Der Klinikarzt 2012; 41(04): 202-203
DOI: 10.1055/s-0032-1313286
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Elektrolytstörungen – Hyponatriämie wird bei Klinikpatienten oft unterschätzt

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Publication Date:
24 April 2012 (online)

 
 

Rund 15 % aller hospitalisierten Patienten haben eine Hyponatriämie, deren klinische Bedeutung und prognostische Relevanz nach Ansicht von Experten oft unterschätzt werden. Im Vordergrund stehen neurologische Symptome wie Gangstörungen, Unruhe und Lethargie, die häufig subtil sind und anderen Komorbiditäten zugeschrieben werden. Am häufigsten liegt laut Literaturberichten eine euvoläme Form der Hyponatriämie vor, deren Ursache meistens ein Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) ist. Für die Betroffenen steht in Form des Vasopressin-V2-Rezeptor-Antagonisten Tolvaptan eine orale Therapie zur Verfügung, durch die die Ausscheidung elektrolytfreien Wassers über die Niere gefördert wird. Häufig reicht eine kurzzeitige Therapie aus.

Eine Hyponatriämie (Serum-Natrium <135 mmol/l) ist nicht nur ein Laborbefund, betonte Prof. Dr. Johannes Hensen aus Hannover. Vielmehr sei die Elektrolytstörung häufig mit einer signifikanten Klinik, mit einer Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes und mit einer verschlechterten Prognose verbunden. Selbst bei Patienten mit milder Hyponatriämie könne die Mortalität erhöht sein, nach Literaturdaten sowohl im Krankenhaus als auch bis 5 Jahre nach Entlassung. Das Risiko einer Hyponatriämie-assoziierten Mortalität besteht nach Angaben von Hensen besonders bei Patienten z. B. mit onkologischen Erkrankungen und nach orthopädischen Operationen und ist abhängig davon, ob die Hyponatriämie adäquat behandelt wird.

Inadäquate ADH-Sekretion führt zur Wasserintoxikation

In der Regel besteht bei einer Hyponatriämie kein Salzdefizit, sondern eine Wasserintoxikation, ausgelöst zum Beispiel durch eine nicht-osmotische ADH-Sekretion über Baro- und Volumenrezeptoren, erklärte Hensen. Dies führt zu einer Verminderung der Ausscheidung von freiem Wasser und zu vermehrtem Trinken.

Überwiegend entwickeln sich bei Patienten mit Hyponatriämie neurologische Beschwerden wie kognitive Defizite, Gangstörungen (ähnlich wie bei einem Blutalkoholspiegel von etwa 0,6 Promille), Desorientiertheit, herabgesetzte Reflexe, Schwindel bis hin zu Krampfanfällen aufgrund eines Hirnödems. Die Ausprägung der Symptome muss nicht direkt mit dem Ausmaß der Elektrolytstörung korrelieren. Entscheidend für das Auftreten typischer neurologischer Symptome ist vielmehr die Geschwindigkeit, mit der sich die Hyponatriämie entwickelt. Von Patienten mit akuter Hyponatriämie (Dauer meist < 48 Stunden) haben die meisten schwere neurologische Symptome. Üblicherweise werden die Betroffenen mit Flüssigkeitsrestriktion und Infusion einer 3%igen Kochsalzlösung behandelt.

Häufiger als eine akute ist eine chronische Hyponatriämie mit einer Dauer von im Durchschnitt mehr als 48 Stunden. Ein hohes Risiko dafür besteht bei Patienten mit Mangelernährung und Hyperhydration, bei einer Therapie mit Hydrochlorothiazid oder beim Syndrom der inadäquaten ADH Sekretion (SIADH).


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Die meisten Betroffenen haben nur subtile Symptome

Ein Teil dieser Patienten hat nur subtile Symptome, die häufig gar nicht vom Betroffenen selbst, sondern vom Partner, Verwandten oder Freunden geschildert werden, berichtete Prof. Dr. Andreas Schäffler aus Regensburg. Durch eine Korrektur der Hyponatriämie können diese Beschwerden verbessert werden bzw. gänzlich verschwinden.

Für eine adäquate Differenzialtherapie muss die Hyponatriämie anhand des effektiven arteriellen Blutvolumens (niedrig oder leicht erhöht) und des Extrazellulärvolumens (hypovoläm, hypervoläm, euvoläm) in 3 Formen unterschieden werden (Abb. [ 1 ]). Die häufigste Form mit einem Anteil von 30–40 % ist die euvoläme Hyponatriämie, bei der weder ein Plasmavolumenmangel noch ein Volumenüberschuss in Form von Ödemen vorliegt. Ursächlich dafür ist meist ein SIADH: Die gesteigerte bzw. unangemessene Sekretion von ADH (Vasopressin) führt zu einer verringerten Ausscheidung von freiem Wasser über den Urin, die Plasmakonzentration von Natrium und die Plasmaosmolalität sinken.

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Abb. 1 Klassifikation der Hyponatriämie.

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Ein SIADH kann viele Ursachen haben

Auslöser eines SIADH können zum Beispiel Krebs-, Lungenerkrankungen, Infektionen wie Pneumonie, Asthma, Mukoviszidose, COPD oder ZNS-Erkrankungen sein; auch die Einnahme von Vasopressin oder -analoga bzw. von Medikamenten, die die Vasopressinausschüttung stimulieren oder die Wirkung von ADH verstärken (z.B. SSRI, Carbamazepin, Chlorpropamid, Trizyklika) kann hinter einem SIADH stecken.

Zu weiteren möglichen Ursachen einer euvolämen Hyponatriämie zählen Thiazidtherapie sowie endokrinologische Störungen wie Nebennierenrindeninsuffizienz und Hypothyreose, die bei der SIADH-Diagnostik ausgeschlossen werden müssen, so von Hensen. Wenn immer möglich, sollten auch infrage kommende medikamentöse Auslöser überprüft werden.

Essenzielle Kriterien für die Diagnose eines SIADH sind

  • Serum-Natriumkonzentration < 135 mmol/l

  • herabgesetzte Plasmaosmolalität (< 275 mOsmol/kg),

  • Urinosmolalität > 100 mOsmol/kg bei vorhandener Plasmahypoosmolalität und

  • Urin-Natrium ≥ 30 mmol/l bei normaler Salzzufuhr.

    Hinweise für einen SIADH sind außerdem niedriges oder niedrig-normales Plasmakreatinin,

  • niedrige Plasma-Harnsäure bzw. -Harnstoff,

  • erhöhte Natrium-Ausscheidung,

  • fehlender Anstieg der Serum-Natriumkonzentration nach 0,9 %iger Kochsalzlösung und

  • Besserung der Hyponatriämie nach Wasserrestriktion.


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Bei chronischer Hyponatriämie bedingt durch ein SIADH bewährt sich Tolvaptan

Ziele der Therapie bei Patienten mit chronischer Hyponatriämie sind Korrektur des Serum-Natriums in den Normbereich, objektive Symptomfreiheit und Besserung der Prognose, sagte Schäffler. Als Therapieprinzipien kommen eine Flüssigkeitsrestriktion auf 0,5–1l täglich infrage, die allerdings erfahrungsgemäß vielen Patienten Compliance-Probleme bereitet, Verabreichung einer hyperosmolaren 3 %igen Kochsalzlösung, insbesondere bei schweren Symptomen, und bei Patienten mit chronischem SIADH Gabe des oralen Vasopressin-V2-Rezeptor-Antagonisten Tolvaptan (Samsca®).

Das Medikament hat eine höhere Affinität zum V2-Rezeptor als natives Vasopressin und blockiert so die Wirkung dieses beim SIADH inadäquat freigesetzten Hormons: Es wird verstärkt elektrolytfreies Wasser ausgeschieden und so die Hyponatriämie ausgeglichen. Bereits 8 Stunden nach Einnahme ist eine effektive Steigerung der Natriumkonzentration festzustellen, berichtete Schäffler.

Die gute Wirksamkeit der Therapie wird durch die gepoolten Daten bei insgesamt 110 Teilnehmern der Studien SALT-1 und -2 mit einem SIADH als Ursache der Hyponatriämie belegt [ 4 ]. 52 Patienten wurden mit Placebo behandelt und 58 Patienten erhielten zunächst 15 mg Tolvaptan; bei Bedarf fand eine Dosistitration bis auf 30 bzw. 60 mg täglich statt.

Bereits nach einem Tag unterschieden sich die Serum-Natriumkonzentrationen zwischen beiden Gruppen signifikant; am vierten Tag hatten die Serum-Natriumspiegel in der Verumgruppe den Normbereich erreicht und blieben bis Studienende am Tag 30 zwischen 135 und 140 mmol/l (Abb. [ 2 ]). Auch die physische Komponente der Lebensqualität der Behandelten hatte sich unter der Gabe von Talvaptan im Vergleich zur Placebogruppe signifikant erhöht.

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Abb. 2 Bereits am vierten Therapietag unter Tolvaptan steigt das Serum-Natrium in den Normbereich.

Daten der offenen Verlängerungsstudie SALTWATER haben nach Angaben von Schäffler bestätigt, dass das Serum-Natrium bei fortgesetzter Therapie im Normbereich bleibt und die Patienten langfristig von der Behandlung profitieren.


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Therapieeinstellung erfolgt im Krankenhaus

Das Ausmaß der Wirkung von Tolvaptan auf das Serum-Natrium sei vorab nicht bei jedem Patienten ganz präzise abzuschätzen, betonte Schäffler. Deshalb muss die Therapie in den ersten 3 Tagen im Krankenhaus unter engmaschigem Monitoring und stets mit der niedrigsten Dosis von 15 mg täglich beginnen. 6–8 Stunden nach der Einnahme wird das Serum-Natrium bestimmt und im Vergleich mit den Ausgangswerten die Anstiegsgeschwindigkeit evaluiert. Dieses Procedere wird in der Regel auch an den Tagen 2 und 3 fortgesetzt, bis am Tag 4 je nach Anstieg des Serum-Natriums über eine Anpassung der Therapie auf 30 oder 60 mg entschieden wird. "Die meisten Patienten kommen mit der niedrigen Dosis aus", sagte Schäffler.

Nur selten kommt es bei vorsichtiger Dosistitration zu einer Überkorrektur der Natriumspiegel; in der genannten Studie war dies bei 6 % der Behandelten der Fall. Häufigste Nebenwirkungen der Therapie sind Durst, trockener Mund (jeweils rund 15 %) und Pollakisurie (bis zu 10 %).

Bei der Mehrheit der Patienten mit SIADH bedingter chronischer Hyponatriämie erfolgt eine Tolvaptan-Therapie nur vorübergehend, zum Beispiel überbrückend bis zu einer Operation, während einer Chemotherapie oder bis zur Identifizierung und Beseitigung der kausalen Noxe. Ist die Ursache des SIADH unklar, kann die gut verträgliche Therapie auch dauerhaft angewendet werden. Dann ist es empfehlenswert, die Natriumspiegel einmal pro Woche vom Hausarzt kontrollieren zu lassen.

Roland Fath, Frankfurt

Quelle: Symposium "Hyponatriämie – Ihr Patient im Fokus", in Mannheim am 9. März 2012, im Rahmen des 55. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Der Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Otsuka Pharma GmbH, Frankfurt


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Abb. 1 Klassifikation der Hyponatriämie.
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Abb. 2 Bereits am vierten Therapietag unter Tolvaptan steigt das Serum-Natrium in den Normbereich.