Schlüsselwörter
Adipositas - Gewichtsreduktion - Gewichtserhaltung - Energieumsatz - Adaptive Thermogenese
Keywords
obesity - weight loss - weight maintenance - energy expenditure - adaptive thermogenesis
Einleitung
Die Prävalenz der Adipositas nimmt in Deutschland und weltweit dramatisch zu. 23 %
der Deutschen sind inzwischen adipös und nur noch 47 % normalgewichtig. Über 1 Mio.
Bundesbürger sind mit einem BMI > 40 kg/m² „belastet“ [37]. Das Problem hat inzwischen die Aufmerksamkeit von Politik und Versicherungsträgern
gefunden. Dass Adipositas eine Krankheit darstellt und per se sowie im Rahmen des
metabolisch-vaskulären Syndroms zu einer Vielzahl von Folgeerkrankungen führt, die
ihrerseits enorme gesundheitspolitische Bedeutung haben, ist inzwischen unbestritten.
Die Therapie der Adipositas ist in evidenzbasierten Leitlinien beschrieben und wird
im Allgemeinen mit dem Schlagwort der multimodalen Behandlung, bestehend aus Ernährungsumstellung
i. S. kalorischer Restriktion, Bewegungstherapie und Verhaltensänderung beschrieben.
Die bariatrische Chirurgie kommt für Patienten mit Adipositas 2. und 3. Grades hinzu
[14]
[15].
In den letzten 3 Jahrzehnten haben viele Interventionsstudien diese Strategien für
Prävention und
Behandlung der Adipositas untersucht. Energierestriktion und Bewegungssteigerung sind
nach wie vor
die Schlüsselbestandteile solcher Programme, um eine Gewichtsreduktion herbeizuführen.
Viele dieser
Studien belegen eine erfolgreiche Gewichtsreduktion im Gefolge von Energierestriktion
und erhöhter
Bewegungsaktivität, meist aber nur im Kurzzeitverlauf [24]
[27]
[38]
[43]
[51]. Dabei bleibt das Ausmaß der Gewichtsreduktion oft deutlich hinter den
Erwartungen der Patienten zurück [9]
[63]
[64]. Außerdem ist die Mehrzahl der Betroffenen nicht in der Lage, das
reduzierte Gewicht langfristig zu halten; eine erneute Gewichtszunahme ist typisch
[5]
[11]
[38]. Die
Ursachen für die sehr begrenzte Langzeiteffektivität der multimodalen Therapiekonzepte
sind
vielfältig. Die Unfähigkeit der meisten Betroffenen die trainierten Änderungen des
„Lebensstils“
hinsichtlich Ernährungsumstellung und regelmäßiger körperlicher Aktivität auch langfristig
einzuhalten ist gut dokumentiert [26]
[30].
Aber ist dies wirklich die ganze Wahrheit?
Verhaltensveränderungen sind sicherlich Eckpunkte einer Gewichtsreduktion und der
Erhaltung des reduzierten Gewichts; der Abfall des Grundumsatzes der bei jeder Gewichtsreduktion
eintritt, steht der Erhaltung des reduzierten Gewichts jedoch antagonistisch gegenüber.
Anders ausgedrückt wird das anfänglich aufgrund einer Reduktionsdiät vorhandene Energiedefizit
mit der Zeit durch Abnahme des Energieverbrauchs (des Grundumsatzes, des Gesamtenergieumsatzes
usw.) immer kleiner; schließlich kann die Gewichtsabnahme stagnieren. Wer kontinuierlich
und effektiv über längere Zeit Gewicht reduzieren will, muss daher immer weniger Energie
zu sich nehmen. Da sich dieses Prinzip nicht unendlich ausdehnen lässt, müssen erfolgreiche
Gewichtsreduktionsprogramme Strategien beinhalten, die dem Abfall des Energieverbrauchs
entgegenwirken.
Komponenten des Energiehaushalts/Ableitung eines Therapiemodells
Komponenten des Energiehaushalts/Ableitung eines Therapiemodells
Die wesentlichen Komponenten des Energiehaushalts sind in Abb.
[
1
]. dargestellt. Ganz plakativ folgt ein Körper im Zustand der Gewichtskonstanz dem
1. Grundgesetz der Thermodynamik: Die Energie, die dem Körper zugeführt wird, wird
in gleicher Höhe abgegeben. Gewichtsreduktion ist also „sehr einfach möglich“, indem
entweder weniger Energie zugeführt oder mehr abgegeben wird oder beide Prinzipien
kombiniert werden. Warum funktioniert dieses einfache Grundprinzip offenbar nicht?
Abb. 1 Komponenten des täglichen Energieumsatzes am Beispiel eines durchschnittlichen
männlichen Probanden (70 kg Körpergewicht, 15 % Körperfettanteil [KF], 3000 kcal/die
Energiezufuhr).
Daten extrapoliert aus Respirationskammer-Messungen (modifiziert nach [45]). SMR = Sleeping Metabolic Rate; BMR = Basal Metabolic Rate (Grundumsatz);
Arousal = Energieumsatz beim Aufwachen; TEF = Thermic Effect of Feeding (Nahrungs-induzierte
Thermogenese).
Die Kenntnis der Grundlagen des Energiehaushalts ist für die Planung und Durchführung
effektiver Gewichtsreduktions-Programme unerlässlich. Den größten Anteil am Gesamtenergieumsatz
macht mit ca. 60–70 % der Grundumsatz aus. Die fettfreie Masse (FFM) ist der wesentliche
Faktor, der den Grundumsatz determiniert [4]
[12]
[42]
[45]
[54]
[57]
[58]. Die fettfreie Masse besteht hauptsächlich aus Muskulatur mit hoher metabolischer
Aktivität (nahezu identisch verwendet wird der Begriff „lean body mass“ = LBM) sowie
aus Geweben mit niedriger metabolischer Aktivität wie Knochen oder Bindegewebe [41]. Weitere Faktoren, die den Grundumsatz beeinflussen sind Alter, Geschlecht, Körpergröße,
Schilddüsenhormone und genetische Faktoren [4]
[23]. Fettfreie Körpermasse, Fettmasse, Alter und Geschlecht erklären 60–90 % der interindividuellen
Variabilität des Grundumsatzes. Genetische Faktoren können bis zu 50 % dieser Variabilität
ausmachen.
Die lean body mass (LBM) ist der wesentliche Einflussfaktor auf den Grundumsatz. Fettfreie
Körpermasse, Fettmasse, Alter, Geschlecht und genetische Faktoren beeinflussen die
individuelle Variabilität des Grundumsatzes.
Es existieren verschiedene prädiktive Formeln für den Grundumsatz (basal metabolic
rate = BMR) unter anderem die von Harris-Benedict (1919):
-
Männer
BMR = 66,47 + 13,75 + 5,00 × Größe [m] – 6,77 × Alter [Jahre]
-
Frauen
BMR = 655,09 + 9,56 × Gewicht [kg] + 1,849 × Größe [m] – 4,67 × Alter [Jahre]
Weitere wesentliche Bestandteile des Gesamtenergieumsatzes (total energy expenditure = TEE)
sind die Thermogenese, hauptsächlich als nahrungsinduzierte Thermogenese und durch
physische Aktivität.
Der Grundumsatz kann mittels indirekter Kalorimetrie nach nächtlichem Fasten, morgens
nach dem Aufwachen gemessen werden. Dies kann über zwei Methoden geschehen:
-
Der Proband liegt im Bett unter einer Haube („ventilated hood“). Bei konstantem Luftdurchfluss
werden O2-Verbrauch und CO2-Produktion gemessen. Aus diesen Daten werden die Energieumsätze ermittelt. Diese
Variante wäre durchaus in spezialisierten Einrichtungen machbar und ist somit als
praxisnah einzustufen.
-
Auch der Gesamtenergieumsatz kann mittels indirekter Kalorimetrie gemessen werden,
indem der Proband sich 24 Stunden in einem abgeschlossenen Raum aufhält, dort basale
Tätigkeiten verrichtet und schläft. Sauerstoffverbrauch und CO2-Produktion in diesem Raum werden bestimmt. Auch dies ist eine Form der indirekten
Kalorimetrie. Anhand dieser Versuchsanordnung lassen sich weitere Komponenten des
Gesamtenergieumsatzes ermitteln (Abb.
[
1
]):
Die weiteren Komponenten des Energieverbrauches (nahrungsinduzierte Thermogenese,
körperliche Aktivität) sind nicht ganz einfach zu ermitteln. Die nahrungsinduzierte
Thermogenese lässt sich nur über spezielle Versuchsanordnungen in Forschungslabors
bestimmen. Die körperliche Aktivität ist allenfalls grob abschätzbar. Mit doppelt
markiertem Wasser ließe sich der Gesamtenergieverbrauch eines Menschen exakt messen.
D2O ist aber in Deutschland für derartige Zwecke nicht zugelassen
De facto führt fast jede „Diät“ zur Gewichtsreduktion, jede kalorische Restriktion
zu einem Abfall des Grundumsatzes in der Regel über eine Abnahme der LBM [8]
[39]. Ziel einer Gewichtsreduktion ist der Verlust an Fettmasse bei möglichst erhaltener
LBM. Allerdings gibt es nur wenige Daten insbesondere zum Verhalten des Grundumsatzes
unter Gewichtsreduktion. In den letzten Jahren hat das Thema eine gewisse Renaissance
erfahren, insbesondere da langfristige Erfolge von Programmen zur Gewichtsreduktion
selten sind bzw. fehlen. Zudem wurde erkannt, dass die schnelle Anpassung des Energieumsatzes
an gewichtsreduzierende Maßnahmen in diesem Kontext nicht vernachlässigt werden darf.
Von einzelnen Arbeitsgruppen wurden sogar mathematische Modelle der Gewichtsreduktion
auf der Basis des 1. Grundgesetzes der Thermodynamik entwickelt [59]
[61].
Ziel einer Gewichtsreduktion ist die Reduktion der Körperfettmasse bei gleichzeitig
möglichst erhaltener LBM (lean body mass).
Welche „Verteidigungsmechanismen“ stehen einer erfolgreichen Gewichtsreduktion aus
Sicht des
Energiehaushaltes entgegen?
Welche „Verteidigungsmechanismen“ stehen einer erfolgreichen Gewichtsreduktion aus
Sicht des
Energiehaushaltes entgegen?
Eine Reduktion des Körpergewichts um mehr als 10 % (unabhängig davon, ob bei adipösen
oder schlanken Personen) ist begleitet von einem Abfall des Gesamtenergieumsatzes
über 24 Stunden (24-h-TEE) von ca. 20–25 %. Dieser tatsächliche Abfall des 24-h-TEE
ist also doppelt so hoch wie der theoretisch zu erwartende Wert, der sich aus den
Veränderungen von Fettmasse und LBM ergeben würde [16]
[17]
[18]
[25]
[29]
[36]
[47]
[49]
[53]
[62]
[67]. Dies bedeutet, dass ein ehemals adipöser Patient bzw. ein Patient mit 10 % Gewichtsreduktion
ca. 300–400 kcal/Tag weniger benötigt, um das gleiche Körpergewicht bei gleicher Aktivität
aufrecht zu erhalten als ein nicht Adipöser [49]. Es findet also eine Anpassung der verschiedenen Komponenten des Gesamtenergieumsatzes
an die veränderte Energiezufuhr (sogenannte „adaptive Thermogenese“) statt, die den
bekannten „Jojo-Effekt“ begünstigt.
In Tab.
[
1
] sind die Veränderungen des Energiehaushalts, der autonomen Funktion und neuroendokriner
Parameter nach bzw. während der Gewichtsreduktion dargestellt.
Tab. 1
Veränderungen des Energiehaushaltes, des autonomen Nervensystems und neuroendokriner
Parameter bei Probanden in der Phase der Erhaltung eines reduzierten Gewichts (nach
[48]).
|
Effekt eines Gewichtsverlusts um 10 %
|
|
Energieumsatz
24-h-Gesamtenenergieumsatz
Grundumsatz
Nahrungsinduzierte Thermogenese
Non-resting energy expenditure
Effektivität der Skelettmuskulatur
|
↓(– 15 %)
↓ = (bis – 15 %)
=
↓(– 30 %)
↑ (+ 20 %)
|
|
Autonomes NS
Tonus sympathisches Nervensystem
Tonus parasympathisches Nervensystem
|
↓(– 40 %)
↑ (+ 80 %)
|
|
Neuroendokrine Parameter
TSH
fT3
fT4
Gonadotropin
|
↓ (– 18 %)
↓ (– 7 %)
↓ (– 9 %)
↓
|
Wenn man erfolgreiche Therapiestrategien zur Behandlung der Adipositas entwickeln
will, muss man Adipositas als Krankheit betrachten bei der der menschliche Organismus
immer wieder versucht, dieser “Therapie” entgegenzuwirken [48].
Im Rahmen der Veränderungen des Energieumsatzes fallen insbesondere die Reduktion
des Grundumsatzes und noch augenfälliger die Reduktion des Umsatzes durch körperliche
Aktivität (-30 %) auf. Die körperliche Aktivität ist der Teil des Energieumsatzes,
der am meisten von Veränderungen des Körpergewichts betroffen ist. Damit ist auch
klar, dass eine Steigerung der körperlichen Aktivität der entscheidende Faktor ist,
um erfolgreich Gewicht zu reduzieren und dies auch zu halten.
Von großer Bedeutung ist, dass die körperliche Aktivität in willentliche Aktivität
und nicht-willentliche Aktivität unterteilt wird (NEAT= non exercise activity thermogensis)
[36]
[53]. Hiermit ist gemeint, dass durch die sogenannten „kleinen Körperbewegungen“ ein
nicht unbeträchtlicher Anteil des Energieumsatzes bestritten wird.
Von Redman et al. (Ravussin-Gruppe) [46] wurde in einem sehr ausgefeilten Studiendesign unter Nutzung stabiler Wasserstoffisotope
zur Messung der 24-h-TEE gezeigt, dass alle Komponenten des Energieumsatzes unter
kalorischer Restriktion deutlich abfallen. Da es sich hier um „frei lebende“ Probanden
handelt, die nicht den Restriktionen der indirekten Kalorimetrie unterzogen waren,
sind diese Daten von hoher praktisch-klinischer Relevanz. Auf die Veränderungen des
autonomen Nervensystems und der neuroendokrinen Parameter soll hier nicht näher eingegangen
werden. Veränderungen des Tonus des autonomen Nervensystems unter Gewichtsreduktion
können aber eine Verbindung sein zu den Veränderungen des Energiehaushalts und der
neuroendokrinen Homöostase unter Gewichtsreduktion.
Unter kalorischer Restriktion fallen alle Komponenten des Energiehaushalts ab, vor
allem Grundumsatz und Umsatz durch körperliche Aktivität.
Die Veränderungen des Energiehaushalts unter Gewichtsreduktion sollen an einem Beispiel
erläutert werden: Wir nehmen an, dass eine 50-jährige Frau mit 160 cm Körpergröße
und einem Gewicht von 100 kg sich einer Gewichtsreduktion unterziehen will. Der theoretische
Grundumsatz nach der Formel von Harris-Benedict ist:
BMR =
655,1 + 9,563 × 100 kg + 1,85 × 160 cm-4,676 × 50 = 1674 kcal/die
Der mittels indirekter Kalorimetrie gemessene Grundumsatz beträgt 1850 kcal/die. Dies
würde hinsichtlich des Gesamtenergieumsatzes einen Wert von ca. 2250 kcal/die ergeben.
Unterstellen wir, dass die Patientin mit -600 kcal/ die Zufuhr abnehmen kann, müssten
ihr maximal 1650 kcal/die an Kalorienzufuhr empfohlen werden. Wir betrachten hier
nur den kalorischen Effekt und diskutieren noch nicht die Zusammensetzung der Kost.
Wenn es der Patientin gelingt, sich an diese Vorgaben zu halten, wird sie abnehmen
und parallel dazu wird eine Reduktion des Grundumsatzes eintreten. Nach 4 Wochen wird
die Reduktion des Grundumsatzes ca. 200 kcal/die betragen. Der Gesamtenergieumsatz
wird dann also 2050 kcal/die betragen. Nach weiteren 4 Wochen fällt der Gesamtenergieumsatz
um weitere 200 kcal/die, usw. Würde die empfohlene Kalorienzufuhr zur Gewichtsreduktion
konstant bleiben, käme es relativ rasch zum Ausbleiben der Gewichtsreduktion. Dies
bedeutet, dass die Empfehlungen zur Kalorienzufuhr an den Abfall des Grundumsatzes
angepasst werden müssen. Pro 4 Wochen sollte also die Kalorienzufuhr um weitere 200 kcal/die
reduziert werden. Es ist offensichtlich, dass dies nicht dauerhaft möglich ist. Es
wird also darauf ankommen, effektive Maßnahmen gegen den Abfall des Grundumsatzes
zu entwickeln und in die Behandlung der Patientin einzubeziehen. Bereits hier ist
ersichtlich, dass effektive Programme zur Gewichtsreduktion Grundprinzipien des Energiehaushalts
berücksichtigen müssen, ansonsten ist der Misserfolg in Form des „Jojo- Effektes“
unvermeidbar.
Programme zur Gewichtsreduktion müssen Grundprinzipien des Energiehaushalts berücksichtigen.
Welche Möglichkeiten haben wir, dem Abfall des Grundumsatzes entgegenzuwirken?
Welche Möglichkeiten haben wir, dem Abfall des Grundumsatzes entgegenzuwirken?
Steigerung des Gesamtenergieumsatzes über
Steigerung der körperlichen Aktivität
Die Steigerung der körperlichen Aktivität muss integraler Bestandteil jedes effektiven
Programms zur Gewichtsreduktion sein. Die physische Konditionierung wird einen erheblichen
zeitlichen Umfang beanspruchen müssen, da ja der Abfall an Grundumsatz pro Tag aufgefangen
werden muss. In unserem Rechenbeispiel wird dieser Abfall im 3. Monat der Gewichtsreduktion
ca. 500–600 kcal/die betragen. Dies bedeutet, dass mit der zunehmenden Dauer der Gewichtsreduktion
auch der Zeit- und Intensitätsbedarf für körperliche Aktivität zunehmen muss. Ein
effektives Sportprogramm wird eine Mischung aus Ausdauer- und Krafttraining beinhalten.
Das Krafttraining dient dabei der Steigerung der Muskelmasse und über diesen Weg der
Steigerung des Energieverbrauchs [50].
Zusätzlich zu den bekannten Mechanismen führt eine deutliche Steigerung der körperlichen
Aktivität zu einem Anstieg des Energieverbrauchs in der Phase nach dem Sport (post-exercise
recovery period) und dies für mehr als 24 Stunden [6]
[35]. Allerdings zeigen nicht alle Studien, dass die Kombination von Diät und Sport zu
einer deutlich stärkeren Gewichtsabnahme führt als Diät allein. Hier geht es uns aber
ganz besonders darum, dass durch Sport und körperliche Aktivität dem Abfall des Energieumsatzes
unter Diät entgegengewirkt werden kann und Sport in ausreichender Intensität und Dauer
die Gewichtserhaltung nach erfolgreicher Gewichtsreduktion unterstützen kann.
Die Steigerung der körperlichen Aktivität muss Bestandteil jedes Programmes zur Gewichtsreduktion
sein, insbesondere um den Abfall des Energieumsatzes unter kalorischer Restriktion
entgegenzuwirken.
Erhalt der LBM durch Muskelkräftigung und/oder
diätetische Interventionen
Neben der Steigerung der körperlichen Aktivität über Ausdauertraining ist die Einbeziehung
von Krafttraining in ein Gewichtsreduktionsprogramm außerordentlich wichtig, insbesondere
um die Muskelmasse (LBM) zu erhalten und zu steigern (Zunahme der Muskelkraft durch
Hypertrophie der Skelettmuskulatur) Diätetische Maßnahmen sollten dies unterstützen.
Welche Substrate werden während physischer
Aktivität verbrannt?
Welche Substrate werden während physischer
Aktivität verbrannt?
Gut gesichert ist, dass Fettsäuren während niedriger und moderater Intensitäten der
physischen Aktivität die dominierende Energiequelle sind (< 50 % VO2 max.). Mit zunehmender Intensität (> 50 % VO2 max.) werden Kohlenhydrate zur Hauptenergiequelle und da dies in der Regel anaerob
abläuft, ist Glukose die einzige Energiequelle [1]
[67]. Trotzdem nimmt mit steigender Intensität der körperlichen Aktivität die absolute
Menge an oxidiertem Fett zu, so dass man den wenigen Adipösen, die zu intensiver physischer
Aktivität in der Lage sind, diese intensive physische Aktivität auch aus Sicht der
Utilisierung von Fett und gleichzeitig hohem Kalorienverbrauch empfehlen könnte. In
der Regel wird die Empfehlung aber eine niedrig bis moderat intensive physische Aktivität
sein, die aber zeitlich ausgedehnt werden sollte. Allerdings gibt es noch viele Kontroversen
zu dieser Thematik.
Von der Vielzahl von Studien, die zu den Auswirkungen der Makronährstoff-Zusammensetzung
einer Diät auf die Gewichtsreduktion vorliegen, beziehen sich nur wenige auf den potenziellen
Effekt der Makronährstoff-Komposition einer Kost auf den Grundumsatz. Um einem Abfall
des Grundumsatzes entgegenzuwirken, ist der Erhalt der LBM ein wesentliches Ziel.
Eine Proteinzufuhr, die in der Lage ist, eine negative Stickstoffbilanz zu vermeiden,
könnte von großer Bedeutung sein, um den Abfall der Muskelmasse gering zu halten [13].
Populär und von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung propagiert, sind Diäten mit
hohem
Kohlenhydratanteil (high carbohydrate/low fat) [17]. Diese Diäten führen
in der Regel zu einem signifikanten Verlust an Körpergewicht, Fettmasse, LBM und Grundumsatz
[3]
[28]
[33]
[34]
[52]
[55]
[56]
[60]. Diätformen mit hohem Proteinanteil
sollen in der Lage sein, den Verlust an LBM während einer Gewichtsreduktion zu minimieren
[3]
[28]
[55]
[60]. Auch der Grundumsatz-Abfall wurde unter proteinreicher Kost minimiert
[60].
Diäten mit hohem Proteinanteil waren darüber hinaus in der Lage, die Insulin-Sensitivität
zu verbessern [3]
[22]
[28]
[51] und hatten keine negativen Effekte auf Blutdruck [22], Cholesterol, Triglyceride [3]
[21]
[22]
[28]
[51] und Knochenumsatz [21]
[55]. Im Hinblick auf die hier diskutierten pathophysiologischen Prozesse des Energiehaushalts
scheinen proteinreiche Diäten zur Gewichtsreduktion den Verlust an Körperfettmasse
bei minimiertem Abfall an LBM und Grundumsatz zu fördern. Dabei scheint es sinnvoll
zu sein, Fleisch als Eiweißquelle maßvoll bzw. reduziert einzusetzen [38] und Milcheiweißprodukte sowie pflanzliche Proteine zu bevorzugen.
Diätformen mit hohem Proteinanteil sollen in der Lage sein, den Verlust an LBM und
den Abfall des Grundumsatzes unter Gewichtsreduktion zu minimieren.
Die immer wieder postulierten kohlenhydratreichen, fettarmen Kostformen müssen also
letztlich unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung des „Jojo-Effekts“ hinterfragt werden.
Konklusive Aussagen sind sicher erst mit weiteren Studien möglich.
Schlussfolgernd muss ein langfristig effektives Programm zur Gewichtsreduktion die beschriebenen Aspekte
des Energiehaushalts, insbesondere den reduzierten Grundumsatz unter Gewichtsreduktion
(adaptive Thermogenese) berücksichtigen und in die Planung einbeziehen.
Konsequenz für Klinik und Praxis
Ein multimodales Programm zur Gewichtsreduktion muss möglichst folgende Komponenten
beinhalten:
-
Ernährungsumstellung im Sinne kalorischer Restriktion mit reduziertem Fett- und hohem
Proteinanteil. Die Empfehlungen zur kalorischen Restriktion müssen sich am Grundumsatz
(möglichst
gemessen) orientieren und diese Empfehlungen müssen im Verlauf der Gewichtsreduktion dem
abfallenden Grundumsatz angepasst werden. Dies ist der entscheidende Punkt zur Vermeidung
des
sogenannten „Jojo-Effekts“.
-
Steigerung der physischen Aktivität im Sinne einer Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining.
Dabei wird initial eine eher niedrige Intensität und noch geringe Zeitdauer möglich
sein, die aber
im Verlauf sowohl hinsichtlich Intensität und Zeitaufwand deutlich gesteigert werden
muss. Ziel ist,
dem Abfall der LBM entgegenzuwirken und über diesen Mechanismus auch den Abfall des
Grundumsatzes in
Grenzen zu halten. Nur über diesen Weg kann das notwendige Ausmaß der kalorischen
Restriktion im
Verlauf begrenzt und dem „Jojo-Effekt“ entgegengewirkt werden.
-
Verhaltenstherapeutische Begleitung. Obwohl das Hauptaugenmerk auf den Komponenten
1 und 2 liegen
muss, ist die verhaltenstherapeutische Begleitung der Patienten von enormer Bedeutung.
Dies beginnt
bereits mit dem Adipositas- Schulungsprogramm, mit dem die genannten Inhalte vermittelt
werden und
setzt sich in Krisenintervention fort.
-
Die ersten beiden Komponenten wurden aus der hier dargestellten Datenlage abgeleitet
und
entsprechen unserer klinischen Erfahrung. Langzeitstudien über Jahre, die belegen,
dass der
Jojo-Effekt tatsächlich vermieden werden kann, fehlen noch.