manuelletherapie 2012; 16(02): 57-58
DOI: 10.1055/s-0032-1314422
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Manuelle Therapie im Land der aufgehenden Sonne

Ein Interview mit dem Präsidenten der JFOMT Professor Isamu Sunagawa
Ronny Petzold
1   atr – Ambulantes Tehrapiezentrum am Stadtpark, Beckerstr. 16, 09120 Chemnitz
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Publication Date:
23 May 2012 (online)

Im Rahmen meiner Lehrassistentenausbildung bei der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Manuelle Therapie (DGOMT e. V.) hatte ich die Möglichkeit, im Auftrag des Lehrteams Kaltenborn/Evjenth International bei einem OMT-Kurs in Japan unter der Leitung von Christian Gloeck zu assistieren. Eine schöne Gelegenheit, die Menschen und die Physiotherapie in einem fremden Land mit allen seinen Facetten kennenzulernen.

Mit diesem Interview möchte ich allen Kollegen einen Blick nach Japan ermöglichen und von der dortigen Situation der Manuellen Therapie berichten. Ich konnte Professor Sunagawa, den Präsidenten der JFOMT (Japanese Federation of Manipulative Therapists; Department of Physiotherapy, Aino University, Osaka/Japan) dafür gewinnen.

Mein besonderer Dank gilt Frau Nariko Nishimura, die durch ihre Übersetzung das Interview erst ermöglichte.

1. Wie ist die Ausbildung zum Physiotherapeuten in Japan (Hochschule, Berufsfachschule, Dauer, Kosten)?

Es gibt 86 Universitäten, 5 Junior Colleges und 156 Berufsfachschulen, die eine Ausbildung zum Physiotherapeuten anbieten. Ein 4-jähriges Studium an einer Universität kostet 6–7 Millionen Yen, das sind umgerechnet 60 000–70 000 Euro. Die Kosten für eine Ausbildung an einem Junior College bzw. einer Berufsfachschule (3- bzw. 4-jähriges Studium) belaufen sich auf rund 4 Millionen Yen (40 000 Euro).

2. Wie viele Physiotherapeuten gibt es in Japan und wie ist das Verhältnis der Berufsangehörigen in Bezug auf Frauen und Männer?

Es gibt 66 256 beim japanischen Physiotherapieverband JPTA als Mitglieder registrierte Physiotherapeuten (Stand April 2011), von denen 38 739 Männer und 27 517 Frauen sind.

3. Welche Rolle spielt die Manuelle Therapie in der Physiotherapieausbildung?

Wenige Institutionen nehmen die Manuelle Therapie in ihr Curriculum der Grundausbildung auf. Die Universitäten und Schulen, die Manuelle Therapie im Curriculum verankert haben, bieten den Studenten eine 15-stündige Einführung à 90 Minuten (1 akademischer Credit point). Der Inhalt des Einführungskurses umfasst die Vermittlung von theoretischem Basiswissen und endet mit der praktischen Vorstellung von Techniken für die Extremitäten.

4. Seit wann gibt es in Japan eine Weiterbildung in Manueller Therapie und wer waren die Wegbereiter?

Seit 1988 gibt es einen offiziellen Kurs nach dem „Nordischen System“ (Kaltenborn-Evjenth-Konzept) als postgraduierte Weiterbildung in Manueller Therapie. Der Wegbereiter war Herr Dr. Masao Tomi, der die Ausbildung in Japan etabliert hat.

5. Wie ist die Weiterbildung für die Manuelle Therapie organisiert?

Es gibt einige Universitäten, die eine Weiterbildung in Manueller Therapie in einem Master-Kurs anbieten, aber die IFOMPT-Standards aufgrund des Curriculums und der Ausbildungsstrukturen nicht erfüllen. Weiterhin veranstaltet der Japanische Physiotherapieverband ganzjährig 2–4-tägige Weiterbildungskurse in verschiedenen Teilen Japans. Für Physiotherapeuten, die eine von der IFOMPT anerkannte postgraduierte Weiterbildung in Manueller Therapie absolvieren möchten, bietet die Japanese Federation of Orthopaedic Manipulative Therapists (JFOMT) die OMT-Ausbildung im Kaltenborn/Evjenth-Konzept an. Die Ausbildung ist in 2 Abschnitte unterteilt. Die Basic-Kurse, bei denen die Teilnehmer die Grundlagen der Manuellen Therapie kennenlernen, sind den Zertifikatskursen in Deutschland gleichzusetzen. Im 2. Abschnitt, den Advanced-Kursen, wird dann der OMT-spezifische Stoff in Theorie (z. B. Clinical Reasoning, wissenschaftliches Arbeiten, bildgebende Verfahren) und Praxis (Technikverfeinerung, Manipulationen, Supervision) vermittelt. Dabei unterrichten sowohl einheimische als auch Lehrer des Lehrteams Kaltenborn/Evjenth International die Kurse.

6. Wie lange dauert die Ausbildung in Manueller Therapie und wie hoch sind die Kosten?

Die japanische OMT-Ausbildung erstreckt sich über einen Zeitraum von 4 Jahren mit insgesamt 16 Kursmodulen einschließlich der Supervisionswochen. Die Kosten belaufen sich auf ca. 1,3 Millionen Yen, das sind umgerechnet ca. 13 000 Euro.

7. Wo arbeiten japanische Physiotherapeuten mit einer Weiterbildung in Manueller Therapie?

Nach der Weiterbildung in Manueller Therapie arbeiten viele Therapeuten in Rehazentren und privaten Praxen, einige gehen aber auch als Lehrkräfte an Universitäten und Berufsfachschulen.

8. Gibt es den Direct Access?

Nach den japanischen Gesetzmäßigkeiten ist es Physiotherapeuten nicht erlaubt, eigenständig zu arbeiten und somit eigene Diagnosen zu stellen. Die Patienten müssen sich wie in Deutschland zuerst bei einem Allgemein - oder Facharzt vorstellen, der dann eine Physiotherapie verordnet. Die Patienten haben auch in Japan freie Arztwahl.

9. Sind manualtherapeutische Arbeitsgemeinschaften (Gruppen) in der IFOMPT?

Die JFOMT ist eine Untergruppe des japanischen Physiotherapieverbands und seit Juni 2008 vollständiges Mitglied in der IFOMPT.

10. Sind Osteopathie und Manuelle Therapie auch in Japan getrennte Therapieformen?

Ja, Osteopathie wird von „japanischen Knocheneinrenkern“ (offiziell Judotherapeut) praktiziert. In den medizinischen Institutionen ist die Osteopathie kaum anzutreffen.

11. Wie bekannt ist die Manuelle Therapie unter den Physiotherapeuten und in der japanischen Gesellschaft?

Der Bekanntheitsgrad der Manuellen Therapie hat unter den Therapeuten wie auch innerhalb der Ärzteschaft in den letzten 4–5 Jahren deutlich zugenommen, nachdem die JFOMT als offizielles Mitglied der IFOMPT anerkannt wurde. Anfangs war von der Existenz der IFOMPT in Japan und dementsprechend auch über die Inhalte/Aufgaben bzw. Stellung der Internationalen Dachorganisation der Manualtherapeuten nicht viel bekannt. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Seitdem erfreut sich die Manuelle Therapie steigender Beliebtheit bei den Ausbildungsinstitutionen und bei jungen Physiotherapeuten.

 
  • Literatur