Rofo 2012; 184(7): 668-670
DOI: 10.1055/s-0032-1318806
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Keine Kostenerstattung für USPIO-MRT in der GKV – keine „Spitzenmedizin um jeden Preis“

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Publication Date:
28 June 2012 (online)

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- Anmerkung zum Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17.04.2012 – Az.: L 1 KR 298/10 -

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Einführung

Grundsätzlich kann ein gesetzlich Krankenversicherter im Rahmen der vertragsärztlichen (ambulanten) Versorgung nur diejenigen Leistungen beanspruchen und der Vertragsarzt damit nur diejenigen Leistungen abrechnen, die zum Zeitpunkt der Behandlung in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach §§ 2 Abs. 1 S. 1, 12 SGB V aufgenommen worden sind. Die Bewertung, welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vom Leistungskatalog umfasst sind, erfolgt gem. § 135 Abs. 1 SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), welcher sich gem. § 91 Abs. 1 SGB V aus der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der Krankenkassen zusammensetzt. Die Einzelheiten des Bewertungsverfahrens sind in der Verfahrensordnung des G-BA geregelt. Danach arbeitet der G-BA mit dem personell unabhängigen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zusammen, welches dem G-BA seine Arbeitsergebnisse zum aktuellen medizinischen Wissensstand zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren als Empfehlungen zuleitet. Das IQWiG wiederum zieht bei der Erstellung seiner Empfehlungen die evidenzbasierte Medizin heran, wonach eine Sicherstellung der Qualität ärztlicher Behandlungen durch die Feststellung der bestmöglichen Evidenz auf der Grundlage von wissenschaftlichen Studien erreicht werden soll. Die Regelung in § 135 Abs. 1 SGB V beinhaltet ein gesetzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, wonach ein antragsgesteuertes Zulassungsverfahren für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden besteht.

Im Gegensatz dazu gilt für die Bewertung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus gem. § 137 c SGB V der Grundsatz der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. In der stationären Versorgung können demnach auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erbracht werden, solange sie nicht vom G-BA explizit ausgeschlossen wurden. Hintergrund dessen ist, dass in den Krankenhäusern der medizinische Fortschritt nicht unterbunden werden soll. Gerechtfertigt wird diese Differenzierung damit, dass der Gesetzgeber die Gefahr des Einsatzes zweifelhafter oder unwirksamer Maßnahmen wegen der internen Kontrollmechanismen und der anderen Vergütungsstruktur im Krankenhausbereich geringer einstuft als bei der Behandlung durch einzelne niedergelassene Ärzte. In Überprüfungsverfahren durch den G-BA nach § 137 c Abs. 1 SGB V geht es, anders als bei § 135 Abs. 1 SGB V, somit um die Aberkennung der Abrechenbarkeit einer Leistung, wobei jedoch auch hier als Maßstab die Bewertungskriterien der evidenzbasierten Medizin herangezogen werden.

Nach der durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) in § 137 e SGB V eingefügten „Erprobungsregelung“ hat der G-BA nunmehr auch die Möglichkeit, neue nichtmedikamentöse Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der stationären Versorgung zeitlich begrenzt und unter kontrollierten Bedingungen zu erproben. Ziel dieser Neuregelung ist es, bei noch unzureichendem Nutzenbeleg einer Methode das Bewertungsverfahren auszusetzen und die mangelnde Evidenz der Methode durch Erprobung auszugleichen. § 137 e SGB V ermöglicht es demnach, dass eine Methode, die keine hinreichende Evidenz aufweist, nicht direkt ausgeschlossen werden muss und der Nutzennachweis auf schnellerem Weg erfolgen kann.

Festzustellen ist, dass der Stand der medizinischen Erkenntnisse rapiden Veränderungen unterliegt mit der Konsequenz, dass der Leistungskatalog der GKV auf Grund des vorherigen Prüfungsverfahrens nicht immer dem aktuellen medizinischen Fortschritt entsprechen kann. Dies führt vermehrt dazu, dass insbesondere Patienten mit schweren Erkrankungen neue medizinische Behandlungs- bzw. Untersuchungsmethoden in Anspruch nehmen, die (noch) nicht im Leistungskatalog der GKV enthalten sind. Die Sozialgerichte müssen daher häufig über Kostenübernahmeanträge von Versicherten gegen die Krankenkassen bzgl. therapeutischer und diagnostischer Verfahren entscheiden, die vom G-BA noch nicht anerkannt worden sind. In dem nachfolgend dargestellten Verfahren hatte das Hessische Landessozialgericht (HessLSG) über die Kostenübernahme für die Durchführung einer USPIO-MRT zu entscheiden.

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Sachverhalt

Der Kläger, bei dem ein Prostatakarzinom Stadium Gleason 7 ohne Metastasen diagnostiziert worden war, ließ in einem ärztlichen Zentrum in den Niederlanden ambulant eine USPIO-MRT durchführen. Hierbei handelt es sich um ein spezielles MRT-Verfahren, bei dem Eisenoxidpartikel eingesetzt werden, mit deren Hilfe selbst kleine Lymphknotenmetastasen identifiziert werden können, die anderen bildgebenden Verfahren entgehen. Zuvor war bei dem Kläger in Deutschland eine Biopsie, ein Röntgen der Lunge, ein Skelettszintigramm und ein CT durchgeführt worden. Über seine Hausärztin beantragte der Kläger bei seiner beklagten Krankenkasse eine Kostenerstattung für die USPIO-MRT in Höhe von 1500,00 €. Zur Begründung wies er darauf hin, dass auf Grund der speziellen Diagnostik in den Niederlanden eine Operation habe vermieden werden können und es sich um eine schonendere Untersuchungsmethode handele bzw. ein Eingriff vermieden worden sei. Der Erfolg der Untersuchung zeige, dass die Methode wirksam sei. Die Beklagte wies den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, die USPIO-MRT stelle keine Vertragsleistung innerhalb Deutschlands dar. Zudem sei eine Behandlung bzw. Diagnostik nicht nur in den Niederlanden möglich gewesen.

Das Sozialgericht Gießen verneinte in seinem erstinstanzlichen Urteil vom 19.08.2010 (Az.: S 15 KR 258/07) einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers und wies darauf hin, dass die USPIO-MRT als neue Untersuchungsmethode vom G-BA noch nicht überprüft worden sei und somit kein Primäranspruch auf Durchführung einer USPIO-MRT bestehe, der Grundlage für den Erstattungsanspruch sein könnte. Ein Behandlungsanspruch ergebe sich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, da die Krankheit des Klägers weder lebensbedrohlich noch in der Regel tödlich verlaufend sei. Hiergegen legte der Kläger Berufung mit der Begründung ein, entgegen der Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts läge bei ihm ein Notfall im Sinne der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung vor. Es läge ein Systemversagen im Inland vor, da ihn die üblichen Behandlungsmethoden gesundheitlich erheblich beeinträchtigt hätten und seine lebensbedrohliche Erkrankung nicht so zielgenau hätten bekämpfen können.

Das HessLSG hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und das erstinstanzliche Urteil des SG Gießen bestätigt.

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Keine unaufschiebbare Leistung gem. § 13 Abs. 3 SGB V

Ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten für selbst beschaffte Leistungen besteht gem. § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V nur dann, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung entweder nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nach Ansicht des HessLSG vorliegend nicht erfüllt. Bei der Durchführung der USPIO-MRT handele es sich um eine vom Kläger gemeinsam mit seiner Hausärztin geplanten Untersuchung, die im Anschluss an bereits durchgeführte umfangreiche Behandlungen in Deutschland erfolgt sei. Eine Unaufschiebbarkeit der Leistung sei demnach zu verneinen. Zudem habe der Kläger die USPIO-MRT vornehmen lassen, ohne zuvor die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten. Nur bei einer Vorabprüfung könne nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urt. v. 30.06.2009 – Az.: B 1 KR 5/09 R) die Krankenkasse den Versicherten vor dem Risiko der Beschaffung nicht zum Leistungskatalog gehörender Leistungen schützen und ihm aufzeigen, welche Leistungen anstelle der begehrten in Betracht kommen. Vorliegend sei jedoch die USPIO-MRT bereits 8 Monate vor Einreichen der entsprechenden Unterlagen bei der Beklagten durchgeführt worden.

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USPIO-MRT nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der ambulanten Versorgung

Ferner stehe dem Kläger auch kein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 4 SGB V zu. Danach seien zwar Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer im europäischen Ausland in Anspruch zu nehmen. Dies setze jedoch einen Anspruch auf die entsprechende Dienst- und Sachleistung im Inland voraus. Vorliegend sei jedoch die USPIO-MRT vom Leistungskatalog des SGB V in der ambulanten Versorgung nicht umfasst.

Der Behandlungsanspruch des Versicherten nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V umfasse nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies sei bei neuen Untersuchung- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Der Umfang der von den Krankenkassen den Versicherten geschuldeten ambulanten Leistungen würde demnach durch diese Richtlinien verbindlich festgelegt. Eine positive Empfehlung des G-BA habe bezüglich einer USPIO-MRT zum Untersuchungszeitpunkt jedoch nicht vorgelegen. Wie das HessLSG ausführt, käme es zudem nicht, wie vom Kläger geltend gemacht, auf den individuellen Behandlungserfolg an. Entscheidend sei allein die wissenschaftliche Anerkennung der Diagnostik und Therapie.

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Kein Ausnahmefall im Sinne des „Nikolausbeschluss“ des BVerfG

Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem sogenannten „Nikolausbeschluss“ vom 6.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98) entschieden hat, gebietet es die verfassungskonforme Auslegung des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V, dass ausnahmsweise die Zweckmäßigkeit und die Wirtschaftlichkeit bejaht werden müssen, obwohl die Behandlungsmethode an sich von der Versorgung zulasten der GKV ausgeschlossen ist. Diese von der Rechtsprechung entwickelte Ausnahmeregelung greift immer dann, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit vorliegt, für die keine Standardmethode zur Verfügung steht und bei der die auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Grundsätze sind zwischenzeitlich durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) zum 01.01.2012 in § 2 Abs. 1a SGB V gesetzlich verankert worden. Im vorliegenden Fall könne, so das HessLSG, zwar von einer lebensbedrohlichen Erkrankung gesprochen werden. Für die Erkrankung hätten jedoch, sowohl in der Behandlung (Prostatektomie, Radiatio, Hormontherapie), als auch in der Diagnostik (MRT, Ultraschall, Biopsie, CT) allgemein anerkannten medizinischen Standards entsprechende, für den Kläger zumutbare Alternativen zur Verfügung gestanden. Die GKV sei nicht von Verfassung wegen gehalten, alles zu leisten, was als Mittel zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Der Maßstab der Leistungspflicht nach dem SGB V bestehe nicht in der Gewährleistung von „Spitzenmedizin um jeden Preis“.

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Kein Anspruch nach § 13 Abs. 5 SGB V

Abschließend führt das HessLSG aus, dass dem Kläger für die Durchführung der USPIO-MRT auch kein Kostenerstattungsanspruch für eine Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen im europäischen Ausland gem. § 13 Abs. 5 SGB V zustehe, da es vorliegend an der zwingend vorgeschriebenen vorherigen Zustimmung durch die Beklagte fehle. Darüber hinaus fehle es nach Ansicht des HessLSG vorliegend auch an der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit im Sinne des § 39 SGB V, da die Behandlungsmethode mit einer USPIO-MRT noch nicht in den vertragsärztlichen Leistungskatalog aufgenommen worden sei. An dieser Stelle sei angemerkt, dass diese Aussage des HessLSG nicht der bereits oben einleitend dargestellten gesetzlichen Rechtslage entspricht. So gilt zwar für die ambulante Behandlung gem. § 135 Abs. 1 SGB V der Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Für die Zulässigkeit von Behandlungs- und Untersuchungsmethoden im Krankenhaus sieht hingegen das Gesetz in § 137 c Abs. 1 SGB V den Grundsatz der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt vor. Demzufolge können im Rahmen einer stationären Behandlung grundsätzlich alle Leistungen zulasten der Krankenkasse erbracht werden, soweit diese nicht explizit ausgeschlossen worden sind. Folglich wäre vorliegend eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nicht allein aufgrund dessen zu verneinen, dass die Durchführung der USPIO-MRT bislang nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der vertragsärztlichen Versorgung ist, da dies für eine stationäre Behandlung zunächst unerheblich wäre. Auch wurde die Durchführung einer USPIO-MRT bislang nicht explizit von den zulässigen Untersuchungsmethoden durch den G-BA ausgeschlossen.

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Fazit

Das Urteil des HessLSG vom 12.04.2012 reiht sich ein in die Vielzahl der Entscheidungen zur Frage der Kostenübernahme für neue medizinische Untersuchungsverfahren. So hat beispielsweise das Landessozialgericht Hamburg mit Urteil vom 3.08.2011 – Az.: L 1 KR 55/09 einen Anspruch eines gesetzlich Krankenversicherten auf Erstattung der Kosten für eine PET-CT-Untersuchung mit der gleichlautenden Begründung verneint, diese habe zum Zeitpunkt ihrer Durchführung nicht zu den im Rahmen des GKV-Leistungssystems erbringbaren Leistungen gehört. Solange es bei dem für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt bleibt, wird es zukünftig immer wieder zu entsprechenden Rechtsstreitigkeiten kommen. Einziger Ausweg zur Bejahung einer Kostenübernahme kann in manchen Fällen allein die Feststellung des Vorliegens einer notstandsähnlichen Situation im Sinne der nunmehr in § 2 Abs. 1a SGB V gesetzlich verankerten Rechtsprechung des BVerfG sein. Hier könnte sich jedoch die Frage stellen, ob diese Ausnahmeregelung nur für neue Behandlungsmethoden gilt, worüber das BVerfG in seinem sogenannte „Nikolausbeschluss“ zu entscheiden hatte, oder ob sie auch auf Fälle einer neuen Untersuchungsmethode (reine Diagnostik) anzuwenden ist (so z. B. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Urt. v. 21.05.2008 – Az.: L 5 KR 81/06). Sowohl das HessLSG, als auch das Landessozialgericht Hamburg haben diesen Punkt in ihren Entscheidungsgründen offen gelassen. Auch die Gesetzesbegründung zur Neuregelung in § 2 Abs. 1a SGB V äußert sich hierzu nicht.

Dr. Ulrike Tonner
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