Rofo 2012; 184(11): 1065-1070
DOI: 10.1055/s-0032-1318969
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Aufnahme der Arztgruppen Nuklearmedizin und Strahlentherapie in die Bedarfsplanung und die Anordnung einer Entscheidungssperre durch den G-BA mit Beschluss vom 06.09.2012

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Publication Date:
26 October 2012 (online)

 

Einleitung

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in der Sitzung vom 06.09.2012 eine Änderung der Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte beschlossen. Mittels dieser Änderung werden 9 bisher unbeplante Arztgruppen ab dem 1. Januar 2013 in die Bedarfsplanung einbezogen. Im Einzelnen gilt dies für Kinder- und Jugendpsychiater, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, Physikalische und Rehabilitations-Mediziner, Nuklearmediziner, Strahlentherapeuten, Neurochirurgen, Humangenetiker, Laborärzte, Pathologen und Transfusionsmediziner. Darüber hinaus hat der G-BA mit Wirkung zum 06.09.2012 in § 48 Abs. 2 der Richtlinie über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) eine Übergangsregelung beschlossen, die zu einer vorübergehenden Zulassungssperre in den genannten Gebieten führt:

„(2) Der Zulassungsausschuss kann über Zulassungsanträge dieser Arztgruppen, die nach dem 6. September 2012 gestellt werden, erst dann entscheiden, wenn der Landesausschuss die Feststellung nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB V getroffen hat. Der Landesausschuss soll spätestens bis zum 15. Februar 2013 über die Versorgungssituation im Planungsbereich für die Arztgruppen entscheiden. Anträge nach Satz 1 sind wegen Zulassungsbeschränkungen auch dann abzulehnen, wenn diese noch nicht bei Antragstellung angeordnet waren. Die Sätze 1–3 gelten auch für Anträge auf die Genehmigung von Anstellungen in Medizinischen Versorgungszentren oder bei Vertragsärzten.“

Die Beschlussfassung des G-BA ist aus rechtlicher Sicht ungewöhnlich, als die Beschlussfassung vor der Umsetzung des in § 101 SGB V durch das GKV-VStG enthaltenen Auftrags zur Änderung der Bedarfsplanungs-Richtlinie erfolgt und die Einbeziehung in die Bedarfsplanung für die betroffenen Arztgruppen ohne Vorankündigung erfolgt ist.

Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den G-BA, „als neue sektorenübergreifende Rechtsetzungseinrichtung“ umgewandelt und in § 91 Abs. 6 SGB V eine Vorschrift über die Verbindlichkeit der Richtlinienbeschlüsse eingefügt. Hiernach sind die Beschlüsse des G-BA – mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 137 b SGB V und zu Empfehlungen nach § 137 f SGB V – für die Versicherten, die Krankenkassen und für alle an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und die zugelassenen Krankenhäuser verbindlich. Die Richtlinien des G-BA haben insoweit Rechtsnormcharakter.


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Inhalt des Beschlusses vom 06.09.2012

Der G-BA hat mit dem Beschluss vom 06.09.2012 die bisher gemäß § 4 Abs. 5 der Bedarfsplanungs-Richtlinie unbeplanten Arztgruppen in die Bedarfsplanung zum 01.01.2013 aufgenommen. Hierzu wurde eine Änderung der Bedarfsplanungs-Richtlinie durch Anfügung eines § 48 beschlossen. Nähere Regelungen zu den Planungsbereichen und Verhältniszahlen sollen zum 01.01.2013 erfolgen. In Abs. 1 des neuen § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie werden die aufgenommenen Arztgruppen genannt und definiert. Abs. 2 des neuen § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie bestimmt, dass der Landesausschuss spätestens bis zum 15.02.2013 über die Versorgungssituation im Planungsbereich entschieden haben muss. Zudem können die Zulassungsausschüsse über Zulassungsanträge der betroffenen Arztgruppen erst mit der Feststellung des Landesausschusses nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB V entscheiden. Des Weiteren ist geregelt, dass Anträge auch dann abzulehnen sind, wenn die Zulassungsbeschränkung noch nicht bei Antragsstellung angeordnet war und der Antrag nach dem Stichtag des 06.09.2012 eingegangen ist. Die Änderung der Richtlinie tritt zum 06.09.2012 in Kraft.

Der G-BA führt in seinen tragenden Gründen die §§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 und 101 SGB V als Rechtsgrundlage für die Ermächtigung durch den Gesetzgeber zur normkonkretisierenden Befugnis im Bereich der vertragsärztlichen Bedarfsplanung durch Erlass von Richtlinien an. Als Hintergrund des Beschlusses wird dargestellt, dass der G-BA derzeit über umfangreiche Änderungen der Bedarfsplanung berät, die im Hinblick auf die zeitliche Vorgabe in § 101 Abs. 1 SGB V zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt werden sollen. In diesem Zusammenhang befürchtet der G-BA, dass aufgrund des Bekanntwerdens seiner Absicht zur Beplanung der bisher unbeplanten Arztgruppen, eine nicht sachgerechte Häufung von Zulassungsanträgen, allein durch das Vorhaben der Beplanung der Arztgruppen, stattfinden wird. Aufgrund dieses Umstands sei zur Vermeidung von Überversorgungsszenarien und der zu wahrenden Chancengleichheit ein solches Entscheidungsmoratorium notwendig. Der G-BA beruft sich hierbei auf die Auskunft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dass es Hinweise auf eine überproportionale Zunahme von Zulassungsanträgen in den betroffenen Fachgruppen gibt. Der G-BA sieht deshalb den getroffenen Beschluss als zumutbare Übergangsregelung als notwendig an. Zudem ist der G-BA der Ansicht, dass Rechtssicherheit hergestellt werde, da die Entscheidung über die Regelungen zu den betroffenen Arztgruppen zum 31.12.2012 in Aussicht gestellt sei.

Ziel des G-BA ist es, einen Zulassungsüberhang im Vorfeld der geplanten Änderungen der Bedarfsplanungs-Richtlinie zum 01.01.2013 zu vermeiden, wie dies bei der Einführung der Bedarfsplanung durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21.12.1992 (BGBl. I., S. 2266) der Fall gewesen ist (sog. Seehoferbauch). Bei der Einführung des GSG ist es 1993 zu einem exponentiellen Anstieg von Zulassungen vor Einführung der Bedarfsplanung gekommen, obwohl aufgrund der Übergangsbestimmung in Art. 33 § 3 Abs. 2 Satz 2 GSG durch eine Abweichung von § 19 Abs. 1 Ärzte-ZV sichergestellt werden sollte, dass Zulassungssperren schon ab dem 1. Februar 1993 greifen und nicht abhängig davon sind, wann der Landesausschuss erstmalig die Feststellung trifft, dass eine Überversorgung vorliegt (vgl. BT-Drucks 12/3937, S 22; BSG, Urt. vom 02.10.1996, Az.: 6 RKa 52/95). Zur damaligen Zeit hatten sich viele niederlassungswillige Ärzte noch vor Inkrafttreten der Regelungen mittels Antragstellung die Zulassung vor der avisierten Bedarfsplanung gesichert. Gleiches soll aus Sicht des G-BA bei den zum 01.01.2013 in die Bedarfsplanung erstmalig einzubeziehenden Arztgruppen verhindert werden.


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Rechtliche Beurteilung des Beschlusses des G-BA

Gemäß § 91 Abs. 1 S. 2 SGB V ist der G-BA als juristische Person des öffentlichen Rechts gesetzlich errichtet. In 1. Linie ist er gemäß § 92 SGB V für den Erlass von Richtlinien zuständig. Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V beschließt er die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten. § 92 Abs. 1 SGB V enthält hierfür eine nicht abschließende Aufzählung der durch Richtlinien zu regelnden Bereiche. In dieser Aufzählung wird die Bedarfsplanung ausdrücklich erwähnt, sodass diese über Richtlinien des G-BA zu koordinieren ist. In § 92 Abs. 8 SGB V ist geregelt, dass die Richtlinien Bestandteil der Bundesmantelverträge sind und somit als deren normative Teile für die Kassenärztliche Bundesvereinigung und den Spitzenverband Bund der Krankenkassen verbindlich sind. Darüber hinaus sind die Bundesmantelverträge gemäß § 82 Abs. 1 S. 2 SGB V Bestandteil der Gesamtverträge, sodass die Vertragspartner der Gesamtverträge, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen sowie die Ersatzkassen, hieran ebenfalls gebunden sind. Die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen wiederum müssen Bestimmungen gemäß § 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V enthalten, wonach u. a. die Richtlinien des G-BA nach § 92 SGB V für die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Mitglieder verbindlich sind.

Die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der Bedarfsplanungs-Richtlinie für den Gemeinsamen Bundesausschuss ist in § 101 Abs. 1 SGB V geregelt. Mit § 101 Abs. 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 SGB V überträgt der Gesetzgeber die Konkretisierung des für die Anordnung von Zulassungsbeschränkungen maßgeblichen Rechts auf den G-BA, sodass dieser für den Erlass und die Anpassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie zuständig ist.

Normsetzungsbefugnis des G-BA im Bereich der Bedarfsplanung

Nach §§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9, 99 Abs. 1 SGB V hat der Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss, in nicht zu beanstandender Weise, die Befugnis zur Normkonkretisierung im Bereich der vertragsärztlichen Bedarfsplanung durch Erlass von Richtlinien übertragen (vgl. BSG, Urteil v. 7.10.2007 – B 6 KA 45/06 R). Über die Norm des § 104 Abs. 2 SGB V wird bestimmt, dass das Nähere über das Verfahren bei der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen bei Überversorgung „nach Maßgabe des § 101“ in der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) zu regeln ist. Hierin ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine abgestufte Form der Normsetzungsdelegation sowohl an den Verordnungsgeber der Ärzte-ZV als auch an den G-BA vorgenommen worden. Daraus ergibt sich, dass auch die Verfahrensweise im Zusammenhang mit der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen in den Richtlinien des G-BA näher ausgestaltet werden kann, soweit die Ärzte-ZV entsprechende Regelungen nicht selbst trifft (BSG, Urteil v. 17.10.2007 – B 6 KA 45/06 R; vgl. BSGE 94, 181). Zur Aufnahme von neuen Arztgruppen in die Bedarfsplanung ist der G-BA im Rahmen der Bedarfsplanungs-Richtlinie somit prinzipiell ermächtigt (vgl. auch § 4 Abs. 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie).


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Erfordernis einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage

Eine Zulassungssperre kann einem Zulassungsbegehren grundsätzlich nur dann entgegengehalten werden, wenn sie bereits bei Stellung des Antrags auf Zulassung angeordnet war (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV). Daher besteht nach Ansicht des G-BA ein Bedürfnis für die Normierung einer Entscheidungssperre, die so lange gilt, bis der zuständige Landesausschuss die Feststellungen über das Vorliegen von Überversorgung als Voraussetzung für die Anordnung von Zulassungsbeschränkungen getroffen hat. Die in §§ 101 und 104 SGB V festgesetzte Normsetzungsdelegation sowohl an den Verordnungsgeber der Ärzte-ZV als auch an den G-BA zeige, dass die Verfahrensweise im Zusammenhang mit der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses auch näher ausgestaltet werden dürfe (vgl. Tragende Gründe des G-BA zum Beschluss über eine Änderung der Bedarfsplanungs-Richtlinie: Aufnahme bisher unbeplanter Arztgruppen und Übergangsregelung, vom 06.09.2012).

In den tragenden Gründen seines Beschlusses beruft sich der G-BA zum Erlass einer Übergangsregelung und Anordnung einer Zulassungssperre auf das Urteil des BSG vom 17.10.2007 (B 6 KA 45/06 R), da nach seiner Auffassung der dort entschiedene Sachverhalt mit dem Vorliegenden vergleichbar sei. Dieser Rechtsauffassung kann jedoch aus folgenden Gründen nicht zugestimmt werden.

§ 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV enthält folgende Regelung:

„Wegen Zulassungsbeschränkungen kann ein Antrag nur dann abgelehnt werden, wenn diese bereits bei Antragstellung angeordnet waren“.

Das Bundessozialgericht führt zu dieser Norm in seinem Urteil vom 17.10.2007 (Az.: B 6 KA 45/06 R) Folgendes aus:

„Nach dieser Vorschrift kann ein Zulassungsantrag wegen Zulassungsbeschränkungen nur abgelehnt werden, wenn diese bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung angeordnet waren. Sie betrifft den Fall, dass aufgrund der Entwicklung der Arztzahlen für eine Arztgruppe Zulassungsbeschränkungen neu eingeführt werden, und regelt hierfür die Übergangsproblematik“.

Von dieser Vorschrift kann jedoch nach Ansicht des BSG in bestimmten Fallkonstellationen abgewichen werden:

„Allerdings kann für besondere Konstellationen zunächst ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Entscheidungssperre normiert werden, die so lange gilt, bis der zuständige Landesausschuss die gemäß § 103 Abs. 1 SGB V erforderlichen Feststellungen über das Vorliegen von Überversorgung als Voraussetzung für die Anordnung von Zulassungsbeschränkungen getroffen hat. Zulassungsanträge, die während eines solchen Zeitraums eingereicht werden, sind abzulehnen, falls nach Antragstellung eine Zulassungsbeschränkung angeordnet wird […]“

Eine rechtliche Grundlage für eine solche besondere Konstellation, die eine Entscheidungssperre rechtfertigen kann, stellt nach Ansicht des BSG die Regelung in Art. 33 § 3 Abs. 2 Satz 2 GSG vom 21.12.1992 für die Situation nach Einführung der verschärften Bedarfsplanung zum 1.1.1993 dar. Diese Regelung hatte einen Wortlaut, deren Wortlaut mit der durch den G-BA in § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie mit Wirkung zum 06.09.2012 eingeführten Regelung fast identisch war:

„(2) Der Zulassungsausschuss kann über Zulassungsanträge, die nach dem 31. Januar 1993 gestellt werden, erst dann entscheiden, wenn der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Feststellung nach § 103 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch getroffen hat. Anträge nach Satz 1 sind wegen Zulassungsbeschränkungen auch dann abzulehnen, wenn diese noch nicht bei Antragstellung angeordnet waren.“ (vgl. Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl. I S. 2266, 2331)

In seiner Entscheidung vom 02.10.1996 (Az.: 6 RKa 52/95) hat das BSG ausdrücklich festgestellt, dass die gesetzliche Übergangsbestimmung in Art. 33 § 3 Abs. 2 Satz 2 GSG damals Vorrang vor der Regelung in § 19 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV hatte:

„Etwas anderes gilt indes gemäß Art. 33 § 3 Abs. 2 Satz 2 GSG für diejenigen Zulassungsanträge, die in den ersten Monaten der Geltung des GSG im Jahre 1993, jedoch nach dem 31. Januar 1993 gestellt worden sind. Diese Anträge sind auch dann abzulehnen, wenn Zulassungsbeschränkungen zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht angeordnet waren, sondern erst im Laufe des Jahres 1993 verhängt worden sind. Art. 33 § 3 Abs. 2 Satz 2 GSG hat Bedeutung nur im Zusammenhang mit der ersten Überprüfung der Versorgungslage durch den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach dem Inkrafttreten des GSG (Peters / Hencke, Handbuch der Krankenversicherung – SGB V, § 95 RdNr. 61; Hauck / Haines, SGB V-Komm, § 103 RdNrn 7, 33; Hess, NZS 1994, S 97, 99). Die Vorschrift ist durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages in die Übergangsbestimmungen des GSG eingefügt worden (vgl. BT-Drucks 12/3930, S 148), um durch eine Abweichung von § 19 Abs. 1 Ärzte-ZV sicherzustellen, dass Zulassungssperren schon ab 1. Februar 1993 greifen und nicht abhängig davon sind, wann der Landesausschuss erstmalig die Feststellung trifft, dass eine Überversorgung vorliegt (vgl. BT-Drucks 12/3937, S 22).“

In dem betreffenden Rechtsstreit wurde der Zulassungsantrag des Klägers daher auch nur deshalb abgelehnt, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift hier erfüllt waren und der Zulassungsantrag des Klägers nach dem 31.01.1993 gestellt worden war.

Eine Art. 33 § 3 Abs. 2 Satz 2 GSG vergleichbare Übergangsbestimmung hat der Gesetzgeber jedoch in Art. 15 des GKV-VStG vom 22.12.2011 (BGBl. I., S. 2983, 3022) nicht vorgesehen. Anders als mit Inkrafttreten des GSG besteht daher vorliegend keine spezialgesetzliche Grundlage für die vom G-BA als „Entscheidungssperre“ bezeichnete temporäre Zulassungsbeschränkung ab dem vom 06.09.2012 für die gemäß § 48 Abs. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie ab dem 01.01.2013 in die Bedarfsplanung erstmalig einbezogenen Arztgruppen. Diese ist jedoch für Regelungen im Bereich der Bedarfsplanung nach der Rechtsprechung des BSG eindeutig erforderlich (BSG, Urt. v. 17.10.2007, Az.: B 6 KA 45/06 R):

„Die Vorschriften über die Bedarfsplanung und über Zulassungsbeschränkungen bei Überversorgung wirken auf die Berufsfreiheit der Bewerber um eine vertragsärztliche Zulassung ein. Eingriffe in dieses Recht sind gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung zulässig, die hinreichend deutlich die Entscheidung des Gesetzgebers über den Umfang und die Grenzen des Eingriffs erkennen lässt. Für die Vorschriften über Zulassungsbeschränkungen für Vertragsärzte, die als Berufsausübungsregelungen zu qualifizieren sind, denen keine einer Berufswahl nahe kommende Bedeutung zukommt, muss die Regelungstiefe im Gesetz selbst nicht besonders intensiv ausgeprägt sein (vgl. BSGE 94, 181 = SozR 4–2500 § 103 Nr. 2, jeweils RdNr. 21, mwN).“

In dem Urteil vom 17.10.2007 hat das BSG die gesetzlichen Vorgaben der §§ 101, 104 Abs. 2 SGB V jedoch prinzipiell als ausreichende gesetzliche Vorgaben in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht angesehen:

„Soweit § 104 Abs. 2 SGB V vorsieht, dass das Nähere über das Verfahren bei der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen „nach Maßgabe des § 101“ in der Zulassungsverordnung zu regeln ist, wird hierdurch eine abgestufte Form der Normsetzungsdelegation sowohl an den Verordnungsgeber der Ärzte-ZV als auch an den Gemeinsamen Bundesausschuss vorgenommen. Daraus ergibt sich, dass auch die Verfahrensweise im Zusammenhang mit der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses näher ausgestaltet werden kann, soweit die Ärzte-ZV entsprechende Regelungen nicht selbst trifft (vgl. BSGE 94, 181 = SozR 4–2500 § 103 Nr. 2, jeweils RdNr. 11).“

In dem durch Urteil vom 17.10.2007 entschiedenen Sachverhalt hat das BSG die in Berlin, von dem damaligen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, beschlossene temporäre Zulassungssperre vom 24.03.2003 zur Schaffung eines neu gebildeten einheitlichen Planungsbereichs „Berlin – Bundeshauptstadt“ als durch die gesetzlichen Grundlagen in den §§ 101, 104 Abs. 2 SGB V als gedeckt angesehen (BSG, Urt. v. 17.10.2007, Az.: B 6 KA 45/06 R):

„Die Übergangsregelung in Nr. 3 des Beschlusses des Bundesausschusses vom 24.3.2003 zur Änderung der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte enthält eine solche Ausgestaltung des Verfahrens zur Umsetzung von Zulassungsbeschränkungen für diejenigen Zulassungsanträge, die im zeitlichen Kontext mit einer Änderung von Grundlagen der Bedarfsplanung gestellt werden. Wie bereits ausgeführt, ordnet sie im Zusammenhang mit der Veränderung der maßgeblichen Planungsbereiche im Land Berlin ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens eine Entscheidungssperre an, solange der hierfür zuständige Landesausschuss die erforderlichen Feststellungen zum Versorgungsgrad im neuen Planungsbereich noch nicht getroffen hat, und bestimmt die Maßgeblichkeit der auf dieser Grundlage erlassenen Zulassungsbeschränkungen auch für Zulassungsanträge, die zwar nach Inkrafttreten der Änderung, aber noch vor Anordnung einer Zulassungsbeschränkung gestellt wurden. Die Regelung erfolgt in Umsetzung des gesetzlichen Auftrags an den Bundesausschuss, in Richtlinien die erforderlichen Vorschriften für eine funktionsfähige und deren Sinn und Zweck verwirklichende Bedarfsplanung zu schaffen.“

Allerdings hat das BSG im Rahmen dieser Entscheidung ausdrücklich darauf abgestellt, dass die Entscheidungssperre für den neu geschaffenen Planungsbereich „Berlin – Bundeshauptstadt“ gerade nicht unter die Regelung in § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV fallen würde, da diese Regelung den Fall betreffe, „dass aufgrund der Entwicklung der Arztzahlen für eine Arztgruppe Zulassungsbeschränkungen neu eingeführt werden“:

„Die hier zu beurteilenden besonderen Konstellationen aus Anlass von Rechtsänderungen, welche die Grundlagen der Bedarfsplanung beeinflussen, werden vom Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV von vornherein nicht erfasst. Dies zeigt sich bereits darin, dass weder Art. 33 § 3 Abs. 2 GSG noch § 95 Abs. 12 SGB V einen Hinweis darauf enthält, dass durch diese Vorschriften von § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV abgewichen wird. Die besonderen Fallgestaltungen, welche aus Anlass von Rechtsänderungen bei den Grundlagen der Bedarfsplanung entstehen, müssen deshalb vom jeweiligen Normgeber im Kontext mit diesen Änderungen einer spezifischen und dem Zweck der Bedarfsplanung entsprechenden Lösung zugeführt werden. Auf die pauschale, für andere Problemlagen normierte Regelung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV kann zur Bewältigung dieser Aufgabe nicht zurückgegriffen werden. Im Hinblick auf ihren anders gelagerten Anwendungsbereich führt die Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV mithin nicht dazu, dass dem Normgeber der Bedarfsplanungs-RL-Ärzte die Kompetenz fehlt, Regelungen für die Übergangsprobleme anlässlich von Rechtsänderungen in den Grundlagen der Bedarfsplanung zu treffen. Vielmehr greift insoweit der in § 104 Abs. 2 SGB V enthaltene Vorbehalt („nach Maßgabe des § 101“) zugunsten des Bundesausschusses ein. Aus demselben Grund widerspricht die vom Bundesausschuss getroffene Regelung auch nicht den Vorgaben des höherrangigen Verordnungsrechts.“

Die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen beschlossene temporäre Zulassungssperre vom 24.03.2003 zur Schaffung eines neu gebildeten einheitlichen Planungsbereichs „Berlin – Bundeshauptstadt“, betraf daher die Grundlagen der bereits in Berlin bestehenden Bedarfsplanung, die einer Änderung dahingehend zugeführt werden sollte, dass die bestehenden Planungsbereiche für die Stadt Berlin zu einem Planungsbereich zusammengefasst werden sollten.


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Vereinbarkeit mit § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV

Diese Fallkonstellation ist jedoch von der Entscheidung des G-BA vom 06.09.2012 zu unterscheiden. Mit der Schaffung des § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie führt der G-BA für die bisher nicht in die Bedarfsplanung einbezogenen Arztgruppen erstmalig Zulassungsbeschränkungen ab dem 01.01.2013 ein. Die dem Urteil des BSG vom 17.10.2007 zugrunde liegende besondere Konstellation aus Anlass von Rechtsänderungen, welche, auch in der Begründung des Urteils, von der Neueinführung von Zulassungsbeschränkungen für einzelne Arztgruppen zu unterscheiden ist, ist vorliegend nicht gegeben. Das BSG hat hier entschieden, dass in diesem besonderen Einzelfall die Regelung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV keine Anwendung findet, da dem G-BA nach § 104 Abs. 2 SGB V nicht die Kompetenz fehle, Übergangsregelungen anlässlich von Rechtsänderungen in den Grundlagen der Bedarfsplanung zu schaffen. Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um solche Rechtsänderungen, sondern um die erstmalige Einbeziehung der Arztgruppen, seit der Einführung der Bedarfsplanung durch das GSG im Jahre 1993.

Insbesondere werden vorliegend auch keine Planungsbereiche zusammengelegt, sodass eine durch die Zusammenlegung entstehende Rechtsänderung oder die Möglichkeit, den Vertragsarztsitz aus einem nicht zulassungsbeschränkten Gebiet in ein zuvor zulassungsbeschränktes Gebiet zu verlegen, nicht besteht. Die erstmalige Aufnahme der Arztgruppen über § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie ist eine Neueinführung der Bedarfsplanung mit zulassungsbeschränkendem bzw. zulassungsuntersagendem Charakter. Dies hat auch der G-BA erkannt, indem er § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie mit „Aufnahme bisher nicht beplanter Arztgruppen und Übergangsregelung“ überschreibt. Wird nun die Sachlage der unstreitigen Einführung neuer Regelungen der Zulassungsbeschränkung unter die Ausführungen des BSG hinsichtlich der Norm des § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV (Die Vorschrift betrifft den Fall, dass aufgrund der Entwicklung der Arztzahlen für eine Arztgruppe Zulassungsbeschränkungen neu eingeführt werden, und regelt hierfür die Übergangsproblematik) subsumiert, ist eindeutig der Wille des Gesetzgebers zu erkennen, den der Änderung der Bedarfsplanungs-Richtlinie zugrunde liegenden Sachverhalt über § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV zu regeln. Das BSG nimmt unzweideutig Bezug auf die Neueinführung von Zulassungsbeschränkungen und die durch § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV geregelte Übergangsproblematik. Insoweit hat das BSG den Sachverhalt, der dem Beschluss des G-BA zugrunde liegt, bereits im Urteil vom 17.10.2007 (B 6 KA 45/06 R) mitentschieden und klargestellt, dass dem G-BA für Fälle dieser Konstellation die Regelungsbefugnis fehlt, soweit der Gesetzgeber, wie im Rahmen des Art. 33 § 3 Abs. 2 GSG von 1993, keine spezialgesetzliche Ermächtigungsnorm zur Einführung von vorübergehenden Entscheidungssperren geschaffen hat.

Art. 33 § 3 Abs. 2 GSG und § 95 Abs. 12 SGB V ordnen zwar ebenfalls eine von § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV abweichende Regelung an, jedoch stehen sowohl das SGB V als auch das GSG von der Normenhierarchie über der Ärzte-ZV. Andererseits liegt ausweislich der Gesetzesmaterialen (BT-Drucks 13/8035, S. 22, zu § 95 Abs. 12) der Sinn der Regelung des § 95 Abs. 12 Satz 2 SGB V darin, die Geltung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV auszuschließen (vgl. BSG v. 05.11.2003 –B 6 KA 53/02 R). Eine dem Gesetzgeber vergleichbare Regelungskompetenz besitzt der G-BA jedoch nicht. Er kann lediglich normkonkretisierende Beschlüsse erlassen, die in Fällen der fehlenden Regelung in der Ärzte-ZV auch Übergangsvorschriften beinhalten können. Vorliegend widerspricht jedoch die Regelung in § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie der höherrangigen Rechtsnorm des § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV. Die vorliegende Situation betrifft die vom BSG in seinem Urteil vom 17.10.2007 (B 6 KA 45/06 R) entschiedene Fallkonstellation des vom Gesetzgeber gewollten Anwendungsbereichs des § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV Fall, die der G-BA fälschlicherweise verneint. Folglich verstößt § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie gegen § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV.

Die Qualifikation der Bedarfsplanungs-Richtlinie des G-BA als „bindendes Recht“ bedeutet darüber hinaus nicht, dass die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V den Rang eines Parlamentsgesetzes oder einer Rechtsverordnung nach Art. 80 Abs. 1 GG haben. Vielmehr handelt es sich um untergesetzliche Rechtsnormen, die unterhalb formeller und materieller Gesetze angesiedelt sind (BSGE 78, 75; BSGE 96, 261; BSG SozR 4–2500 § 92 Nr.5).

Die Ärzte-ZV, die gemäß § 98 Abs. 1 Satz 2 SGB V vom Bundesministerium für Gesundheit mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wird, ist demgegenüber als Rechtsverordnung gem. Art. 80 GG ein materielles Gesetz. Aufgrund der unmittelbaren Änderungen der Ärzte-ZV durch das GKV-VStG wurde sie, in den durch Gesetz geänderten Bereichen, in den Rang eines Parlamentsgesetzes erhoben. Ein Parlamentsgesetz, wie auch ein materielles Gesetz, stehen im Rang über den Richtlinien des G-BA und den Bundesmantel- und Gesamtverträgen. Somit verstößt die Regelung des § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie gegen höherrangiges Recht in Form des Anwendung findenden § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV.


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Vereinbarkeit mit den Vorgaben des SGB V

Wie bereits dargestellt, hat der G-BA generell die Berechtigung zum Erlass der Bedarfsplanungs-Richtlinie, in der auch festgelegt werden kann, welche Arztgruppen in die Bedarfsplanung einbezogen werden sollen. Von der gesetzlichen Ermächtigung ist daher eine Konkretisierung der Bedarfsplanung dahingehend gedeckt, dass für diejenigen Arztgruppen Verhältniszahlen festgelegt werden, bei denen gemäß § 101 Abs. 2 Nr. 2 SGB V in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie nach dem aktuellen Stand bundesweit eine Zahl von mehr als 1000 Vertragsärzten an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Die Feststellung, dass in den in § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie aufgeführten Arztgruppen bundesweit jeweils mehr als 1000 Ärzte tätig sind, wurde in den tragenden Gründen oder an anderer Stelle seitens des G-BA allerdings nicht dokumentiert.

Auch nach der Einfügung des § 48 Abs. 1 in die Bedarfsplanungs-Richtlinie ist jedoch die Regelung in § 4 Abs. 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie in dem bisherigen Umfang erhalten geblieben:

„(5) Für Arztgruppen, bei denen nach dem Stand vom 31. Dezember 1990 bundesweit eine Zahl von weniger als 1 000 Vertragsärzten an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen hat, werden Allgemeine Verhältniszahlen nicht bestimmt (§ 101 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss prüft in Abständen von zwei Jahren, welche weiteren Arztgruppen entsprechend ihrer zahlenmäßigen Entwicklung oder aufgrund der Änderung der fachlichen Ordnung (§ 101 Abs. 2 Nr. 1 SGB V) in die Planung einbezogen werden.“

Da der G-BA es in den tragenden Gründen zu seinem Beschluss mit der Feststellung bewenden lässt, dass „in den vergangenen 5 Jahren ein stetiger Wachstumstrend bei den bisher nicht beplanten Arztgruppen zu beobachten war“, ohne jedoch für jede einzelne Arztgruppe die nach § 4 Abs. 5 Satz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie erforderlichen Feststellungen zu treffen, stellt sich die Frage, nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten die Einbeziehung der in § 48 Abs. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie genannten Arztgruppen in die Bedarfsplanung erfolgt ist.

Sofern die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 5 Satz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie erfüllt wären, würde der G-BA gemäß § 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie arztgruppenspezifische Verhältniszahlen festlegen können. Dies hat er zu diesem Zeitpunkt ebenfalls unstreitig nicht getan. Aus den noch festzulegenden arztgruppenspezifischen Verhältniszahlen könnte der Landesausschuss gem. § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB V, bei Vorliegen der Voraussetzungen, eine Überversorgung feststellen, was dazu führt, dass der Planungsbereich geschlossen wird. Aufgrund der fehlenden arztguppenspezifischen Verhältniszahlen kann der Landesausschuss die Entscheidung nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB V jedoch derzeit nicht treffen.

Mit der Regelung des § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie hat der G-BA die Entscheidungsgewalt über die Umstände der Überversorgung temporär auf sich verlagert. Hierfür müsste ihm eine ausdrückliche gesetzliche Regelungsbefugnis zustehen. Wie bereits dargestellt, handelt es sich bei der Aufgabenzuweisung aus § 104 Abs. 2 SGB V um eine abgestufte Form der Normgesetzgebungsbefugnis, die auch Verfahrensweisen im Zusammenhang mit der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen umfasst. Vorliegend besteht jedoch, wie oben dargestellt, keine Rechtsgrundlage für den Beschluss des G-BA vom 06.09.2012 hinsichtlich des § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie, sodass die Aufgabenzuweisung aus § 104 Abs. 2 SGB V hier nicht den Umfang der Beschlussfassung rechtfertigt. Daher verstößt die Regelung des § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie gegen die gesetzliche Vorgabe in § 101 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach die Landesausschüsse zur Feststellung von Überversorgung berechtigt sind.


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Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG

Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) regelt, dass alle Deutschen das Recht haben, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 82, 209, 223), dass jeder Einzelne das Recht hat, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen und zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen. Neben der freien Berufswahl umfasst dieses Recht auch die Freiheit der Berufsausübung und den Übergang von der unselbstständigen in die selbstständige Tätigkeit. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die vertragsärztliche Tätigkeit für die meisten Ärzte fortwährend von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung ist.

Der Beschluss des G-BA vom 06.09.2012 über die Einbeziehung weiterer Arztgruppen in die Bedarfsplanung und die Entscheidungssperre sind nach der Rechtsprechung des BSG als sog. Berufsausübungsregelungen i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu qualifizieren (BSG, Urt. v. 17.10.2007, Az.: B 6 KA 45/06 R):

„Die Vorschriften über die Bedarfsplanung und über Zulassungsbeschränkungen bei Überversorgung wirken auf die Berufsfreiheit der Bewerber um eine vertragsärztliche Zulassung ein. Eingriffe in dieses Recht auf die Berufsfreiheit sind gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung zulässig, die hinreichend deutlich die Entscheidung des Gesetzgebers über Umfang und die Grenzen des Eingriffs erkennen lässt. Für Vorschriften über Zulassungsbeschränkungen für Vertragsärzte, die als Berufsausübungsregelungen zu qualifizieren sind, denen keine einer Berufswahl nahe kommende Bedeutung zukommt, muss die Regelungstiefe im Gesetz selbst nicht besonders intensiv ausgeprägt sein.“

Selbst wenn man die Eingriffsintensität der Regelungen zur Bedarfsplanung nur auf der geringeren Stufe der Berufsausübungsfreiheit annimmt, fehlt es vorliegend an der in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG vorgeschriebenen gesetzlichen Grundlage für den Beschluss des G-BA zum Erlass der Entscheidungssperre. Zwar kann nach dem Urteil des BSG eine Regelungsbefugnis des G-BA zum Erlass einer Entscheidungssperre bei einer Änderung der bedarfsplanungsrechtlichen Grundlagen bestehen, jedoch besteht diese keinesfalls für Sachverhalte, in denen eine klare Regelung durch die Ärzte-ZV erfolgt ist oder zu erfolgen hat.

Die Anerkennung der eigenständigen Regelungsbefugnis durch den G-BA als untergesetzlichen Normgeber findet insbesondere dort seine Grenzen, wo grundrechtsrelevante Positionen der Betroffenen im Sinne der „Wesentlichkeitstheorie“ berührt sind. Der staatliche Gesetzgeber muss alle wesentlichen und grundlegenden Entscheidungen selber treffen. Je wichtiger der Inhalt einer Normierung für das ganze staatliche Gemeinwesen ist, umso genauer muss sie bereits vom Gesetzgeber bestimmt werden (BVerfGE 33, 125, 160).

Vorliegend hat der Gesetzgeber § 19 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV als eine, das Grundrecht der Berufsfreiheit der niederlassungswilligen Ärzte beachtende, Regelung getroffen, von der der G-BA nicht abweichen kann. Nur der Gesetzgeber des SGB V oder der Verordnungsgeber der Ärzte-ZV könnten mittels entsprechender gesetzlicher Regelungen eine Abweichung von § 19 Abs. 2 Satz 1 Ärzte-ZV zulassen. Da dies nicht geschehen ist, fehlt dem G-BA die Kompetenz zur Beschlussfassung über die temporär wirkende Entscheidungssperre der ab dem 01.01.2013 in die Bedarfsplanung einbezogenen Fachgebiete. § 48 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie verstößt daher nicht nur gegen die gesetzlichen Vorgaben in § 19 Abs. 2 Satz 1 Ärzte-ZV, sondern beinhaltet auch einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzte aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, die sich ab dem 06.09.2012 niederlassen möchten.


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Fazit

Entgegen dieser Prämisse, hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), welches gemäß § 94 SGB V die Rechtsaufsicht über den G-BA führt, den Beschluss des G-BA über die Einfügung des § 48 in die Bedarfsplanungs-Richtlinie mit Schreiben vom 18.09.2012 nicht beanstandet. Die aufsichtsrechtlichen Befugnisse des BMG gemäß § 94 Abs. 1 SGB V sind auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Das Ministerium ist nicht berechtigt, die Richtlinienbeschlüsse des G-BA unabhängig von einem Rechtsverstoß allein aus – fachaufsichtsrechtlichen – Zweckmäßigkeitserwägungen heraus zu beanstanden (BSG, Urt. v. 06.05.2009, Az.: B 6 A 1/08 R). Die Rechtsaufsicht dient damit auch dem Grundsatz des „Vorrang des Gesetzes“. Nach den obigen Feststellungen hätte das BMG den Beschluss des G-BA jedoch gemäß § 94 Abs. 1 SGB V beanstanden müssen.

Zulassungswilligen Ärzten der betroffenen Arztgruppen ist zu raten, den Antrag auf Zulassung, bei Vorliegen aller weiteren Voraussetzungen, gegenüber den zuständigen Zulassungsausschüssen zu stellen und im Falle der Ablehnung gegen diesen Widerspruch einzulegen, da die fehlende Beanstandung des Beschlusses des G-BA durch das BMG keine präjudizielle Wirkung für ein gerichtliches Verfahren hat. Vielmehr sind die Entscheidungen des G-BA im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens, insbesondere im Hinblick auf einen etwaigen Verstoß gegen höherrangiges Recht, überprüfbar.

Ärzte, die zu den in § 48 Abs. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie genannten Arztgruppen gehören und denen es durch den Beschluss des G-BA ab dem 06.09.2012 bundesweit nicht möglich ist, sich vertragsärztlich niederzulassen, können im Rahmen einer Amtshaftungsklage aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG, wegen der verzögerten Zulassung, Schadensersatz in Höhe ihres voraussichtlich entgangenen Gewinns vor den Zivilgerichten geltend machen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 12.04.2006, Az.: III ZR 35/05; Urt. vom 10.02.2011, Az.: III ZR 37/10) besteht eine prinzipielle Haftung für Fehler der vertragsärztlichen Zulassungsgremien. Der BGH bekräftigt in den Entscheidungen, dass diejenigen Körperschaften, die Mitglieder in den Zulassungsausschuss entsenden (Kassenärztliche Vereinigung, Landesverband der Krankenkassen und Ersatzkassen), der Amtshaftung für die Fehler „ihrer“ Mitglieder unterliegen.

Für das Bestehen eines Amtshaftungsanspruchs ist nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlich, dass ein Verschulden des Zulassungsausschusses vorliegt. Soweit die Sozialgerichte zu dem Ergebnis gelangen, dass der Beschluss des G-BA vom 06.09.12 rechtswidrig war, wäre die Entscheidung des Zulassungsausschusses zwar nicht mit der Rechtslage vereinbar. Allerdings dürfte die Anwendung einer untergesetzlichen Norm durch den Zulassungsausschuss grds. nicht als fahrlässig anzusehen sein, da eine Behörde auch an untergesetzliche Bestimmungen, wie die Richtlinien des G-BA, gebunden ist und ihr kein eigenes Überprüfungsrecht zusteht. In diesem Fall ist der G-BA selbst Adressat des Amtshaftungsanspruchs des nicht zugelassenen Vertragsarztes, da auch der Erlass einer Rechtsnorm ein typisches Handlungsinstrument der Exekutive darstellt und somit als hoheitliches Handeln anzusehen ist. Die Amtspflichtverletzung des G-BA besteht in diesem Fall darin, dass er einen Beschluss zur Änderung der Bedarfsplanungs-Richtlinie gefasst hat, ohne dass hierfür eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage vorhanden war. Die Drittbezogenheit der Amtspflicht ergibt sich vorliegend daraus, dass durch den Beschluss zur Einfügung des § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie, trotz seines abstrakt-generellen Charakters als untergesetzliche Rechtsnorm, auch die Grundrechte der betreffenden Ärzte aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG berührt werden. Der Gesetzesvorbehalt, durch den vorliegend seitens des G-BA verstoßen worden ist, dient dazu, die Individualsphäre und damit die Grundrechte des Einzelnen in umfassender Hinsicht dem originären Zugriff der Exekutive zu entziehen.

Im Ergebnis wäre daher der G-BA, aufgrund eines sog. „legislativen Unrechts“, den betreffenden Vertragsärzten zum Ersatz des durch den Beschluss kausal entstandenen Schadens verpflichtet, der darin besteht, dass diese erst zu einem späteren Zeitpunkt oder, für den Fall, dass durch den Landesausschuss gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie ab dem 15.02.2013, in dem betreffenden Planungsbereich, Zulassungsbeschränkungen angeordnet werden sollten, u. U. gar nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden.

Dr. Peter Wigge
Fachanwalt für Medizinrecht

Jens Remmert, LL.M.
Rechtsanwalt

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