physiopraxis 2012; 10(07/08): 22-26
DOI: 10.1055/s-0032-1324378
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
26 July 2012 (online)

 

Zervikobrachialgie – Neurale Strukturen spezifisch therapieren

Patienten, die unter nervenbedingten Schmerzen im Nacken und einem Arm leiden, profitieren von einer speziell auf das Nervensystem ausgerichteten Physiotherapie. So lautet das Fazit einer Studie von Physiotherapeut Robert J. Nee, die er unter Mitarbeit von Größen wie Bill Vicenzino, Gwen Jull und Joshua Cleland durchgeführt hatte.

Eingeschlossen waren 60 Patienten, die seit wenigstens vier Wochen unter atraumatischen Nackenschmerzen sowie unter unilateralen Armschmerzen litten, die bis unterhalb der Tuberositas deltoidea ausstrahlten. Die Symptome mussten über den Upper Limb Neurodynamic Test (ULNT) 1 reproduziert werden können und sich mit Bewegungen im Nacken oder Handgelenk verändern lassen. Alle Patienten wurden angehalten, weiter ihren täglichen Aktivitäten nachzugehen und auch an der Schmerzmitteleinnahme nichts zu ändern. 40 Probanden bekamen zusätzlich innerhalb von zwei Wochen vier speziell auf das Nervensystem ausgerichtete physiotherapeutische Behandlungen, die aus folgenden Punkten bestanden:

  • Aufklärungsgespräch, um übermäßige Ängste bezüglich der Schmerzen abzubauen

  • Lateral-Glide-Techniken an der HWS

  • „Sliders“ und „Tensioners“, um die Nerven schmerzfrei zu bewegen

Sämtliche Übungen durften die Symptome nicht verschlechtern.

Die Autoren fanden nach Berechnung der sogenannten „Number needed to treat (NNT)“ heraus, dass etwa jeder dritte bis vierte Patient in der Interventionsgruppe von der Therapie profitierte. Laut der Autoren bestätigt die niedrige NNT, dass die spezifische Therapie der neuralen Strukturen effektiv ist, um die Beschwerden der Patienten zu verbessern.

josc

J Physiother 2012; 58: 23-31


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Morbus Scheuermann – Rückenschmerzrisiko erhöht

Menschen mit nicht behandeltem Morbus Scheuermann haben Jahre später ein erhöhtes Risiko für Rückenschmerzen und Einschränkungen im täglichen Leben.

Finnische Forscher hatten 80 Betroffene über 37 Jahre verfolgt. Dabei stellten sie fest, dass deren Risiko, an Rückenschmerzen unterschiedlicher Ausprägung zu erkranken, deutlich höher war als das der Durchschnittsbevölkerung. Zudem hatten die Patienten häufiger Probleme beim Treppensteigen und beim Tragen von Lasten. Das Ausmaß der BWS-Kyphose beeinflusste die Beschwerden nicht.

josc

Eur Spine J 2012; 21: 819-824

768.000

Kilometer ...

... lang sind in etwa alle Nervenfasern des Menschen. Das entspricht der Strecke Erde-Mond-Erde.

Kunsch K, Kunsch S. Der Mensch in Zahlen. 3. Aufl. München: Elsevier; 2007


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Kreuzbandplastik bei Kindern – Risikofaktoren für Arthrofibrose erkennen

Bei Erwachsenen variieren die Zahlen derjenigen, die nach einer VKB-Rekonstruktion eine Arthrofibrose entwickeln, zwischen vier und 35 Prozent. Da auch immer mehr Kinder und Jugendliche eine Kreuzbandplastik erhalten, wollten Forscher nun herausfinden, wie viele davon eine Arthrofibrose entwickeln und welche die Risikofaktoren sind.

Die Autoren schlossen 903 betroffene Kinder und Jugendliche (933 Kniegelenke) im Alter zwischen sieben und 18 Jahre in ihre Studie ein. 60 Prozent waren weiblich. Folgende Faktoren erhöhten das Arthrofibroserisiko: weibliches Geschlecht, begleitende Meniskusnaht, höheres Alter, Patellarsehnenplastik.

52 Patienten wurden aufgrund der Arthrofibrose erneut operiert. 46 davon erlangten anschließend das volle Bewegungsausmaß, aber nur 32 waren letztendlich beschwerdefrei. Laut der Autoren könnten Hochrisikopatienten auf dieser Basis vorab identifiziert und, falls möglich, aggressiver nachbehandelt werden.

josc

J Pediatr Orthop 2011; 31: 811-817


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Schlaganfall – Treppensteigen raubt Energie

Patienten nach Schlaganfall benötigen beim Treppensteigen mehr Kraft- und Ausdauerreserven als Gesunde. Das fanden zwei Forscher anhand von Messungen des Gelenkdrehmoments und des Sauerstoffverbrauchs heraus. Der vermehrte Energiebedarf besteht der Studie nach sowohl auf der paretischen als auch auf der nicht paretischen Seite. Somit scheint die Mobilität von Patienten nach Schlaganfall auch aufgrund der hohen Kraft- und Energiekosten eingeschränkt zu sein.

hoth

Arch Phys Med Rehabil 2012; 93: 683-689


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Querschnittlähmung – Fast alle machen Gruppentherapie

Bislang ist nicht klar, für welche Patienten nach Querschnittlähmung eine Gruppentherapie in der Rehabilitation sinnvoll ist. Um diese Therapieform bei den Betroffenen künftig gezielt einsetzen zu können, machten sich amerikanische Wissenschaftler an eine erste Basisuntersuchung. Anhand von 600 Patienten wollten sie herausfinden, in welchem Ausmaß und mit welchen Zielen Gruppentherapie derzeit bei Patienten nach Querschnittlähmung angewandt wird. Ihre Ergebnisse:

  • 549 Patienten, also fast alle, nahmen an Therapiesitzungen in der Gruppe teil.

  • Gruppentherapie macht 23 Prozent der Physiotherapie aus.

  • Inhalte sind vor allem Muskelkräftigung, das Üben der Rollstuhlmobilität, Gehtraining, Ausdauertraining und Mobilisation.

  • Vor allem Patienten mit guter kognitiver und körperlicher Funktionsfähigkeit nehmen an Therapieangeboten in der Gruppe teil.

Die nächsten Studien sollten laut der Autoren den Effekt der Gruppentherapie untersuchen. Dadurch sollten langfristig Richtlinien für die Anwendung dieser Therapieform bei Patienten nach Querschnittlähmung erstellt werden können.

hoth

Phys Ther 2011; 91: 1877-1891


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OSG-Arthrose – Hyaluronsäure versus NaCl

Ob man Patienten, die unter einer OSG-Arthrose leiden, Hyaluronsäure ins Sprunggelenk injiziert oder Kochsalzlösung (NaCl), macht keinen Unterschied. Zu diesem Ergebnis kamen amerikanische Wissenschaftler in einer Studie an 56 Probanden.

Zwar hatten sich die Patienten der Plazebogruppe beim AOFAS-(American Orthopaedic Foot & Ankle Society-)Fragebogen nach sechs Wochen zunächst verschlechtert, wogegen sich diejenigen in der Verumgruppe bereits zu diesem Zeitpunkt verbessert hatten. Am Ende der Studie nach zwölf Wochen hatten jedoch alle Patienten deutlich weniger Beschwerden als zu Beginn - Gruppenunterschiede gab es keine mehr.

josc

J Bone Joint Surg Am 2012; 94: 2-8


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Schlaganfall – Kreistraining ersetzt Einzeltherapie

Patienten nach Schlaganfall brauchen nicht unbedingt eine physiotherapeutische Einzeltherapie - ein Zirkeltraining hilft genauso gut. Das erkannte eine niederländische Forschergruppe in einer randomisierten kontrollierten Studie an 250 Patienten.

Alle Probanden hatten einen Schlaganfall erlitten, waren aber gehfähig. Die Autoren „verordneten“ ihnen per Zufall entweder ein zweimal wöchentlich stattfindendes Kreistraining oder eine konventionelle ambulante Einzelphysiotherapie. Das Kreistraining bestand aus acht Stationen mit verschiedenen gangrelevanten Aufgaben. Je zwei Patienten übten zusammen an einer Station, wobei immer einer davon drei Minuten trainierte und der andere die Übungen kontrollierte. Anschließend wurde gewechselt. Nach zwölf und 24 Wochen untersuchten die Wissenschaftler die Lebensqualität bezogen unter anderem auf Mobilität, Gleichgewicht, Gehgeschwindigkeit, Fähigkeiten Treppe zu steigen und Fähigkeiten des täglichen Lebens.

Nach zwölf Wochen zeigten beide Gruppen in allen Parametern eine Verbesserung, Zwischengruppenunterschiede gab es keine. Nach 24 Wochen konnten die Patienten der Zirkeltrainingsgruppe besser gehen und Treppe steigen. Somit könnte ein Kreistraining die ambulante Einzelphysiotherapie sicher und effektiv ersetzen.

hoth

BMJ 2012; 344: e2672; doi: 10.1136/bmj.e2672

Kommentar

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Die Ergebnisse und die Schlussfolgerungen der Studie sind klar: Einzelphysiotherapie kann im ambulanten Bereich durch ein ' gut strukturiertes Gruppentraining ersetztwerden. Methodisch gibt es nichts zu kritisieren: Die Autoren haben mit einer großen Stichprobe und einer hochwertigen Durchführung eine exzellente Studie publiziert. Diskutieren lässt sich inhaltlich vor allem ein Punkt: Die Patienten in der Kontrollgruppe hatten zwar nur unwesentlich weniger Behandlungseinheiten als die Kreistrainingsgruppe, jedoch war die Intensität mit rund 34 Minuten pro Behandlung - verglichen mit 72 Minuten - deutlich geringer. Für Kritiker könnte das den positiven Effekt des Kreistrainings erklären. Aber genau dies ist auch eine Stärke des Gruppentrainings: hohe Trainingsintensität trotz geringen personellen Aufwands. Zudem entsprach das Kreistraining der aktuellen Evidenz bezüglich des motorischen Trainings nach Schlaganfall. Fördernde Parameter wie Aufgabenspezifität, paarweises Üben etc. hatten die Wissenschaftler vorbildlich umgesetzt. Eine Einschränkung: Neben den gemessenen Parametern könnten bei einigen Betroffenen individuelle Probleme, etwa Schmerzen, auftreten, was wiederum eine Einzelphysiotherapie indizieren würde. Auf jeden Fall sollte diese Studie jedoch zum Nachdenken anregen und dazu anspornen, ambulante Physiotherapie noch effizienter zu machen.

Holm Thieme


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Rückenschmerzen – Diskusdegeneration verursacht Leistenschmerzen

Leiden Patienten unter Leistenschmerzen, könnte der Grund dafür eine Diskusdegeneration in der unteren Lendenwirbelsäule sein -selbst wenn die Patienten keine Rückenschmerzen haben. Zu diesem Schluss kommt ein japanisches Autorenteam.

Yasuhiro Oikawa und Kollegen wählten aus 212 Patienten mit Leistenschmerzen fünf aus, die folgende Kriterien erfüllten:

  • Bildgebende Untersuchung des Hüftgelenks unauffällig

  • Ausschließlich Leistenschmerzen

  • Keine LWS-Spondylose, keine Degeneration eines zweiten Levels, keine LWS-OP

  • MRT-Nachweise einer Diskusdegeneration auf einem LWS-Level (entweder L 4/5 oder L5/S1)

Um den Bezug zwischen Bandscheibe und Schmerzen zu bestätigen, mussten die Untersucher außerdem die Beschwerden der Teilnehmer über jeweils eine Infiltration in die degenerierte Bandscheibe provozieren und lindern können. Ein weiterer Gegencheck war eine Lidocaininjektion ins schmerzende Hüftgelenk: Sie durfte keinen Effekt haben.

Anschließend bekamen die Patienten eine Diskektomie mit Fusion der betroffenen Wirbelsegmente. Ein Jahr später hatte sich bei den Patienten die Schmerzstärke in der Hüfte auf einer 100-mm-VAS von durchschnittlich 89 auf 12 verringert.

josc

Spine 2012; 37: 114-118


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