Bisherige epidemiologische Daten lassen auf einen Zusammenhang zwischen einer Analgetika-Einnahme
und einem erhöhten Nierenzellkarzinomrisiko schließen – allerdings gibt es hierzu
nur wenige Ergebnisse aus prospektiven Studien. Laut einer aktuellen Studie aus den
USA scheint die langfristige Einnahme von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR)
das Nierenzellkarzinomrisiko zu erhöhen.
Arch Intern Med 2011; 171: 1487–1493
Eunyoung Cho, Harvard Medical School, Boston/Massachusetts, und Kollegen werteten
2 umfangreiche Kohortenstudien aus:
-
die Nurses‘ Health Study (NHS) mit 30- bis 55-jährigen Krankenschwestern und
-
die Health Professionals Follow-up Study (HPFS) mit 40- bis 75-jährigen, im Gesundheitswesen
tätigen Männern.
Alle Teilnehmer wurden im 2-Jahres-Abstand über ihre Lebensgewohnheiten befragt (Ernährung,
Zigaretten- und Alkoholkonsum). Ebenso gaben die Teilnehmer Auskunft über die Einnahme
von Analgetika wie Paracetamol, Aspirin und andere NSAR, z.B. Ibuprofen und Naproxen.
Ob ein Studienteilnehmer an einem Nierenzellkarzinom erkrankt war, ergab sich aus
den Angaben der Teilnehmer oder ihrer Angehörigen und wurde durch Einsicht in die
Krankenunterlagen überprüft.
Aspirin und Paracetamol erhöhen Risiko nicht
Innerhalb des Untersuchungszeitraums von 16 Jahren bei insgesamt 77525 Krankenschwestern
bzw. von 20 Jahren bei 49403 medizinisch tätigen Männern wurde in 333 Fällen ein Nierenzellkarzinom
diagnostiziert. Ein regelmäßiger Konsum von Schmerzmitteln aus der Gruppe der NSAR
erhöhte das Erkrankungsrisiko (relatives Risiko [RR] 1,51; 95%-Konfidenzintervall
[KI] 1,12–2,04) – mit Ausnahme von Aspirin oder Paracetamol. Der Unterschied hinsichtlich
des Erkrankungsrisikos von NSAR-Konsumenten gegenüber Teilnehmern, die keine Schmerzmittel
eingenommen hatten, lag bei 9,15 (Frauen) bzw. 10,92 (Männer) pro 100000 Personenjahre.
Im 2-Jahresabstand beantworteten 30- bis 55-jährige Krankenschwestern in der Nurses‘
Health Study und 40- bis 75-jährige, im Gesundheitswesen tätige Männer in der Health
Professionals Study Fragen zu ihren Lebensgewohnheiten. Laut der aktuellen Studie
erhöhte die Einnahme von Analgetika – mit Ausnahme von Paracetamol und Aspirin – in
diesen beiden Kohorten das Risiko, an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken.(© Jupiterimages
(nachgestellte Situation))
Je häufiger die NSAR-Einnahme, umso höher das Risiko
Von den Krankenschwestern lagen detaillierte Angaben über die Häufigkeit ihrer Analgetika-Einnahme
vor. Anhand dieser Daten ergab sich ein linearer Anstieg des Erkrankungsrisikos mit
zunehmender Häufigkeit des NSAR-Konsums. Wurden mehrere Analgetika gleichzeitig eingenommen,
beeinflusste dies die Ergebnisse nur unwesentlich.
Auch die Dauer der Analgetika-Einnahme wirkte sich auf das Nierenzellkarzinomrisiko
aus. So erhöhte sich bei regelmäßiger Einnahme von Nichtaspirin-NSAR bei beiden Geschlechtern
das RR von 0,81 (95%–KI 0,59–1,11) auf 1,36 (95%–KI 0,98–1,89) bei einer Einnahmedauer
von bis zu 4 Jahren bei 4- bis 10-jährigem Konsum. Bei mehr als 10-jähriger Einnahme
erhöhte sich das Risiko auf 2,92 (95%–KI 1,71–5,01). Andere Risikofaktoren für die
Entstehung von Nierenzellkarzinomen, wie bspw. Zigarettenkonsum, Übergewicht oder
eine Hypertonie, waren nicht signifikant.
Die (langfristige) Einnahme von Schmerzmitteln aus der Gruppe der NSAR erhöhe das
Risiko, an einem Nierenzellkarzinom zu erkranken, so die Autoren. Dies gelte nicht
für Analgetika wie Aspirin und Paracetamol.
Kommentar
Unbedingt chronische Einnahme von NSAR vermeiden
Die Einnahme von Anagletika aus der Gruppe der NSAR ist in der Bevölkerung weit verbreitet,
da Schmerzzustände aller Art häufig und die Substanzen teilweise auch nicht verschreibungspflichtig
sind. Wesentliche Probleme der chronischen Einnahme dieser Substanzen bestehen auch
in der Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz sowie von Nierenzellkarzinomen.
Die Untersuchung von Cho et al. ist daher von hoher klinischer Relevanz gerade für
den praktizierenden Arzt, da sie die Entwicklung von Nierenzellkarzinomen im Zusammenhang
mit der in der Bevölkerung weit verbreiteten Einnahme von NSAR analysiert.
Die vorliegende Arbeit hat einen hohen Stellenwert, da bisher keine größeren prospektiven
Studien zur Einnahme von Nichtaspirin-NSAR im Zusammenhang mit dem Risiko der Entwicklung
eines Nierenzellkarzinoms vorlagen und zusätzlich diese Studie die größte prospektive
Untersuchung zur Frage des Zusammenhangs zwischen Analgetikaeinnahme und Nierenzellkarzinom
ist. Durch das prospektive Studiendesign konnte vor allem die Dauer der Einnahme der
Substanzen, ein wesentlicher Risikofaktor für die Tumorentstehung, besser untersucht
werden.
Die absoluten Risikodifferenzen zwischen den Teilnehmern, die NSAR einnahmen und denen,
die diese Substanzen nicht einnahmen waren nach der Anpassung der unterschiedlichen
Kovariablen zwar gering, aufgrund der hohen Verbreitung der Substanzen in der Bevölkerung
sind aber diese relativ kleinen Unterschiede doch relevant.
Abweichende Ergebnisse in früheren retrospektiven Studien
Frühere, v.a. retrospektive Studien, ergaben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung
eines Nierenzellkarzinoms nicht nur für die Nichtaspirin-NSAR, wie z.B. Ibuprofen
oder Naproxen, sondern im Gegensatz zur hier präsentierten Untersuchung auch für Aspirin
[
1
], [
2
] sowie Acetaminophen [
3
]–[
5
], einem Metaboliten des Phenacetin. In der vorliegenden Studie konnte ein solches
Risiko für die genannten Substanzen nicht festgestellt werden. Zu diesem Ergebnis
kamen auch die Autoren einer italienischen Fall-Kontroll-Studie [
6
]. Diese, von früheren Untersuchungen abweichenden Resultate, könnten mit dem prospektiven
Studiendesign der vorliegenden Untersuchung zusammenhängen. Auch die geringere Dosierung
von Aspirin könnte damit zusammenhängen, weil niedrigdosiertes ASS nicht zu einer
Tumorentstehung führt.
NSAR sollten nicht über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, da vor allem die
chronische Einnahme der Substanzen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines
Nierenzellkarzinoms verbunden ist. Aspirin und Paracetamol hatten kein erhöhtes Risiko
in diesem Zusammenhang. Auch bei Patienten mit Niereninsuffizienz sollten NSAR vermieden
werden. Als Alternative bieten sich Novalminsulfon, Paracetamol oder aber Analgetika
aus der Gruppe der Opiate an (ggf. Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz).
Einfluss von epidemiologischen Faktoren bisher unklar
Weitere Untersuchungen müssen in Zukunft zeigen, welche Rolle das Geschlecht, die
Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, Lebens/Essgewohnheiten (Alkohol reduziert das
Risiko für das Auftreten eines RCC [
7
]) oder aber verschiedene Komorbiditäten (z.B. Niereninsuffuizienz, Leberinsuffizienz)
auf die Entstehung eines Nierenzellkarzinoms in Verbindung mit Analgetika haben.
Prof. Jens Lutz, Mainz