Der Klinikarzt 2012; 41(3): 112
DOI: 10.1055/s-0032-1311505
Medizin & Management
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Internationale Patienten in deutschen Kliniken – Medizintouristen lassen auf sich warten

Petra Spielberg
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Petra Spielberg
Fachjournalistin für Gesundheits- und Sozialpolitik
Wiesbaden/Brüssel
Fax: 0611/98818512   

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Publikationsdatum:
26. März 2012 (online)

 

Kliniken in Grenznähe zu anderen europäischen Staaten profitieren bislang am meisten von einem Zustrom an ausländischen Patienten. So greifen einer aktuellen Marktstudie der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zufolge vor allem Niederländer, Franzosen, Österreicher und Polen auf die deutsche Spitzenmedizin zurück. Auch russische Medizintouristen zieht es nach Deutschland. Noch herrscht allerdings zu wenig Transparenz über die angebotenen Leistungen und die Qualität der Versorgung. Ein Grund für die Zurückhaltung könnten fehlende Abrechnungsanreize sein.


Im Jahr 2009 ließen sich 70 568 Patienten aus dem Ausland in deutschen Krankenhäusern behandeln. Das sind 4,3 % mehr als im Vorjahr. Wegen einer ambulanten Behandlung suchten schätzungsweise 105 000 internationale Patienten eine Klinik auf. Ihr Anteil an der Gesamtzahl aller Klinikpatienten liegt damit bei 0,4 % und somit noch weit unter dem von der Europäischen Kommission angenommenen Wert von rund 2 %.

Bei einer Befragung von 35 Kliniken durch die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg kam auch heraus, dass die Nutzung deutscher Einrichtungen durch ausländische Patienten stark nach Kliniken und Abteilungen variiert. So verzeichnen vor allem Krankenhäuser in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg einen hohen Zulauf.

Die meisten Patienten stammen aus den Benelux-Ländern

Dennoch ist Jens Juszczak, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule und verantwortlich für die Studie, überzeugt: ”Deutsche Kliniken werden von einer möglichen Zunahme innereuropäischer Behandlungsreisen profitieren.“ Schon jetzt sei eine stärkere Nachfrage aus Ländern wie den Niederlanden oder Polen zu verzeichnen. ”Inwieweit die ausländischen Kostenträger mit dieser Nachfrageentwicklung Schritt halten, bleibt allerdings abzuwarten“, so Juszczak.

Bei den westeuropäischen Staaten liegen die Benelux-Länder als Quellmarkt für deutsche Kliniken weit vorn. 73,5 % der befragten Einrichtungen haben in 2009 Patienten von dort behandelt. Spitzenreiter ist die Niederlande. Von hier kamen 7000 Patienten zur stationären Versorgung. ”Das liegt unter anderem daran, dass das deutsche Gesundheitssystem in vielen Bereichen günstiger arbeitet als das niederländische“, erklärt Juszczak. Es folgten Frankreich mit 6000 Patienten sowie Österreich mit 5500 Patienten und Polen mit etwa 4800 Patienten.

Ein vergleichbarer Trend lässt sich bei den ambulant versorgten Patienten in Krankenhäusern hierzulande feststellen. Auch Russen scheint es mehr und mehr zur Behandlung nach Deutschland zu ziehen. Verglichen mit 2004 stieg ihr Anteil in 2009 um 354 %. Aus den Vereinigten Arabischen Emiraten waren die Zahlen hingegen rückläufig.

Besonders gefragt sind bei der ausländischen Klientel Leistungen der Orthopädie, Inneren Medizin, Allgemein- und Viszeralchirurgie, der Unfall- und orthopädischen Chirurgie sowie der Kardiologie und Onkologie. Juszczak schätzt, dass die ausländischen Patienten den Kliniken Erlöse in Höhe von rund 850 Millionen Euro pro Jahr einbringen.

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Abb. 1 Prozentuale Veränderung 2004 bis 2009.

Politische Rahmenbedingungen noch unzureichend

Seiner Ansicht nach bemühen sich allerdings noch viel zu wenig deutsche Kliniken gezielt um ausländische Patienten. Nur 10 % der insgesamt 2100 Krankenhäuser hierzulande würden aktiv um Patienten aus anderen Staaten werben, merkt der Diplom-Betriebswirt an.

Erschwerend hinzu kommen einer Studie des Klinikportals Hospitalscout zufolge die oft fehlenden oder intransparenten Informationen über die Qualität der ausgewählten Klinik. Die Anfang März verabschiedete EU-Richtlinie zu den Rechten der Patienten bei grenzüberschreitenden Behandlungen könnte hier möglicherweise Fortschritte bringen. Noch allerdings kennen nur die wenigsten Patienten die neuen Regelungen. So ergab eine Befragung der Techniker Krankenkasse bei rund 20000 Versicherten, dass 90% noch nie etwas von der Richtlinie gehört haben. In anderen Ländern dürfte es ähnlich aussehen.

Dass Kliniken hierzulande noch recht zurückhaltend um ausländische Patienten werben, führt Juszczak auch auf die politischen Rahmenbedingungen zurück. Für die Versorgung von Patienten aus dem Ausland gelten dieselben Abrechnungsvorschriften nach DRG wie für inländische Patienten. ”Der Betreuungsaufwand ist für die ausländische Klientel häufig aber ungleich höher, bedenkt man Serviceleistungen wie Übersetzungen, Fahrdienste und ähnliches“, kritisiert Juszczak. Ihm schwebt als Vorbild die Schweiz vor, in der Ärzte Leistungen für ausländische und inländische Patienten nach unterschiedlichen Basisfallwerten abrechnen können.



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Abb. 1 Prozentuale Veränderung 2004 bis 2009.