Pneumologie 2012; 66(07): 397-398
DOI: 10.1055/s-0032-1322455
Pneumo-Fokus
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hot Topic – Der entzündliche Phänotyp der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD)

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Publication Date:
10 July 2012 (online)

 
 

Hintergrund: ECLIPSE (Evaluation of COPD Longitudinally to Identify Predictive Surrogate Endpoints) ist eine longitudinale nicht interventionelle Studie mit verschiedenen Endpunkten, die in 12 Ländern durchgeführt wurde. In dieser Publikation wurden die 6 Biomarker Leukozytenzahl, hoch sensitives C-kreatives Protein (CRP), Fibrinogen, die Interleukine IL6 und IL8 sowie der Tumornekrosefaktor alpha (TNFα) aus dem peripheren Blut von 1755 COPD-Patienten, 297 Rauchern mit normaler Spirometrie und 202 Nichtrauchern (Kontrollpersonen) über 3 Jahre hinweg ausgewertet.

Ergebnisse: 5 der 6 Biomarker zeigten, ganz wie erwartet, im Mittelwert ein Gefälle: am höchsten bei den COPD-Patienten, am niedrigsten bei der gesunden Kontrollgruppe. Die Raucher mit normaler Spirometrie nehmen eine mittlere Position ein. Nur die Verteilung bei den TNF-α-Spiegeln war davon abweichend und bei den Rauchern mit normaler Spirometrie am höchsten. In der weiteren Analyse wurde ein für die COPD typisches Biomarker- Muster gefunden, das betroffene Patienten sowohl von gesunden Kontrollen als auch von Rauchern ohne COPD unterscheidet. Leukozyten, Fibrinogen und IL6 waren bei COPD im Mittelwert am stärksten erhöht. Im Gegensatz hierzu wiesen die Raucher ohne COPD neben Leukozyten eine IL8- und TNFα-Erhöhung auf. Bei den Kontrollen waren alle Biomarker im Mittelwert niedrig.

In einem nächsten Schritt wurde die Frequenzverteilung jedes einzelnen Biomarkers in den 3 Gruppen analysiert. Einzelne Biomarker waren bei max. 5 % der Kontrollpatienten erhöht. Im Vergleich waren die Leukozyten bei 31 %, IL6 bei 30 % und Fibrinogen bei 24 % der COPD-Patienten erhöht. Es stellte sich heraus, dass bei COPD ein inflammatorisches Netzwerk besteht: Ein großer Teil der COPD-Patienten (11 –15 %) zeigte eine Erhöhung aller 3 genannten Biomarker. Auch die eher COPD-untypischen Entzündungsmarker waren mit einer Häufigkeit von 5 –10 % oft in dieses Netzwerk eingebunden. Im Vergleich: Bei den 4–5 % der Nichtraucher, die überhaupt einen erhöhten Biomarker aufwiesen, kam es selten oder gar nicht vor, dass mehrere Biomarker gleichzeitig erhöht waren.

Unterscheidung der Phänotypen

Die Stabilität dieser Biomarker-Konstellation wurde untersucht. Hier zeigte sich, dass bei 70 % aller COPD-Patienten, die bei der Erstuntersuchung keinen erhöhten Biomarker hatten, diese Konstellation auch nach einem Jahr unverändert blieb. Und auch bei Patienten mit mindestens 2 Biomarkern mit stark erhöhten Werten (56 %), fand sich nach einem Jahr diese Konstellation. Mit anderen Worten: Das Inflammom blieb bei diesen Patienten stabil. 16% aller COPD -Patienten aus der ursprünglichen Kohorte hatten demnach konstant sowohl beim Einschluss, als auch nach einem Jahr mindestens 2 hochpositive Biomarker (der entzündliche Phänotyp), während bei 30 % der COPDPatienten die Biomarker konstant negativ waren (der nicht entzündliche Phänotyp). Die Hälfte der Kohorte wies ein wechselndes Muster auf.

Die beiden Phänotypen unterscheiden sich in der 3-Jahres-Mortalität erheblich: Beim entzündlichen lag der Wert bei 13 %, beim nicht entzündlichen Phänotyp bei 2 % (p < 0,001). Auch die Häufigkeit der Exazerbationen war deutlich höher: 1,5 vs. 0,9 pro Jahr. Im Vergleich fiel die Lebensqualität ebenfalls schlechter aus: gemessen mit dem Saint George’s Respiratory Questionnaire (SGRQ) 42,3 vs 56,8 total Score. Dieser Unterschied ist 3-mal so groß wie die minimale klinisch relevante Differenz (MCID) oder die durch eine Pharmakotherapie erreichbare Besserung.

Von Interesse sind aber auch die Werte, die gleich blieben: Die klassischen COPDCharakteristika wie u. a. der FEV1-Verlust und der Emphysem-Score in der hoch auflösenden Computertomografie (HR-CT). Der FEV1-Wert war beim entzündlichem Phänotyp nur geringfügig, dafür aber statistisch signifikant schlechter.


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Kommentar

Vor mehr als 20 Jahren wurde die entzündliche Natur des Asthma bronchiale etabliert, das bis dahin als reiner Bronchospasmus angesehen und behandelt wurde. Der Paradigmenwechsel konnte in wenigen Jahren implementiert werden. Unter antientzündlicher Therapie mit inhalativen Kortikosteroiden konnte die Symptomatik [2] und die Mortalität [3] drastisch gesenkt werden. Auf die COPD trifft dies nicht zu, obwohl wir für die Behandlung die – von Ausnahmen abgesehen – gleichen (Asthma-) Medikamente mit differenzierter Gewichtung verwenden.

Seit Jahren wird auch die COPD als eine entzündliche Erkrankung [4] oder gar als eine systemische Entzündung mit verschiedenen Organmanifestationen angesehen. Die COPD wäre demnach die pulmonale Manifestation dieser systemischen Entzündung [5]. Die Effektivität der vorhandenen antientzündlichen COPDMedikamente (Kortikosteroide und Phosphodiesterase-4-Hemmer) ist nicht über alle Zweifel erhaben [6–7]. Sie ist in einer nicht phänotypisch differenzierten allgemeinen COPD-Population gar nicht nachweisbar [8].

Die meisten Patienten mit schwerer COPD werden in Deutschland in privaten pneumonologischen Facharztpraxen behandelt. Diese Tatsache dürfte eine gewisse ärztliche Kontinuität in der ambulanten Versorgung der Patienten in der täglichen Praxis gewährleisten. Dies ermöglicht eine longitudinale therapeutische Langzeitbegleitung und das Sammeln von Erfahrungen, die selbst in relativ lang laufenden (bis zu 4 Jahren), randomisierten Studien nicht vorliegen. Meine Erfahrungen mit solchen Langzeitpatienten unterstützen nicht die obige Annahme [4–5], dass alle COPD-Patienten uniform an einer entzündlichen Erkrankung leiden. Ich behandle mehrere untergewichtige COPD-Patienten ("pink puffer"), die über Jahrzehnte keine Exazerbation, keine noch so geringe Erhöhung des hoch sensitiven CRP oder anderer klinischer Entzündungsmarker haben. Auf die Mehrheit meiner COPD-Patienten trifft dies zwar nicht zu, jedoch sind Patienten mit konstant erhöhten Entzündungsmarkern ebenfalls eine Minorität. Die meisten haben intermittierend mehr oder weniger erhöhte Entzündungsmarker.

Agusti A, Edwards LD, Rennard SI et al. Persistent Systemic Inflammation is Associated with Poor Clinical Outcomes in COPD: A Novel Phenotyp. PLoS ONE 2012; 7: e37483.

Die klinische Wirklichkeit bildet sich in Studien oft nur ungenügend ab. Große epidemiologische Studien sind häufig Querschnittstudien. Die überwiegende Mehrzahl umfangreicher longitudinaler Studien wird von der pharmazeutischen Industrie gesponsert. Zielsetzung und Design dienen dem Nachweis der Wirksamkeit eines bestimmten Präparates. Eine Ausnahme ist die von GlaxoSmith-Kline gesponserte nicht interventionelle ECLIPSE-Studie [9]. Über einen Zeitraum von 3 Jahren nahmen in 12 Ländern insgesamt 2254 COPD-Patienten, Raucher ohne COPD und gesunde Nichtraucher teil. Es wurde bereits eine Reihe interessanter Daten aus dieser Kohorte publiziert [9-14].

Die vorliegende Publikation wertet die 6 longitudinal gesammelten Biomarker aus dem peripheren Blut aus der ECLIPSE-Kohorte aus. Anhand der Biomarkeranalyse gelang es, 16 % der COPD-Kohorte mit verschiedenen GOLD-Schweregraden als entzündlichen Phänotyp mit hoher Mortalität, schlechter Lebensqualität und erhöhter Exazerbationsrate gegenüber einem nicht entzündlichem Phänotyp (30 % der Population) zu identifizieren. Der entzündliche Phänotyp weist ein entzündliches Netzwerk (Inflammom) mit 2 oder mehr stark positiven Biomarkern auf. Dies unterscheidet sie von dem nicht entzündlichen Phänotyp, also COPD-Patienten, die keine erhöhten Biomarker aufweisen. Bemerkenswert ist, dass sich dieser neue entzündliche Phänotyp nicht durch klassische Charakteristika wie FEV1, Alter, Husten und Auswurf oder Emphysemanteil im HR-CT unterscheidet; auch der FEV1-Verlust ist in beiden Gruppen gleich.

Obwohl Patienten mit dem entzündlichen Phänotyp deutlich mehr Exazerbationen hatten, gibt es nur eine teilweise Überlappung mit dem früher in der gleichen ECLIPSE-Kohorte definierten Exazerbations-Phänotyp [13]. Dieser schließt offensichtlich überwiegend Patienten ein, die nicht dem hier beschriebenen entzündlichem Phänotyp angehören.


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Antworten auf offene Fragen

Entgegen der bislang allgemein akzeptierten Auffassung hatte fast ein Drittel der COPD-Kohorte keine Entzündung und eine deutlich bessere Prognose. Dieser Phänotyp ist bislang nicht wahrgenommen worden, wenngleich er aus der täglichen Praxis gut bekannt ist.


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Heterogenität mi Aha-Effekt

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie beantworten einige offene Fragen, manche sind ein wahres "Aha!"- Erlebnis:

  • Es gibt jetzt eine Erklärung, warum in zahlreichen Studien um die Jahrtausendwende die antientzündlichen inhalativen Kortikosteroide nicht in der Lage waren, die COPD-Progression, welche durch den beschleunigten FEV1–Verlust definiert ist, zu bremsen [15–19]. Der FEV1-Verlust hat scheinbar nicht viel mit dem entzündlichen Phänotyp zu tun, den wir mit inhalativen Kortikosteroiden zu behandeln glaubten. Natürlich bleibt die alternative Erklärung, dass inhalative Kortikosteroide bei der COPD-Entzündung nicht wirken, weiterhin kontrovers.

  • Vielleicht gibt die Analyse auch eine vorläufige Antwort auf die seit Jahrzehnten rätselhaft gebliebene Frage, welche Minderheit der Raucher eine Flusslimitierung und damit eine COPD entwickelt. Zwar haben die Raucher im Gegensatz zu den Nichtrauchern auch ein Entzündungsnetzwerk mit Dominanz von TNFα und IL8 neben Leukozyten, dieses ist aber nicht identisch mit dem Inflammom der COPD.

  • In Kenntnis der hier sorgfältig nachgewiesenen Heterogenität der COPD lassen sich zu den Daten aus unzähligen klinisch-pharmakologischen Studien neue Arbeitshypothesen aufstellen. Der Effekt eines noch so wirksamen antientzündlichen Medikamentes, das nur auf den entzündlichen Phänotyp (16 % der Kohorte) wirkt, kann keine überzeugende Effektgröße in einer gemischten Kohorte entfalten, wo 30 % COPD-Patienten mit dem nicht entzündlichem Phänotyp (Non-Responder) die Ergebnisse "verdünnen". Daher musste bislang eine sehr große Population untersucht werden, um im Mittel eine statistisch signifikante Wirkung in einer aus relativ wenigen potenziellen Respondern, dafür mehr Nicht-Respondern bestehenden Kohorte zeigen zu können. Was noch viel schlimmer ist: Solche Ergebnisse werden auf die gesamte Kohorte übertragen, d.h. viele Nicht-Responder werden vergeblich behandelt.


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Ausblick

Ein Vorteil der ECLIPSE-Biomarker-Analyse ist, dass sich die genannten Entzündungsmarker teilweise schon heute im Routinelabor bestimmen lassen (CRP, Leukozyten, Fibrinogen). Es ist leicht vorstellbar, dass gemäß der Nachfrage zukünftig auch für die fehlenden Biomarker IL6, IL8, TNFα kommerziell erhältliche Assays zur Verfügung stehen werden. Somit würde sich eine solche Analyse in die tägliche fachärztliche Praxis leicht einführen lassen - jedenfalls viel leichter, als beispielsweise die methodisch aufwendige Untersuchung des induzierten Sputums oder des Atemkondensates.

Wie es mit neuen Studienergebnissen immer ist: Selbstverständlich müssen die ECLIPSE-Daten in anderen longitudinalen und Querschnittskohorten Bestätigung, vielleicht auch Ergänzung finden, bevor wir durch Bestimmung von Phänotypen eine individualisierte COPD-Therapie etablieren können.

Dr. Peter Kardos, Frankfurt a. M.

Literatur beim Autor


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