Der Klinikarzt 2012; 41(2): 71-72
DOI: 10.1055/s-0032-1307437
Medizin & Management
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

”Die Politik steht in der Verantwortung, ihre Zusage einzuhalten“ – Interview mit Alfred Dänzer, neuer Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)

Further Information

Publication History

Publication Date:
01 March 2012 (online)

 

    Ende November 2011 hat die Mitgliederversammlung der DKG in Berlin Alfred Dänzer zum neuen Präsidenten der Gesellschaft gewählt. Er hat Dr. Rudolf Kösters in diesem Ehrenamt an der DKG-Spitze abgelöst. Dänzer ist Sprecher der Geschäftsführung der Universitätsmedizin Mannheim (UMM). Dem 63-jährigen Dipl.-Verwaltungswirt (FH) ist die Arbeit im DKG-Vorstand nicht neu: Seit 2008 gehört er zum Vorstand und zum Präsidium, in den letzten beiden Jahren als Vize-Präsident. Außerdem ist er seit 1998 Mitglied im DKG-Ausschuss für Krankenhausfinanzierung. Als 1. Stellvertreter des Vorsitzenden der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) dürfte ihm auch die Perspektive aus Sicht der Mitglieder dieses mächtigen Spitzenverbandes nicht fremd sein. Dass sich die Kliniken von der Koalition sträflich vernachlässigt fühlen, ist nur eines der Probleme, um die sich der neue DKG-Präsident kümmern muss.


    #

    Herr Dänzer, für Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, ist 2011 krankenhauspolitisch ein enttäuschendes Jahr gewesen. Gilt der Zorn der Krankenhäuser dem Versorgungsstrukturgesetz (VStG), das ein ”Landärztegesetz“ geworden ist und die Probleme der Krankenhäuser nicht berücksichtigt hat? Die halbe Milliarde Kürzungsmaßnahmen zu Lasten der Krankenhäuser können umgerechnet auf 2084 Häuser nicht so dramatisch sein. Oder fühlen sich die Kliniken mit ihren personellen und finanziellen Problemen generell vom Gesetzgeber allein gelassen?

    Dänzer: Ich stimme Ihrer Analyse zu. Im Fokus des VStG standen nicht die Krankenhäuser und die Etablierung eines neuen Versorgungsbereiches. Der gleichberechtigte Zugang von Fachärzten und Krankenhäusern zur ambulanten Behandlung nach § 116 b SGB-V unterlag im Rahmen des Gesamtverfahrens einem Mutationsprozess zu Gunsten der niedergelassenen Fachärzte und zu Lasten der Patienten und der Krankenhäuser.

    Den Krankenhäusern wurde für das Jahr 2012 ein Festhalten an der Kürzung der Grundlohnsummenrate von 0,5 % aufgezwungen, obwohl spätestens Mitte 2011 für alle Beteiligten erkennbar war, dass das von der GKV aufgebaute Horrorszenario von zweistelligen Milliardendefiziten sich in Luft auflösen würde. Zum Jahresende 2011 verfügt die GKV stattdessen über Milliardenüberschüsse. Für dieses Vorgehen der Politik kann von den Krankenhäusern kein Verständnis erwartet werden. Denn gleichzeitig suggerieren die politisch Verantwortlichen den Beschäftigten im Krankenhaus, dass die Attraktivität der Arbeitsplätze durch Reduktion der Arbeitsbelastung und durch familienfreundliche Arbeitszeiten (z.B. Reduktion von Bereitschaftsdiensten und in größerem Umfang zu schaffende Betriebskindergärten ) gesteigert werden muss. Alles richtig, nur muss es bezahlt werden können. Die laufende Lohnrunde zeigt, dass die Gewerkschaften Vorstellungen von Tarifsteigerungsraten haben, die – ich formuliere vorsichtig – deutlich über der Grundlohnsummenrate liegen.

    2012 ist ein wahlintensives Jahr. Kann man mit 1,1 Millionen Beschäftigten – die Krankenhäuser sind bundesweit ein Schwergewicht unter den regionalen Arbeitgebern - Druck auf die Koalition ausüben, damit 2012 ein positives Jahr für die Krankenhäuser wird?

    Dänzer: Sie dürfen davon ausgehen, dass wir ein Konzept der Eskalation haben, um den Anliegen der Krankenhäuser Gehör zu verschaffen.

    Die Krankenhäuser sind für den größten Kostenblock in der Krankenversicherung verantwortlich. Jüngst geisterte die Forderung der Barmer GEK nach Klinikschließungen durch die Medien. Auch wenn der Vorstandsvorsitzende der BEK, Dr. Christoph Straub, das inzwischen dementiert hat: Hat Deutschland zu viele Krankenhäuser?

    Dänzer: Weder die Anzahl der Krankenhäuser noch die Anzahl der verfügbaren Krankenhausbetten ist eine Maßgröße für die Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Im internationalen Vergleich der Industrieländer bewegen sich die Kosten für die stationäre Versorgung pro Einwohner im unteren Quartil. In der BRD wurden im Jahr 2011 mehr als 18 Millionen Patienten stationär behandelt. Diese werden den Krankenhäusern zugewiesen, nicht von den Krankenhäusern generiert. Wer Überkapazitäten im stationären Sektor proklamiert, muss auch die Frage beantworten, wo denn dann die Behandlung stattfinden soll.

    Christoph Straub hat richtig gestellt, dass es ihm nicht um Klinikschließungen, sondern um Strukturreformen ginge, die die Krankenhäuser verpasst hätten. Veraltete Strukturen aufbrechen und häufiger als bisher die interdisziplinäre, personelle und die apparativ-technische Infrastruktur der Krankenhäuser ambulant oder kurzstationär nutzen schlägt er vor. Haben die Krankenhäuser das verschlafen?

    Dänzer: Ich habe in den parlamentarischen und außerparlamentarischen Debatten und Anhörungsprozessen nicht wahrgenommen, dass sich die GKV insgesamt oder eine einzelne Kassenart für eine starke Öffnung der Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung eingesetzt hätte. Das Instrument von teil- / kurzstationären Behandlungen wird ja gerade von der GKV mit dem Argument, es handle sich sich um ambulante Behandlung, eher infrage gestellt. Die Krankenhäuser haben hier sicher nichts ”verschlafen“, um in der Diktion ihrer Frage zu antworten.

    Dr. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe warnt, dass ”einige Häuser kurz vor dem Burnout stehen“. Die Patienten-Fallzahl sei bundesweit in den letzten 10 Jahren um circa eine Million auf 18 Millionen gestiegen, die Verweildauer der Patienten in diesem Zeitraum von etwa 10 auf knapp 8 Tage gesunken. Immer weniger Häuser müssten immer mehr Operationen und Behandlungen bewältigen. Da macht es doch Sinn, wenn niedergelassene Ärzte und angestellte Krankenhausärzte sowohl ambulante als auch stationäre Leistungen erbringen würden, wie die BEK vorschlägt. Ist das kein Weg für ein Krankenhaus, um seine Situation zu verbessern?

    Dänzer: Ich stimme zu, dass die Arbeitsverdichtung als Folge nicht auskömmlicher Refinanzierung insbesondere der Lohn- und Gehaltskosten einen Grad erreicht hat, der eine Beschäftigung im Krankenhaus an Attraktivität verlieren lässt. Meine Antwort zu § 116 b SGB-V will ich nicht wiederholen.

    Laut des Ende letzten Jahres erschienenen ”Krankenhausbarometer 2011“ arbeitet jedes 5. der 2084 Krankenhäuser in Deutschland defizitär. Was machen diese Krankenhäuser falsch, wenn doch die Mehrzahl der Kliniken effizient wirtschaftet und Gewinne macht? Und braucht man diese Kliniken wirklich?

    Dänzer: Die gesetzlich verankerten Deckelungsinstrumente bewirken in ihrer Summe, dass konstante Fallzahlen und konstante Schweregrade der Behandlung im DRG-System nicht ausreichen, die Kostensteigerungen auszugleichen. Gleichzeitig schlägt die doppelte Degression zu, die die Vergütung ebenso kappt, wie sie gleichzeitig den Landesbasisfallwert absenkt. Ein Effekt, der dann mit voller Wucht die Krankenhäuser trifft.

    Wenn mehr als zwei Drittel aller Krankenhäuser 2010 Gewinn gemacht haben, für jedes 11. Krankenhaus 2010 ein ”Nullrundenspiel“ war, mangelt es den Verlierern dann nicht an einer guten betriebswirtschaftlichen Unternehmensführung?

    Dänzer: In Ergänzung zum vorher gesagten: Das hat mit guter oder schlechter Unternehmensführung zunächst nichts zu tun.

    Wird das Jahr 2012 den Krankenhäusern bessere politische Bedingungen bieten? Gibt es gesetzestechnische Möglichkeiten, um die Situation der Krankenhäuser zu verbessern? Sehen Sie eine Chance, die Grundlohnrate, die die Krankenhäuser ordnungspolitisch deckelt und ihnen ein besonderer Dorn im Auge ist, endgültig abzuschaffen?

    Dänzer: Die Politik steht in der Verantwortung ihre Zusage einzuhalten, den lange versprochenen Orientierungswert zum 1.1.2013 einzuführen. Ich erwarte dringlichst, dass der Orientierungswert kommt und fair die Kostenbelastungen der Krankenhäuser darstellt.

    Was ist für Sie in 2012 das dringendste Problem, dass für die Krankenhäuser gelöst werden muss?

    Dänzer: Die Refinanzierung der über der abgesenkten Grundlohnrate liegenden Personalkostensteigerungen und die Finanzierung der morbiditätsinduzierten zusätzlichen Kosten der stationären Behandlung durch die Krankenkassen.

    Das Interview führte Anne Marie Feldkamp, Bochum


    #