Aktuelle Urol 2012; 43(03): 141-142
DOI: 10.1055/s-0032-1315670
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Enuresis nocturna – Laserakupunktur ist der Scheinbehandlung überlegen

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Publication Date:
25 May 2012 (online)

 

Die primäre monosymptomatische Enuresis nocturna (MNE), das nächtliche Einnässen ohne Miktionsauffälligkeiten oder Blasenfunktionsstörungen, betrifft ca. 15 % der Kinder > 5 Jahre. Die Behandlungsansätze sind vielschichtig. Ob die Laserakupunktur eine weitere Therapieoption bietet, hat nun eine türkische Studie untersucht.
J Urol 2011; 185: 1852–1856

mit Kommentar

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In der aktuellen Studie reduzierte die Laserakupunktur bei Kindern mit primärer monosymptomatischer Enuresis nocturna die wöchentlichen Einnässepisoden. Nach 6 Monaten waren 54 % der laserakupunktierten Kinder vollständig trocken, in der Placebogruppe nur 12 % der Patienten.(©PhotoAlto/Symbolbild)

M. Ihsan Karaman, Haydarpasa Numune Training and Research Hospital, Istanbul/Türkei, und Kollegen schlossen 53 Jungen und 38 Mädchen (n = 91) im Alter von 5–16 Jahren mit MNE in ihre prospektive Studie ein. Sie randomisierten die medikamentös nicht vorbehandelten Kinder in 2 Gruppen: Die Verumgruppe (n = 62) wurde über 4 Wochen 3-mal wöchentlich mit Laserakupunktur behandelt. In der Placebogruppe (n = 29) kam ein Schein-Laser in den 12 Sitzungen zum Einsatz. In der Verumgruppe brachen 5 Kinder die Studie vorzeitig ab, in der Placebogruppe 3.

Die Autoren dokumentierten die Anzahl der wöchentlichen Einnässepisoden vor der Akupunkturbehandlung und bis zu 180 Tage danach. Traten im Anschluss an die Therapie keine enuretischen Episoden mehr auf, galten die Kinder als vollständig trocken. Ein Rückgang der Enuresisfrequenz um mindestens die Hälfte wurde als partielle Besserung bewertet.

Hälfte der laserakupunktierten Kinder nach 6 Monaten trocken

Die Zahl der wöchentlichen Enuresisepisoden war 6 Monate nach der Akupunkturbehandlung von durchschnittlich 4,3 auf 1,7 gesunken. In der Placebogruppe gingen die Episoden von 4,1 auf 3,1 zurück. Bei den Kontrolluntersuchungen nach 15, 30, 90 und 180 Tagen waren 40, 56, 56 und 54 % der laserakupunktierten Kinder vollständig trocken. In der Placebogruppe waren es 8 % nach 15 Tagen und 12 % nach jeweils 30, 90 und 180 Tagen. Eine partielle Besserung erzielten 32, 21, 21 und 23 % der Kinder im Verumarm und 4, 4, 8 und 8 % der Kinder im Placeboarm nach 15, 30, 90 und 180 Tagen. Insgesamt war die Laserbehandlung der Scheinakupunktur signifikant überlegen. Bei einem Kind der Lasergruppe kam es nach 6 Monaten zu einem Rückfall.

Fazit

Die Laserakupunktur biete eine nichtinvasive, leicht anwendbare, schmerzlose und kostengünstige Alternative zur Behandlung der MNE, so die Autoren. Weitere Studien mit einer höheren Anzahl an Patienten seien jedoch nötig, um die Wirkung zu bestätigen.

Renate Ronge, Münster


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Kommentar

Eine mögliche Behandlungsoption für die Praxis?

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Dr. Iris Rübben ist Sektionsleiterin der Kinderurologie an der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Essen

Die monosymptomatische nächtliche Einnässsymptomatik (MNE) hat eine Prävalenz von 5–10 % bei 7-jährigen Kindern, d. h. sie ist ein relevantes Problem, welches andererseits aber auch mit einer hohen spontanen Heilungsrate von 15 % pro Jahr einhergeht. Gemäß der neuen Nomenklatur umfasst die MNE nächtlichen unbemerkten Harnverlust, ohne dass eine Blasenentleerungsstörung, d. h. eine Tagessymptomatik, nachgewiesen werden kann. Die 2 allgemein anerkannten Behandlungsoptionen der MNE (Evidenz Grad A) sind die medikamentöse Therapie mit Desmopressin oder verhaltenstherapeutische Maßnahmen mit einem Alarmsystem. Beide Behandlungsoptionen erreichen in 50–70 % einen Heilerfolg in unselektierten Patientenpopulationen.

Immer wieder wird über alternative Behandlungsoptionen berichtet, insbesondere über die Akupunktur als nichtinvasive und nahezu nebenwirkungsfreie Behandlungsmethode. Auch Eltern wünschen in der Behandlung ihrer Kinder oft ein alternatives Behandlungsangebot, sodass die Akupunktur bei Kindern mit MNE regelmäßig Gegenstand klinischer Beratungsgespräche ist.

Die Autoren initiierten eine prospektiv randomisierte, placebokontrollierte einseitig verblindete Studie, in die 91 Kinder (mittleres Alter 8,6 Jahre) ohne medikamentöse Vorbehandlung eingingen (53 Knaben, 38 Mädchen). Es wurden 2 Gruppen gebildet, die eine erhielt eine Laserakupunktur, die andere eine Non-Laser-Lichtquellenbehandlung. Eine Evaluation, die ein Einnässtagebuch umfasste, erfolgte nach 15, 30, 90 und 180 Tagen, wobei gezeigt wurde, dass die Kinder, die durch Laserakupunktur behandelt wurden, bereits nach 30 Tagen eine signifikant bessere Trockenheits-/Heilungsrate von 56 % gegenüber der nicht Laser-behandelten Gruppe von nur 12 % aufwiesen. Die Heilungsrate war relativ konstant, sodass nach 180 Tagen noch 54 % der Kinder vollständig trocken waren. Im Gegensatz dazu wurden in der nicht behandelten Gruppe nur 12 % (3 Kinder) vollständig trocken.


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Schwächen der Arbeit

Als Ätiologiefaktoren für das Auftreten einer MNE werden eine reduzierte funktionelle Blasenkapazität oder eine hohe nächtliche Harnproduktion – verbunden mit einer nicht adäquaten, nächtlichen Perzeption des Harndrangs – diskutiert. Als besondere Schwäche der Arbeit muss angemerkt werden, dass die in die Studie eingebrachten Kinder nicht weiter bez. ihrer funktionellen Blasenkapazität evaluiert wurden. Der Messparameter der Studie war lediglich die Anzahl trockener Nächte.

Im selben Heft des "Journal of Urology", in der die o. g. Arbeit von Karaman und Mitarbeitern erschienen ist, wurde auch die Arbeit von Radvanska und Mitarbeitern (Arbeitsgruppe um Søren Rittig, Aarhus/ Dänemark) mit selbigem Thema publiziert [ 1 ]. Auch diese Arbeitsgruppe hat eine prospektiv randomisierte, einseitig verblindete und placebokontrollierte Studie durchgeführt, in der der Effekt der Laserakupunktur bei Kindern mit nächtlicher Einnässsymptomatik evaluiert wurde. Im Gegensatz zu der begutachteten Arbeit von Karaman und Mitarbeitern kommt die Arbeitsgruppe zu einem ganz anderen Ergebnis. Bei vergleichbarem mittleren Alter wurden hier mit 31 Kindern mit MNE zwar deutlich weniger Patienten in die Studie eingebracht, nach einem 5-wöchigen Laserakupunktur-Behandlungsintervall besserte sich die Einnässsymptomatik jedoch nicht signifikant. In dieser Studie wurde zusätzlich die funktionelle Blasenkapazität durch ein Blasentagebuch evaluiert, welches die Einzelharnmengen (in ml) protokollierte.

In einem systematischen Review von Bower et al. (Arbeitsgruppe C.K. Yeung, Hong Kong) über Akupunkturbehandlungen bei Kindern mit nächtlicher Einnässsymptomatik wurden in sehr aufwendiger Recherche und Auswahlmethodik sämtliche Arbeiten zu diesem Thema verglichen [ 2 ]. Als Ergebnis kann lediglich ein vorsichtiger Trend erkannt werden: Die Laserakupunktur könnte in der Behandlung der MNE effektiv sein.


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Fazit

Bisher gibt es zur Akupunkturbehandlung bei Kindern mit monosymptomatischer nächtlicher Enuresis sehr widersprüchliche Daten. In manchen Studien wird eine Ansprechrate von 50 % und mehr erzielt. So konnte die Studie von Karaman et al. eine Trockenheitsrate >50 % in der Behandlungsgruppe mit signifikantem Ansprechen im Vergleich zur Placebogruppe nachweisen, während die Arbeitsgruppe aus Aarhus mit ähnlichem Studiendesign kein Ansprechen ergab [ 1 ]. Die Ergebnisse reflektieren Arbeiten zu diesem Thema der vergangenen Jahre – auch zu erwähnen die Arbeit von Radmayr und Mitarbeitern, Innsbruck, die die Akupunkturbehandlung mit der Desmopressin-Medikation verglichen und vergleichbare Ansprechraten größer 50 % berichten konnten [ 3 ].

Ich möchte mich daher einem Kommentar von Herrn Nevéus anschließen, dass die Akupunkturbehandlung sicher eine spannende Therapiealternative bleibt, dass aber bez. einer allgemeinen Therapieempfehlung ihr Effekt in größeren Studien fundierter untersucht werden muss [ 4 ]. Da die Therapie insgesamt keine besonderen Nebenwirkungen in bisher allen Untersuchungen gezeigt hat, kann eine individuelle Handlungsentscheidung nur vom behandelnden Arzt und den Eltern getroffen werden.


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In der aktuellen Studie reduzierte die Laserakupunktur bei Kindern mit primärer monosymptomatischer Enuresis nocturna die wöchentlichen Einnässepisoden. Nach 6 Monaten waren 54 % der laserakupunktierten Kinder vollständig trocken, in der Placebogruppe nur 12 % der Patienten.(©PhotoAlto/Symbolbild)
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Dr. Iris Rübben ist Sektionsleiterin der Kinderurologie an der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Essen