Psychiatr Prax 2012; 39(06): 305
DOI: 10.1055/s-0032-1326696
Mitteilungen der BDK
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

BGH-Urteile zur Zwangsbehandlung – Neue gesetzliche Regelungen sind dringend erforderlich

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Publication Date:
31 August 2012 (online)

 
 

Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Thomas Pollmächer, Ingolstadt

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 20. Juni 2012 in 2 Fällen (AZ XII ZB 99/12 und 130/12) entschieden, dass § 1906 BGB Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 keine hinreichende Grundlage für die Genehmigung einer Zwangsbehandlung im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung darstellen. Angeregt durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2011, die sich auf die Zwangsbehandlung im Rahmen des Maßregelvollzugs beziehen, hat der BGH damit frühere Positionen aufgegeben. Somit ist aktuell zwar die Unterbringung von Patienten auf betreuungsrechtlicher Grundlage möglich, nicht aber deren medikamentöse Behandlung gegen ihren Willen. Dies betrifft neben den Patienten psychiatrischer Krankenhäuser auch solche somatischer Krankenanstalten und eine große Zahl von betreuungsrechtlich in Heimen untergebrachten Patienten, zum Beispiel Menschen mit Demenz und Menschen mit geistiger Behinderung.

Die Position von BGH und Bundesverfassungsgericht, die beide klarere und detaillierte gesetzliche Regelungen für Zwangsbehandlungen fordern, sind nachvollziehbar und begrüßenswert, weil so die Patientenautonomie gestärkt und sowohl für die Patienten als auch für die Behandelnden mehr Transparenz und Klarheit geschaffen werden kann.

Aus Sicht der Bundesdirektorenkonferenz sind folgende Punkte zentral für den nun notwendigen Gesetzgebungsprozess:

  1. Die entsprechenden Gesetzgebungsvorhaben müssen höchste Priorität haben. Die aktuelle Rechtslage wird dazu führen, dass eine Vielzahl von Patienten aufgrund einer Eigengefährdung betreuungsrechtlich untergebracht, aber nicht behandelt werden können. Dies kann bei selbst- und sekundär dann oft auch fremdgefährdenden Patienten die betreuenden Einrichtungen vor unlösbare Probleme stellen, weil ohne eine initiale medikamentöse Behandlung oft auch kein menschlichtherapeutischer Zugang zum Patienten möglich ist. Patienten werden in größerer Zahl und für längere Zeit freiheitsbeschränkende Maßnahmen dulden müssen, die durch eine Behandlung verkürzt oder vermieden werden könnten. Hieraus können körperliche und seelische Dauerschäden bis hin zu Todesfällen sowie Suizide resultieren und es ist damit zu rechnen, dass Mitpatienten und Mitarbeiter der Einrichtungen vermehrt Opfer von Patientenübergriffen werden. Diese potenziellen Gefahren werden explizit auch vom BGH in seinen Urteilen unterstrichen, was die Dringlichkeit der entsprechenden Gesetzesvorhaben zusätzlich unterstreicht.

  2. Die neuen Regelungen zur Zwangsbehandlung müssen praktikable Verfahrensvorschriften enthalten, die in akuten Situationen schnelle Entscheidungen ermöglichen. Bei einem Teil der Patienten treten die Umstände, die eine Behandlung notwendig machen, phasenhaft auf und sie entwickeln sich kurzfristig mit hoher zeitlicher Dynamik. In solchen Fällen kann die Verzögerung der Behandlung um nur wenige Tage zu einer dramatischen Zuspitzung der Erkrankung führen, die einer effektiven Behandlung dann wesentlich schwerer zugänglich ist. Vorausverfügungen bzgl. der Behandlung im Sinne einer Patientenverfügung könnten in diesem Kontext sehr hilfreich sein. Es muss aber gesetzlich geregelt werden, ob und wie eine Patientenverfügung auch dann umgesetzt werden darf, wenn sie dem aktuellen natürlichen Willen widerspricht, oder wenn sie in einer akuten Krankheitsphase zurückgezogen wird.

  3. Die neuen Regelungen sollten die paralleleWeiterentwicklung der Psychiatrie Gesetze der Länder berücksichtigen. Bürgerlich-rechtliche und öffentlich-rechtliche Unterbringung und Behandlung ergänzen sich und greifen ineinander. In der Folge der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug sind einige Länder schon im Begriff, neue Psychiatriegesetze zu entwickeln, andere erwägen dies. Auch wenn dies aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands schwierig sein mag, wäre es aus fachlicher Sicht sinnvoll, auch die öffentlich-rechtliche Unterbringung und Behandlung bundeseinheitlich zu regeln.

Die Bundesdirektorenkonferenz hat dem Bundesministerium für Justiz medizinisch-fachliche Unterstützung angeboten. Darüber hinaus haben wir mit der Arbeitsgemeinschaft der Chefärzte psychiatrischer Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern (ACKPA) eine Arbeitsgruppe "Patientenautonomie" gegründet, um gemeinsame Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Hierbei wird es weniger um die juristischen Vorgaben gehen, deren Entwicklung wir nur fachlich begleiten können, sondern mehr um die Erarbeitung von Verfahrens- und Entscheidungsstandards. Darüber hinaus werden in einer Arbeitsgruppe der DGPPN, an der auch die BDK beteiligt ist, allgemeine Grundsätze zur Wahrung der Patientenautonomie und ihrer Wiederherstellung bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen erarbeitet.

Auch wenn die aktuelle Rechtslage die psychiatrischen Krankenhäuser vor ernste Probleme stellt und der Gesundheit von Patienten abträglich sein kann, so ist doch zu hoffen, dass die nun angestoßenen Prozesse der Neuordnung und Neuregelung letztlich zu einer für alle Beteiligten besseren Situation führen werden.

Prof. Dr. Thomas Pollmächer
Vorsitzender der BDK

Termine

25./26. Okt. 2012 Herbsttagung der Bundesdirektorenkonferenz in Mühlhausen
(Information: Prof. Dr. med. Lothar Adler)


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