OP-Journal 2012; 28(3): 244-245
DOI: 10.1055/s-0032-1328025
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Distale Radiusfraktur – Implantatauswahl

Hermann Krimmer
Further Information


Prof. Dr. med. Hermann Krimmer , Leitung
Zentrum für Handchirurgie am Elisabethenkrankenhaus Ravensburg
Elisabethenstraße 19
88212 Ravensburg

Publication History

Publication Date:
05 March 2013 (online)

 

Zusammenfassung

Im Hinblick auf die Vielzahl der zur Verfügung stehenden Plattensysteme ist es sinnvoll, ein System vorzuhalten, mit dem alle Versorgungstypen – palmare und dorsale Stabilisierung, Doppelplattenosteosynthese und Korrekturosteotomie – realisiert werden können. Multidirektionale Systeme bieten bei schwierigen Situationen Vorteile und ermöglichen die subchondrale Schraubenplatzierung, die besonders bei Trümmerfrakturen und osteoporotischer Knochenstruktur wichtig ist, um sekundäre Korrekturverluste zu vermeiden.


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Fractures of the Distal Radius – Selection of Implants

The majority of distal radius fractures nowadays are fixed through a palmar approach using locking devices. In the beginning mainly unidirectional devices with limited variation of screw placement were available. Nowadays looking at the wide variety of plates on the market, polyaxial devices with two rows in the distal part represent the best solution for achieving rigid support. For biomechanical reasons subchondral placement through the first and second row should be used especially in cases of comminuted fractures and osteoporotic bone quality. This helps to avoid a secondary loss of reduction.


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Einleitung

Die Behandlung der distalen Radiusfraktur hat ab Ende der 90er-Jahre eine Wende hin zur vermehrten operativen Stabilisierung durch die palmare Plattenosteosynthese erfahren.

In erster Linie wurde diese Trendwende durch die Verfügbarkeit winkelstabiler Implantate begünstigt, die die Stabilisierung nach dem Fixateur-interne-Prinzip ermöglichen. Im Gegensatz zu Kirschner-Drähten wird nach erfolgreicher Reposition die Gefahr eines sekundären Korrekturverlusts minimiert. Trotz dieser Vorteile muss jede Fraktur individuell behandelt werden, da die Verwendung von Kirschner-Drähten, des Fixateur externe und der dorsalen Plattenosteosynthese nach wie vor ihren Stellenwert hat.


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Hauptteil

Kirschner-Drähte

Die Verwendung von Kirschner-Drähten stellt im Kindes- und Jugendalter bei noch offenen Wachstumsfugen die bevorzugte Therapie dar.

Hierdurch erreicht man bei meist guter kortikaler Abstützung ausreichend Stabilisierung ohne Gefahr eines sekundären Korrekturverlusts, und das Risiko für sekundäre Wachstumsstörungen bleibt relativ gering. Beim Erwachsenen ist diese Technik wegen der Gefahr des Repositionsverlusts und der unzureichenden Stabilität weitestgehend verlassen worden.


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Fixateur externe

Bei ausgedehnten Weichteilschädigungen erlaubt der Fixateur externe eine schonende Stabilisierung, und ein Verfahrenswechsel kann zu einem späteren Zeitpunkt bei gesicherter Deckung durchgeführt werden.

Ausgedehnte Trümmerfrakturen, die der sofortigen Stabilisierung bedürfen, können zunächst im Fixateur gestellt werden und nach Analyse durch eine Computertomografie definitiv geplant versorgt werden. Der Fixateur als primäre alleinige Therapie hat durch die winkelstabilen Implantate weitestgehend an Bedeutung verloren.


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Dorsale Plattenosteosynthese

Die vor Einsatz der winkelstabilen Implantate vorherrschende Technik der dorsalen abstützenden Plattenosteosynthese kommt zum Einsatz bei Impressionsfrakturen, wo die palmare Kortikalis meist weitestgehend erhalten ist. Die Indikation wird anhand der CT gestellt. Als Implantate können kleine winkelstabile Platten gewählt werden, die nach dem Säulenprinzip radial und ulnar oder als alleiniges Implantat angebracht werden.

Die Verwendung einer alleinigen dorsalen Platte wie der Pi-Platte ist nur noch in Ausnahmefällen erforderlich.

Bei massiver Zertrümmerung mit Dislokation nach palmar und dorsal kann die dorsale Plattenosteosynthese als Kombination mit einer palmaren Platte im Sinne der Sandwich-Technik zum Einsatz kommen.


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Palmare winkelstabile Plattenosteosynthese

Aufgrund der weiten Verbreitung dieser Technik steht mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Plattensysteme zur Verfügung, die erhebliche Unterschiede aufweisen, die bei der Auswahl berücksichtigt werden sollten. Diese Unterschiede beziehen sich auf das Plattendesign und die unterschiedlichen Verblockungstechnologien.


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Plattendesign

Die ersten Platten wiesen überwiegend das klassische T-Platten-Profil mit einer distalen Schraubenreihe auf. Für extraartikuläre Frakturen mit stabiler Knochenstruktur war dies ausreichend, allerdings zeigte sich, dass bei osteoporotischer Knochenstruktur und Trümmerbrüchen sekundäre Korrekturverluste mit Durchsintern der Gelenkfläche und intraartikulärer Schraubenlage auftreten können.

Hier bietet das 2-reihige Plattendesign eine stabilere Abstützung, wobei allerdings darauf geachtet werden muss, dass die Schraubenplatzierung subchondral erfolgt, da hier die beste Stabilität erreicht wird.

Im Idealfall wird durch die 1. Schraubenreihe die zentrale Gelenkfläche und durch die 2. Schraubenreihe der dorsale Anteil stabilisiert ([Abb. 1]). Das Auftreten von Beugesehnenrupturen nach palmarer Plattenosteosynthese stellt eine gefürchtete Komplikation dar und ist meist durch unzureichende Reposition oder zu distale Plattenmontage bedingt. Die Watershed-Linie als distale Grenze der Plattenlage muss beachtet werden, da ansonsten die Platte übersteht. Platten, deren distales Profil der Watershed-Linie angepasst ist, können dieses Risiko verringern, allerdings vermeidet auch das klassische abgeschrägte Plattenprofil bei korrekter Platzierung das Risiko der Beugesehnenirritation.

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Abb. 1 Subchondrale Schraubenplatzierung aus der 1. und 2. Reihe mit korrekter Plattenlage unterhalb der Watershed-Linie.

Entscheidend ist zusätzlich ein Low-Profile-Design mit auf Plattenniveau versenkten Schraubenköpfen.

Neuere Plattenprofile berücksichtigen die gewölbte Struktur des Radius und werden 3-dimensional gefertigt. Inwieweit dies klinische Relevanz erlangt, wird sich zeigen.


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Verblockungsprinzipien

Grundsätzlich muss man zwischen der unidirektionalen und der multidirektionalen Verblockung unterscheiden.

Die unidirektionale Verblockung, die überwiegend auf dem Prinzip Gewinde in Gewinde basiert, weist zwar eine hohe Stabilität auf, allerdings ist die Richtung durch das Gewinde in der Platte vorgegeben und kann vom Operateur nicht korrigiert werden. Eine individuelle Anpassung entsprechend dem Frakturmuster ist hier nicht möglich. Neuere Platten geben allerdings die Schraubenrichtung anatomisch vor, sodass das Risiko der intraartikulären Schraubenlage, sofern die Platte korrekt liegt, relativ gering ist. Liegt allerdings die Platte zu weit distal, erhöht sich die Gefahr der intraartikulären Schraubenlage, und liegt sie zu weit proximal, können die Schrauben nicht subchondral platziert werden.

Der Vorteil der multidirektionalen (polyaxialen) Verblockung ist darin zu sehen, dass mit einem Freiheitsgrad von ca. 15° in allen Ebenen die Schraube in der gewünschten Richtung eingebracht werden kann unter Berücksichtigung des jeweiligen Frakturmusters.

Im Falle einer versehentlichen intraartikulären Schraubenposition kann eine Korrektur ohne Änderung der Plattenposition durchgeführt werden.

Die Realisierung der multidirektionalen Verblockung hat entscheidenden Einfluss auf das Handling der Schrauben. Das Prinzip der Materialverformung (weiche Platte – harte Schraube), bei dem die Schraube das Gewinde in die Platte schneidet, ist mit dem Problem behaftet, dass bei Positionsänderung die Schraube den energieärmeren Weg sucht und in die alte Richtung tendiert. Eine spätere Metallentfernung ist häufig mit erheblichen Problemen behaftet. Andere Systeme realisieren die Verblockung durch einen konischen Schraubenkopf und unterbrochenen Gewindegang in der Platte. Diese Systeme basieren auf segmentalen Gewinden oder Rillen im Plattenloch in Kombination mit Schrauben mit Kegel- oder Kugelgewindeköpfen. Obwohl weitgehend materialunabhängig, besteht im Detail keine wirkliche Stufenlosigkeit. Die Schraube hat die Tendenz, sich in einem Winkel des geringsten Widerstands zu verblocken.

Verblockungsprinzipien mit unterbrochener Schraubenkopfkontur und korrespondierendem Plattenloch (sphärische Kopfraumverblockung) verblocken mit der letzten Umdrehung durch Reibung und Verspannung des Schraubenkopfs in der Platte. Das bedeutet, dass die Schraubenkopfkontur in einem bestimmten Bereich mit der Plattenlochkontur kollidiert und eine Art der Verkeilung eintritt. Diese Systeme zeichnen sich durch eine Stufenlosigkeit im Hinblick auf die Schraubenrichtung mit ca. 15° in allen Ebenen aus, da kein Kraftvektor die Schraube beim Verblocken in einen ungewollten Winkel zwingen will.

Entscheidend ist bei allen multidirektionalen Systemen darauf zu achten, dass auch bei schräg eingebrachter Schraube der Schraubenkopf weitestgehend mit der Platte abschließt, um ein Überstehen mit Sehnenirritation zu vermeiden.


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Spezielle Entwicklungen

Minimalinvasive Implantate wie der dorsale Nagel oder das Einbringen eines internen Stabilisators durch einen sich entfaltenden Metallcache haben den Vorteil der geringeren Weichteiltraumatisierung. Allerdings ist ihr Einsatz auf bestimmte meist extraartikuläre Frakturmuster beschränkt und technisch nicht ganz einfach. Der Stellenwert muss anhand der klinischen Ergebnisse und des Kostenaufwands noch definiert werden.


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  • Literatur

  • 1 Mehling I, Müller LP, Rommens PM. Biomechanische Vergleichsstudien von Implantatsystemen zur Versorgung distaler Radiusfrakturen: Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die klinische Praxis?. Handchir Mikrochir Plast Chir 2012; 44: 300-305


Prof. Dr. med. Hermann Krimmer , Leitung
Zentrum für Handchirurgie am Elisabethenkrankenhaus Ravensburg
Elisabethenstraße 19
88212 Ravensburg

  • Literatur

  • 1 Mehling I, Müller LP, Rommens PM. Biomechanische Vergleichsstudien von Implantatsystemen zur Versorgung distaler Radiusfrakturen: Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die klinische Praxis?. Handchir Mikrochir Plast Chir 2012; 44: 300-305

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Abb. 1 Subchondrale Schraubenplatzierung aus der 1. und 2. Reihe mit korrekter Plattenlage unterhalb der Watershed-Linie.