Rofo 2013; 185(1): 83-86
DOI: 10.1055/s-0032-1319152
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Informations- und Aufklärungspflichten nach dem Patientenrechtegesetz – Was ist insbesondere im Hinblick auf sozialrechtliche Leistungsgrenzen zukünftig zu beachten?

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Publication Date:
18 January 2013 (online)

 

Einführung

Ende November hat der Bundestag den teilweise umstrittenen Entwurf des „Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ (Patientenrechtegesetz) nach einer abschließenden Beratung durch den federführenden Gesundheitsausschuss beschlossen. Das Patientenrechtegesetz wird somit nunmehr zum 01.01.2013 in Kraft treten. Die Beschlussfassung sieht neben einzelnen, zur Klarstellung dienenden Ergänzungen keine wesentlichen Änderungen gegenüber dem Gesetzesentwurf vor. Insbesondere die Forderung aus den Reihen der Opposition nach einem Härtefall- oder Entschädigungsfonds für Opfer von Behandlungsfehler in Fällen, in denen Ärztefehler nicht gerichtsfest nachweisbar sind, wurde abgelehnt.

Ziel des Patientenrechtegesetzes ist es, die bislang in einer Vielzahl von Vorschriften unterschiedlicher Rechtsbereiche existierenden bzw. allein von der Rechtsprechung entwickelten Patientenrechte zusammenzutragen und an einer einheitlichen Gesetzesstelle im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zu verankern. Dadurch soll für den Patienten mehr Transparenz über die ihm im Fall eines Behandlungsfehlers zustehenden Ansprüche geschaffen werden. Die Neuregelungen in §§ 630a ff. BGB stellen somit eine Kodifizierung des bestehenden Rechtes dar, sodass sich dem Grunde nach nicht viel für die Ärzteschaft ändert. Dennoch wirft der Gesetzeswortlaut vermehrt unter den Ärzten Fragestellungen auf, die vor ihrer gesetzlichen Regelung dem Anschein nach in ihrer Tragweite so nicht bekannt waren. Der nachfolgende Beitrag befasst sich daher in Ergänzung zu dem erst kürzlich veröffentlichten Überblick über die wesentlichen Regelungen des Patientenrechtegesetzes (vgl. RöFo 2012, DRG-Mitteilungen S. 753 ff.) ausführlicher mit den in § 630c und § 630e BGB festgeschriebenen Informations- und Aufklärungspflichten. Darüber hinaus wird noch einmal näher auf die in § 630a Abs. 2 BGB geforderte Einhaltung des allgemein anerkannten fachlichen Standards und dem damit einhergehenden Konflikt zwischen Arzthaftungsrecht und sozialrechtlichem Leistungsrecht eingegangen.


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Informations- und Aufklärungspflichten

Die Unterscheidung zwischen Informationspflichten einerseits und Aufklärungspflichten andererseits vermag auf den ersten Blick zunächst aufgrund der sehr ähnlichen Begrifflichkeiten verwirren. Nach der Gesetzesbegründung betreffen die Informationspflichten in § 630c Abs. 2 BGB die Behandlung im weiten Sinne als Gegenstand des Behandlungsvertrags, während die in § 630e BGB normierten Aufklärungspflichten sich als Grundlage der erforderlichen Einwilligung auf die konkrete medizinische Maßnahme beziehen (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 21). § 630c Abs. 2 BGB entspricht demnach der von der Rechtsprechung entwickelten „Sicherungsaufklärung“ und § 630e BGB der sogenannten „Eingriffs- und Risikoaufklärung“. Die Unterschiede der Begrifflichkeiten sollen nachfolgend anhand der einzelnen Inhalte der Verpflichtungen aufgezeigt werden.

Informationspflichten nach § 630c Abs. 2 BGB

Nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ist der Patient zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf über sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu informieren. Exemplarisch nennt das Gesetz Informationen über die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen. Wie bereits erwähnt handelt es sich hierbei um eine sogenannte Sicherungsaufklärung, die durch Erteilung von Warn- und Verhaltensweisen den Behandlungserfolg sicherstellen soll (vgl. Wellner, in: Medizinrecht, §§ 823 ff. BGB Rn. 201). Der Umfang und die Intensität der erforderlichen therapeutischen Information und Beratung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Der Patient soll über alle Umstände informiert sein, die für sein eigenes therapiegerechtes Verhalten und zur Vermeidung einer möglichen Selbstgefährdung erforderlich sind (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 21). Im Gegensatz zu den Aufklärungspflichten nach § 630e BGB ist die Einhaltung der Informationspflichten nach § 630c Abs. 2 BGB keine Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung des Patienten in die konkrete Behandlung, sodass Versäumnisse diesbezüglich entsprechend der bisherigen Rechtsprechung „nur“ als Verletzung der Nebenpflichten einzustufen sind. Gerade im Hinblick auf die zu Diagnose und Therapie zu erteilenden Informationen mag es dogmatisch gesehen Abgrenzungsschwierigkeiten zu den Aufklärungspflichten nach § 630e BGB geben. In der praktischen Umsetzung ergeben sich jedoch keine wesentlichen Unterschiede zu den bereits nach der bisherigen, richterrechtlich entwickelten Rechtslage bestehenden Verpflichtungen.

Von besonderer Bedeutung ist die Regelung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB. Danach hat der Behandelnde auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren den Patienten über erkennbare Umstände zu informieren, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen. Diese Verpflichtung betrifft lediglich eine fachliche Einschätzung des Behandelnden (wahrheitsgemäße Tatsacheninformation) und ausdrücklich keine juristische Bewertung über das Vorliegen eines Sorgfaltspflichtverstoßes (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 17/11710, S. 38). Nach § 630c Abs. 2 S. 3 BGB dürfen diese Informationen bzgl. eines evtl. Behandlungsfehlers zu Beweiszwecken in einem gegen den Behandelnden geführten Straf- oder Bußgeldverfahren nur mit Zustimmung des Behandelnden verwendet werden. Der Anwendungsbereich dieses Verwendungsverbotes wurde durch die abschließende Beratung des federführenden Gesundheitsausschusses auch auf Informationen über solche Behandlungsfehler erweitert, die einem Angehörigen im Sinne des § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Informationspflichtigen unterlaufen sind (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 17/11710, S. 38).

Die Neuregelung in § 630c Abs. 3 BGB normiert die ebenfalls nach der bisherigen Rechtslage bereits bestehende sogenannte wirtschaftliche Aufklärungspflicht. Danach trifft den Behandelnden eine Hinweispflicht, wenn er positiv weiß oder ihm hinreichende Anhaltspunkte bekannt sind, dass die voraussichtlichen Behandlungskosten nicht durch einen Dritten vollständig übernommen werden. Dem Gesetzeswortlaut nach muss diese Informationspflicht gegenüber dem Patienten in Textform, also nach § 126b BGB, erfolgen. Die wirtschaftliche Aufklärungspflicht besteht insbesondere gegenüber gesetzlich versicherten Patienten, da der Behandelnde ihnen gegenüber ein überlegenes Wissen aus dem täglichen Umgang mit Abrechnungen und dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 22). Privatpatienten hingegen sollen den Inhalt und Umfang ihres Versicherungstarifs selbst besser kennen, sodass ihnen gegenüber die wirtschaftliche Informationspflicht nach § 630c Abs. 3 BGB überwiegend bei Individuellen Gesundheitsleistungen (IGel) besteht, die von der Krankenversicherung nicht bezahlt werden. Kommt der Behandelnde der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht nicht nach, kann der Patient dem Anspruch des Behandelnden auf Bezahlung der Behandlungskosten den Pflichtverstoß gegen § 630c Abs. 3 BGB entgegenhalten (vgl. Spickhoff, ZRP 2012, S. 65 ff.). Um dies zu vermeiden, sollte der Behandelnde in Zweifelsfällen darauf hinwirken, dass die Krankenkasse des Patienten mit dem Leistungsbegehren befasst wird, damit der Patient nicht durch nicht fristgerechte An-
frage einen möglichen Kostenerstattungsanspruch verwirkt (vgl. Gaßner / Strömer, MedR 2012, S. 159 ff.).

Nach § 630c Abs. 4 BGB kann von der Einhaltung der genannten Informationspflichten ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände abgesehen werden, insbesondere wenn die Behandlung unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Informationen ausdrücklich verzichtet hat. Hauptanwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung sind Notfallsituationen, in denen eine ordnungsgemäße Information des Patienten nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann. An die Wirksamkeit des Verzichts des Patienten sind strenge Anforderungen zu stellen. So muss der Patient den Verzicht klar und unmissverständlich, vorzugsweise schriftlich, geäußert haben (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 22).


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Aufklärungspflichten nach § 630e BGB

Auch die Aufklärungspflichten nach § 630e BGB entsprechen im Wesentlichen der bisherigen Rechtsprechung und betreffen die sogenannte Eingriffs- und Risikoaufklärung, die zwingende Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung des Patienten („informed consent“) in die Behandlung ist. Der Gesetzeswortlaut „insbesondere“ hebt den beispielhaften Charakter der genannten Aufklärungspflichten hervor und lässt die Möglichkeit einer Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung fortbestehen (vgl. Spickhoff, ZRP 2012, S. 65 ff.).

Grundsätzlich soll die Aufklärung Informationen über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten beinhalten. Darüber hinaus ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Es entspricht zwar der Therapiefreiheit des Arztes, die konkrete Methode zur Behandlung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Einhaltung des fachlichen Standards frei zu wählen. Andererseits gebietet es das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, diesem als Subjekt der Behandlung die Wahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Alternativen zu überlassen (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 24). So mag beispielsweise im Einzelfall im Rahmen einer radiologischen Behandlung eine Untersuchung sowohl mittels CT als auch mittels MRT medizinisch indiziert und üblich sein. Um von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen zu können, müsste der Patient jedoch in diesem Fall beispielsweise auf die höhere Strahlenbelastung im Fall einer Untersuchung mittels CT hingewiesen werden.

Hinsichtlich der formellen Anforderungen verlangt § 630e Abs. 2 BGB, dass die Aufklärung des Patienten grundsätzlich in verständlicher Art und Weise und insbesondere so rechtzeitig zu erfolgen hat, dass der Patient noch ernsthaft über die Behandlung entscheiden kann, d. h. sie auch ablehnen kann. Nach § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB hat die Aufklärung durch den Behandelnden selbst oder durch eine Person zu erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Aufklärung nur durch eine Person erfolgen darf, die aufgrund ihrer abgeschlossenen fachlichen Ausbildung die notwendige theoretische Befähigung zur Durchführung der vorgesehenen Maßnahme erworben hat, auch wenn sie noch nicht die praktische Erfahrung besitzt, die für eine eigenständige Durchführung der Maßnahme unverzichtbar wäre (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 17/11710, S. 39). Von der noch im Gesetzesentwurf vorgesehenen Aufklärung durch einen an der Durchführung des Eingriffs Beteiligten wurde aus Gründen einer insbesondere im Krankenhausalltag nicht möglichen praktischen Umsetzung wieder Abstand genommen. Im Hinblick auf die Aufklärung im Vorfeld zu radiologischen Maßnahmen bedeutet dies, dass es sich bei dem Aufklärenden um einen Arzt mit entsprechender Fachkunde im Sinne der RöV handeln muss. Weitere formelle Voraussetzung für eine wirksame Aufklärung ist die Durchführung eines mündlichen Gesprächs. Schriftliche Informationen dürfen nur ergänzend ausgehändigt werden. Dies gilt auch gegenüber Patienten, die aufgrund ihres Alters oder ihrer geistigen Verfassung nicht in der Lage sind, allein über die Behandlungsmaßnahmen zu entscheiden (vgl. Gemeinsame Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 29.11.2012). Die Regelung im Gesetzesentwurf, wonach bei geringfügigen Eingriffen eine Aufklärung in Textform hätte erfolgen können, wurde in der Beschlussfassung des Patientenrechtegesetzes ersatzlos gestrichen. Als Ausnahmeregelung, in denen auf eine Aufklärung verzichtet werden kann, gelten nach § 630e Abs. 3 BGB auch hier das Vorliegen einer Notfallsituation bzw. der ausdrückliche Verzicht des Patienten auf die Aufklärung.

Werden im Rahmen des Aufklärungsgesprächs bzw. der Einwilligung vom Patienten Unterlagen unterzeichnet, so sind ihm nach § 630e Abs. 2 S. 2 BGB davon Abschriften auszuhändigen. Nach dem Wortlaut gilt dies jedoch nur dann, wenn tatsächlich entsprechende Formulare verwendet werden. Wird die Aufklärung lediglich in der Behandlungsdokumentation notiert ohne Unterzeichnung eines weiteren Formulars, so ist eine Aushändigung der Dokumentation ohne Anforderung nicht geboten (vgl. Middendorf, ZMGR 5/2012, S. 324 ff.). In diesem Fall steht dem Patient der allgemeine Auskunftsanspruch aus § 630 g BGB zu.

Es ist darauf hinzuweisen, dass eine ohne Einwilligung des Patienten durchgeführte Behandlungsmaßnahme eine tatbestandliche Körperverletzung darstellt. Die Selbstbestimmungs- bzw. Risikoaufklärung des Patienten steht somit als haftungsträchtiges, obschon leicht zu vermeidendes Feld, in Haftungsprozessen im Vordergrund. Nach bisheriger, wie nach zukünftiger Rechtslage ist folglich auf eine sorgfältige Aufklärung und deren lückenlose Dokumentation zu achten.


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Dokumentationspflicht und Beweislastregelungen

Nach § 630 g Abs. 1 BGB hat der Patient künftig das Recht, auf Verlangen unverzüglich Einsicht in seine vollständige Krankenakte gewährt zu bekommen. Die Ablehnung des Einsichtsrechts ist nur ausnahmsweise mit einer entsprechenden Begründung zulässig. Bezüglich der Dokumentation der Behandlung ist darauf hinzuweisen, dass nach der Neuregelung in § 630f Abs. 1 S. 2 BGB Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig sind, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies gilt auch für die EDV-Dokumentation. Im Hinblick auf die Beweislasttragung im Fall eines Haftungsprozesses ist eine vollständige Dokumentation unabdingbar, da ansonsten Unvollständigkeiten gem. § 630h Abs. 3 BGB zu einer Beweislastumkehr führen mit der Vermutung, dass nicht dokumentierte Maßnahmen nicht getroffen worden sind.

Bezogen auf die Beweislast für die Einhaltung der zuvor dargestellten Informations- und Aufklärungspflichten ist zwischen den Pflichten nach § 630c BGB und denjenigen nach § 630e BGB zu differenzieren. Wie bereits oben ausgeführt handelt es sich bei den Informationspflichten im Sinne des § 630c BGB um sogenannte Nebenpflichten zum Behandlungsvertrag, für die die allgemeinen Beweislastregeln gelten. Demnach obliegt es dem Patienten, nachzuweisen, dass ein Verstoß gegen die Informationspflichten vorliegt. Die in § 630h BGB normierten Regelungen zur Beweislastumkehr finden bzgl. § 630c BGB keine Anwendung (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 22). Im Gegensatz dazu sieht § 630h Abs. 2 BGB für die Einhaltung der Aufklärungspflichten nach § 630e BGB eine Beweislastumkehr dahingehend vor, dass der Behandelnde im Streitfall den Nachweis zu erbringen hat, dass er die erforderliche Aufklärung entsprechend der gesetzlichen Anforderungen durchgeführt hat. Durch diese Regelung wurde die bereits im Deliktsrecht bestehende Beweislastverteilung nunmehr auch auf das neue vertragliche Regelungskonzept übertragen (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 28). Diese Abweichung von der allgemeinen Beweislastverteilung bei der vertraglichen Haftung wird damit begründet, dass dem Patienten der Beweis einer negativen Tatsache, nämlich der Beweis für eine nicht ordnungsgemäße Aufklärung, in der Regel nicht gelingen wird, für den Behandelnden es im Gegensatz jedoch ein leichtes sei, die Aufklärung zu dokumentieren und somit eine lückenlose Aufklärung des Sachverhaltes zu ermöglichen (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 29). Auch diese Beweislastregelung verdeutlicht die Notwendigkeit einer vollständigen Dokumentation durch den Behandelnden. Steht fest, dass die Aufklärung nicht nach den gesetzlichen Anforderungen erfolgte, so kann sich der Behandelnde im Streitfall gem. § 630h Abs. 2 S. 2 BGB darauf berufen, dass der Patient sich auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung in gleicher Weise für die Maßnahme entschieden hätte. In diesen Fällen fehlt es an einem Ursachenzusammenhang zwischen der fehlerhaften Aufklärung und dem eingetretenen Schaden, sodass der Behandelnde allein wegen Verstoßes gegen seine Aufklärungspflicht nicht zum Schadensersatz verpflichtet werden kann. Inwiefern der Behandelnde den Beweis einer hypothetischen Einwilligung führen kann, bleibt jedoch dem Einzelfall überlassen.


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Verhältnis zwischen fachlichem Standard im Sinne von § 630a Abs. 2 BGB und dem Leistungsrecht der GKV

Rechtsgrundlage für das Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patient bildet zukünftig die Neuregelung in § 630a BGB. Danach wird derjenige, welcher die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt (Behandelnder), zur Leistung der versprochenen Behandlung, der andere Teil (Patient) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Damit stellt das Vertragsverhältnis zunächst auf die Behandlung eines Privatpatienten ab, der dem Arzt im Regelfall unmittelbar die vertraglich vereinbarte Vergütung schuldet. Der Zusatz in § 630a Abs. 1 „soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist“ eröffnet den Anwendungsbereich der neuen Regelungen auch auf die Behandlung von gesetzlich krankenversicherten Patienten. Der besonderen Konstruktion der GKV ist es geschuldet, dass das Privatrecht an dieser Stelle vom Recht der GKV überlagert wird mit der Folge, dass sich der ansonsten synallagmatische Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient in ein partiell einseitiges Vertragsverhältnis umwandelt (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 19). Während der Vertragsarzt weiterhin die Behandlungsleistung schuldet, rechnet er nicht gegenüber dem Patienten, sondern gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ab, die ihrerseits die Vergütung im Rahmen der Gesamtvergütung von den Krankenkassen erhält.

Fraglich ist, ob darüber hinaus die Besonderheiten des GKV-Leistungsrechts weitere Auswirkungen auf den Inhalt des Behandlungsvertrages haben. So bestimmt § 630a Abs. 2 BGB, dass die Behandlung nach dem zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemeinen anerkannten fachlichen Standard zu erfolgen hat. Für Ärzte ist demnach im Regelfall auf denjenigen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrung abzustellen, der zur Erreichung des Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat. Leitlinien, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegeben werden, sind insoweit heranzuziehen. Für besondere Fachbereiche gilt darüber hinaus der jeweilige Facharztstandard, der für das jeweilige Fachgebiet im Zeitpunkt der Behandlung maßgeblich ist (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 19).

Der Kostendruck im öffentlichen Gesundheitswesen wirft die Frage auf, ob Ärzte auch gegenüber gesetzlich versicherten Patienten diesen allgemein anerkannten medizinischen Standard erfüllen können, oder ob nicht das System der GKV durch seine Leistungsgrenzen einen eigenen sozialrechtlichen Standard vorgibt. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Fragestellung nicht erst durch das Patientenrechtegesetz aufgekommen ist. Vielmehr hat sich bereits die bisherige Rechtsprechung im Rahmen des Arzthaftungsrechts mit dieser Problematik befasst.

Sozialrechtlicher Standard versus medizinischer Standard

Für jeden Arzt gilt, unabhängig ob im Rahmen einer medizinischen Behandlung eines Privatpatienten oder eines gesetzlich Versicherten, zwischen dem medizinisch Machbaren und dem wirtschaftlich Bezahlbaren immer eine angemessene Balance zu halten. Mit anderen Worten sollte bei gleichwertigen Behandlungsalternativen grundsätzlich die kostengünstigere gewählt werden (vgl. Laum, Deutsches Ärzteblatt 2012, A 2176). § 12 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bestimmt für den Bereich der GKV, dass die Leistungen des Vertragsarztes ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig sein müssen. Zur Konkretisierung dieses Wirtschaftlichkeitsgebots wurden beispielsweise für die Verordnung von Arzneimitteln eine sogenannte Negativliste bzw. hinsichtlich der Leistungserbringung in der ambulanten Versorgung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein positiver Leistungskatalog erstellt, die der Arzt im Rahmen seiner vertragsärztlichen Tätigkeit zwingend zu beachten hat. Festzuhalten ist aber auch, dass der medizinische Standard abhängig ist von der medizinischen Entwicklung. Es handelt sich somit nicht um eine feste Größe, sondern der medizinische Standard ist ständig im Fluss (vgl. Laum, Deutsches Ärzteblatt 2012, A 2176). Dadurch hinkt jedoch der sozialrechtlich anerkannte medizinische Standard in Bezug auf neue Behandlungsmethoden zwangsläufig dem allgemein anerkannten Standard immer hinterher, da das untergesetzliche Prüfverfahren des G-BA bzgl. neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gem. § 135 Abs. 1 SGB V eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt (vgl. Gaßner / Strömer, MedR 2012, S. 159 ff.).


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Lösungsansätze durch Patientenrechtegesetz

Haftungsrechtlich wurde diese bestehende Disharmonie zwischen sozialrechtlichem und medizinischem Standard nach der bisher herrschenden Rechtsmeinung dadurch gelöst, dass der Vertragsarzt verpflichtet wurde, den Patienten nicht nur über sämtliche nach dem medizinischen Standard in Betracht kommenden Behandlungsmethoden aufzuklären, sondern auch darüber, dass nach den sozialrechtlichen Regelungen nicht für alle diese Methoden die Kosten von der GKV übernommen werden (vgl. Gaßner / Strömer, MedR 2012, S. 159 ff.).

Diese Aufklärungspflichten wurden nunmehr, wie bereits oben näher ausgeführt, durch das Patientenrechtegesetz in § 630c Abs. 3 BGB bzw. § 630e BGB gesetzlich normiert. Im Ergebnis bleibt es demnach auch nach den Neuregelungen durch das Patientenrechtegesetz bei einer Einschränkung des allgemein anerkannten fachlichen Standards durch die Besonderheiten des GKV-Systems mit der Konsequenz, dass der behandelnde Vertragsarzt auch zukünftig seine Vertragspflichten nach § 630 a Abs. 2 BGB nicht verletzt, sofern er den Patienten im Rahmen seiner Informations- und Aufklärungspflichten nach § 630c Abs. 3 BGB bzw. § 630e Abs. 1 BGB bzgl. des einzuhaltenden medizinischen Standards über die bestehenden sozialrechtlichen Leistungsgrenzen aufklärt.

An dieser Stelle sei ergänzend auf eine weitere Besonderheit des GKV-Leistungsrechts hingewiesen, nämlich diejenige, dass das zuvor beschriebene Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V nur für die ambulante Versorgung gilt. Im Bereich der stationären Versorgung greift nach § 137c SGB V der umgekehrte Grundsatz der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt mit der Folge, dass zunächst jede Behandlungsmethode zulasten der GKV durchgeführt werden darf, so lange sie nicht in der Negativliste der ausgeschlossenen Leistungen aufgeführt wird. Auch in diesem Fall wäre der Krankenhausarzt im Einzelfall zu einer entsprechenden Aufklärung im Hinblick auf seine Pflicht zur Einhaltung des allgemein anerkannten fachlichen Standards verpflichtet.

Schließlich ist zur Lösung des Konflikts zwischen dem sozialrechtlich und dem allgemein anerkannten medizinischen Standard auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Off-Label-Use sowie auf den sogenannten „Nikolaus-
Beschluss“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu verweisen, wonach bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einer notstandsähnlichen Situation einem gesetzlich Krankenversicherten auf Kosten der GKV auch dann die Leistung einer alternativen Behandlungsmethode zu gewähren ist, selbst wenn diese an sich vom Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urt. v. 28.02.2008 – Az.: B 1 KR 15/07 bzw. BVerfG Beschluss vom 06.12.2005 – Az.: 1 BvR 347/98). Diese Rechtsprechung wird auch weiterhin Anwendung finden.


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Fazit und Ausblick

Das Patientenrechtegesetz stellt überwiegend eine Kodifizierung des Status quo der bisherigen Rechtsprechung dar und trägt zur Systematisierung und zur Verbesserung der Transparenz im ärztlichen Behandlungsrecht bei. Nichtsdestotrotz bleiben bestehende Fragestellungen weiterhin offen bzw. lassen auch die Neuregelungen im BGB mit teilweise nicht eindeutigen Begrifflichkeiten verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zu, sodass auch zukünftig damit zu rechnen ist, dass die Rechtsprechung die Ausgestaltung der Patientenrechte durch Einzelfallentscheidungen fortentwickeln und konkretisieren wird.

Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Patienten in der Praxis nach Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes von ihren gesetzlichen Patientenrechten vermehrt Gebrauch machen werden und ob die Anzahl der arzthaftungsrechtlichen Prozesse in Zukunft zunehmen wird. Fest steht, dass durch die nunmehr erfolgte ausdrückliche Normierung der Informations- und Aufklärungspflichten die verschiedenen Rollenanforderungen an den Behandelnden gesetzlich festgeschrieben wurden. Jeder Arzt sollte nicht nur zuletzt zu seinem eigenen Schutz auf eine umfassende Aufklärung und deren Dokumentation zwingend achten. Durch die Verpflichtung zur wirtschaftlichen Aufklärung wird er sich auch vermehrt Diskussionen mit gesetzlich versicherten Patienten über die Leistungsinhalte der GKV bzw. privatärztlicher Ergänzungsleistungen stellen müssen, was für das Arzt-Patienten-Verhältnis konfliktträchtig sein kann.

Dr. Ulrike Tonner
Rechtsanwältin

Rechtsanwälte Wigge
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