Aktuelle Dermatologie 2012; 38(12): 510-512
DOI: 10.1055/s-0032-1325900
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Differenzialdiagnose des Quincke-Ödems

Differential Diagnosis of Quincke’s Edema
A.-M. Tuchenhagen
Klinik für Dermatologie und Allergologie, Hauttumorzentrum Wiesbaden, HSK, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken GmbH
,
C. Bayerl
Klinik für Dermatologie und Allergologie, Hauttumorzentrum Wiesbaden, HSK, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken GmbH
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Korrespondenzadresse

Dr. Anne-Mareike Tuchenhagen
Klinik für Dermatologie und Allergologie
HSK, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken
Aukammallee 39
65191 Wiesbaden

Publication History

Publication Date:
15 November 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Wir berichten über eine 57-jährige Patientin mit seit einem Monat rezidivierend auftretenden Schwellungen des Gesichtes. Wir behandelten die Patientin zunächst unter dem Verdacht eines histaminvermittelten Angioödems, wobei sich keine Besserung zeigte. Im Verlauf diagnostizierten wir ein rechtszentrales kleinzelliges Lungenkarzinom mit oberer Einflussstauung und therapierten diesbezüglich.


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Abstract

This is a report regarding a 57 year old female patient with recurrent swelling of the face, starting a month ago. Treatment was started under the suspicion of an angioeodema thought to be histamine induced, but symptoms did not improve. Further on we diagnosed a small cell pulmonary carcinoma, which was localized in the right lung centrally and caused superior vena cava obstruction. We treated accordingly.


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Einleitung

Der Begriff Angioödem bezeichnet lokalisierte, vorübergehende Schwellungen tieferer Hautschichten sowie muköser Membranen des oberen Respirationstraktes und Gastrointestinaltraktes [1].

Was klinisch als Angioödem imponiert, ist ein Symptom verschiedener Krankheitsentitäten. Am häufigsten finden sich histaminvermittelte Angioödeme als Teilbild oder Äquivalent einer Urtikaria mit unterschiedlich lokalisierten Manifestationen eines gemeinsamen Grundpathomechanismus. Als ganz andere Krankheit hinsichtlich Pathogenese und Therapie werden kininvermittelte Angioödeme, wie das hereditäre (HAE), das erworbene (AAE) und das Renin-Aldosteron-Systemblocker-induzierte Angioödem (RAE) gewertet [2].

Als weitere Formen existieren das pseudoallergische Angioödem (PAE) z. B. durch Aspirin, traumatische Angioödeme z. B. vibratorische, episodische Angioödeme mit Eosinophilie, Angioödeme im Rahmen einer Urtikariavaskulitis, im Rahmen von Virusinfektionen, im Rahmen einer physikalischen oder cholinergen Urtikaria, im Rahmen einer Kontaktallergie sowie letztlich als Ausschlussdiagnose als idiopathisches Angioödem (IAE) [3].

Anamnese

Bei Erstvorstellung berichtete die Patientin über seit einem Monat rezidivierend auftretende Schwellungen der Oberlider bds., im Verlauf des gesamten Gesichtes sowie ein rezidivierendes „Engegefühl im Hals“. Die Symptome zeigten sich bislang spontan regredient. Seit dem Morgen der Vorstellung der Patientin waren die Symptome jedoch besonders ausgeprägt und persistierten. Ein Auslöser war anamnestisch nicht eruierbar.

Als Vorerkrankungen waren ein Diabetes mellitus Typ 2 mit einer leichten diabetischen Polyneuropathie, eine Hypothyreose bei Struma nodosa, eine Obstipationsneigung sowie eine Dranginkontinenz bekannt. Als Dauermedikation erfolgte seit längerer Zeit die Einnahme von Sitagliptin (Januvia®), Levothyroxin-Natrium (Euthyrox®), Cytidinphosphat + Uridinphosphat (Keltican®), Tolterodin (Detrusitol®).

Vorbekannte Sensibilisierungen bestanden gegenüber Amoxicillin, Gräser- und Roggenpollen sowie Hausstaubmilben, Encasingmaßnahmen waren unvollständig erfolgt.

Die Patientin berichtete über gelegentlichen Alkoholkonsum sowie einen Nikotinabusus mit ca. 25 pack years.

Die ambulanten hausärztlichen, HNO-ärztlichen sowie dermatologischen Konsultationen im Vorfeld hatten keinen pathologischen Befund ergeben und die Empfehlung eines oralen Antihistaminikums einmal täglich sowie ein abwartendes Verhalten zur Folge gehabt.

Eine kardiologische Konsultation drei Monate zuvor mit Ergometrie, Echokardiografie und Langzeitblutdruckmessung hatte eine arterielle Hypertonie mit Werten bis 160/100 mmHg ergeben.


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Befund

Bei Erstvorstellung sahen wir eine 51-jährige Patientin in gutem Allgemein- und adipösem Ernährungszustand. Es imponierte eine ausgeprägte teigige Schwellung des gesamten Gesichtes und Halses. Im Decolletébereich zeigten sich vereinzelt konfluierende, erythematöse, makulopapulöse Effloreszenzen, die wegdrückbar waren ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Patientin bei Erstvorstellung.

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Prozedere

Wir behandelten die Patientin notfallmäßig mit systemischen Steroiden und Antihistaminika. Bei persistierender Schwellung erfolgte die stationäre Aufnahme der Patientin zur Überwachung und weiteren Therapie.

Im Verlauf zeigte sich ein „zirkadianer Rhythmus“ der Schwellung mit starker Ausprägung morgens und deutlicher Besserung im Tagesverlauf, sodass schnell der Verdacht auf eine orthostatische Abhängigkeit gestellt werden konnte.

Wir setzten die Therapie mit oralen Steroiden in reduzierender Dosierung und oralen Antihistaminika fort und leiteten eine weiterführende Diagnostik ein.


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Untersuchungsbefunde

In den Laborbefunden zeigten sich ein erhöhter HbA1c-Wert mit 7,4 % (4,8 – 6,0) und ein leicht erhöhtes Kalzium mit 2,58 mmol/l (2,09 – 2,54).

Das kleine Blutbild, C-reaktives Protein, das C1-Esterase-Inhibitor-Protein und seine Aktivität, die Gerinnungs- sowie Schilddrüsenparameter inklusive der Autoantikörper waren normwertig, lediglich das Thyreoglobulin zeigte sich mit 123,3 ng/ml (1,4 – 78,0) deutlich erhöht.

Urin- und Stuhluntersuchungen sowie eine Sonografie des Oberbauches zeigten keine Auffälligkeiten

Eine dermatohistologische Untersuchung der Effloreszenzen im Decolleté ergab eine lichenoide Dermatitis.

Eine sechs Monate zuvor auswärtig erfolgte Schilddrüsendiagnostik hatte bereits ein erhöhtes Thyreoglobulin mit 137,4 ng/ml (1,4 – 78,0) ergeben. Sonografisch war eine im Vergleich zu Voruntersuchungen leicht größenregrediente, normalgroße, uninodöse Schilddrüse mit einem konstanten rechtsseitigen Knoten beschrieben worden, welcher sich szintigrafisch als mäßig positiv gezeigt hatte und als dringend malignomverdächtig gewertet worden war. Eine histologische Dignitätsabklärung war empfohlen und von der Patientin abgelehnt worden. Man hatte sich zu engmaschigen Kontrollen entschieden und die Schilddrüsenmedikation erhöht.

Vor diesem Hintergrund entschieden wir uns für eine MRT-Untersuchung des Halses, in welcher sich eine kontrastmittelaufnehmende rundliche Läsion im rechten Schilddrüsen-Lappen ohne Nachweis pathologisch vergrößerter Lymphknoten im Halsbereich zeigte. Zusätzlich zeigte sich zudem der V. a. eine große pulmonale Raumforderung rechts an das Mediastinum angrenzend.

Eine umgehend nachfolgende CT-Thorax-Untersuchung ergab dann einen rechtszentralen Tumor mit V. a. Kompression der Vena cava superior und Ummauerung der rechten Pulmonalarterie mit angrenzenden Belüftungsstörungen, jedoch ohne pulmonale Rundherde. Axillär bds. fanden sich bis 2,1 cm durchmessende, zahlenmäßig vermehrte Lymphknoten.

In einer starren und flexiblen Bronchoskopie mit pathologisch-anatomischer Begutachtung konnte die Diagnose eines rechtszentralen kleinzelligen Lungenkarzinoms mit oberer Einflussstauung, cT4cN3M0, Stadium IIIb mit befallenen Lymphknoten infrakarinal, paraaortal links sowie im vorderen oberen Mediastinum gesichert werden ([Abb. 2], [Abb. 3]).

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Abb. 2 CT Thorax sagittal.
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Abb. 3 CT Thorax transversal.

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Therapie

Nach steroidaler sowie antithrombotischer Vorbehandlung erhielt die Patientin zwei Zyklen Chemotherapie mit Cisplatin und Etoposid sowie in der Folge eine kombinierte Radio-Chemotherapie mit Cisplatin und Etoposid in dosisreduzierter Form. Zusätzlich erfolgte eine prophylaktische Schädel-Radiatio. In den Staginguntersuchungen ist die Patientin aktuell seit anderthalb Jahren rezidivfrei.


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Dr. Anne-Mareike Tuchenhagen
Klinik für Dermatologie und Allergologie
HSK, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken
Aukammallee 39
65191 Wiesbaden


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Abb. 1 Patientin bei Erstvorstellung.
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Abb. 2 CT Thorax sagittal.
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Abb. 3 CT Thorax transversal.