt: Sie sind ein unkalkulierbares Abenteuer – aber (und da spreche ich mittlerweile aus Erfahrung) es ist auf jeden Fall eines, das einzugehen sich lohnt.

Herzlichst, Ihr

Dieter Schmid

Zoom Image
„O.K., Maier ... Sie haben gewonnen. Erinnern Sie mich daran, dass wir nächste Woche das Thema mit der Klinik-Kita endlich angehen ...“

#
  • References

  • 1 Hancke K et al. Deut. Ärztebl 2011; 41: C1801-C1803
  • 2 Liebhardt H et al. GMS Z. Med. Ausbild 2010

  • References

  • 1 Hancke K et al. Deut. Ärztebl 2011; 41: C1801-C1803
  • 2 Liebhardt H et al. GMS Z. Med. Ausbild 2010

Zoom Image
Zoom Image
„O.K., Maier ... Sie haben gewonnen. Erinnern Sie mich daran, dass wir nächste Woche das Thema mit der Klinik-Kita endlich angehen ...“