Psychiatr Prax 2013; 40(02): 106-107
DOI: 10.1055/s-0032-1332832
Mitteilungen der ACKPA
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Mitteilungen des Arbeitskreises der Chefärzte und Chefärztinnen von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ACKPA)

Karl H. Beine
Hamm
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Publication Date:
04 March 2013 (online)

 

Das Soziale in der Psychiatrie

Jahrestagung des Arbeitskreises der Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (www.ACKPA.de)

Die Chefärztinnen und Chefärzte von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern trafen sich vom 8. bis zum 10.11.2012 im Südharzklinikum in Nordhausen, Thüringen, zur ACKPA-Jahrestagung. Nordhausen ist einer der wenigen Landkreise mit einem psychiatrischen Regionalbudget.


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Es war zu spüren, Frau Wilms sei Dank, dass die Tagungsteilnehmer wirklich willkommen waren. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die warmherzigen und unterstützenden Grußworte aus dem thüringischen Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit, der Landrätin, dem Oberbürgermeister und des Medizinischen Geschäftsführers des Südharzklinikums.

2010 in Ludwigshafen war die Psychiatrie in der Gemeinde das Thema der ACKPA-Jahrestagung und in 2011 in Völklingen ging es um die Individualisierte Psychiatrie und Psychotherapie in der Gemeinde. Aus unterschiedlichen Perspektiven wurde deutlich, dass ein Verständnis von psychischen Krankheiten erforderlich ist, das mehrdimensional ist und Behandlungen im und am Krankenhaus erfordert.

Je nach Einzelfall muss über eine qualifizierte tagesklinische oder stationäre Krankenhausbehandlung hinaus auch noch die Sorge für eine materielle Existenzsicherung, die förderliche Teilnahme am Gemeinschaftsleben und damit um tragfähige Beziehungen, um Arbeit und das Wohnen hinzukommen. Erfolgreiche Behandlung, Rehabilitation und Pflege psychisch Kranker ist eben immer eine Mischung medizinischer und sozialer Hilfen mit individuell sehr unterschiedlichen Schwerpunkten.

Da war es nur folgerichtig, dass ACKPA sich in 2012 dem Sozialen in der Psychiatrie gewidmet hat.

Aktuell gibt es in Deutschland etwa so viele psychiatrische Kliniken an Allgemeinkrankenhäusern wie alleinstehende Fachkrankenhäuser.[1] Alle diese Kliniken übernehmen die Regel- und Pflichtversorgung. Die Versorgungsverpflichtung für eine bestimmte Region wird heute lediglich noch in einigen Universitätskliniken nicht wahrgenommen.

ACKPA steht für die Integration der Krankenhausbehandlung psychisch kranker Menschen in die klinische Medizin am Allgemeinkrankenhaus, für die einstufige regionalisierte Pflichtversorgung und für integrative (sektorenübergreifende) und individualisierte Behandlungsweisen.

Es ist nicht die Priorisierung betriebswirtschaftlicher Interessen, die gute psychiatrische Behandlungen ausmachen, sondern es ist das Soziale und die Orientierung an der Person – referierte Michael von Cranach, München. Wir behandeln nicht Störungen, sondern kranke Menschen, machen Psychiatrie für Personen. Die Psychiatrie solle sich weniger selbst loben, sondern selbstkritischer werden und sich an den Prinzipien der UN Konvention über die Rechte von Behinderten orientieren. Es ist unsere gesellschaftliche Aufgabe, psychisch Behinderten Teilhabe zu ermöglichen. Gerade bei der Inklusion verhalte sich die deutsche Psychiatrie ängstlich und defensiv. Wo stehen wir mit der Beteiligung von Psychiatrieerfahrenen in Klinik, Forschung, Lehre und Psychiatrieplanung?

Neue Wege dagegen gehen fortschrittliche psychiatrische Dienste in Finnland. Im offenen Dialog, so Jaako Seikula, Jyväskylä, Finnland, wird von Beginn an nicht über die Patienten, sondern immer mit den Patienten gesprochen – zu Hause, mit den Angehörigen und Freunden, rasch (innerhalb von vier Tagen nach der Überweisung), ergebnisoffen, möglichst ohne medikamentöse Behandlung und flexibel in der Dauer; die Interventionen gehen über wenige Wochen oder über 2 – 3 Jahre. Die Evaluation des offenen Dialogs zeigt nachhaltigere Genesung mit weniger Neuroleptika als in der Routineversorgung.

Maria Borcsa, Nordhausen, zeigte wie systemische Interventionen in der – dank Regionalbudget sektorübergreifenden – psychiatrischen Versorgung in Nordhausen eingesetzt werden. Damit es für diese Arbeit auch Nachwuchs gibt, wurde an der Fachhochschule Nordhausen ein Masterstudiengang Systemische Beratung eingerichtet.

Trialogisch begann der zweite Tag: Rainer Höflacher, Geschäftsführer vom Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Baden Württemberg, forderte eine psychiatrische Versorgung, die ambulant vor stationär arbeitet, aufsucht, wertschätzt, akzeptiert und versteht. Die Psychiatrie soll Empowerment fördern, sich am Recovery-Konzept orientieren und Hoffnung vermitteln statt Unheilbarkeit behaupten. Immer noch herrsche in den Kliniken Langeweile, Gespräche kommen zu kurz, die Pharmakotherapie dominiere allerorts. Home Treatment wird nicht finanziert, die Heime fungieren als Verschiebebahnhöfe. Es gibt zu wenige unabhängige Beschwerdestellen und zu viele Betreuungen. Zwang werde in der Behandlung aus Personalnot eingesetzt. Für das neue Psychiatriegesetz in Baden-Württemberg fordern die Psychiatrieerfahrenen landesweite Krisendienste und Home Treatment, landesweite Erfassung von Zwangsmaßnahmen und Forschung zur Prävention von Zwang und Gewalt in der Psychiatrie.

Gudrun Schliebener vom Bundesverband der Angehörigen Psychisch Kranker fordert eine faire Ressourcenverteilung durch einheitliche Psychiatrieplanung einschließlich der psychosomatischen Behandlung, damit schwer Kranke, die im Wettkampf der Patienten um psychiatrisch-psychotherapeutische Ressourcen weniger Chancen haben, nicht benachteiligt werden. Die Psychiatrie solle wohnortnah arbeiten, aufsuchen, alle Kliniken sollen von trialogisch besetzten Kommissionen besucht werden. Angehörige sollen respektiert werden, gehört werden und Entlastung erhalten. Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung und Folgen von Langzeitmedikation sollen besser erforscht werden.

Es gibt viel Gemeinsames in den Positionen der ACKPA, der Psychiatrieerfahrenen und den Angehörigen. Deutlich wurde allerdings, dass die deutsche Psychiatrie trotz großer finanzieller Ressourcen durch die verkrustete Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, die starre Ausrichtung an Institutionen, den Mangel an Psychiatrieplanung, das reformfeindliche derzeitige und das reformfeindliche künftige Entgeltsystem ins Hintertreffen gerät. Die Mitgliederversammlung hat die Chefärztinnen und Chefärzte an Allgemeinkrankenhäusern aufgefordert, in den Jahren 2013/2014 den Bewertungskatalog nicht anzuwenden.

Dr. Martin Zinkler, Heidenheim

Termine

Zur Frühjahrstagung treffen wir uns am 11. März 2013 im Ludwig-Noll-Krankenhaus in Kassel.

Unsere Jahrestagung findet vom 7. bis zum 9. November 2013 im Hanse-Klinikum in Wismar statt.


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1 Gesundheitsministerkonferenz der Länder (2007) Psychiatrie in Deutschland – Strukturen, Leistungen, Perspektiven: 113.