Klin Padiatr 2012; 224(07): 429-430
DOI: 10.1055/s-0032-1329994
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Manifestation der angeborenen Zwerchfellhernie und molekulare Grundlagen

Manifestation of a Congenital Diaphragmatic Hernia and Molecular Pathogenesis
L. Gortner
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Ludwig Gortner
Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie
Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum des Saarlandes
Gebäude 9
66421 Homburg/Saar

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. November 2012 (online)

 

Die angeborene Zwerchfellhernie ist ein neonataler Notfall mit immer noch substantieller Mortalität [3]. Sie ist die häufigste Form der Lungenfehlbildungen sekundärer Art, welche durch eine Verdrängung der Lunge durch das Eventerat und damit einer Wachstumsstörung bedingt ist, und wird bei 1:2 000–1:4 000 aller Neugeborenen ­beobachtet. Die Lokalisation ist mit rund 8:1 überwiegend linksseitig. Eine pränatale Diagnostik dieser Fehlbildung ist absolut dringlich und notwendig, da dies zu einer nennenswerten Verbesserung der Prognose durch nachstehend aufgeführte Maßnahmen führte [5]:

  1. Durch eine Geburt in einem Zentrum der ­Maximalversorgung kann eine sachgerechte postnatale neonatologische intensivmedizinische Therapie umgehend eingeleitet werden. Dies bedeutet, dass ein für die betroffenen Neugeborenen gefährliches und damit obsoletes Blähmanöver der Lunge unterbleibt, was seinerseits die Lungenfunktion durch zunehmende Luftfüllung der eventerierten Abdominalorgane weiter einschränkt. Eine klinische Diagnose ist in der gegebenen Notfallsituation schwierig und findet in Leitlinien keine Erwähnung [15].

  2. Weiterhin wurden in der diagnostischen Ebene bedeutsame Fortschritte durch die in Ergänzung zur pränatalen sonografischen Diagnostik eingesetzten MRT-Untersuchungen in­trauterin gemacht, welche mittels Bestimmung der Lungenvolumina eine recht zuverlässige prädiktive Abschätzung der Notwendigkeit einer postnatalen, meist postoperativen Behandlung mittels einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) möglich machen [12]. Somit ist eine adäquate Allokation der Betroffenen innerhalb von Zentren mit ECMO-Ausstattung pränatal möglich.

  3. Die pränatale Therapie der Zwerchfellhernie nach entsprechender Diagnostik wurde in den 80er Jahren durch die Gruppe von Adzick und Harrison [1] inauguriert, wobei sich der Ansatz des pränatalen Zwerchfellverschlusses nicht durchsetzte, da der Eingriff per se ein hohes Risiko beinhaltete. Ein neuerer seit rund 10 Jahren verfolgter Ansatz ist die pränatale Applikation einer trachealen Okklusion durch fetale Endoskopie als eine minimalinvasive Prozedur, was in kleineren Fallserien mit einer verbesserten Überlebensrate bei prognostisch ungünstig kategorisierten Verläufen einherging. Eine große internationale Studie zur Evaluation dieses Ansatzes mittels trachealer Okklusion (tracheal occlusion to accelerate lung growth trial – TOTAL-trial) ist auf dem Weg, um den Stellenwert dieser pränatalen Therapie zu evaluieren [6] [8]. Unter dem Aspekt der Lungenphysiologie ist jede Behandlung sinnvoll, die der Lunge pränatal während kritischer Phasen der terminal-sacculären und alveolären Periode ein regelrechtes oder nur wenig eingeschränktes Wachstum ermöglicht, um so die gefürchtete Hypoplasie der Lunge auf der betroffenen Seite zu verhindern bzw. zu attenuieren.

Die 3 zuvor genannten Punkte belegen, dass eine adäquate pränatale Diagnostik betroffener Neugeborener dringlich ist und dies wie zu erwarten zu einer insgesamt verbesserten Prognose durch gezielten Einsatz einer adäquaten intensivmedizinischen Betreuung geführt hat. Diese Möglichkeiten bestehen bei einer späten Manifestation von Zwerchfellhernien nicht. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass das Eventerat in der pränatalen Phase nicht darstellbar ist und somit ist die Möglichkeit der pränatalen Diagnostik nicht gegeben. Auch ist die Möglichkeit der klinischen Diagnosestellung im Rahmen der frühen Vorsorgeuntersuchungen U 1 bis U 3 aus zuvor genannten Gründen nicht gegeben.

Daher muss bei allen unklaren Zuständen einer respiratorischen Insuffizienz ohne erkennbare infektiöse oder kardiale Grunderkrankung an die Entität der späten Zwerchfellhernie gedacht werden. Hierbei variiert, wie die hier in der Klinischen Pädiatrie [2] [13] und anderenorts geschilderten Verläufe belegen, die klinische Präsenta­tion von langsam beginnenden, milden respiratorischen Symptomen bis hin zu einer eher stürmischen Manifestation einer respiratorischen Insuffizienz [2] [7] [13]. Häufig wird dies begleitet von extrapulmonalen Infekten bzw. Infektionen, was die Diagnostik weiter erschwert. Ist wie bei der angeborenen Zwerchfellhernie bei später Manifestation eine atypische Auskultationsbefundung des Thorax mit dort nachweisbaren Darmgeräuschen auszumachen, ist stets eine umgehende Diagnostik mit Röntgenaufnahme des Thorax erforderlich.

Eine operative Behandlung ist bei rechtzeitiger Indikationsstellung aufgrund der bis zur Manifestation der späten Zwerchfellhernie regelrechten Lungenfunktion in aller Regel erfolgreich, da schwerwiegende Lungenhypoplasien, die die lebenslimitierende Problematik bei der angeborenen Form bedingen, hier fehlen.

Die die oben zitierten Mitteilungen betten sich ein in frühere Artikel aus der Klinischen Pädia­trie, wo die Problematik der Zwerchfellhernie bzw. übergeordneter respiratorischer Versagenszustände bei Neugeborenen adressiert wurden [10] [17].

Tierexperimentell lassen sich die angeborenen Zwerchfellher­nien durch einen schwerwiegenden Vitamin-A-Mangel bei den Muttertieren bzw. durch eine pränatale Nitrofen-Applikation an die schwangeren Tiere induzieren [3]. In genetischen Modellen wurden WT1-mutante Mäuse mit der ­typischen Bochdalek-Hernie beschrieben [3] [11].

Derzeitige Untersuchungen zur Pathogenese der Zwerchfellhernie auf der genetischen Ebene bilden eine Brücke zu den syndromal auftretenden Erkrankungen wie Zwerchfellhernie, welche u. a. das Denys-Drash-Syndrom oder das Meacham-Syndrom bein­halten [3].

Eine Koinzidenz eines neonatalen Diabetes und einer angeborenen Zwerchfellhernie wurde jüngst berichtet [18], inwieweit es sich hierbei aber um eine gemeinsame Ätiologie oder ein zufälliges Zusammentreffen einer mittelhäufigen und einer sehr seltenen Erkrankung handelt, muss unklar bleiben.

Die Suche nach Kandidatengenen geht neben den zuvor geschilderten Befunden in zweierlei Richtungen:

Zum Einen wird in etablierten tierexperimentellen Modellen die Suche nach Kandidatengenen fortgesetzt, zum Anderen findet eine Sammlung von DNA-Proben betroffener Kinder mit dem Ziel einer genomweiten Analyse statt [4] [16].

Diese Methodik ist naturgemäß bei der Seltenheit der Erkrankung beim Menschen hochgradig aufwendig, weshalb hierbei noch keine systematischen Daten vorliegen. Dagegen ist der Ansatz der Analyse unter experimentellen Bedingungen im murinen Modell fortgeschritten, wo es eine Reihe von 27 Kandidatengenen im experimentellen Zwerchfellhernien-Modell identifiziert werden konnten, die u. a. in die Signaltransduktionskette des Vitamin A (retinoic acid – RA) sowie der Signalwege des Wnt- und des Transforming-Growth-Factor-beta-Gens sowie des Ephrin-Gens zuzuordnen sind [16] [19].

Auch diese Betrachtung belegt, dass die Etablierung von Registern der Erkrankung und Biobanken notwendig sind, um weitere Aufschlüsse über die molekulare Pathogenese zu gewinnen [9] [14]. Diese Forschungsansätze ermöglichen präventives Vorgehen, um weitere Fortschritte bei dieser schwerwiegenden Erkrankung zu erzielen.



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