Diabetes aktuell 2011; 9(8): 334-336
DOI: 10.1055/s-0032-1301741
Schwerpunkt
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Prävention muss Vorfahrt bekommen – Initiative ”Xund in BaWü“ der Deutschen Diabetes-Stiftung für Baden-Württemberg

Reinhart Hoffmann
1   Deutsche Diabetes-Stiftung, München
2   Arbeitsgemeinschaft Prävention Typ-2-Diabetes der DDG
3   diabetes DE
,
Rüdiger Landgraf
1   Deutsche Diabetes-Stiftung, München
2   Arbeitsgemeinschaft Prävention Typ-2-Diabetes der DDG
3   diabetes DE
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Korrespondenz

Reinhart Hoffmann
Deutsche Diabetes-Stiftung
Staffelseestr. 6
81477 München

Publication History

Publication Date:
12 January 2012 (online)

 

Die pandemische Ausbreitung des Metabolischen Syndroms und des Typ-2-Diabetes ist ungebrochen. Erneut hat die UN, unterstützt von 140 Ländern, reagiert und sich den Kampf gegen chronische, nicht übertragbare Krankheiten auf die Fahnen geschrieben. Für die Weltgesundheitsorganisation WHO ist dies der Auftrag, Strategien gegen diese Krankheiten (insbesondere Adipositas und Diabetes) zu entwickeln, die häufig eine Folge der Lebensbedingungen und des Lebensstils sind.

UN-Chef Ban Ki Moon propagierte eine Liste von persönlichen Maßnahmen, die jährlich Millionen Menschen vor dem frühen Tod bewahren könnten: Mehr Bewegung, gesunde Ernährung, moderater Alkoholkonsum, Schluss mit dem Rauchen. Die Direktorin der WHO, Margaret Chan, warf der Nahrungsmittel-Industrie vor, sogenanntes Junk Food mit viel zu hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt auf den Markt zu bringen: ”Wenn 40 Millionen Schulkinder weltweit fettleibig sind, heißt das, dass etwas schrecklich schief läuft“. Das Resultat schlägt sich millionenfach in vielfältigem persönlichem Leid nieder und könnte ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben.

Ziele gegen den Trend zu Typ-2-Diabetes

Die Deutsche Diabetes-Stiftung (DDS) ist mit dem Leitbild: Prävention vor Kuration ein Vorkämpfer auf diesem Feld. 2 wesentliche Ziele liegen im Fokus der DDS:

  • Früherkennung zur Reduzierung der Dunkelziffer bereits Betroffener – mit deren adäquater Behandlung, zur Vermeidung oder Verzögerung von Folgeerkrankungen.

  • Sensibilisierung der Bevölkerung für die meist schleichende Krankheit und ihre Folgen – zur Risiko-Erkennung und damit Chance für die Prävention, vorrangig mit Lebensstil-Intervention.

Es gibt eine hohe Evidenz, dass Prävention – vorrangig durch Lebensstil-Intervention und bedarfsweise moderat unterstützt durch Medikation – bei vielen Hochrisikopersonen funktioniert. Entscheidende Fragen der praktischen Umsetzung sind allerdings noch ungelöst. Eine reine Verhaltens-Prävention ist schwierig, da sie den gegebenen Verhältnissen in unserer Lebenswelt häufig entgegensteht. Darüber hinaus bedarf die Lebensstil-Intervention der Durchsetzung durch alle Beteiligten: von der Politik über die (medizinischen) Experten und die Kostenträger hin zu den Menschen, die damit ihre Lebensqualität erhalten, verbessern und ihr Leben verlängern können [Abb. 1].

Aus den Erkenntnissen über erfolgreiche Präventionsmaßnahmen muss eine variable Baukasten-Systematik entstehen, die individuell eingesetzt und an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden kann. Dazu bedarf es eines neuen, motivierenden wie koordinierenden ”Begleiters“ für eine erfolgreiche Gesunderhaltung: den Präventions- oder Gesundheitsmanager (siehe http://www.image-projekt.eu).

Unabhängig von gut gemeinten Appellen, besteht also dringender Handlungsbedarf. Dazu gibt es eine neue Modell-Initiative der DDS: ”Xund in BaWü“ – mit der Umsetzung machbarer Prävention, beginnend als Pilotprojekte in Regionen von Baden-Württemberg. Mit seiner Gesundheitsstrategie hat dieses Bundesland für die Prävention die aktive Handlung beschlossen. Der Kooperation des Ministeriums und des Landesgesundheitsamts mit der DDS hat sich bereits die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg angeschlossen. Das Vorhaben soll 2012 beginnend mit vielen Partnern umgesetzt werden.

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Abb. 1

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EU-Projekt IMAGE – Leitfaden Prävention Diabetes

Das EU-Förderprojekt IMAGE – mit 56 Partnerorganisationen aus 24 Ländern – wurde Ende 2010 erfolgreich abgeschlossen. Ziel von IMAGE (Development and Implementation of a European Guideline and Training Standards for Diabetes Prevention) war es, evidenzbasierte Ergebnisse für die Prävention des Typ-2-Diabetes zu schaffen und diese sowohl in Praxisempfehlungen als auch in Ausbildungs-Curricula für Präventionsmanager umzusetzen. Die DDS hat aktiv und fördernd am IMAGE-Projekt mitgewirkt: ”Leitfaden Prävention Diabetes“ (Leitfaden Prävention Diabetes – 340 Seiten – Paperback, ISBN 978-3-87490-814-6 im Buchhandel für EUR 25,– (5,00 € als Spende an die DDS). Nach der Faktenschrift ”Prävention vor Kuration“ und dem Buch ”Diabetes in Deutschland“, existiert damit eine strukturierte Systematik als Leitfaden für eine durchführbare Prävention: Grundlagen und in den Experten-Teams zusammengestellte bzw. erarbeitete Vorgaben für eine praxisgerechte Umsetzung.


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Handwerkszeug für Risiko-Erkennung und Prävention

Die DDS bietet wertvolle Hilfe von neutraler und unabhängiger Seite – ein Paket von Informationen für Experten und deren ”Kunden“.


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Gesundheit im Unternehmen – Prävention im Setting Betrieb

Nutzen Sie als Diabetologe oder Diabetes-Experte Ihre Kontakte zu Unternehmen in Ihrer Nähe: Für Betriebsmediziner, betriebliche Gesundheitsmanager (BGM) oder Personal-Verantwortliche – bietet die DDS einen Leitfaden: ”Diabetes-Prävention im Unternehmen“. Neben aktuellen Zahlen und Fakten wird darin eine umfangreiche Anleitung für die Prävention zur Gesunderhaltung der Mitarbeiter (und ihrer Familien) angeboten – zu Übergewicht und den Faktoren des metabolischen Syndroms über Typ-2-Diabetes bis zu Diabetes-Folgeerkrankungen.


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Informationen für Menschen, denen Gesundheit wichtig ist

In der Broschüre ”Was tun, damit ich gesund bleibe?“ erfährt der Interessent, was er selbst tun kann, um länger gesund zu bleiben. Es geht um Tipps für machbare Lebensstil-Intervention, um Wohlstandserkrankungen möglichst zu verhindern oder zu verzögern (2. Auflage, Mai 2011, 24 Seiten). Zur Erkennung eines Risikos für Typ-2-Diabetes wurde der Gesundheits-Check Diabetes FINDRISK millionenfach implementiert. Mit nur 8 einfachen Fragen kann schnell (und nicht-invasiv) ein mögliches Risiko, in den nächsten 10 Jahren an Typ-2-Diabetes zu erkranken, erfasst werden. Den Fragebogen gibt es in 9 Sprachen: deutsch, englisch, französisch, griechisch, italienisch, serbo-kroatisch, spanisch, russisch und türkisch sowie online unter http://www.diabetesstiftung.de.

Bei Feststellen eines Diabetes-Risikos oder bereits bestehender Erkrankung liefert der Wegweiser ”Was tun, wenn der Verdacht auf Diabetes besteht?“ viele nützliche Tipps (5. Auflage, Oktober 2010, 12 Seiten).


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Koordinierung und Qualität in der Prävention – KoQuaP

Unter dem Dach der DDS ist KoQuaP entstanden: Koordinierung und Qualität in der Prävention – ein Qualitätsmanagement-System von Präventionsaktivitäten. Die unabhängige Einrichtung soll helfen, die Wirksamkeit angebotener Präventions-Maßnahmen zu analysieren und deren Qualität zu sichern. Parallel dazu ermöglicht eine breite Datenbasis eine vergleichende Wirksamkeits-Bewertung von unterschiedlichen Maßnahmen. Hierdurch können u. a. neue Erkenntnisse über die ”Good Practice Faktoren“ sinnvoller und machbarer Lebensstil-Intervention gewonnen werden.

Überall gewinnt Qualitätsmanagement an Bedeutung, nicht nur in Industrie und Handel, sondern auch im Sozial- und Gesundheitswesen. Prinzipiell hat strukturiertes Qualitätsmanagement das Ziel, Strukturen, Prozesse und Ergebnisse zu optimieren. Die gesetzlichen Krankenkassen als wesentliche Kostenträger im Gesundheitswesen auch für präventive Maßnahmen (§ 20, SGB V) sind an gesetzliche Regelungen gebunden, müssen eine ökonomische Kostenpolitik und sollen den gegenwärtigem Stand der Wissenschaft verfolgen, wobei Qualitätssicherung eine wichtige aber bisher nur unzureichende Rolle spielt. Die DDS hat es sich – auf Basis der in IMAGE erarbeiteten Instrumente – zur Aufgabe gemacht, ein Zentrum für Koordination von Qualität in der Prävention aufzubauen, um damit Präventionsaktivitäten zu unterstützen und zu evaluieren.

Im KoQuaP-Konzept ist eine regelmäßige, strukturierte Parametererhebung zu definierten Messzeitpunkten vorgesehen: Initial vor der Intervention (umfangreicher) sowie in 3-monatigen Intervallen nach Beginn der Intervention. Die Messungen sollen einfach durchführbar sein und von den Präventionsmanagern im Rahmen der Interventionskurse durchgeführt werden [Abb. 2]. Die Dokumentation erfolgt über eine Online-Plattform, bei der Eingabefehler wie fehlende Plausibilität und Unvollständigkeit direkt rückgemeldet werden. Die vertraulichen Daten werden unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Bestimmungen anonymisiert und der auswertenden Stelle, dem KoQuaP (Akronym für Koordinierung und Qualität in der Prävention; http://www.koquap.de), zur Verfügung gestellt.

Mit dieser strukturierten Datenaggregation und -analyse soll der Beweis angetreten werden, dass sich Präventionsprogramme lohnen und nachhaltige Gesundheitsförderung flächendeckend implementiert werden kann. KoQuaP soll in diesem Konzept als zentrale und neutrale Schaltstelle dienen. In diesem Zusammenhang sind auch die Definition und aktives Schnittstellenmanagement durch geeignete Kommunikationsprozesse unerlässlich (z. B. Arzt-Patienten-Beziehung).

Regionale Qualitätszirkel für die Präventionsmanager sowie Interviews und Befragungen sind zusätzlich als Instrumente der Qualitätssicherung vorgesehen.

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Abb. 2

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Modellland Baden-Württemberg – mit Pilot-Projekten: ”Xund in BaWü“

Trotz der erschreckenden Zahlen über Diabetes und dessen Folgen auch in Baden-Württemberg, fehlen bisher Initiativen und Netzwerke zur Prävention durch Veränderung der Verhältnisse – ebenso wie des Verhaltens der Risikopersonen. Auf Initiative der DDS, zusammen mit dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Senioren und dem Landesgesundheitsamt, soll in Regionen in Baden-Württembergs mit der Initiative ”Gesund durch Prävention“ ein besonderer Fokus auf Menschen mit einem metabolischen Syndrom / kardiovaskulärem Risiko gelegt werden. Das entwickelte 3-Stufen-Modell hat folgende Kernziele:

  • Schaffung von Awareness bei allen Beteiligten: Ärzten/Gesundheitsanbietern Hochrisikopersonen und Patienten, Betrieben …

  • … schließlich auch in der gesamten Bevölkerung …

  • … mit dem Ausbau vorbildlicher Interventionszentren für Prävention.

  • Aufbau funktionierender Strukturen und Netzwerke, die mittelfristig eine wohnortnahe Prävention / (Lebensstil-)Intervention ermöglichen.

  • Bereitstellung niederschwelliger Angebote für eine Früherkennung des persönlichen Risikos, zur aktiven Gesunderhaltung oder frühestmöglichen Krankheitserkennung – möglichst auch unter Anleitung.

  • Den betroffenen Bürgern ein einfach zugängliches Netzwerk zur Verfügung stellen, das die Maßnahmen (der Prävention / Intervention) koordiniert und mithilfe der ”Information zur Motivation“ eine Verbesserung der Compliance fördert.

Dies erfordert eine individuelle und auf die jeweilige Lebenssituation bezogene Beratung und Unterstützung, die generell jeden befähigen kann, Eigenverantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen und den höchstmöglichen Nutzen (medizinisch und psychosozial) – mithilfe der Betreuung in einem Experten-Netzwerk – zu erzielen. Damit einher geht die Chance, gemeinsam mit Experten die Entscheidungen für die bestmögliche Intervention zu treffen – unter Einbeziehung persönlicher Lebensstil-Intervention und medikamentöser Optionen.


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Beispielhafte Initiative

Dieses nunmehr in Baden-Württemberg beginnende Modellprojekt für die Risiko-Früherkennung und Umsetzung von Prävention durch Lebensstil-Intervention soll beispielhaft sein (Abb). Dazu die Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren in Baden-Württemberg, Katrin Altpeter, anlässlich des Symposiums im Landesgesundheitsamts in Stuttgart: ”Dabei ist Diabetes kein unabwendbares Übel. Der Einzelne kann durch seinen Lebensstil entscheidend dazu beitragen, das Auftreten von Diabetes-Typ-2 hinauszuzögern oder ganz zu verhindern.“ Die Sozialministerin lobte die Initiative ”Xund in Baden-Württemberg“ der DDS. Denn dadurch werde die Gesundheitsstrategie in der Umsetzung unterstützt. So versprechen sich die Beteiligten, die Folgeerkrankungen eines zu spät entdeckten Diabetes durch Früherkennung und Prävention zu reduzieren.

Autorenerklärung

Die Autoren erklären, dass für diesen Artikel keine Interessenkonflikte bestehen.


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Korrespondenz

Reinhart Hoffmann
Deutsche Diabetes-Stiftung
Staffelseestr. 6
81477 München

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Abb. 1
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Abb. 2