Diabetes aktuell 2012; 10(03): 138-139
DOI: 10.1055/s-0032-1315689
Deutsche Diabetes-Stiftung (DDS)
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frauen mit Gestationsdiabetes in Deutschland – Erste Interventionsstudie zur Diabetes-Prävention – PINGUIN

A Huppert
,
L Lachmann
,
C Peplow
,
AG Ziegler
Further Information

Publication History

Publication Date:
11 June 2012 (online)

 
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Gestationsdiabetes (GDM) ist eine Glukosetoleranzstörung während der Schwangerschaft. Die Prävalenz des GDM liegt in Deutschland bei 3,7 % und wird weltweit ansteigen. Da Übergewicht und Adipo­sitas in der Weltbevölkerung stark zunehmen, ist mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen. Die Entwicklung effektiver Maßnahmen zur Prävention eines Typ-2-Diabetes (T2D) nach GDM ist ein wichtiges medizinisches, aber auch volkswirtschaftliches Ziel. Aus diesem Grund wurde zur Sekundärprävention einer Progression zum Typ-2-Diabetes hin vom Institut für Diabetesforschung die PINGUIN-Studie (Postpartale INterven­tion bei Gestationsdiabetikerinnen Unter INsulintherapie) unter der Leitung von Prof. Anette-Gabriele Ziegler initiiert. Die Studie soll zeigen, dass eine Veränderung des Lebensstils in Verbindung mit einer vorbeugenden Einnahme des Medikaments Vildagliptin die Erkrankung verhindern oder verzögern kann.

Gestationsdiabetes mellitus (GDM, ICD-10: O24.4G) ist definiert "als eine Glukosetoleranzstörung, die erstmals in der Schwangerschaft mit einem 75-g oralen Glukosetoleranztest (oGTT) unter standardisierten Bedingungen und qualitätsgesicherter Glukosemessung aus venösem Plasma diagnostiziert wird" [1]. Frauen mit GDM und darunter besonders diejenigen, die Autoantikörper-negativ sind und zur Kontrolle der Hyperglykämie mit Insulin behandelt werden müssen, haben ein deutlich erhöhtes Risiko von 61 % innerhalb von 3 Jahren postpartal einen T2D zu entwickeln. Dies ist ein Ergebnis der Deutschen Gestationsdiabetes-Studie (Deutsche GDM-Studie), an der das Institut für Diabetesforschung seit 1989 mitwirkt. Die 350 Studienteilnehmerinnen wurden bis zu 18 Jahren betreut. Es zeigte sich, dass Frauen, die einen GDM entwickeln, ein erhöhtes Risiko haben, im Verlauf einen T2D zu entwickeln. Dabei sind Antikörperstatus, Insulinpflichtigkeit und Körpergewicht der Frauen während der Schwangerschaft von entscheidender Bedeutung. So haben Frauen, die Antikörper (Glutamat-Dekarboxylase-Antikörper [GAD] und Tyrosin-Phosphatase-Antikörper [IA2]) aufweisen, ein Risiko von 90 %, innerhalb von 3 Jahren nach Entbindung an einem Typ-1-Diabetes zu erkranken. Frauen, die einen insulinpflichtigen Schwangerschaftsdiabetes hatten, entwickeln zu 61 % einen T2D innerhalb von 3 Jahren. Frauen, die während der Schwangerschaft diätisch behandelt werden konnten, haben, abhängig vom Body-Mass-Index, ein 20 %iges (BMI > 30) beziehungsweise ein 10 %iges Risiko (BMI < 30; Abb. [ 1 ]) [3].

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Abb. 1 Klassifikation nach Risikofaktoren für das Auftreten eines Diabetes postpartum. Kaplan Meier Kurve zum Auftreten von Diabetes nach GDM, dargestellt als Autoantikörper positiv (dicke durchgezogene Linie); Autoantikörper negativ, Insulinbehandlung während der Schwangerschaft (dünne durchgezogene Linie); Autoantikörper negativ, Diätbehandlung während der Schwangerschaft mit einem BMI > 30 (dicke gestrichelte Linie); und Autoantikörper negativ, Diätbehandlung mit einem BMI < 30 (dünne gestrichelte Linie).

Die frühzeitige Identifizierung dieser Personen, die ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben, ist wünschenswert, damit diese in die Präventionsstudie eingeschlossen werden können, um eine Manifestation des Diabetes zu verhindern oder zu verzögern.

Dieser Artikel soll die aktuelle PINGUIN-Studie zur Sekundärprävention von T2D vorstellen. Mit der Sekundärprävention soll die Progression zum T2D bei Patientinnen, die ein erhöhtes Erkrankungsrisiko durch einen insulinpflichtigen Gestationsdiabetes haben, aufgehalten werden.

Lebensstilintervention und Vildagliptin nach insulinpflichtigem Gestationsdiabetes

PINGUIN-Studie

61 von 100 Frauen mit Insulin behandeltem GDM erkranken innerhalb von 3 Jahren nach der Entbindung an T2D. Aufgrund fehlender Therapien zur Prävention des T2D in dieser Gruppe von Patientinnen führt das Institut für Diabetesforschung unter der Leitung von Prof. Anette-Gabriele Ziegler die PINGUIN-Studie durch. Das Ziel der PINGUIN-Studie ist der Nachweis eines protektiven Effekts auf die Manifestation eines T2D bei postpartalen (< 9 Monate) Frauen mit insulinpflichtigem GDM durch Lebensstilintervention und die orale Einnahme von täglich 100 mg Vildagliptin oder einem Placebo über 24 Monate. Neben dieser Medikamentenintervention erhalten alle Studienteilnehmerinnen eine Beratung zum gesunden Lebensstil gemäß den Ergebnissen der großen Präventionsstudien zum T2D bei gestörter Glukosetoleranz über die gesamte Dauer der Studienteilnahme [3–5].

Die PINGUIN-Studie (Postpartum INtervention in Women with Gestational Diabetes Using INsulin) ist eine monozentrische, randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie. Studienteilnehmerinnen aus ganz Deutschland werden in die Studie eingeschlossen. Die Gesamtdauer der Studie beträgt 36 Monate, die Behandlung erfolgt mit Vildagliptin oder Placebo über 24 Monate, mit anschließendem Follow-up über 12 Monate. In einem Screening werden zunächst ein bereits bestehender Diabetes durch einen oralen Glukosetoleranztest (oGTT) ausgeschlossen und verschiedene Untersuchungen (EKG, RR, BMI, waist-to-hip-ratio, Rou­tine-Laborparameter, diabetesspezifische Laborparameter) durchgeführt. Es erfolgen engmaschig Kontrolluntersuchungen des Glukose- und Insulinstatus mittels Blutabnahmen und oGTTs. Endpunkt ist die Manifestation eines T2D.

T2D ist eine schwerwiegende, chronische Erkrankung, die einerseits durch eine verminderte Insulinsekretion der Betazellen, andererseits durch mangelnde Insulinwirkung am peripheren Gewebe verursacht wird [3]. Die frühzeitige Identifizierung der Frauen, die ein besonders hohes Erkrankungsrisiko haben, soll durch Screenings während der Schwangerschaft erleichtert werden. Die Pinguin-Studie schließt Frauen ein, die während der Schwangerschaft einen insulinpflichtigen Gestationsdiabetes entwickelt haben. Es handelt sich um eine Präventionsstudie, deren Ziel es ist, durch die vorbeugende Einnahme des Medikaments Vildagliptin, die Diabetes-Manifestation zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Bislang gibt es noch keine gesicherte Prävention, die die Progression zum T2D bei Frauen dieser Risikogruppe verhindern kann.


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Lebensstilintervention

In kontrollierten klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass zur effektiven ­Behandlung von Prä-Diabetes eine Er­nährungs- und Bewegungsumstellung gehören [7]. Die langfristige Umstellung des Lebensstils ist erfahrungsgemäß die größte Herausforderung, sodass die Betreuung und Unterstützung der Studienteilnehmerinnen hier einsetzen möchte. Alle in die Studie eingeschlossen Frauen profitieren von einer persönlichen Ernährungsberatung, die jährlich gezielt durchgeführt wird und eine Beobachtung der Änderung des Lebensstils im Verlauf der Studie darstellt. Dazu wird zunächst ein Ernährungsfragebogen ausgehändigt, anhand dessen eine detaillierte Ernährungsanamnese erstellt wird. Es erfolgt dann eine auf die persönlichen Bedürfnisse der Teilnehmerinnen zugeschnittene Beratung. In diesem Zusammenhang wird der Freiburger Fragebogen zur körperlichen Aktivität von den Studienteilnehmerinnen zur Erfassung der gesundheitswirksamen Aktivität anhand von Selbsteinschätzung zu Aktivitäten der letzten Wochen erhoben und ausgewertet.

Zusätzlich wird allen Studienteilnehmerinnen ein Schrittzähler ausgehändigt, der in festgelegten Abständen getragen werden soll und zur Beurteilung des Erfolgs der Lebensstilintervention im Alltag dient.

Das Studienteam betreut die Frauen intensiv, sodass sowohl eine mögliche Diabetes-Erkrankung als auch das Auftreten anderer Erkrankungen des Metabolischen Syndroms (z. B. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen) frühzeitig erkannt und behandelt werden können.

Von der Lebensstilintervention profitieren alle Studienteilnehmerinnen, da sie unabhängig von der Medikamenten- oder Placebo-Gruppenzuteilung erfolgt.


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Einsatz von Vildagliptin

Der Wirkstoff Vildagliptin (Galvus®) hemmt den Abbau des Hormons Glucagon-like peptide (GLP-1), das in Abhängigkeit vom Blutglukosespiegel die Insu­linsekretion steigert – bei gleichzeitiger Verminderung der Glukagonsekretion, Hemmung der hepatischen Glukoneogenese, verzögerter Magenentleerung und Erhöhung des Sättigungsgefühls. Die Halbwertszeit von GLP-1 ist sehr kurz, da es sehr rasch durch das Enzym Dipeptidylpeptidase IV (DPP-4) inaktiviert und abgebaut wird. Vildagliptin ist ein seit 09/2007 in Europa zugelassener DPP-4-Inhibitor, der die Halbwertszeit und damit die Wirksamkeit von GLP-1 deutlich verlängern kann, wodurch die beschriebenen positiven Effekte von GLP-1 verstärkt zur Wirkung kommen. Schließlich wird angenommen, dass es langfristig die Funktion der Insulin-produzierenden Betazellen erhält oder sogar wiederherstellt, indem es die Anzahl der funktionierenden Betazellen vermehrt [7]. Diese Sekundärprävention von T2D mit dem Wirkstoff Vildagliptin nach einem insulinpflichtigen Schwangerschaftsdiabetes, ist Ziel der PINGUIN-Studie.


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Gestationsdiabetes

Die Prävalenz des GDM lag 2010 in Deutschland bei 3,7 % und zeigt sich seit 2002 stetig ansteigend. Durch die pandemische Ausbreitung von Übergewicht und Adipositas in der Weltbevölkerung ist insgesamt mit einer hohen Dunkel­ziffer zu rechnen. Zahlen aus den USA zeigen, dass mindestens 4 % aller schwangeren Frauen einen Diabetes entwickeln, der in 88 % der Fälle auf einen GDM zurückzuführen ist [2].

Diese Ergebnisse legen nahe, gerade Frauen mit insulinpflichtigem GDM und antikörpernegativem Untersuchungsstatus präventiv zu behandeln. Bei dieser Gruppe Frauen ergab sich bei einem BMI > 30 kein erhöhtes Erkrankungsrisiko im Vergleich zu Frauen mit einem BMI < 30 [3].

Diese Befunde sprechen für die Hypo­these, dass schlanke Frauen mit vorbestehendem GDM häufig eine reduzierte Insulinsekretion haben im Gegensatz zu übergewichtigen, klinisch Insulin-unempfindlichen Frauen, die in und nach der Schwangerschaft häufig eine normale oder erhöhte Insulinausschüttung aufweisen. Es gibt demnach wahrscheinlich eine Gruppe von Patientinnen mit GDM, bei der die gestörte Insulinsekretion und verminderte Funktion der Betazellen eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung ­eines T2D zu spielen scheint. Diese Erkenntnisse führten zu der Überlegung, dass Schwangerschaftsdiabetikerinnen unter Insulintherapie deshalb von neuen, präventiv einzusetzenden therapeutischen Maßnahmen profitieren könnten.


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Literatur bei der Verfasserin

Interessentinnen an der PINGUIN-Studie steht eine Teilnahme noch offen. Sie können sich unverbindlich informieren bei:

Institut für Diabetesforschung der Forschergruppe Diabetes e.V.
Helmholtz Zentrum München
Leitung Prof. Anette-Gabriele Ziegler
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
E-Mail: pingiun@lrz.uni-muenchen.de
http://www.pinguin-studie.de

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Deutsche Diabetes-Stiftung (DDS)
Staffelseestraße 6
81477 München
Tel.: 089/579 579-12
Fax: 089/579 579-19
www.diabetesstiftung.de
info@diabetesstiftung.de


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Abb. 1 Klassifikation nach Risikofaktoren für das Auftreten eines Diabetes postpartum. Kaplan Meier Kurve zum Auftreten von Diabetes nach GDM, dargestellt als Autoantikörper positiv (dicke durchgezogene Linie); Autoantikörper negativ, Insulinbehandlung während der Schwangerschaft (dünne durchgezogene Linie); Autoantikörper negativ, Diätbehandlung während der Schwangerschaft mit einem BMI > 30 (dicke gestrichelte Linie); und Autoantikörper negativ, Diätbehandlung mit einem BMI < 30 (dünne gestrichelte Linie).
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