Rofo 2012; 184(8): 753-755
DOI: 10.1055/s-0032-1318845
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Regierungsentwurf des Patientenrechtegesetzes – Haftungsfelder in der Radiologie heute und morgen

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Publication Date:
14 August 2012 (online)

 

Einführung

Fehler bei der Behandlung von Patienten sind ein medialer Dauerbrenner und aktuell wieder in die Diskussion geraten. Erst kürzlich ist anlässlich der Veröffentlichung der Statistik der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen durch die Bundesärztekammer (BÄK) die Thematik der Behandlungs- und Aufklärungsfehler wieder in den Blickpunkt geraten. Hierbei wurde auf die gestiegene Eingangszahl von Anträgen bei den Kammern hingewiesen. Auffallend war zudem, dass für das Jahr 2011 der Bereich „Diagnostik, bildgebende Verfahren“ als häufigster Fehler im Bereich der niedergelassenen Ärzte und als zweithäufigster Fehler im Krankenhausbereich nach der Statistik der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen ausgewiesen wird.

Besondere Aufmerksamkeit hat der am 23.05.2012 vorgelegte „Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ (Patientenrechtegesetz) hervorgerufen. Mit dem Vorhaben waren zuvor hohe Erwartungen und Forderungen sowohl seitens der Ärzte und der Krankenkassen, aber insbesondere auch vonseiten der Patienten- und Verbraucherverbände verbunden. Die Patientenverbände kritisieren, dass das bisherige, vornehmlich durch die zivilrechtliche Rechtsprechung geprägte, Haftungsrecht zu wenig patientenorientiert und nicht hinreichend kodifiziert sei. Die Bundesregierung hat sich dieser Auffassung angeschlossen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Im Folgenden soll auf die Regelungen des Entwurfs insbesondere mit Blick auf Behandlungsfehler im Bereich der Diagnostik und dabei auch auf die Tätigkeit in der Radiologie eingegangen und analysiert werden, ob sich zukünftig Änderungen ergeben werden.

Der nunmehr vorliegende Gesetzesentwurf sieht in Artikel 1 eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor. Es werden die neuen Vorschriften der §§ 630a bis h BGB eingefügt.


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Kodifizierung des Behandlungsvertrags

Artikel 1 des Entwurfs eines Patientenrechtegesetzes regelt zunächst in § 630a Abs. 1 BGB den Behandlungsvertrag als neuen besonderen Dienstvertragstyp, der in einem eigenen Untertitel in das BGB integriert werden soll. Im neu zu schaffenden § 630a BGB sind keine Änderungen in Bezug auf die Frage der Haftung des behandelnden Arztes zu erwarten. Der Vertrag mit dem Arzt war, soweit er die medizinische Behandlung zum Gegenstand hatte, auch bisher nach der Rechtsprechung ein Dienstvertrag.

Die Rechtsprechung hat das vertragliche Verhältnis zwischen den Parteien eines Behandlungsvertrags „als in der Regel dienstvertraglicher Natur“ charakterisiert. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Reihe von Entscheidungen (BGHZ 47, 75 ff.; 76, 259, 261; 97, 273, 276) wiederholt entschieden, dass der Behandlungsvertrag im Schwerpunkt dienstvertragsrechtliche Elemente aufweise. Ebenso wie der Dienstvertrag ist auch der Behandlungsvertrag vom Werkvertrag nach § 631 ff. BGB abzugrenzen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift schuldet der Behandelnde lediglich die „Leistung der versprochenen Behandlung“. Wegen der Komplexität der Vorgänge im menschlichen Körper, die durch den Menschen kaum beherrschbar ist, kann ein Erfolg der Behandlung am lebenden Organismus im Allgemeinen nicht garantiert werden. Der Behandelnde wird daher lediglich zu einer fachgerechten Vornahme der Behandlung verpflichtet, schuldet aber grundsätzlich keinen Behandlungserfolg. Soweit die Parteien allerdings im Einzelfall vereinbaren, dass ein Behandlungs- oder sonstiger medizinischer Erfolg geschuldet ist, ist der Anwendungsbereich der §§ 630a ff. nicht eröffnet und die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien folgen aus den Vorschriften über den Werkvertrag gemäß § 631 ff. BGB. Dies gilt z. B. für reine zahnlabortechnische Arbeiten, für die das werkvertragliche Gewährleistungsrecht eingreift.

Dieser Systematik bleibt der Behandlungsvertrag mit seiner Stellung im Titel 8 (Dienstvertrag) nach dem Entwurf treu, vgl. § 630b BGB des Entwurfs. Eine vertragliche Haftung kommt – neben der deliktischen Haftung – nach bisheriger Rechtslage wie auch nach dem Entwurf i. V. m. § 280 BGB als allgemeine Haftungsnorm infrage. Nach dem Willen des Entwurfs soll weiter eine Delegation auf andere Personen (wie MTAs) bei der Erbringung der Leistung nicht ausgeschlossen sein. Hierbei bleibt aber besonders die Sachkunde und Überwachung der Personen zu berücksichtigen.


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Allgemein anerkannter fachlicher Standard

Nach Abs. 2 des § 630a BGB sind bei der Behandlung weiterhin die jeweiligen allgemein anerkannten fachlichen Standards einzuhalten, wobei abweichende Vereinbarungen mit den Patienten möglich sein sollen. Hierunter sind nach der Vorstellung des Entwurfs insbesondere Neulandmethoden zu fassen. Für Fachärzte ergibt sich hieraus aber auch weiter, dass für sie der Facharztstandard bei der Beurteilung eines möglichen Fehlers anzuwenden ist. Hierbei können, wie dies auch die Rechtsprechung entschieden hat, die Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften herangezogen werden.

Weiterhin nicht vollständig geklärt ist dagegen die Frage, ob und in welchem Umfang Qualitätssicherungsmaßnahmen in der GKV im Rahmen der Beurteilung der allgemein anerkannten Standards zu berücksichtigen sind. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn z. B. die untergesetzliche Normsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und der Vertragspartner der Bundesmantelverträge von den Qualitätsvorgaben im Strahlenschutz nach StrSchV und RöV oder des ärztlichen Berufs- und Weiterbildungsrechts abweichen bzw. sogar neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach §§ 135 Abs. 1, 137c SGB V gänzlich von der Erstattungsfähigkeit ausgeschlossen werden.

Auch Vertragsärzte sind nach § 135a SGB V zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet. Nach § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB V prüfen die Kassenärztlichen Vereinigungen die Qualität der in der vertragsärztlichen Versorgung erbrachten Leistungen einschließlich der belegärztlichen Leistungen im Einzelfall durch Stichproben. Nach § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB V entwickelt der G-BA in Richtlinien nach § 92 SGB V Kriterien zur Qualitätsbeurteilung in der vertragsärztlichen Versorgung sowie Auswahl, Umfang und Verfahren der Stichprobenprüfungen nach Satz 1. Für Radiologen dürfte die Qualitätsbeurteilungs-Richtlinie Radiologie des G-BA in die Bewertung des ärztlichen Handelns hineinspielen.

Die Felder der möglichen Behandlungsfehler sind sehr weit und können hier nicht vollumfänglich dargestellt werden. Hierzu gehört auch die therapeutische Aufklärung, d. h. die Information an den Patienten darüber, wie er sich zu verhalten hat, um eine schnelle und effektive Verbesserung seiner Lage zu erreichen. Als für die Radiologie bedeutsame Behandlungsfehler sind bisher u. a. gewertet worden: die Nichteinsetzung eines medizinischen Geräts, nicht entdeckte Knochenmetastasen im Brustbein, die Verletzung der Aufsichtspflicht bei einer Strahlentherapie und Befunderhebungsmängel bei nicht karzinomverdächtigen Befunden.


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Informationspflichten des Arztes

Interessant ist die geplante Regelung des § 630c Abs. 2 BGB. Danach hat der Behandelnde auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren den Patienten über die begründete Annahme eines Behandlungsfehlers zu informieren. Im Falle des möglichen Verursachers darf dessen so geartete Information in einem späteren Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren nur mit dessen Zustimmung verwendet werden.

An dieser Stelle wäre eine Regelung wünschenswert, die festlegt, dass hierin keine Verletzung der Pflichten gegenüber der Haftpflichtversicherung des Arztes liegt. Nur so dürfte das Ziel des Entwurfs verwirklicht werden können, eine größere Offenheit zu schaffen. Eine Pflicht zur unaufgeforderten Offenlegung besteht ansonsten für den Behandelnden aber weiterhin nicht. Eine Hinweispflicht hat der Arzt, wenn er weiß, dass die voraussichtlichen Behandlungskosten nicht durch einen Dritten vollständig übernommen werden, dann muss er den Patienten auf die fehlende Möglichkeit der Erstattung der Kosten der Heilbehandlung in Textform hinweisen. Kommt er dieser wirtschaftlichen Aufklärungspflicht nicht nach, kann der Patient Ersatzansprüche gegen den Behandelnden geltend machen (vgl. § 630c Abs. 3 BGB des Entwurfs).


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Akteneinsichtsrecht des Patienten

Aus radiologischer Sicht dürfte auch der geplante § 630g BGB von Interesse sein. Hiernach hat der Patient die Möglichkeit, gegen Kostenerstattung Einsicht in die Patientenakte zu nehmen. Dieses Verlangen darf nicht zeitlich hinausgezögert werden und kann nur im Einzelfall bei erheblichen Gründen (z. B. Gesundheitsgefährdung des Patienten oder sensible Informationen über andere Personen) verweigert werden. Dieses Recht geht auch auf die Erben und Angehörigen über, soweit nicht der Wille des Verstorbenen entgegensteht. Interessant ist, dass in der Begründung des Entwurfs davon ausgegangen wird, dass auch niedergeschriebene Eindrücke des Behandelnden in der Regel vom Einsichtsrecht umfasst sind. Diese Frage wird bisher in der Rechtswissenschaft nicht einheitlich beantwortet.


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Einwilligung und Aufklärung

Einzugehen bleibt weiter auf die geplanten §§ 630f, 630d und 630e BGB. Letztgenannte betonen die Notwendigkeit der vorherigen Einwilligung und Aufklärung des Patienten (informed consent). Hier ergeben sich keine Abweichungen von der bisherigen Rechtslage.

Die Aufklärung des Patienten hat grundsätzlich mündlich und insbesondere so rechtzeitig zu erfolgen, dass der Patient noch ernsthaft über die Behandlung entscheiden kann, d. h. sie auch ablehnen kann. Sie hat „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten“, aber auch alternativ in Betracht kommende, medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zum Inhalt. Weiter hat sie in verständlicher Art und Weise zu erfolgen. Eine ohne Einwilligung des Patienten durchgeführte (radiologische) Maßnahme stellt eine tatbestandliche Körperverletzung dar. Als haftungsträchtiges, obschon leicht zu vermeidendes Feld, rückt die Selbstbestimmungs- bzw. Risikoaufklärung des Patienten in Haftungsprozessen in den Vordergrund. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass Aufklärungsrügen in der Statistik der BÄK zunehmen. In der Rechtsprechung erfahren sie seit Jahren Konjunktur und werden nicht selten als Notanker bei Beweisschwierigkeiten eines Behandlungsfehlers herangezogen. Nach bisheriger, wie nach zukünftiger Rechtslage, ist also auf eine sorgfältige Aufklärung und deren Dokumentation zu achten. Hinzuweisen ist insoweit auch auf die Dokumentation nach § 23 RöV, der eine rechtfertigende Indikation, d. h. eine konkrete Feststellung im Einzelfall, dass der gesundheitliche Nutzen der Anwendung dem Risiko der Behandlung überwiegt, wobei insbesondere bei Schwangeren eine besondere Prüfung und Aufklärung erforderlich ist, voraussetzt.


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Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten

Nach der bisherigen Rechtslage ergab sich bereits aus der M-BOÄ (§ 10 Abs. 3) wie auch aus den §§ 27–28 RöV eine Dokumentations- und Aufzeichnungspflicht. Diese sieht auch der Entwurf in § 630f BGB vor. Auch danach ist jede „wesentliche“ Maßnahme (hierzu gehören jedenfalls die Anwendung von Röntgenstrahlen, die Gabe von Kontrastmitteln usw.) aufzuzeichnen. Es bleibt bei einer Aufbewahrungszeit von 10 Jahren. Die RöV wird auch zukünftig als fachgebietsspezifischere, d. h. speziellere Vorschrift vorrangig anzuwenden sein. Mit der Dokumentationspflicht verbunden ist auch die im Entwurf in § 630h BGB geregelte Beweislastregelung. So kann dem Patienten, der für alle Tatsachen beweispflichtig ist, bei Verletzung der Dokumentationspflicht eine Beweiserleichterung zugutekommen.

Weitere Beweiserleichterungen können sich aus einem groben, d. h. schlechterdings fachlich unverständlichen Behandlungsfehler ergeben sowie bei Anfängerfehlern. Auch fallen sog. „voll beherrschbare Risiken“ hierunter. Hierzu gehört auch der Einsatz medizinisch-technischer Geräte. Bedeutsam ist auch die Beweislast bei „einfachen“ Befunderhebungs- bzw. Befundsicherungsfehlern. Bei einem einfachen Befunderhebungsfehler kommt eine Beweislastumkehr für die Frage des Ursachenzusammenhangs mit dem tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden selbst dann in Betracht, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Hinzuweisen bleibt darauf, dass der Arzt weiterhin die Beweislast für die Aufklärung des Patienten trägt.


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Ausblick

Der Regierungsentwurf des Patientenrechtegesetzes stellt eine Kodifizierung der bisherigen Rechtsprechung dar und trägt zur Systematisierung im ärztlichen Behandlungsrecht bei. Letztlich wird so auch ein Stück Transparenz geschaffen, das betroffenen Patienten zugutekommt. Eine detaillierte Regelung, insbesondere die Festlegung einzelner Behandlungsfehler, ist ausgeblieben. Zu berücksichtigen ist aber, dass andernfalls ein unüberschaubares Regelwerk entstanden wäre, das aufgrund der sich ständig entwickelnden und verändernden Behandlungsbedingungen schnell überholt bzw. ständigen Reformen unterworfen wäre. Letztlich hätte hier auch eine „Defensivmedizin“, wie sie aus dem anglo-amerikanischen Raum berichtet wird, drohen können. Ferner erscheint es kaum möglich, die einzelnen Lebensbedingungen und Besonderheiten im Einzelfall im Gesetz abzubilden. Hier obliegt es auch zukünftig weiterhin der Rechtsprechung, im Einzelfall verantwortungsvoll zu entscheiden.

Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

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