Aktuelle Urol 2012; 43(05): 296-298
DOI: 10.1055/s-0032-1329448
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nierenzellkarzinom – NSAR erhöhen Erkrankungsrisiko

Contributor(s):
Barbara Weitz

Arch Intern Med 2011;
171: 1487-1493
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Publication History

Publication Date:
08 October 2012 (online)

 
 

Bisherige epidemiologische Daten lassen auf einen Zusammenhang zwischen einer Analgetika-Einnahme und einem erhöhten Nierenzellkarzinomrisiko schließen – allerdings gibt es hierzu nur wenige Ergebnisse aus prospektiven Studien. Laut einer aktuellen Studie aus den USA scheint die langfristige Einnahme von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) das Nierenzellkarzinomrisiko zu erhöhen.
Arch Intern Med 2011; 171: 1487–1493

mit Kommentar

Eunyoung Cho, Harvard Medical School, Boston/Massachusetts, und Kollegen werteten 2 umfangreiche Kohortenstudien aus:

  • die Nurses‘ Health Study (NHS) mit 30- bis 55-jährigen Krankenschwestern und

  • die Health Professionals Follow-up Study (HPFS) mit 40- bis 75-jährigen, im Gesundheitswesen tätigen Männern.

Alle Teilnehmer wurden im 2-Jahres-Abstand über ihre Lebensgewohnheiten befragt (Ernährung, Zigaretten- und Alkoholkonsum). Ebenso gaben die Teilnehmer Auskunft über die Einnahme von Analgetika wie Paracetamol, Aspirin und andere NSAR, z.B. Ibuprofen und Naproxen. Ob ein Studienteilnehmer an einem Nierenzellkarzinom erkrankt war, ergab sich aus den Angaben der Teilnehmer oder ihrer Angehörigen und wurde durch Einsicht in die Krankenunterlagen überprüft.

Aspirin und Paracetamol erhöhen Risiko nicht

Innerhalb des Untersuchungszeitraums von 16 Jahren bei insgesamt 77525 Krankenschwestern bzw. von 20 Jahren bei 49403 medizinisch tätigen Männern wurde in 333 Fällen ein Nierenzellkarzinom diagnostiziert. Ein regelmäßiger Konsum von Schmerzmitteln aus der Gruppe der NSAR erhöhte das Erkrankungsrisiko (relatives Risiko [RR] 1,51; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,12–2,04) – mit Ausnahme von Aspirin oder Paracetamol. Der Unterschied hinsichtlich des Erkrankungsrisikos von NSAR-Konsumenten gegenüber Teilnehmern, die keine Schmerzmittel eingenommen hatten, lag bei 9,15 (Frauen) bzw. 10,92 (Männer) pro 100000 Personenjahre.

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Im 2-Jahresabstand beantworteten 30- bis 55-jährige Krankenschwestern in der Nurses‘ Health Study und 40- bis 75-jährige, im Gesundheitswesen tätige Männer in der Health Professionals Study Fragen zu ihren Lebensgewohnheiten. Laut der aktuellen Studie erhöhte die Einnahme von Analgetika – mit Ausnahme von Paracetamol und Aspirin – in diesen beiden Kohorten das Risiko, an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken.(© Jupiterimages (nachgestellte Situation))

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Je häufiger die NSAR-Einnahme, umso höher das Risiko

Von den Krankenschwestern lagen detaillierte Angaben über die Häufigkeit ihrer Analgetika-Einnahme vor. Anhand dieser Daten ergab sich ein linearer Anstieg des Erkrankungsrisikos mit zunehmender Häufigkeit des NSAR-Konsums. Wurden mehrere Analgetika gleichzeitig eingenommen, beeinflusste dies die Ergebnisse nur unwesentlich.

Auch die Dauer der Analgetika-Einnahme wirkte sich auf das Nierenzellkarzinom­risiko aus. So erhöhte sich bei regelmäßiger Einnahme von Nichtaspirin-NSAR bei beiden Geschlechtern das RR von 0,81 (95%–KI 0,59–1,11) auf 1,36 (95%–KI 0,98–1,89) bei einer Einnahmedauer von bis zu 4 Jahren bei 4- bis 10-jährigem Konsum. Bei mehr als 10-jähriger Einnahme erhöhte sich das Risiko auf 2,92 (95%–KI 1,71–5,01). Andere Risikofaktoren für die Entstehung von Nierenzellkarzinomen, wie bspw. Zigarettenkonsum, Übergewicht oder eine Hypertonie, waren nicht signifikant.

Fazit

Die (langfristige) Einnahme von Schmerzmitteln aus der Gruppe der NSAR erhöhe das Risiko, an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken, so die Autoren. Dies gelte nicht für Analgetika wie Aspirin und Paracetamol.


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Kommentar

Unbedingt chronische Einnahme von NSAR vermeiden

Die Einnahme von Anagletika aus der Gruppe der NSAR ist in der Bevölkerung weit verbreitet, da Schmerzzustände aller Art häufig und die Substanzen teilweise auch nicht verschreibungspflichtig sind. Wesentliche Probleme der chronischen Einnahme dieser Substanzen bestehen auch in der Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz sowie von Nierenzellkarzinomen. Die Untersuchung von Cho et al. ist daher von hoher klinischer Relevanz gerade für den praktizierenden Arzt, da sie die Entwicklung von Nierenzellkarzinomen im Zusammenhang mit der in der Bevölkerung weit verbreiteten Einnahme von NSAR analysiert.

Die vorliegende Arbeit hat einen hohen Stellenwert, da bisher keine größeren prospektiven Studien zur Einnahme von Nichtaspirin-NSAR im Zusammenhang mit dem Risiko der Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms vorlagen und zusätzlich diese Studie die größte prospektive Untersuchung zur Frage des Zusammenhangs zwischen Analgetikaeinnahme und Nierenzellkarzinom ist. Durch das prospektive Studiendesign konnte vor allem die Dauer der Einnahme der Substanzen, ein wesentlicher Risikofaktor für die Tumorentstehung, besser untersucht werden.

Die absoluten Risikodifferenzen zwischen den Teilnehmern, die NSAR einnahmen und denen, die diese Substanzen nicht einnahmen waren nach der Anpassung der unterschiedlichen Kovariablen zwar gering, aufgrund der hohen Verbreitung der Substanzen in der Bevölkerung sind aber diese relativ kleinen Unterschiede doch relevant.


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Abweichende Ergebnisse in früheren retrospektiven Studien

Frühere, v.a. retrospektive Studien, ergaben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms nicht nur für die Nichtaspirin-NSAR, wie z.B. Ibuprofen oder Naproxen, sondern im Gegensatz zur hier präsentierten Untersuchung auch für Aspirin [ 1 ], [ 2 ] sowie Acetaminophen [ 3 ]–[ 5 ], einem Metaboliten des Phenacetin. In der vorliegenden Studie konnte ein solches Risiko für die genannten Substanzen nicht festgestellt werden. Zu diesem Ergebnis kamen auch die Autoren einer italienischen Fall-Kontroll-Studie [ 6 ]. Diese, von früheren Untersuchungen abweichenden Resultate, könnten mit dem prospektiven Studiendesign der vorliegenden Untersuchung zusammenhängen. Auch die geringere Dosierung von Aspirin könnte damit zusammenhängen, weil niedrigdosiertes ASS nicht zu einer Tumorentstehung führt.

NSAR sollten nicht über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, da vor allem die chronische Einnahme der Substanzen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms verbunden ist. Aspirin und Paracetamol hatten kein erhöhtes Risiko in diesem Zusammenhang. Auch bei Patienten mit Niereninsuffizienz sollten NSAR vermieden werden. Als Alternative bieten sich Novalminsulfon, Paracetamol oder aber Analgetika aus der Gruppe der Opiate an (ggf. Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz).


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Einfluss von epidemiologischen Faktoren bisher unklar

Weitere Untersuchungen müssen in Zukunft zeigen, welche Rolle das Geschlecht, die Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, Lebens/Essgewohnheiten (Alkohol reduziert das Risiko für das Auftreten eines RCC [ 7 ]) oder aber verschiedene Komorbiditäten (z.B. Niereninsuffuizienz, Leberinsuffizienz) auf die Entstehung eines Nierenzellkarzinoms in Verbindung mit Analgetika haben.

Prof. Jens Lutz, Mainz


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Prof. Dr. Jens Lutz


ist Leiter des Schwerpunkts Nephrologie der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Mainz

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  • Literatur

  • 1 Cho WH. Int J Cancer 1994; 59: 467-470
  • 2 Bosetti C, Gallus S, La Vecchia C. Cancer Causes Control 2006; 17: 871-888
  • 3 Gago-Dominguez M et al. Br J Cancer 1999; 81: 542-548
  • 4 Mellemgaard A et al. Int J Cancer 1995; 60: 350-354
  • 5 Derby LE, Jick H. Epidemiology 1996; 7: 358-362
  • 6 Tavani A et al. Eur J Cancer Prev 2010; 19: 272-274
  • 7 Bellocco R et al. Ann Oncol 2012; 23: 2235-2244

  • Literatur

  • 1 Cho WH. Int J Cancer 1994; 59: 467-470
  • 2 Bosetti C, Gallus S, La Vecchia C. Cancer Causes Control 2006; 17: 871-888
  • 3 Gago-Dominguez M et al. Br J Cancer 1999; 81: 542-548
  • 4 Mellemgaard A et al. Int J Cancer 1995; 60: 350-354
  • 5 Derby LE, Jick H. Epidemiology 1996; 7: 358-362
  • 6 Tavani A et al. Eur J Cancer Prev 2010; 19: 272-274
  • 7 Bellocco R et al. Ann Oncol 2012; 23: 2235-2244

 
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Im 2-Jahresabstand beantworteten 30- bis 55-jährige Krankenschwestern in der Nurses‘ Health Study und 40- bis 75-jährige, im Gesundheitswesen tätige Männer in der Health Professionals Study Fragen zu ihren Lebensgewohnheiten. Laut der aktuellen Studie erhöhte die Einnahme von Analgetika – mit Ausnahme von Paracetamol und Aspirin – in diesen beiden Kohorten das Risiko, an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken.(© Jupiterimages (nachgestellte Situation))