Der Klinikarzt 2012; 41(06/07): 270-272
DOI: 10.1055/s-0032-1326969
Medizin & Management
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Beachtung von Apothekenrecht bei Entlassmanagement-Konzepten – Vorgaben durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz

Isabel Häser
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Dr. iur. Isabel Häser
Rechtsanwältin Ehlers, Ehlers und Partner
Widenmayerstr. 29
80538 München

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Publication Date:
28 August 2012 (online)

 

Durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurde der Anspruch auf Entlassmanagement nach einem Krankenhausaufenthalt (§ 39 Abs. 1 SGB V) noch weiter konkretisiert. Gegenstand des Entlassmanagements kann auch die Versorgung mit Arzneimitteln nach Entlassung des Patienten sein. Hierbei sind zwingend die apothekenrechtlichen und berufsrechtlichen Vorgaben zu beachten.


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Bereits seit 2007 haben Versicherte einen Anspruch auf ein Versorgungsmanagement, insbesondere zur Lösung von Problemen beim Übergang in die verschiedenen Versorgungsbereiche; dies umfasst auch die fachärztliche Anschlussversorgung. Die betroffenen Leistungserbringer sorgen unter anderem für eine sachgerechte Anschlussversorgung des Versicherten und übermitteln sich gegenseitig die erforderlichen Informationen. Die Vorgaben des Versorgungsmanagements wurden nach Meinung des Gesetzgebers nicht in gewünschtem Umfang umgesetzt und genutzt. Nicht alle Krankenhäuser bieten diese Leistungen an. Folglich wurde der Anspruch nunmehr konkret auf das Entlassmanagement nach Krankenhausaufenthalt weiter konzentriert, da dort die meisten Probleme auftreten. Dies betrifft etwa nach Krankenhausbehandlung erforderliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege oder der Pflegeversicherung nach dem SGB XI. Ziel des Entlassmanagements ist es, die Kontinuität der Versorgung zu gewährleisten, die Kommunikation zwischen den beteiligten ambulanten und stationären Versorgungsbereichen zu verbessern, die Entlastung von Patienten und ihren Angehörigen zu ermöglichen sowie zu einer möglichen Vermeidung des „Drehtüreffekts“ beizutragen. Der Anspruch wird als unmittelbarer Bestandteil des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung in § 39 Abs. 5 SGB V ausgestaltet. Dies erhöht die Verbindlichkeit. Die Krankenkassen, gegen die sich der Anspruch auf Krankenhausbehandlung richtet, sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Erbringung der Leistung sichergestellt ist. Einzelheiten hierzu müssen in Verträgen nach § 112 SGB V geregelt werden. Ein Beispiel eines solchen Konzepts führte für einen beteiligten Apotheker zu einem berufsgerichtlichen Verfahren.

Der Fall

Der beschuldigte Apotheker ist mit 5 weiteren Apothekern und 40–50 anderen Unternehmen aus dem Bereich des Gesundheitsdienstes Kooperationspartner der „Patientenring Beratungsgesellschaft für ganzheitliche Krankenversorgung und Anwendung mbH“ (nachfolgend: Patientenring). Gesellschafter dieser GmbH sind das Universitätsklinikum X mit einem Anteil von 40 % und 3 Sanitätshäuser im Bereich X mit einem Anteil von jeweils 20 %. Zweck des Unternehmens ist es, im Auftrag der aus dem Klinikum zu entlassenden Patienten die Qualität der Weiterbehandlung und Versorgung mit Materialien und Hilfsmitteln sicherzustellen, insbesondere die Überleitung der Patienten vom stationären in den ambulanten Versorgungsbereich zu organisieren. Der Patientenring stellt unter anderem sicher, dass die Entlasspatienten mit den Medikamenten versorgt werden, die von Ärzten des Klinikums verschrieben werden. Jede Apotheke kann als Kooperationspartner in den Patientenring aufgenommen werden, sofern sie bestimmte Qualitätsvorgaben erfüllt. Dazu gehören unter anderem der Besitz einer Versanderlaubnis nach § 11a Apothekengesetz (ApoG), Fuhrpark, Erreichbarkeit in Notfällen, Dienstzeit nach 19 Uhr, Notfallbereitschaft, Befähigung, innerhalb von 4 Stunden die Versorgung des Patienten zu gewährleisten, eingeschlossen Information durch Patientenring, Bestandsaufnahme bei dem Patienten, Bestellannahme, Rezeptmanagement und Zustellung der Lieferung zu Händen des Patienten, weiterhin die Möglichkeit der Versorgung mit speziellen Arznei- und Therapieformern wie parenterale Ernährung, Schmerztherapie, Antibiotikatherapie, Zytostatikatherapie, was unter anderem qualifiziertes Pflegepersonal zur Einweisung und Betreuung des Patienten bei der häuslichen Versorgung voraussetzt. Die Einschaltung des Patientenrings und die Versorgung mit Medikamenten sind wie folgt geregelt: Bei der Aufnahme wird der Patient gefragt, ob er die Dienste des Patientenrings in Anspruch nehmen will. Dieser Service wird nur Schwerstkranken angeboten. Ist die Entlassung in Sicht, wird der Patient erneut und nun durch das Stationspersonal befragt, ob er die Leistungen des Patientenrings in Anspruch nehmen will. Bejaht er dies, kommt ein Mitarbeiter des Patientenrings (Kernbetreuer) ans Krankenbett, klärt den Patienten nochmals auf und bespricht mit den verantwortlichen Ärzten und dem Pflegeteam den Hilfebedarf. Er fragt ausdrücklich den Patienten, von welcher Apotheke die Medikamente geholt werden sollen. Auch die Hausapotheke kann eingeschaltet werden. Die meisten Patienten erklären, dass sie einfach nur die Medikamente so schnell wie möglich an ihrem Bett haben wollen. Daraufhin wird über den Patientenring die Kooperationsapotheke über den Medikamentenbedarf meist durch Übermittlung eines Faxes des Rezepts informiert. Das Originalrezept wird dem Patienten am Krankenbett übergeben. Der Apotheker oder sein pharmazeutischer Mitarbeiter bringt sodann die Medikamente in einer Medikamententüte zu dem Patienten ans Krankenbett. Ist der Patient damit einverstanden, übergibt er das Originalrezept dem Apotheker oder dessen Mitarbeiter und übernimmt die Medikamente. Die rezeptausstellenden Ärzte des Klinikums, etwa 2500, suchen weder die auszuwählende Apotheke aus noch haben sie sonst Kontakt mit den Apothekern.

Einer der teilnehmenden Apotheker wurde zunächst vom Bezirksberufsgericht wegen berufsunwürdigen Verhaltens zu einer Geldbuße in Höhe von 2500,00 Euro verurteilt. Hiergegen legte er Berufung ein. Das Landesberufsgericht für Apotheker in Karlsruhe (LBG) sprach den Apotheker mit Urteil vom 26.05.2011 (Az.: LBG 1/11) dagegen frei. Ihm sei – entgegen der Auffassung des Eingangsgerichts – weder ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 S. 1 ApoG (verbotene Absprache über die Zuweisung von Verschreibungen) noch gegen § 12 Berufsordnung (freie Apothekenwahl) noch gegen § 18 Berufsordnung i.V.m. weiteren Vorschriften (Apothekenbetrieb außerhalb der genehmigten Betriebsräume) vorzuwerfen.


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1. Keine verbotene Absprache über Zuweisung

Entgegen den Anschuldigungen des Kammeranwalts und der Annahme des Bezirksberufsgerichts war das LBG der Auffassung, der beschuldigte Apotheker habe mit den Ärzten des Klinikums keine verbotene Absprache über die Zuweisung von Verschreibungen getroffen. Es fehle bereits an dem Tatbestandsmerkmal der Absprache mit einem Arzt. Zwischen dem Apotheker und den Ärzten des Klinikums bestand hinsichtlich der Einlösung der Rezepte keinerlei Kontakt. Das Gericht macht jedoch darauf aufmerksam, dass nicht zwingend eine förmliche Absprache vorliegen muss, sondern ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken oder auch nur eine eingespielte Übung ausreichend sein kann, wenn der Zweck darauf gerichtet ist, ärztliche Verschreibungen unter Ausschluss anderer Apotheken unmittelbar einer einzelnen Apotheke oder mehreren Apotheken anteilsmäßig oder im Wechsel zukommen zu lassen. Das entscheidende Kriterium der Tatbestandsverwirklichung, dass der Arzt das Rezept unmittelbar der begünstigten Apotheke zugehen lässt, war im konkreten Fall jedoch nicht erfüllt. Vielmehr übergab der Patient im Krankenbett persönlich das Originalrezept dem Apotheker und erhält dafür im Gegenzug die Medikamente. Seine Willensfreiheit, nunmehr doch noch einen anderen Apotheker zu wählen, sei zwar zu diesem Zeitpunkt sicherlich eingeschränkt, weil der Apotheker bereits in Vorleistung getreten sei und es aus der Sicht des Patienten wohl dem Anstand widerspreche, diesen Apotheker zurückzuweisen. Die Einschränkung seiner Wahlfreiheit beruhe aber zum einen auf seiner schweren Erkrankung und zum anderen darauf, dass er sich in dem zuvor mit dem Mitarbeiter des Patientenrings geführten Gesprächs aus freien Stücken für eine Kooperationsapotheke des Patientenrings entschieden hat.

§ 11 Abs. 1 S. ApoG soll die jeweilige Unabhängigkeit des Arztes und Apothekers wahren. Im konkreten Fall war aber kein rechtswidriges Zusammenwirken zwischen den Ärzten des Klinikums und dem beschuldigten Apotheker ersichtlich. Der Apotheker steht mit den Klinikärzten in keinem unmittelbaren Kontakt. Bereits die große Zahl von 2500 rezeptausstellenden Ärzten des Klinikums ließe die Annahme nicht zu, dass der Apotheker aus persönlicher Rücksichtnahme Kontrollfunktionen vernachlässige. In den Augen des Patienten wiederum diene die so gehandhabte Medikamentenversorgung ganz offensichtlich gerade einer Optimierung seiner medizinischen Betreuung. Bekanntlich solle mit dem vom Patientenring gewählten Verfahren der Gefahr von Medikationsfehlern vorgebeugt werden, wie sie nach den Erkenntnissen der WHO häufig an der Schnittstelle zwischen stationärem und ambulantem Bereich erfolgen. Nachweislich würden vom Patientenring auch sehr hohe Qualitätsanforderungen an die Kooperationsapotheken gestellt und unterlägen damit die Kooperationsapotheken ständigen Kontrollen.


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2. Keine Beeinträchtigung der freien Apothekenwahl

Nach Auffassung des Gerichts hat der Apotheker die freie Apothekenwahl nicht verletzt. Dass der Apotheker sich dem Patientenring als Kooperationsapotheke zur Verfügung stellte, konnte nach Auffassung des Gerichts keine Pflichtverletzung sein, da der Patientenring mit jeder Apotheke kooperiert, die seine – hohen – Qualitätsanforderungen erfüllt. Aber auch in der Medikamentenversorgung im Einzelfall konnte das Gericht keine Pflichtverletzung sehen, weil das Recht auf freie Apothekenwahl dem Patienten nach dem konkreten Ablauf des Verfahrens vom Patientenring zugestanden wird. Der Patientenring bietet zum einen seine Dienste über die Medikamentenversorgung nur schwerstkranken Patienten an, die ohnehin bereits physisch in der Freiheit der Wahl der Apotheke eingeschränkt sind. Sie können gleichwohl das Angebot abschlagen. Steht die Entlassung des Patienten an, kommt ein Mitarbeiter des Patientenrings ans Bett des Patienten und fragt erneut, ob er selbst die Medikamente besorgen will oder ob der Patientenring dies für ihn erledigen soll. Dem Patienten wird auch angeboten, seine Hausapotheke zu benennen, wenn diese die gewünschte Lieferung übernimmt. Der Medikamentenbedarf wird mittels Zufaxen des Rezeptes an die Kooperationsapotheke durch den Patientenring angemeldet. Das Originalrezept erhält der Patient, der dieses sodann dem Apotheker oder dessen pharmazeutischen Angestellten bei Lieferung des Medikaments an das Krankenbett aushändigt. Der Patient hat folglich das volle Verfügungsrecht über das Originalrezept und dessen Aushändigung an den liefernden Apotheker. Dieses Verfahren genügt den Anforderungen, die an das Recht auf freie Apothekenwahl unter den obwaltenden Umständen zu stellen sind, so das Gericht. Die Entschließungs- und Willensfreiheit des Patienten unterliegt dabei einer natürlichen, nämlich durch seine Erkrankung bestimmten Einschränkung. Andere Apotheken werden durch dieses Vorgehen nicht unredlich oder sachwidrig ausgeschlossen.


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3. Kein Verstoß gegen Apothekenbetrieb außerhalb der genehmigten Betriebsräume

Zwar übergibt der Patient dem Apotheker im Krankenhaus das Originalrezept, also nicht in den Betriebsräumen der Apotheke, und lässt sich auch die Medikamente am Krankenbett zustellen. Hierin sahen die Richter jedoch keinen Verstoß gegen die Berufsordnung i.V.m. unter anderem dem Apothekengesetz, weil das Apothekengesetz in Notfällen Ausnahmen von dem strikten Betriebsräumengebot erlaubt. Auch die Tatsache, dass der betroffene Apotheker die Erlaubnis für eine Versandapotheke nach § 11a ApoG hatte, sahen die Richter als positiv an, da er nicht darauf beschränkt sei, Rezepte durch persönliche Übergabe in der niedergelassenen Apotheke entgegennehmen zu müssen. Jedenfalls habe der Apotheker weder vorsätzlich noch fahrlässig gegen die Regelungen verstoßen. Ein Fahrlässigkeitsvorwurf könne ihm schon deshalb nicht gemacht werden, weil der Kammeranwalt – und damit im Hintergrund wohl auch die Apothekerkammer – der Auffassung sind, ein pflichtgemäßes Verhalten liege vor, wenn das Rezept der vom Patienten bestimmten Apotheke zugefaxt würde und dann die Wahlapotheke die Medikamente durch Boten zustelle. Wie sollte der beschuldigte Apotheker ein Unrechtsbewusstsein haben können, wenn er dem Patienten die Medikamente ans Bett liefert und dort mit der Möglichkeit der Beratung das Rezept erhält und die Medikamente aushändigt?


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Fazit

Bei den Konzepten zum Entlassmanagement sollten zwingend die Vorgaben des Apothekengesetzes bzw. der Berufsordnung der Apotheker bei Arzneimittelversorgungsregelungen mit berücksichtigt werden. Besonderes Augenmerk muss darauf gelegt werden, dass grundsätzlich allen Apotheken der Zugang ermöglicht wird, die die vorgegebenen Voraussetzungen erfüllen. Auch der Grundsatz der freien Apothekenwahl für die Patienten muss immer berücksichtigt werden. Das Urteil des LBG zeigt jedoch, dass den Gerichten offensichtlich die Notwendigkeit der Praktikabilität der Konzepte nachvollziehbar ist und sie dies bei der Auslegung der einzelnen Vorschriften durchaus berücksichtigen. Es bleibt zu hoffen, dass sich hier eine Tendenz abzeichnet, die die entsprechenden vom Gesetzgeber gewünschten Vorhaben unterstützt und nicht blockiert.


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Dr. iur. Isabel Häser
Rechtsanwältin Ehlers, Ehlers und Partner
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