Diabetes aktuell 2012; 10(05): 244-245
DOI: 10.1055/s-0032-1326685
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Analgetische Therapie bei diabetischer Polyneuropathie – Schmerzen lindern, Alltagsaktivität und Lebensqualität steigern

Further Information

Publication History

Publication Date:
03 September 2012 (online)

 

Die schmerzhafte diabetische Polyneuropathie (DPNP) ist eine häufige, den Patienten belastende Komplikation bei Diabetes mellitus. Sie gehört zu den mikrovaskulären Folgeerkrankungen der Stoffwechselerkrankung und betrifft etwa jeden fünften Patienten mit manifestem Diabetes [ 1 ] und bis zu 9 % der Patienten in prädiabetischen Stadien [ 2 ], wie Prof. Dr. Dan Ziegler, Düsseldorf, berichtete. Die häufigste Form ist die distal-symmetrische Polyneuropathie. Sie beginnt in den distalen Abschnitten der Extremitäten, vor allem in den Füßen und Beinen. Häufig werden die Schmerzen als brennend, stechend, kribbelnd oder elektrisch beschrieben, die mit Taubheitsgefühlen und Sensitivitätsverlust verbunden sein können [ 3 ]. Im Gegensatz zur peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) exazerbieren die Schmerzen in Ruhe und vor allem nachts, beim Gehen bessern sie sich typischerweise. Die Folgen für die Patienten können gravierend sein: Die nächtlichen Schmerzen verursachen oftmals Schlafstörungen und in der Folge Tagesmüdigkeit und Fatigue. Die eingeschränkte Gehfähigkeit schränkt die Patienten in ihrer Mobilität, Aktivität und Alltagsfunktion ein und beeinträchtigt sie in ihrer Arbeitsfähigkeit und Teilhabe am sozialen Leben.

Trotz der hohen Prävalenz der DPNP und des häufig hohen Leidensdruck der Patienten wird die Bedeutung der Neuropathie bei Diabetes mellitus laut Ziegler nach wie vor unterschätzt. Daten aus den USA und Großbritannien zeigen, dass nur in etwa einem Drittel der Fälle eine korrekte Diagnose der milden bis mittelschweren DPNP erfolgt [ 4 ] und knapp 40 % der Patienten trotz Schmerzen keine Schmerztherapie erhält [ 5 ]. "Daten zur Verschreibungssituation für neuropathische Schmerzen in Europa zeigen zudem, dass viele der DPNP-Patienten keine adäquate Therapie erhalten: Bei fast 80 % wurden nicht-steroidale Antirheumatika, COX-2-Hemmer, nicht-narkotische Analgetika oder Muskelrelaxanzien verordnet – also Substanzen, für die keine Evidenz besteht", so Ziegler.

Was empfehlen die Leitlinien?

Ein Ansatz der Therapie ist die normnahe Einstellung des Blutzuckers, um erhöhte Glukosewerte als Risikofaktor zu minimieren, wie sie auch die aktuelle Nationale VersorgungsLeitline (NVL) [ 6 ] empfiehlt. "Normnahe Glukosewerte spielen bei Typ-1-Diabetes eine herausragende Rolle hinsichtlich der Prävention", erklärte Ziegler. Für Typ-2-Diabetes zeigt aber auch eine intensivierte Diabetestherapie nicht zwangsläufig einen Effekt auf die Entwicklung und Progression der Polyneuropathie, wie eine Metaanalyse der großen Diabetesstudien UKPDS, ADVANCE, ACCORD, VADT und HOME demonstrierte [ 7 ]. Um so größer ist die Bedeutung einer effektiven symptomatischen Behandlung.

Die NVL empfiehlt für die medikamentöse Therapie den selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnehmehemmer (SSNRI) Duloxetin (Cymbalta®) als ein Mittel der ersten Wahl bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie. Auch andere Fachgesellschaften – etwa die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) [ 8 ], die European Federation of Neurological Societies (EFNS) [ 9 ] und das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) [ 10 ] – empfehlen in ihren Leitlinien unter anderem Duloxetin einheitlich als Firstline-Therapie. Wichtig für eine erfolgreiche Schmerzbehandlung sei es, statt Schmerzfreiheit realistische Therapieziele zu setzen, hob Prof. Dr. Christoph Maier, Bochum, hervor. So empfiehlt die NVL, eine Schmerzreduktion um 30–50 % auf der 11-Punkte visuellen Analogskala (VAS) oder der numerischen Ratingskala anzustreben. Weitere relevante Parameter, die es zu verbessern gilt, sind Schlaf und Lebensqualität; die sozialen Aktivitäten, die soziale Teilhabe und die Arbeitsfähigkeit sollten erhalten bleiben.

Wie wichtig eine Verbesserung dieser funktionellen Parameter für die Patienten ist, zeigt die EMPATHY-Studie [ 11 ]. In der prospektiven, nicht-interventionellen Multicenter-Studie wurden 2576 Patienten mit DPNP vor Beginn beziehungsweise Umstellung der Schmerztherapie befragt, welche Erwartungen sie neben der Schmerzlinderung an die kommende Behandlung haben. Fast jeder Dritte wünscht sich, generell wieder aktiver sein zu können und jeder Vierte möchte wieder besser gehen können; für 15 % ist eine Verbesserung der Schlafqualität ein wichtiges Ziel (Abb. [ 1 ]).

Zoom Image
Abb. 1 Patientenerwartungen an die Schmerztherapie – Ergebnis der EMPATHY-Studie.

#

Vergleichbare Schmerzwirksamkeit von Duloxetin und Pregabalin

Die pharmakologische Wirkung von Duloxetin beruht auf der selektiven und verhältnismäßig ausgewogenen Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin im Gehirn und Rückenmark. Durch die Erhöhung der Konzentration dieser Neurotransmitter im synaptischen Spalt wird die Wirkung der deszendierenden schmerzhemmenden Bahnen verstärkt. "Die analgetische Potenz, die Duloxetin dabei entwickelt, ist vergleichbar mit der von Pregabalin", so Maier. Das legten indirekte Vergleiche nahe – ein direkter Vergleich der beiden Substanzen zeigte nun, dass der SSNRI dem Antikonvulsivum gleichwertig ist [ 12 ].

In dieser offenen, multizentrischen Phase-IV-Studie wurden 407 Patienten mit Diabetes mellitus randomisiert, die auf Gabapentin in einer stabilen Dosis von mindestens 900 mg/d nur unzureichend analgetisch ansprachen (definiert als ≥ 4 Punkte auf einer numerischen Skala mit 0–10 Punkten zur Beurteilung der täglichen Schmerzen). Sie erhielten entweder Duloxetin (60 mg/d) oder Pregabalin (300 mg/d) oder Duloxetin zusätzlich zur fortgeführten Gabapentin-Behandlung. Das Ergebnis in Woche 12 (Abb. [ 2 ]): Die mittlere Schmerzreduktion unter der zugelassenen Monotherapie mit Duloxetin (60 mg/d) betrug am Endpunkt der Studie –2,6 Punkte auf der Visuellen Analogskala (VAS) gegenüber –2,1 Punkten bei Gabe von Pregabalin. Damit war die Nichtunterlegenheit von Duloxetin nachgewiesen. In den sekundären Zielparametern "durchschnittliche Schmerzen" (p = 0,03) und "schlimmste Schmerzen" (p = 0,04) im Brief Pain Inventory (BPI) zeigte sich zudem eine signifikant stärkere Verbesserung von Duloxetin gegenüber Pregabalin [ 12 ].

Zoom Image
Abb. 2 Tanenberg 2011: Vergleichbare Schmerzreduktion von Duloxetin und Pregabalin.
Zoom Image
(Bild: Kohtes Klewes)

#

Funktionsfähigkeit wiederherstellen

Ein Vorteil von Duloxetin ist ferner dessen im Allgemeinen gute Verträglichkeit: Es kommt in der Regel weder zu sedierenden Effekten noch zu Gewichtssteigerungen [ 13 ]. Über die analgetische Wirksamkeit hinaus kann Duloxetin auch die belastenden funktionellen Beeinträchtigungen verbessern. Armstrong et al. [ 14 ] konnten in ihrer Studie zeigen, dass die Therapie mit Duloxetin die allgemeine Aktivität, das Gehvermögen und die Arbeitsfähigkeit signifikant verbessert. Auch die Schlafqualität und die Lebensfreude steigerten sich während der 12-wöchigen Behandlung signifikant stärker verglichen mit Placebo. Damit kann Duloxetin einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Erwartungen der Patienten, wie sie in der EMPATHY-Studie [ 11 ] formuliert wurden, zu erfüllen.


#

Positive Erfahrungen überschreiben Schmerzgedächtnis

Für eine erforderliche regelmäßige Kontrolle des Therapieverlaufs seien Tagebücher eine der besten Möglichkeiten, erklärte Maier. Während konventionelle Schmerzfragebögen jedoch eher die Schmerzhäufigkeit und -intensität dokumentieren und den Patienten damit auf das Symptom fixieren, verfolgt das Aktivitätentagebuch – eine gemeinsame Entwicklung von Lilly Deutschland, Prof. Dr. Herta Flor vom Institut für Neuropsychologie und klinische Psychologie in Mannheim und dem Deutschen Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (DFNS) – einen neuen Ansatz. Das Tagebuch lenkt die Aufmerksamkeit des Patienten auf positive Veränderungen im Verlauf der Therapie, statt zum Beispiel nach dem Grad der Beeinträchtigung zu fragen. Auf einer Skala von 0–10 bewertet der Patient darin täglich seine Schmerzfreiheit, seine Aktivität im Alltag, die Qualität der Stimmung und des Schlafs sowie sein Vertrauen in die Behandlung. Als Wochenscore zusammengefasst zeigen hohe Werte eine positive Entwicklung an und können diese weiter verstärken. Dieses innovative Konzept der Verlaufsbeobachtung setzt auf die Erkenntnis, dass das Schmerzgedächtnis aufgrund der hohen Plastizität des ZNS durch angenehme, positive Erfahrungen im Sinne eines Relearnings überschrieben werden kann [ 15 ].

Michael Koczorek, Bremen

Quelle: Satellitensymposium "Zu Risiken und Nebenwirkungen beim Patienten mit Diabetes mellitus", im Rahmen der 47. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft am 16. Mai 2012 in Stuttgart. Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung durch Lilly Deutschland.


#
#

Zoom Image
Abb. 1 Patientenerwartungen an die Schmerztherapie – Ergebnis der EMPATHY-Studie.
Zoom Image
Abb. 2 Tanenberg 2011: Vergleichbare Schmerzreduktion von Duloxetin und Pregabalin.
Zoom Image
(Bild: Kohtes Klewes)