Pneumologie 2012; 66(03): 126
DOI: 10.1055/s-0032-1307018
Pneumo-Fokus
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frage – Antwort – Fahrverbot bei respiratorischer Globalinsuffizienz?

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Publication Date:
01 March 2012 (online)

 
 

? Für Patienten mit Synkopen oder Epilepsie gibt es gesetzliche Vorgaben für ein Fahrverbot. Gibt es irgendetwas darüber, ab wann Patienten mit respiratorischer Globalinsuffizienz nicht mehr Auto fahren dürfen?
Mahnende Worte über die Gefahren wirken leider nicht bei allen Patienten, insbesondere da sie aufgrund der Atemnot nicht auf ihr Auto verzichten wollen.

Dr. Nicol Hollmann, Rockenhausen

Es wird hier die klinisch relevante Frage aufgeworfen, ob Patienten ein Kraftfahrzeug führen dürfen, wenn sie an respiratorischer Globalinsuffizienz leiden. Heute spricht man hierbei von einer hyperkapnischen Insuffizienz (ICD 10: J96.11). Da inzwischen auch zunehmend Patienten mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) Opiate gegen Dyspnoe bekommen, ist es sinnvoll, diesen Punkt in die Beantwortung mit einzuschließen.

In der Literatur gibt es hierzu kaum Verwertbares. Lediglich zur COPD liegt eine Arbeit von M. Orth et al. [ 1 ] vor, in der die Fahrtauglichkeit von 17 COPD-Patienten mit der von 10 Kontrollen an einem Fahrsimulator verglichen wurden. Es fanden sich kleine Unterschiede zwischen beiden Gruppen, wobei jedoch der Schweregrad der COPD nicht mit dem schlechteren Ergebnis im Fahrsimulator zusammenhing. Allerdings waren die 17 Patienten im Mittel normokapnisch. Mehr Daten gibt es zur allgemeinen kognitiven Funktion und Schweregrad bei COPD [ 2 ] . Es zeigte sich eine Reduktion der kognitiven Leistung in Abhängigkeit vom Schweregrad, wobei das Alter den stärksten Einfluss hatte. In diesen Studien wurden ebenfalls keine Blutgase gemessen. Eine andere Arbeit hat den Einfluss der Hypoxämie bei COPD untersucht [ 3 ]. Hier zeigten sich zwar kognitive Einschränkungen im Vergleich zu Gesunden, diese waren jedoch nicht mit dem Grad der Hypoxämie korreliert.

Risikofaktor Opiate

Die Frage der Kombinationstherapie bei respiratorischer Insuffizienz bzw. COPD und Opiaten ist nicht untersucht. Es gibt aber einige Daten zur Frage einer Schmerztherapie mit Opiaten bezüglich der Unfallhäufigkeit. Im Wesentlichen konnte keine Erhöhung unter Opiaten festgestellt werden [ 4 ], [ 5 ]. In einer anderen Untersuchung wurde der Zeitfaktor einer Dosiserhöhung der Opiate untersucht [ 6 ]. Nach 7 Tagen war kein Effekt der Dosiserhöhung auf das Ergebnis im Fahrsimulator mehr sichtbar.


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Gesetzliche Regelung

Zur Beurteilung des konkreten Einzelfalls hilft also die Literatur kaum weiter. Der Gesetzgeber regelt diese Dinge im § 11 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV). In der Anlage IV hierzu wird die Eignung bzw. bedingte Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges bei verschiedenen Erkrankungen bzw. Mängel beschrieben. Die COPD bzw. respiratorische Insuffizienz fehlt hier. Aber auch für die in der Tabelle beschrieben Erkrankungen reichen die Angaben zur Beurteilung des Einzelfalls oft nicht aus. Es bleibt häufig das Problem der individuellen Güterabwägung, z. B. wie stark der Patient eingeschränkt ist oder wie adhärent er eine Therapie anwendet.

Beispiele hierfür sind die nCPAP-Therapie bei obstruktiver Schlafapnoe oder die antiepileptische Therapie. Generell kann man aufgrund der langjährigen ärztlichen Erfahrung sicher sagen, dass Patienten auch mit hyperkapnischer oder hypoxischer Insuffizienz aufgrund einer Lungenerkrankung durchaus in der Lage sind, ein Kraftfahrzeug zu führen. Wichtig ist, dass sich die Erkrankung in einem stabilen Zustand befindet.


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Ärztliche Sorgfaltspflicht

Immer wieder gibt es Patienten, die mit stabiler Hyperkapnie und PaCO2-Werten um 80 mmHg in die Klinik fahren und auch sonst ihr Leben meistern, mitunter sogar noch eine Firma leiten. Es gibt aber auch andere Fälle, wo die Patienten schwer beeinträchtigt bzw. sogar psychotisch sind. Die Sorgfaltspflicht des Arztes gebietet es hier, den Patienten bei einer offensichtlichen Einschränkung darauf hinzuweisen, dass er derzeit nicht in der Lage ist, selbstständig Auto zu fahren. Dies sollte auch unbedingt dokumentiert werden, denn im Schadensfalle kann ggf. der Arzt haftbar gemacht werden, wenn er den Patienten diesbezüglich nicht aufgeklärt hat. Wenn der Patient mit dieser Frage an den Arzt herantritt, ist es auf jeden Fall besser, ihn zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Abstand von 2 Wochen zu untersuchen, um die Stabilität der Erkrankung bzw. die mentale Situation beurteilen zu können. Fremdanamnestische Hinweise sind hier oft sehr hilfreich.

Im Schadensfall ist der Arzt, soweit er nicht fahrlässig handelt, auf der sicheren Seite, soweit er den Fall dokumentiert hat und seine Vorgehensweise auch einem Nichtmediziner (wie beispielsweise dem Richter) plausibel erscheint. Solche Schadensfälle sind immer "Richterrecht", bei dem bestenfalls Präzidenzurteile hilfreich sind, aber nicht zwingend zur Anwendung kommen. Aufgrund der Komplexität der Sachlage im Einzelfall, ist der Gesetzgeber auch gar nicht in der Lage, dieses in einer Rechtsverordnung näher vorzugeben. In Problemfällen können sich Betroffene an das zuständige Gesundheitsamt oder einen Facharzt mit der "verkehrsmedizinischen Qualifikation" wenden. Auch Arbeits- und Rechtsmediziner schreiben häufiger Gutachten zu solchen Fällen und sind deswegen im Thema.

Prof. Dr. Dieter Köhler,
RA Joachim Lontzek,
Schmallenberg


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  • Literatur

  • 1 Orth M, Diekmann C, Suchan B et al. Driving performance in patients with chronic obstructive pulmonary disease. J Physiol Pharmacol 2008; 59 (Suppl. 06) 539-547
  • 2 Hung WW, Wisnivesky JP, Siu AL et al. Cognitive decline among patients with chronic obstructive pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med. 2009; 180: 134-137
  • 3 Liesker JJ, Postma DS, Beukema RJ et al. Cognitive performance in patients with COPD. Respir Med 2004; 98: 351-356
  • 4 Dubois S, Bédard M, Weaver B. The association between opioid analgesics and unsafe driving actions preceding fatal crashes. Accid Anal Prev 2010; 42: 30-37
  • 5 Fishbain DA, Cutler RB, Rosomoff HL et al. Can patients taking opioids drive safely? A structured evidence-based review. J Pain Palliat Care Pharmacother 2002; 16: 9-28
  • 6 Gaertner J, Elsner F, Radbruch L et al- Einfluss von Änderungen der Opioid Tagesdosis auf fahrrelevante kognitive und psychomotorische Leistungen. Schmerz 2008; 22: 433-441

  • Literatur

  • 1 Orth M, Diekmann C, Suchan B et al. Driving performance in patients with chronic obstructive pulmonary disease. J Physiol Pharmacol 2008; 59 (Suppl. 06) 539-547
  • 2 Hung WW, Wisnivesky JP, Siu AL et al. Cognitive decline among patients with chronic obstructive pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med. 2009; 180: 134-137
  • 3 Liesker JJ, Postma DS, Beukema RJ et al. Cognitive performance in patients with COPD. Respir Med 2004; 98: 351-356
  • 4 Dubois S, Bédard M, Weaver B. The association between opioid analgesics and unsafe driving actions preceding fatal crashes. Accid Anal Prev 2010; 42: 30-37
  • 5 Fishbain DA, Cutler RB, Rosomoff HL et al. Can patients taking opioids drive safely? A structured evidence-based review. J Pain Palliat Care Pharmacother 2002; 16: 9-28
  • 6 Gaertner J, Elsner F, Radbruch L et al- Einfluss von Änderungen der Opioid Tagesdosis auf fahrrelevante kognitive und psychomotorische Leistungen. Schmerz 2008; 22: 433-441