Seit der Entdeckung des entzündlichen Charakters des Asthma bronchiale vor 25 Jahren
und der hieraus resultierenden Änderung der Therapieempfehlungen sind heute inhalative
Kortikosteroide (ICS) die Basis der antiasthmatischen Therapie [
1
]. Wenn alleine mit ICS keine Asthmakontrolle erreicht werden kann, soll ein langwirksamer
Beta-2-Rezeptoragonist (LABA) oder ein Leukotrienantagonist hinzugefügt werden (Nach
Angaben der "Global Initiative for Asthma": www.ginasthma.org). Je mehr Erkenntnisse über verschiedene Asthma-Phänotypen gewonnen werden, umso
klarer wird es, dass diese Therapieoptionen nicht für alle Asthma-Patienten ausreichen.
Vielmehr werden eine ganze Reihe von verschiedenen Phänotypen des persistierenden
Asthmas identifiziert [
2
]–[
3
]. Asthma mit vorherrschendem T-Helferzell-1-Phänotyp (Th1) und Neutrophilie anstelle
des Phänotyps 2 (Th2) und Eosinophilie reagiert kaum auf ICS [
4
]–[
5
]. Viele Patienten mit schwerem Asthma entwickeln durch Remodeling zudem eine zumindest
teilweise irreversible Obstruktion. Es ist schwierig, diese Patienten von denen mit
COPD zu unterscheiden [
6
].
Anticholinergika haben einen bronchodilatatorischen Effekt durch Herabsetzung des
cholinergen Muskeltonus. Somit unterscheiden sie sich von der myogenen, bronchodilatatorischen
Wirkung der LABAs [
7
]. Frühe Arbeiten haben eine schwächere Aktivität von Anticholinergika im allergischen
Asthma gezeigt [8], sie wurden daraufhin für die Behandlung von COPD in den 1970er
Jahren von der Pharmaindustrie entwickelt. Durch das verminderte Ansprechen des neulich
identifizierten neutrophilen Th2-Phänotyps auf ICS [
4
]–[
5
] rücken Anticholinergika jetzt in den Vordergrund für die Behandlung von therapieresistenten
Asthma-Phänotypen. Darüber hinaus, gibt es Hinweise, dass bei Patienten mit bestimmten
Polymorphismen des Beta-2-Rezeptors Beta-2-Adrenergika bei regelmäßiger Anwendung
ihre Wirkung verlieren; die bronchodilatatorische Wirkung von Ipratropiumbromid, ein
kurz wirksames Anticholinergikum, bleibt erhalten und ist deutlich besser [
9
]. In der Literatur gibt es seit Jahren Hinweise für die Wirksamkeit von Anticholinergika
bei Asthma [
10
]–[
12
]. In der täglichen Praxis werden sie in Deutschland vermutlich schon seit langem
für (schwer zu behandelndes) Asthma eingesetzt. Die Kombination von Fenoterol und
Ipratropiumbromid ist seit 30 Jahren auch für die Behandlung des Asthma bronchiale
zugelassen.
In der vorliegenden, vom Hersteller gesponserten Arbeit von H. Kerstjens et al. konnte
jetzt die Wirksamkeit von Tiotropium bei Asthma in 2 kontrollierten Einjahresstudien
nachgewiesen werden. Hervorzuheben ist, dass dabei Patienten mit schwer zu behandelndem
Asthma untersucht worden sind. Sie hatten eine nicht voll reversible Obstruktion (FEV1 nach Bronchodilatation 62 %) und eine Neigung zu Exazerbation. Alle Patienten wurden
bereits mit hochdosiertem ICS und LABA behandelt. Die Einnahme von oralen Kortikosteroiden
mehr als 5 mg tgl. wurde allerdings ausgeschlossen. Kurzum: Asthma-Patienten, die
an einem schwer oder nicht kontrollierbarem Asthma leiden. Erwartungsgemäß waren diese
Patienten mit 53 Jahren deutlich älter, als die üblichen Asthma-Studienkohorten, wie
beispielsweise der GOALStudie [
13
] mit einem Durchschnittsalter von 40 Jahren; aber es waren keine COPDPatienten, da
das durchschnittliche Alter bei Beginn der Symptome 26 Jahre war.
Diese schwer zu behandelnden Asthmapatienten unter maximaler Therapie profitierten
erheblich sowohl in Hinblick auf die Exazerbationen, als auch (wenngleich weniger)
auf die Lungenfunktion, und zwar nicht nur statistisch signifikant, sondern mit einer
ansehnlichen Effektgröße. Für jeden Arzt, der Asthma behandelt, von klinischer Relevanz:
Die Zeit zur ersten Asthmaexazerbation wurde um ca. 30 % verlängert, die FEV1 um 100 ml verbessert.
Die Nebenwirkungen waren in der Placebo- und Verumgruppe vergleichbar. Kardiovaskuläre
Nebenwirkungen waren in der Tiotropiumgruppe numerisch höher und statistisch wegen
der kleinen Anzahl der Ereignisse (weniger als 2 % der 912 Placebo- und im Verumarm
behandelten Patienten) nicht berechenbar. Die Studie wurde mit dem SPIRIVA® Respimat
5 ug/ die durchgführt. Die Ergebnisse können nicht ohne Weiteres auf das SPIRIVA ®
HandiHaler® (Dosis 18 ug/ die) übertragen werden, da mit dem Respimat – ungeachtet
einer niedrigeren nominellen Dosis – eine höhere Deposition und eine möglicherweise
höhere kardiovaskuläre Nebenwirkunsgrate bei multimorbiden COPD-Patienten vermutet
wird [
14
].
Die Studie verrät nichts über die Wirkung bei verschiedenen Asthma-Phänotypen. Wir
wissen nur, dass die Zielgruppe fortgeschrittene, teilweise irreversible sowie übergewichtige
Asthma-Patienten waren. Ob sie mehr an einem Mischbild aus Asthma und COPD, neutrophilem
Asthma, Late-onset-Asthma oder allergischem Asthma gelitten haben ist nicht bekannt
bzw. nicht untersucht.
Bemerkenswert ist jedoch, dass außer Exazerbationen – ungeachtet der guten Effektgröße
in der Studie – sich weitere patientenbezogene Ergebnisse wie Lebensqualität, Notfallmedikation
oder symptomfreie Tage kaum gebessert haben. Eine Wirkung auf Exazerbationen bei Asthma
wurde bislang nur antientzündlichen Medikamenten wie inhalierbare Kortikosteroide
oder Montelukast zugeschrieben. Unklar bleibt daher der exakte Wirkmechanismus für
die deutliche Reduktion der Exazerbationen. Denkbar wäre, dass bei der schweren, nicht
voll reversiblem Obstruktion dieser Asthma-Patienten die Bronchialerweiterung und
Sekretdrainage ähnlich wie bei COPD [
15
] zu einer solchen Besserung führt, ohne die offenbar therapieresistente entzündliche
Aktivität, die für die Symptome und Lebensqualität verantwortlich ist, zu beeinflussen.
Es würde dann bedeuten, dass Tiotropium nur für die Therapie des schwer zu behandelnden
Asthma bronchiale mit bereits stattgefundenem Remodeling, nicht aber für das vollreversible
Asthma geeignet ist.
Tioptropium ist offensichtlich ein wertvolles Zusatzmedikament ("add on") für Patienten,
deren Asthma sich ansonsten nicht kontrollierten lässt. Wir erwarten jetzt die formale
Zulassung.
Dr. Peter Kardos, Frankfurt a.M.