physiopraxis 2012; 10(10): 24-30
DOI: 10.1055/s-0032-1329727
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Internationale Studienergebnisse


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19 October 2012 (online)

 

Schultergelenk – Lange Bizepssehne beeinflusst Kinematik wenig

Inwiefern die lange Bizepssehne die Kinematik des Schultergelenks beeinflusst, ist unter Experten bislang unklar: Laut Studien an Leichen schränkt die Sehne Translationsbewegungen des Humeruskopfesein. In vivo konnten nach Ruptur der Sehne oder nach Tenotomie bislang allerdings keine vermehrten Translationsbewegungen gezeigt werden. Erik Ciphart und seine Kollegen aus Vail im amerikanischen Colorado wollten es nun genau wissen und führten eine Laborstudie durch. Sie fanden heraus: Fehlt die lange Bizepssehne, scheint sich die Kinematik des Glenohumeralgelenks tatsächlich nur unwesentlich zu verändern.

An der Untersuchung nahmen fünf Probanden teil, bei denen aus anderen Gründen die lange Bizepssehne an einer Schulter durchtrennt worden war. Sie führten drei Übungen aus: eine Abduktionsbewegung, eine Ausholbewegung und eine Hebebewegung. Die Forscher untersuchten das betroffene und das gesunde Schultergelenk der Probanden mittels Computertomographie, EMG des M. biceps brachii sowie einem computergestützten Gerät zur Bewegungsanalyse. Sie erkannten, dass sich die glenohumerale Position in der tenotomierten Schulter während der Bewegungen nur um rund einen Millimeter von der in der gesunden Schulter unterschied. Somit scheint die Wahrscheinlichkeit, dass sich nach Tenotomie der langen Bizepssehne die Gelenkkinematik klinisch relevant verändert, gering zu sein - zumindest, wenn das Schultergelenk ansonsten intakt ist.

Jose

Am J Sports Med 2012; 40: 202-212


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Kinesiotape – Kein Einfluss auf Quadrizepskraft

Egal, ob man auf den Quadrizeps ein aktivierendes Kinesiotape klebt, ein inhibierendes oder ein Plazebotape - ein signifikanter Einfluss auf dessen Maximalkraft lässt sich nicht nachweisen. So lautet das Fazit von Stefano Vercelli und seinen italienischen Kollegen.

Für ihre Untersuchung rekrutierten die Forscher 36 gesunde Probanden. Ein im Kinesiotaping zertifizierter Therapeut legte jedem Teilnehmer in drei verschiedenen Sitzungen drei unterschiedliche Tapes an sein dominantes Bein an: eines, das den Quadrizeps aktivieren soll, eines, das ihn inhibieren soll, sowie ein Plazebotape, das der Therapeut als kurzen Tapestreifen quer proximal über den Quadrizeps klebte. Direkt nach der Tapeanlage absolvierten die Probanden einen isokinetischen Krafttest sowie den Single-Leg-Triple-Hop-Test.

Außerdem bewerteten sie den Effekt anhand der Global-Rating-of-Change-Skala.

Das Fazit der Forscher am Ende der Studie: Keines der Tapes änderte die Kraftwerte signifikant. Somit scheinen Kinesiotapes nicht geeignet, um die Oberschenkelkraft von Gesunden zu erhöhen.

Josc

Clin J Sports Med 2012; 22: 319-326


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OSG-Distorsion – Schiene bequemer als Tape

Die Diskussion, ob nach einer Sprunggelenkdistorsion ein Tapeverband sinnvoller ist oder eine Schiene, gibt es schon lange. Nun zeigt eine Studie: Einen funktionellen Unterschied zwischen beiden gibt es zwar nicht. Patienten finden eine teilbewegliche Schiene aber komfortabler als einen unelastischen Tapeverband - und sind damit auch zufriedener.

Die Autoren hatten 100 Patienten eine Woche nach Supinationstrauma per Zufall in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe bekam über vier Wochen einen unelastischen Tapeverband, der wöchentlich erneuert wurde, die andere über die gleiche Zeit eine teilbeweg liehe Schiene. Nach zwölf Wochen hatten alle Patienten hinsichtlich Schmerzen und Beweglichkeit gleich gute Ergebnisse. Die Gruppe mit Schiene war jedoch zufriedener mit der Therapie. Zudem entwickelten in ihr nur rund 15% Hautreaktionen, in der Tapinggruppe waren es knapp 60%.

Josc

BMC Musculoskelet Disord 2012, 13: 81


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Querschnittlähmung – Patienten und Physiotherapeuten haben unterschiedliche Erwartungen

Fragt man Patienten mit Querschnittlähmung, welche Erwartungen sie an ihre Mobilität nach einem Jahr haben, unterscheiden sich ihre Aussagen deutlich von denen ihrer Physiotherapeuten.

Zu diesem Ergebnis kam eine australische Forschergruppe, nachdem sie 47 Patienten und deren Physiotherapeuten zu Beginn der Reha befragt hatten. Die Patienten erwarteten viel häufiger, zu Hause oder außerhalb gehen zu können, als dies am Ende der Fall war. Die Therapeuten waren deutlich realistischer.

Laut der Forscher könnten die falschen Vorstellungen der Patienten unter anderem an dem aktuellen Interesse der Medien an Neuroplastizität und Lokomotionstraining liegen. Sie mahnen weitere Forschung an, um damit einhergehende Probleme bei der Zielsetzung und den Therapieinhalten zu lösen.

hoth

Spinal Cord 2012; 50: 548-552


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Hirnforschung – Spiegeltherapie schafft Kompensationen

Die Spiegeltherapie aktiviert bei Gesunden die prämotorischen und sensomotorischen Areale der ipsilateralen Hirnhemisphäre. So lautet das Studienergebnis einer deutschen Forschergruppe.

Sie untersuchte zwei Gruppen von Gesunden. Beide führten mehrere Übungen mit der rechten Hand durch, beispielsweise Murmeln mit einem Teelöffel von einem Gefäß in ein anderes transportieren. Bei Gruppe 1 war das Training als Spiegeltherapie konzipiert - das Spiegelbild der rechten Hand simulierte also die linke Hand. Gruppe 2 übte mit einem Trennbrett, in dem sich die rechte Hand nicht spiegelte. Die Autoren verglichen die Handfunktionen vor und nach der Untersuchung und führten zusätzlich eine funktionelle Magnetresonanztomografie durch. Nach einem viertägigen Training hatte sich die Leistung der untrainierten linken Hand in der Spiegeltherapiegruppe deutlicher verbessert als in der Kontrollgruppe. Im MRT sahen die Forscher, dass während der Bewegungen der linken Hand bei der Spiegelgruppe die linken sensomotorischen Areale verstärkt aktiviert waren. Somit scheint der Effekt der Spiegeltherapie unter anderem darin zu liegen, die Bewegungen der betroffenen Hand mit dem gleichseitigen sensomotorischen Kortex zu verknüpfen und dadurch Kompensationsmöglichkeiten zu schaffen.

hoth

Neurorehabil Neural Repair 2012; 26: 484-496


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Knorpelschaden – Häufigkeit

Anteil der Patienten mit vorderem Kreuzbandriss, die gleichzeitig einen Knorpelschaden im Kniegelenk haben

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Arthroscopy 2010; 26: 112-120


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Kreuzbandriss – Knorpelschaden verringert Operationserfolg

Bei Menschen, die zusätzlich zu einem Riss des vorderen Kreuzbands (VKB) einen viertgradigen Knorpelschaden im Kniegelenk haben, verschlechtert sich nach einer VKB-Rekonstruktion die Prognose. Das fanden norwegische Forscher heraus.

Sie schlössen in ihre Studie 89 Patienten nach VKB-Rekonstruktion ein. 30 davon hatten einen Knorpelschaden IV, bei 59 war der Knorpel in Ordnung. Vor der OP und rund zwei Jahre danach füllten alle Patienten den Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score (KOOS) aus. Das Ergebnis: Vor der OP unterschieden sich die Patienten bei den Werten nicht. Nach der OP hatten diejenigen mit einem Knorpeldefekt jedoch mehr Schmerzen, eine geringere Lebensqualität und waren auch beim Sport deutlicher eingeschränkt.

Die Forscher empfehlen daher, Patienten mit Kreuzbandriss und einem begleitenden Knorpelschaden vor der Kreuzbandrekonstruktion entsprechend aufzuklären.

Josc

Knee Surg Sports Traumatol Arthrose 2012; 20: 1533-1539

1956

erkannte Robin McKenzie

... das Zentralisationsphänomen das erste Mal bei einem Patienten mit Rückenschmerzen.

Zentralisation

bedeutet...

... bei ins Bein ausstrahlenden LWS-Schmerzen, dass sich die Schmerzen des Patienten nach und nach in die LWS zurückziehen. Die distalsten Beinschmerzen verschwinden oder verringern sich, Schmerzen zentral in der LWS können sich dagegen vorübergehend verstärken. Patienten, bei denen sich durch wiederholte LWS-Bewegungen in eine bestimmte Richtung ein Zentralisationsphänomen einstellt, verbessern sich oft sehr schnell und haben eine gute Prognose.


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Rückenschmerzen – Zentralisationsphänomen trotz Prolaps

Nach dem McKenzie-Konzept untersucht man Patienten mit Rückenschmerzen mittels wiederholter, aktiver LWS-Bewegungen. Hat der Patient einen Prolaps, so die bisherige Theorie, lässt sich dessen Schmerz nicht zentralisieren. Dänische Forscher fanden nun in einer nachträglichen Studienauswertung heraus, dass dies möglicherweise nicht haltbar ist.

An der Studie hatten 176 Patienten teilgenommen, die an radikulären Ausstrahlungen bis mindestens zum Knie litten. Ein Physiotherapeut untersuchte sie nach dem McKenzie-Konzept und teilte sie anhand ihrer Reaktion auf die aktiven LWS-Bewegungen in unterschiedliche Gruppen ein:

  • > Zentralisierer (Schmerz verschwunden): Durch eine LWS-Bewegung in eine bestimmte Richtung verschwand derdistalste Schmerz der Patienten.

  • > Zentralisierer (Schmerz verringert): Der Schmerz verringerte sich durch eine Bewegung, war aber gleich lokalisiert.

  • > instabile Zentralisierer: Der Schmerz war verschwunden oder verringert, kam jedoch nach kurzer Zeit zurück.

  • > Peripheralisierer: Derdistalste Schmerz verstärkte sich bei sämtlichen Testbewegungen der LWS.

  • > keine Veränderung: Die Untersuchung beeinflusste die Symptome nicht.

Diese Ergebnisse glichen die Wissenschaftler mit MRT-Aufnahmen ab. Sie konnten zeigen, dass bei denjenigen mit einem nachgewiesenen Prolaps die Chance am größten war, dass ihr Schmerz zentralisiert Dies widerspricht der Theorie, nach derein Zentralisationsphänomen nur dann auftritt, wenn der Anulus fibrosus noch intakt ist. Beim Follow-up nach einem Jahr machten die Autoren eine weitere interessante Entdeckung: Der Beinschmerz war bei den Patienten, deren Schmerz sich während der Behandlung peripheralisiert hatte, ebenso signifikant besser geworden wie bei den Zentralisierern. Das schlechteste Outcome hatte die letzte Gruppe, bei der die Testbewegungen keinen Einfluss auf die Schmerzen gehabt hatten.

Josc

Eur Spine J 2012; 21 630-636


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Anamnese – Nach Tablet-PCs fragen

Die Nutzung von PCs und Notebooks abzufragen, ist bei bestimmten Patienten äußerst sinnvoll - etwa, wenn diese unter Nackenbeschwerden leiden. Inzwischen sollte man bei der „Hardware-Anamnese“ allerdings auch Tablet-PCs nicht mehr vergessen. Denn Forscher fanden heraus, dass das Arbeiten an „Tablets“ die Nackenmuskeln deutlich stärker belastet als das an anderen Geräten.

Die Autoren schlössen 15 gesunde, erfahrene Tablet-PC-Nutzer in eine Studie ein. Diese bekamen den Auftrag, mit zwei Tablets unterschiedlicher Hersteller im Internet zu surfen, zu spielen, E-Mails zu bearbeiten und Filme anzuschauen - und zwar in vier unterschiedlichen Sitzpositionen bzw. Neigewinkeln:

  • > auf einem Sessel sitzend, die Füße auf einem Hocker aufgelegt und das Tablet mit einer Hand haltend (Bedienung des Tablets mit einer Hand)

  • > auf einem Sessel sitzend, Füße auf dem Boden, das Tablet mittels seiner jeweiligen Hülle je nach Möglichkeit 15° bzw. 45° aufgestellt (Bedienung des Tablets mit beiden Händen)

  • > an einem Tisch sitzend, das Tablet mittels Hülle 15° bzw. 45° aufgestellt (Bedienung mit beiden Händen)

  • > an einem Tisch sitzend, das Tablet mittels Hülle so weit wie möglich senkrecht gestellt, um einen Film anzuschauen

Die Forscher fanden heraus, dass die Kopf-und Halsbeugewinkel im Schnitt größer waren, als es von der Nutzung von Notebooksund PCs bekannt ist. Die Nackenbelastung war bei beiden Tablet-PCs unterschiedlich. Dies erklärte sich über die Neigungswinkel, welche die jeweilige Hülle zulässt, sowie die Platzierung des Tablets auf Tisch oder Schoß.

Um die Nackenmuskeln zu entlasten, sollten Tablet-PC-Nutzer darauf achten, das Gerät zum Arbeiten möglichst auf einen Tisch zu legen. Dazu sollten sie dessen Neigungswinkel mittels Hülle so einstellen, dass ihre Kopfposition so neutral wie möglich ist.

Josc

Work 2012; 41: 81-91


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Tablet-PCS – Verbreitung

Anteil aller deutschen Haushalte, die über einen Tablet-PC verfügen

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ARD-ZDF-onlinestudie 2012


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Hamstring-Tendinopathie – Zum Differenzieren Schmerzen provozieren

Tendinopathien der Hamstrings schmerzen meist am Tuber ischiadicum - sowie viele andere Pathologien auch. Forscher prüften nun, wie zuverlässig Schmerzprovokationstests zur Differenzialdiagnose sind.

An der Studie nahmen 46 Sportler mit Insertionstendinopathie teil und 46 Gesunde. Die drei Tests waren:

  • > der aktive Puranen-Orava-Test (POT): Patient steht, Fuß des betroffenen Beins auf einer Bank o. Ä. abgelegt, ca. 90° Hüftgelenkflexion, Hände greifen zum Fuß

  • > der passive „Bend-Knee Stretch“-Test (BKS): Patient in Rückenlage, Knie- und Hüftgelenk maximal flektiert, Untersucher streckt das Bein langsam im Kniegelenk

  • > der passive modifizierte „Bend-Knee Stretch“-Test (mBKS): Patient liegt gestreckt auf dem Rücken, Untersuchergreift das Bein an der Ferse und am Knie, beugt Knie- und Hüftgelenk maximal und streckt das Bein dann relativ schnell.

Am zuverlässigsten war der mBKS mit einer Sensitivität von 89% und einer Spezifität von 91 %. Die Sensitivität der anderen beiden Tests betrug 84« (BKS) und 76« (POT), die Spezifität 87% (BKS) und 82% (POT). Die drei Tests scheinen somit zur Differenzialdiagnose einer Hamstring-Tendinopathie äußerst hilfreich zu sein.

Josc

Br J Sports Med 2012; 46: 883-887


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