Die Sammlungen für das Deutsche Tuberkulose-Archiv brachten nicht nur viele Bücher
zusammen, die den Aufbau einer veritablen, umfangreichen Bibliothek erlaubten; vielmehr
wurden auch zahlreiche Artikel anderweitiger Art zur Geschichte der Tuberkulose gespendet,
darunter kuriose Erzeugnisse, ja Unikate, deren Bedeutung zum Teil völlig unbekannt
war und erst herausgefunden werden musste. So erhielt das Archiv vor einigen Jahren
ein Objekt in Form eines stark vergrößerten Stecknadelkopfes (auch als Streichholzkopf
oder Pilzkopf bezeichnet).
Es handelt sich um einen „Stecknadelkopf mit Tuberkelpilzen in etwa tausendfacher
Vergrößerung“. Er besteht kompakt aus Gips, ist entsprechend schwer und wirkt massig.
Das Objekt hat eine Höhe von etwa 65 cm. Es ist silberfarben überstrichen ([Abb. 1]), die halbrunde Kuppel hat einen größten Durchmesser von etwa 70 cm. Die rissige
Oberfläche ist übersät von zahlreichen rotfarbenen Stäbchen von 2 – 3 mm Länge ([Abb. 2]).
Abb. 1 Der „Stecknadelkopf“ des Deutschen Tuberkulose-Archivs.
Abb. 2 Oberfläche des „Stecknadelkopfs“ mit rotgefärbten Tuberkulosebakterien (Tuberkelpilzen).
Dieses Gebilde wurde vor Jahren auf einer Behring-Ausstellung in Marburg gezeigt.
Die weitere Herkunft muss leider im Dunklen bleiben. Zwar ist nicht vergessen, wer
diesen „Stecknadelkopf“ dankenswerterweise dem Deutschen Tuberkulose-Archiv gespendet
hat; doch konnten die gründlichen Recherchen keine endgültige Auskunft über Bedeutung,
Herkommen und Schicksal dieses Gegenstandes geben.
Bisher wurde lediglich ein einziges weiteres, etwas kleineres, gleichartiges Modell
entdeckt ([Abb. 3]); es wird im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden (DHMD) bewahrt[1]. Sein Besitz kann im DHMD bis zum Jahre 1921 zurückverfolgt werden. In diesem Jahre
und noch einmal 1927[2] wurde es in dortigen Tuberkulose-Ausstellungen gezeigt, „um die Größenverhältnisse
der Tuberkuloseerreger anschaulich zu machen und auf die Ansteckungsgefahr hinzuweisen“.
Der Objekttitel hieß: „Stecknadelkopf mit Tuberkelpilzen in 500facher Vergrößerung“.
Für die Ausstellung 1921 war der erste Wissenschaftliche Direktor Dr. Friedrich Woithe
verantwortlich. Fachliche Beratung kam von Professor Dr. Herbert Beschorner (leitender
Arzt des freien Ausschusses zur Bekämpfung der Schwindsucht) und Professor Dr. Paul
Geipel (anerkannter Pathologe) aus Dresden.
Abb. 3 Der „Stecknadelkopf“ des DHMD.
Das Objekt war damals auf einem Sockel montiert ([Abb. 4]), dessen Originalbeschriftung lautete: „Um eine Vorstellung von der Kleinheit der
Tuberkelpilze zu geben, ist der 1,5 mm dicke Kopf einer Stecknadel in 500-facher Vergrößerung
nachgebildet worden. Die Oberfläche der Nachbildung zeigt zahlreiche Risse und Löcher.
Obgleich die Vertiefungen in Wirklichkeit so gering sind, dass der Stecknadelkopf
bei Betrachtung mit bloßem Auge völlig glatt erscheint, so ermöglichen sie doch, große
Mengen von Tuberkelpilzen in sich aufzunehmen. Die Tuberkelpilze (der besseren Sichtbarkeit
wegen rot gefärbt) sind bei dieser Vergrößerung 2 – 3 mm, in Wirklichkeit etwa 0,006 mm
lang.“
Abb. 4 Präsentation des „Stecknadelkopfs“ in der Ausstellung des DHMD 1927.
Auf einer Beschreibung des Objektes in den Unterlagen des DHMD, allerdings auf den
13. August 2003 datiert, wird die Herstellung (Firma, Werkstatt) dem Deutschen Hygiene-Museum/Lehrmittelproduktion/Gipsbildhauerwerkstatt
zugeschrieben. Zeitlich muss die Idee zu dieser Veranschaulichung somit vor 1921 realisiert
worden und nach der Entdeckung der Tuberkulosebakterien (hier noch „Tuberkelpilze“
genannt) durch Robert Koch [1], nach 1882, entstanden sein. Wer genau die Idee zu diesem Modell hatte und wann
es von wem gebaut wurde, kann leider auch vom Museum in Dresden nicht mehr gesagt
werden. Es wird sogar kolportiert, dass Robert Koch selbst den „Stecknadelkopf“ erfunden
habe[3]; doch lässt sich dieses Gerücht (bisher) nicht bestätigen. Ob insbesondere Karl
August Lindner, der Gründer des DHMD, der Ideengeber war, muss gleichfalls ungewiss
bleiben; der „Stecknadelkopf“ passt allerdings gut zu dem von ihm entwickelten Programm
des DHMD, der populärwissenschaftlichen Vermittlung von Kenntnissen rund um die Themen
Mensch, Gesundheit, Krankheit mit anschaulichen, unterhaltsamen Objekten.
Die Darstellung der Tuberkulosebakterien auf einem Stecknadelkopf hat noch eine weitere,
vergleichende Bedeutung, da die Tuberkel, eine der häufig vorkommenden morphologischen
Erscheinungen der Tuberkulose, oft stecknadelkopf-, hirsekorngroß sind. Jedenfalls
passt die Idee des „Stecknadelkopfes“ zu der Aufbruchstimmung um die Jahrhundertwende
1900, im Anschluss an die Kochsche Entdeckung. Die damaligen ausgedehnten Tuberkulose-Forschungen
und bemerkenswerten Erfindungen betrafen nicht nur die Diagnostik und die Individualtherapie,
wobei zur letztgenannten nur beschränkte Möglichkeiten vor allem hinsichtlich endgültiger
Heilung der Krankheit entwickelt werden konnten. Größere Erfolge wurden durch konsequente
Aufklärung über die Krankheit sowie über die Wege der Ansteckung und ihre Vermeidung
gewonnen (als Beispiel [Abb. 5]). Hierdurch wurde die Häufigkeit der Infektion und der Erkrankung eindrucksvoll
vermindert.
Abb. 5 Ein Beispiel für die konsequente Aufklärung über die Tuberkulose.
Diese Aufklärung sollte nicht nur den Tuberkulosekranken und evtl. ihren Angehörigen
zugutekommen. Vielmehr wurde eine Information der gesamten Bevölkerung hinsichtlich
der Tuberkulose allgemein, der Tuberkulosebakterien, des klugen Verhaltens bei der
Infektvermeidung u.v.m. angestrebt, vor allem durch eine eminente Quantität der wissenschaftlichen
Publikationen und der populärwissenschaftlichen Schriften, ferner durch Vorträge,
auch durch Ausstellungen („Tuberkulose-Museen“ [2]). In diesem Umkreise mag der Gedanke zum „Stecknadelkopf“ entstanden sein und er
seine Bestimmung gefunden haben.