Diabetes aktuell 2012; 10(04): 150-153
DOI: 10.1055/s-0032-1320114
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

DDG-Jahrestagung 2012 – M wie Motivieren; I wie Integrieren und T wie Therapieren

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Publication Date:
02 July 2012 (online)

 
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"MITmachen" war das Jahresmotto des diesjährigen Kongresses der Deutschen Diabetesgesellschaft, der vom 16.–19. Mai 2012 in Stuttgart stattgefunden hat: M wie Motivieren; I wie Integrieren und T wie Therapieren mit dem Ziel eines ganzheitlichen Überblickes über den aktuellen Wissensstand in der Diabetologie. Für "Diabetes aktuell" fassen Dr. Winfried Keuthage und Anne Hauerstein einige wichtige Ergebnisse zusammen.

Zulassung für SGLT-2-Hemmer Dapagliflozin (Forxiga®) erwartet

Im Fokus des Satelliten-Symposiums "Innovative & optimierte Behandlungskonzepte des Typ-2-Diabetes" stand der Wirkstoff Dapagliflozin. Wie C. Bailey, Birmingham, berichtete, werde die Zulassung in der Europäischen Union für Dapagliflozin, den ersten Hemmer des Natrium-Glukose-Kotransporters-2 (SGLT-2) noch im Juni erwartet. Vermutlich werde Dapagliflozin in der Monotherapie sowie als add-on zu Metformin, Sulfonylharnstoff oder Insulin zugelassen. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes tragen eine vermehrte renale Glukoneogenese und eine gesteigerte tubuläre Rückresorption mittels erhöhter SGLT-2-Expression erheblich zur Hyperglykämie bei, so Bailey. Die Hemmung von SGLT-2 mittels Dapagliflozin sei daher ein vielversprechender Therapieansatz, um insulinunabhängig die Blutglukosewerte zu senken.

In einer Posterpräsentation haben K. Rohwedder, Wedel, und Kollegen Daten zweier klinischer Studien vorgestellt, in denen Dapagliflozin eine nur geringe Neigung zu Hypoglykämien zeigte. Glipizid in Kombination mit Metformin führte innerhalb von 2 Jahren zu einer mehr als zehnfach höheren Anzahl an Patienten mit Hypoglykämien (45,8 %) im Vergleich zur Behandlung mit Dapagliflozin plus Metformin (4,2 %). In einer Studie über 48 Wochen, in der Dapagliflozin zusätzlich zu Glimepirid gegeben wurde, gab es mehr Patienten mit mindestens einer Hypoglykämie unter Dapagliflozin verglichen mit Placebo (9,7 bis 11,3 % versus 6,8 %). Bei Insulintherapie hatten 53,6 bis 60,4 % der Patienten mit Dapagliflozin-Kombination eine Hypoglykämie verglichen zu 51,8 % im Placebo-Arm. Dieser Effekt trete typischerweise in Studien auf, wenn Wirkstoffe mit geringer Hypoglykämieneigung zu einem Sulfonylharnstoff oder zu Insulin hinzu gegeben werde, so die Autoren [Abstr P-62].

M. Nauck, Bad Lauterberg, et al. konnten in ihrer Posterpräsentation zeigen, dass nach Post-hoc-Analyse die Zahl der Studienteilnehmer, die nach einem Jahr den kombinierten Endpunkt aus HbA1c-Reduktion von mindestens 0,5 %, Gewichtsreduktion von mindestens 3 % und Abwesenheit hypoglykämischer Ereignisse erreicht hatten, unter der Kombination Dapagliflozin/Metformin mit 32,3 % (129/400) signifikant höher war als unter der Kombination Glipizid/Metformin 2,2 % (9/401) [Abstr P-61].


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Zulassung für die Kombination Byetta®/Basalinsulin

Im Symposium "Das Dilemma zwischen Insulinresistenz, Gewichtszunahme und Insulinbedürftigkeit" berichtete J. Meyer, Bochum, von der Möglichkeit, GLP-1-basierte Therapien mit Insulin zu kombinieren. Die seit März in Deutschland einsetzbare Kombination aus Exenatid zweimal täglich (Byetta®) mit den Basalinsulinen Insulin glargin (Lantus®), Insulin detemir (Levemir®) und NPH-Insulin biete neue, interessante Therapieoptionen. Insbesondere die kürzlich publizierte Studie von J. Buse in Annals of Internal Medicine habe deutlich gemacht, dass bei Patienten mit Glargin-Therapie und unbefriedigender Stoffwechsellage sich durch die zusätzliche Gabe von Exenatid zweimal täglich die Blutglukose deutlich senken lasse, ohne dass es zu einem Anstieg von Körpergewicht oder Hypoglykämierisiko komme, so Meyer.


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EndoBarrier schaltet Duodenumpassage aus

M. Hauber und Kollegen, Bad Oeynhausen, stellten in ihrer Posterpräsentation das EndoBarrier-System vor, ein neues endoskopisches Verfahren zur Behandlung von Typ-2-Diabetes und Adipositas. In einer Beobachtungsstudie mit 7 Typ-2-Diabetikern sank binnen 4 Wochen nach Implantation des EndoBarriers das Körpergewicht signifikant. Auch die Diabetesmedikation konnte bei gleichbleibender Stoffwechsellage innerhalb dieses Zeitraums reduziert werden. Veränderungen des HbA1c-Werts wurden nicht festgestellt [Abstr P-146].

Beim EndoBarrier-System wird ein 60 cm langer Schlauch aus Polymer-Kunststoff endoskopisch ins Duodenum eingebracht. Das Verfahren behindert den Kontakt des Speisebreis mit der Duodenalschleimhaut. Die Folge ist eine veränderte Sekretion der Darmhormone Peptid YY (PYY) und Glucagon-like-Peptid 1 (GLP-1). Das System wurde bisher nur für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt und erzielt ähnliche Effekte wie die operative Ausschaltung des Duodenums durch bariatrische Eingriffe, ist jedoch weniger invasiv sowie vollständig reversibel.


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Messgenauigkeit nach geplanter ISO-Norm 15197

In einer Posterpräsentation von C. Lemke und Kollegen wurde eine Vergleichsstudie zur Messgenauigkeit der Blutzuckermesssysteme CONTOUR XT®, Accu-Chek® Aviva, OneTouch Verio® vorgestellt. Alle Ergebnisse der Blutzuckermesssysteme wurden mit den Ergebnissen des Referenzanalysegerätes aus der jeweils gleichen Blutprobe verglichen. Die Genauigkeitsbewertung basierte bereits auf den geplanten strengeren Kriterien der ISO-Norm 15197 mit Angabe des prozentualen Anteils der Ergebnisse innerhalb ± 15 mg/dl der Kontrollergebnisse für Proben mit Glukosekonzentrationen < 100 mg/dl und ± 15 % für Proben mit Glukosekonzentrationen ≥ 100 mg/dl. Die höchste Messgenauigkeit hatte demnach das CONTOUR XT®-System, bei welchem 100 % der Messergebnisse im Zielbereich lagen, gefolgt von 98,2 % bei Accu-Chek® Aviva und 96,4 % bei OneTouch Verio® [Abstr P-67].


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Insulinpumpe mit kontinuierlichem Glukosemonitoring

In Stuttgart wurde erstmals einer breiten Öffentlichkeit die Insulinpumpe Animas® Vibe™ vorgestellt, bei welcher die Insulinpumpe zugleich als Empfangsgerät für die DexCom G4™ CGM-Technologie dient (CGM = "continous glucose monitoring"). Im Unterschied zu den gegenwärtig verfügbaren Pumpensystemen mit CGM-Technologie werden die Glukosetrenddiagramme auf dem Display des Insulinpumpensystems farbig dargestellt. Das System ist zudem wasserdicht. Die Verfügbarkeit dieses neuen CGM-Systems sei ein bedeutender Meilenstein für Menschen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland, so L. Heinemann aus Düsseldorf.


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Neue Daten zum Closed-Loop-System

S. Pleus und Kollegen, Ulm, präsentierten eine Studie zum Closed-Loop-System, bei welchem jeweils eine Nacht lang die Insulinpumpe entsprechend des aktuellen Glukosewertes vollautomatisch Insulin abgab. Die Zahl der im festgelegten Zielbereich liegenden Glukosemesswerte konnte im Vergleich zu einer Kontrollnacht signifikant von 52,9 % auf 72,2 % gesteigert werden. Die Zahl der Hypoglykämie-Interventionen sank von 14 in der Kontrollnacht auf eine in der Interventionsnacht [Abstr FV-34].

Ähnliches berichteten T. Biester et al., Hannover, die die internationale Dream2-Studie vorstellten. Auch hier wurde im Cross-over-Design bei Typ-1-Diabetikern eine Nacht lang eine Insulinpumpentherapie und eine Nacht lang eine Closed-Loop-Therapie dokumentiert. Es zeigte sich unter der Closed-Loop-Therapie eine deutlich gebesserte Stoffwechsellage mit weniger schwankenden Blutzuckerverläufen im Vergleich zur Standardtherapie [Abstr FV-33].


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mylife™ DailyDose™ – Die kleine Insulinspritze

Anlässlich der DDG-Jahrestagung präsentierte die Firma Ypsomed GmbH die mylife™ DailyDose™-Spritzen, ein neues System zur Insulininjektion. Die DailyDose™-Spritzen gibt es in 2 Größen und sie können mit bis zu 10 IE bzw. mit bis zu 30 IE gefüllt werden. Der Patient zieht aus einer herkömmlichen Ampulle bzw. Durchstechflasche die gewünschte Insulinmenge direkt in die DailyDose™-Spritze auf.

Klein und diskret kann die DailyDose™-Spritze mit der vorgefüllten Insulindosis und inklusive Nadel leicht mitgeführt und verwendet werden. Zusätzlich steht eine scheckkartengroße Transporthülle zur Verfügung, in der bis zu 3 Spritzen aufbewahrt werden können. Das System bietet unter anderem für Kinder Vorteile, da das Risiko einer versehentlichen Überdosierung vermindert werden kann.


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Screening auf Zöliakie bei Typ-1-Diabetes – aber wie?

O. Kordonouri, Hannover, berichtete im Rahmen des Symposiums "Zöliakie bei Patienten mit Diabetes – müssen wir bei Diagnostik und Therapie umdenken?" von der hohen Dunkelziffer bei der Diagnose Zöliakie, da nur ein kleiner Teil der Betroffenen typische Symptome aufweise. Unentdeckt und unbehandelt könnten sich Malabsorptionssyndrome sowie langfristige Folgen wie Depressionen, Zyklusstörungen und Non-Hodgkin-Lymphome entwickeln. Die Inzidenz einer Zöliakie bei Typ-1-Diabetes sei um das 5- bis 10-fache erhöht, sodass hier ein regelmäßiges Screening sinnvoll sei. Nach Ausschluss eines IgA-Mangels könne dies insbesondere durch die Bestimmung der IgA-anti-TG2-Antikörper erfolgen, so Kardonouri. Seien diese positiv, sichere eine Dünndarmbiopsie die Diagnose.

Kordonouri stellte auch die kürzlich veröffentlichten, evidenzbasierten Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung vor. Hierin wurden die Anforderungen zur Diagnostik neu definiert, je nachdem ob zöliakietypische Symptome vorliegen oder nicht. Bei asymptomatischen Kindern mit Typ-1-Diabetes genüge zunächst eine HLA-DQ2/DQ8-Typisierung. Bei negativer HLA-DQ2/DQ8-Typisierung sei eine Zöliakie unwahrscheinlich und eine weitere Diagnostik somit nicht erforderlich, so die Leitlinien. Offen sei allerdings, wie sich die neuen Leitlinien in der Praxis bewähren, so Kordonouri.


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Verursacht Feinstaub Typ-2-Diabetes?

Das Symposium "Diabetes mellitus und Umweltfaktoren" beschäftigte sich mit der Frage, inwiefern Pestizide, Feinstaub und Passivrauchen Typ-2-Diabetes auslösen können. M. Roden, Düsseldorf, stellte Studien mit Tiermodellen vor, in denen ein Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und vermehrter Insulinresistenz sowie Entzündungsreaktionen im Bauchfett nachweisbar waren.

Eine im Ruhrgebiet durchgeführte prospektive Kohortenstudie aus dem Jahr 2010 habe unabhängig von Adipositas, Rauchen und niedriger Bildung – weltweit erstmalig – einen direkten Zusammenhang von Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Konzentrationen am Wohnort und der Zahl an Diabetes-Erkrankungen gefunden, so Roden. Auch die amerikanische Nurses Health Study (NHS) weise einen ähnlichen Zusammenhang nach. Demnach sei das Diabetesrisiko für Frauen, deren Wohnort nahe an einer dicht befahrenen Straße lag, um 20 % erhöht, so Roden.


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Insulinwirkung im Gehirn

H.-U. Häring, Tübingen, und H. de Angelis, München, berichteten im Symposium "Insulin, Adipokine und Gehirn" vom Einfluss des Insulins auf das Gehirn. In den entsprechenden Hirnarealen reguliere das Hormon Energiestoffwechsel, Essverhalten und Lebensstil. Insulin bewirke nicht nur die Aufnahme von Glukose in die Körperzellen. Es sei auch dazu da, dem Körper nach dem Essen das Signal ‚satt‘ zuzusenden und so die Kalorienzufuhr zu beenden, so Häring in der begleitenden Pressekonferenz. Durch genetische Faktoren, einen hohen Blutspiegel an gesättigten Fettsäuren oder andere Einflüsse könne eine Insulinresistenz des Gehirns entstehen. In der Folge dieser Resistenz komme es zu einer gestörten nahrungsabhängigen Rückkoppelung mit dem Gehirn, die eine zu hohe Energiezufuhr verbunden mit geringerer Lust auf Bewegung bewirke, so Häring.


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Fetale Programmierung

Der Vortrag von C. Eberle, München, im Symposium "Fetale Programmierung" beleuchtete den Zusammenhang von pränataler Programmierung und der späteren Entwicklung eines Typ-2-Diabetes. In utero bewirkten Einflussfaktoren wie maternale Risiko- und Lebensstilfaktoren (z. B. mütterliches Übergewicht), Gestationsdiabetes, ein hohes oder niedriges kindliches Geburtsgewicht morphologische Veränderungen beim Embryo. Diese könnten Pankreas, Leber, Muskulatur, Fettgewebe und Niere betreffen und pathophysiologische Auswirkungen nach sich ziehen, welche das Entstehen eines Metabolischen Syndroms begünstigten, so Eberle.

Dr. med. Winfried Keuthage, Münster
Anne Hauerstein, Münster


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