Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(17): 902-907
DOI: 10.1055/s-0032-1333053
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Suchtmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Aktuelle Strategien der Raucherentwöhnung

Current approaches to smoking cessation
P. L. Bölcskei
1   Institut für Raucherberatung & Tabakentwöhnung, München
,
P. Davis-Wagner
1   Institut für Raucherberatung & Tabakentwöhnung, München
,
J. Grundnig
2   Klinik am Kofel, Gesundheitszentrum Oberammergau
,
P. Pommer
2   Klinik am Kofel, Gesundheitszentrum Oberammergau
› Author Affiliations
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Korrespondenz

Dr. med. Peter Pommer
Internist und Pneumologe, Fachjournalist DFJV, Chefarzt der Abteilung für Pneumologie, Gesundheitszentrum Oberammergau
Hubertusstr. 2
82487 Oberammergau
Phone: 08822/780   

Publication History

28 August 2012

06 February 2013

Publication Date:
16 April 2013 (online)

 

Zusammenfassung

Rauchen verursacht weltweit rund 5 Millionen Todesfälle jährlich. Die Prävention des Tabakrauchens und die Raucherentwöhnung gehören deshalb zu den wichtigsten gesundheitspolitischen Zielen. Dem Hausarzt als Vertrauensperson des Patienten und Schnittstelle zum Gesundheitssystem kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Raucherentwöhnung folgt einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Stufenmodell und kann medikamentös unterstützt werden. Entscheidend ist dabei aber die fortlaufende empathische Motivation und die Unterstützung durch den Hausarzt.


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Abstract

Smoking causes about 5 Million deaths worldwide every year. Prevention and cessation of smoking should therefore be one of the most important public health priorities. The family doctor as a trusted contact and representative of the health care system plays an important role in this case. Smoking cessation can be achieved by a gradual cognitive-behavioral therapy which may be supported by pharmacotherapy. The continuous empathic support and motivation by the family doctor is however the most important factor. Even a small advance within this step-by-step strategy can be considered as a success which will be followed by further progress.


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Einleitung

Tabakrauchen gehört zu den bedeutendsten Ursachen menschlicher Morbidität und Mortalität, obwohl prinzipiell komplett darauf verzichtet werden könnte. Der Versuch, Raucher zur Aufgabe dieses selbstschädigenden Verhaltens zu bewegen, ist daher grundsätzlich sinnvoll. Angehörige der Heilberufe und vor allem Ärzte aller Fachrichtungen tragen hier eine besondere Verantwortung. Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst kurze motivierende ärztliche Gespräche messbare Erfolge haben [35] [36].

Diese Arbeit wendet sich an alle Ärzte mit direktem Patientenkontakt, in erster Linie an Ärzte in der Primärversorgung. Ziel ist es darzulegen, dass die Raucherentwöhnung ein Prozess ist, der trotz möglicher Rückschläge langfristig hohe Wirksamkeit hat. Auch Ärzte ohne besondere psychologische Ausbildung können in Kenntnis eines schrittweisen Entwöhnungsmodells mit geringem Aufwand ihren Patienten helfen. Ausrutscher bzw. Rückfälle sind dabei als Teil dieses Prozesses anzusehen und nicht als Scheitern. Bei ernsthafter Absicht und empathischer ärztlicher Begleitung ist der erfolgreiche Abschluss dieser stufenweisen Entwöhnung möglich.

Rauchen kann der Entspannung und dem Genuss dienen und der Geselligkeit zuträglich sein – wichtige Werte im Lebenskonzept. Es kann wie ein Medikament gegen Nervosität, Stress, Angst und Depression wirken – nicht besonders langanhaltend, dafür mit einer innerhalb von Sekunden eintretenden Wirkung und niederschwelligem Zugang. Der Raucher spürt dadurch eine kurzzeitige Entlastung und einen Gewinn. Das Aufhören wird für den Raucher erst dann lohnenswert, wenn es zur Verwirklichung der eigenen Ziele wie Gesundheit, Selbstbestimmung und Wohlbefinden beiträgt.

Professionelle Raucherberater sind weit davon entfernt, Rauchen als Charakterschwäche zu sehen. Sie erkennen die Charakteristika einer möglichen Abhängigkeitserkrankung [40]. Hier hat der Hausarzt als Vertrauensperson mit regelmäßigem Kontakt zum Raucher besonders gute Voraussetzungen, einen Ausstiegsprozess zu fördern. Ärzten sollte bewusst sein, wie schwer jede ihrer Aussagen bei Patienten wiegt und wie wichtig motivierende Rückmeldungen für sie sind. Das bedeutet, rauchende Patienten empathisch in ihrem ambivalenten Denken wahrzunehmen und Zeit für ein positiv motivierendes Gespräch einzuplanen. Bei jedem Kontakt sollte erfragt werden, wie weit der Intentionsbildungsprozess vorangekommen ist, und Fortschritte sollten positiv verstärkt werden. Bei Rauchern, die noch nicht über das Aufhören nachdenken, gilt es, als ersten Schritt eine ambivalente Haltung zu fördern.


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Epidemiologie

Im Jahr 2000 wurden weltweit 5,5 Billiarden Zigaretten konsumiert [29]. Bei einer Weltbevölkerung von 6 Milliarden sind dies rund 1000 Zigaretten pro Kopf. 2002 errechnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 4,8 Millionen durch Tabakrauchen bedingte Todesfälle [29]. Wenn es nicht gelingt, diesen Trend zu stoppen, ist zu erwarten, dass sich die Zahl der Todesopfer bis 2020 verdoppelt [21] [30] [38]. In diesem Jahrhundert sind 1 Milliarde Tote durch Rauchen zu erwarten. Dieselbe Zahl an Todesopfern wäre zu beklagen, wenn jede Stunde weltweit ein Jumbo-Jet abstürzen würde [17]. Laut WHO sterben 10 % der erwachsenen Weltbevölkerung an den Folgen des Rauchens, die Hälfte aller Raucher wird aufgrund dessen erkranken [38]. Allein durch Passivrauchen sterben laut WHO jährlich rund 600 000 Menschen, davon 165 000 Kinder [39]. In Deutschland wird die Zahl der Todesopfer durch Passivrauchen jährlich auf 3330 geschätzt [24].

In Deutschland rauchen etwa 27 % der Bevölkerung, etwas mehr Männer als Frauen, wobei sich dieser Trend bei den Jugendlichen bereits umgekehrt hat. Zudem korreliert die Raucherquote invers mit dem Einkommen [9] (Abb.  [ 1 ]). In Deutschland sterben jährlich 110 000–140 000 Menschen an den Folgen des Rauchens [41]. Ein Rauchstopp ist mit einer „number needed to treat“ von 2 (längerfristig betrachtet) eine der wirksamsten bekannten medizinischen Maßnahmen [25]. Tab.  [ 1 ] zeigt, dass zwischen 2003 und 2009 – einer Zeit intensiver Aufklärung über die Gefahren des Rauchens – der Prozentsatz der Raucher an der Gesamtbevölkerung abgenommen hat. Ausnahmen bildeten Frauen über 45 und Männer zwischen 45 und 64 Jahren. Immerhin kam es auch in diesen Gruppen zu einem leichten Rückgang des Anteils starker Raucher, der in den meisten anderen Subgruppen sogar sehr deutlich ausfiel.

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Abb. 1 Anteil der Raucherinnen und Raucher nach Bildung in verschiedenen Altersgruppen (Datenbasis: GEDA 2009).
Tab. 1

Veränderung des Anteils der Raucherinnen und Raucher bzw. der starken Raucherinnen und Raucher in verschiedenen Altersgruppen; Datenbasis: Gesundheitssurvey 2003, GEDA 2009.


Rauchen

Starkes Rauchen


2003

2009

Differenz

p-Wert

2003

2009

Differenz

p-Wert

Frauen

18 bis 29 Jahre

46,2 %

37,9 %

–8,3

p < 0,010

6,3 %

3,7 %

–2,6

p < 0,050

30 bis 44 Jahre

39,6 %

33,4 %

–6,2

p < 0,010

12,8 %

6,8 %

–6,0

p < 0,001

45 bis 64 Jahre

27,8 %

29,4 %

 +1,6

p = 0,277

8,5 %

7,0 %

–1,5

p = 0,114

65 Jahre und älter

7,0 %

8,7 %

 +1,7

p = 0,204

0,9 %

0,7 %

–0,2

p = 0,562

Gesamt

28,9 %

26,1 %

–2,8

p < 0,050

7,4 %

4,7 %

–2,7

p < 0,001

Männer

18 bis 29 Jahre

54,5 %

43,2 %

–11,3

p < 0,010

12,4 %

5,2 %

–7,2

p < 0,001

30 bis 44 Jahre

45,9 %

42,2 %

–3,7

p = 0,068

18,3 %

12,4 %

–5,9

p < 0,010

45 bis 64 Jahre

33,4 %

34,6 %

 +1,2

p = 0,526

13,2 %

12,1 %

–1,1

p = 0,677

65 Jahre und älter

17,1 %

13,7 %

–3,4

p = 0,112

4,7 %

2,4 %

–2,3

p < 0,050

Gesamt

38,3 %

33,9 %

–4,4

p < 0,001

13,2 %

9,2 %

–4,0

p < 0,001

Differenz = Veränderung der Prävalenzen zwischen 2003 und 2009 in Prozentpunkten; p-Wert = Fehlerwahrscheinlichkeit für die beschriebene Differenz. Ab einem p-Wert p < 0,050 ist von einer statistisch signifikanten Veränderung auszugehen.

kurzgefasst

Rauchen macht Menschen krank und verkürzt ihr Leben. Dieser Schadstoff könnte prinzipiell komplett „ausgeschaltet“ werden. Der Hausarzt hat bei der Entwöhnung die Schlüsselrolle: Schon ein kurzes Gespräch erzielt nachweisliche Effekte, nachhaltige und empathische Motivation führt zu vermehrter Nikotinkarenz.


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Diagnostik

Nicht jedem Raucher gelingt ein Rauchausstieg im Selbstversuch, trotz vorhandener Ausstiegsbereitschaft. Ungefähr die Hälfte der regelmäßigen Raucher zeigt eine Tabakabhängigkeit im Sinne der ICD-10-Kriterien [4] [18]. Um die biopsychosozialen Komponenten der Tabakabhängigkeit (ICD-10, WHO) [18] zu erfassen, ist eine Anamnese [3] [16] erforderlich, die neben einer kategorialen und einer dimensionalen Einordnung weitere Hintergrundinformationen über das Rauchverhalten beinhaltet. So gelingt es, einen passgenauen Einstieg in die Motivationsarbeit und Therapieplanung zu finden.

Kategoriale Diagnostik nach ICD-10 [6]

  • Starkes Verlangen bzw. eine Art Zwang, Tabak zu konsumieren

  • Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. Beginn, Beendigung oder Menge des Konsums

  • Körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums

  • Toleranzentwicklung bzgl. der Wirkung der Substanz

  • Anhaltender Tabakkonsum trotz Kenntnis der eindeutig schädlichen Folgen

  • Aufgabe oder Vernachlässigung anderer wichtiger Interessen wegen des Tabakkonsums

Von diesen Kriterien müssen zeitgleich mindestens 3 innerhalb des letzten Jahres aufgetreten sein, um von „Tabakabhängigkeit“ zu sprechen.

Beim Nikotinentzugssyndrom müssen nach ICD-10 mindestens 2 der folgenden Kriterien zutreffen [6]:

  • Starkes Verlangen nach Nikotin

  • Krankheitsgefühl oder Schwäche

  • Angst

  • Dysphorische oder gereizte Stimmung

  • Innere Unruhe

  • Insomnie

  • Appetitsteigerung

  • Vermehrter Husten

  • Konzentrationsstörungen

  • Ulzerationen der Mundschleimhaut


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Dimensionale Diagnostik

Der Fagerströmtest für Nikotinabhängigkeit (FTND) [22] [25] erfasst die Intensität des Rauchverlangens und somit den Schweregrad der Abhängigkeit. Die Intensität ist ein aussagekräftiger Prädiktor von mittel- bis langfristiger Abstinenz. Der FTND umfasst 6 Fragen und ist ein durch seine Kürze beliebtes Instrument, das dennoch substanzielle Informationen liefert. Psychologische und medikamentöse Therapieempfehlungen richten sich nach dem FTND-Wert [6].


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Bestimmung der Schadstoffbelastung und Rauchintensität

Die Messung der CO-Konzentration in der Atemluft gibt Aufschluss über die Intensität des Tabakkonsums. Bei einem Konsum von über 25 Zigaretten/Tag werden CO-Werte von > 40 ppm erreicht. Ein CO-Wert von < 5 ppm gilt als Abstinenzbeleg bzw. als Nachweis, dass der letzte Konsum vor mehr als 8 Stunden stattgefunden hat. Die Messung kann ein Motivationsfaktor bei der Entwöhnung sein. Weitere biochemische Parameter sind Nikotin-Plasma-Konzentration, Thiocyanat-Konzentration, Cotinin-Spiegel im Serum, Speichel und Urin [6].


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Rauchanamnese

Neben der Diagnose und Stärke der Abhängigkeit besteht die Möglichkeit, weitere Hintergrundinformationen durch leitlinienbasierte Dokumentationsbögen [4] zu erfassen. Hierzu zählen Einstiegsalter, Dauer der Raucherkarriere, aktuelles Rauchverhalten, Ressourcen, bisherige Aufhörversuche, medizinische Faktoren, aktuelle Bereitschaft zur Beendigung des Rauchens und Informationen zur sozialen Unterstützung für die Abstinenz. Eine Erhebung der Packungsjahre (pack-years = täglich konsumierte Zigarettenpackungen × Zahl der Raucherjahre) gibt Aufschluss über das Risiko tabakassoziierter Folgeerkrankungen.

kurzgefasst

Einer Erfolg versprechenden Raucherentwöhnung geht eine exakte Diagnostik voraus, um Motivationsstrategien und Therapie der aktuellen Situation des Patienten individuell anzupassen.


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Kognitive Verhaltenstherapie zur Bewältigung der Nikotin-/Tabakabhängigkeit

„Gesagt ist noch nicht gehört“.

„Gehört ist noch nicht verstanden“.

„Verstanden ist noch nicht einverstanden“.

„Einverstanden ist noch nicht angewendet“.

„Angewendet ist noch nicht beibehalten“.

(Konrad Lorenz)

Das Zitat fasst prägnant zusammen, was das Phasenmodell der Verhaltensänderung (Transtheoretisches Modell nach Prochaska und DiClemente) [32] besagt: den Raucher dort abzuholen, wo er gerade im Prozess der Verhaltensänderung steht. Am Anfang der Tabakentwöhnung steht daher die Standortbestimmung. Nach diesem Modell ist das Aufhören kein singuläres Ereignis, sondern ein dynamischer Veränderungsprozess, zu dem auch gelegentliche Rückschritte in eine vorherige Phase gehören. Er durchläuft folgende Phasen:

1. Absichtslosigkeit

Der Raucher hat bisher noch nicht in Erwägung gezogen, mit dem Rauchen aufzuhören.

2. Absichtsbildung

Der Raucher hat ernsthaft in Erwägung gezogen, mit dem Rauchen aufzuhören.

3. Vorbereitung

Der Raucher hat die Absicht, in naher Zukunft das Rauchen aufzugeben.

4. Handlung

Der Raucher hat einen Rauchstopp unternommen.

5. Aufrechterhaltung

Der Raucher will die Karenz aufrecht erhalten und nicht wieder mit dem Rauchen anfangen.

6. Abschluss

Der Raucher hat einen stabilen Zustand des Nichtrauchens erreicht.

Interventionen richten sich nach dem Stadium des Veränderungsprozesses zur Bewältigung der Nikotinabhängigkeit.

Stadium der Absichtslosigkeit

Raucher sind nicht willens aufzuhören. Sie bewerten die Nachteile des Aufhörens höher als die Vorteile oder die eigenen Erfolgschancen als äußerst gering. In dieser Phase sind handlungsorientierte Raucherentwöhnungsprogramme noch verfrüht. Vielmehr können die Raucher von Informationen zum Thema profitieren: Gefahren des Rauchens, persönlicher Gewinn durch Rauchfreiheit, Möglichkeiten, erfolgreich aufzuhören, ggf. auch von Kontakten mit erfolgreichen Ex-Rauchern (Modell-Lernen).

Im Stadium der Absichtslosigkeit zielen motivierende Gespräche vor allen Dingen darauf ab, den Entwöhnungswillen zu steigern. Die Gespräche sollten die „fünf R“ zur Motivationssteigerung berücksichtigen [34]:

  • Relevanz: persönlichen Bezug zur Rauchfreiheit herausstellen,

  • Risiken des fortgesetzten Zigarettenrauchens benennen,

  • Reize: persönliche Vorteile der Tabakabstinenz deutlich machen,

  • Riegel: Hindernisse für eine Verhaltensänderung aufspüren und beseitigen,

  • Repetition: nicht aufhörbereite Raucher bei jedem Kontakt auf die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit des Rauchstopps ansprechen.

Einer kleinen finnischen Studie zufolge [31] befinden sich mehr als 50 % der Raucher in diesem Stadium der Absichtslosigkeit. Für diese große Zahl können vor allen Dingen internetbasierte, also populationsbezogene Behandlungsangebote hilfreich sein.


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Stadium der Absichtsbildung

Im Stadium der Absichtsbildung ist der Raucher noch ambivalent, ob er wirklich mit dem Rauchen aufhören will, er zieht es jedoch in Erwägung. Raucher können sich in dieser Phase durchaus jahrelang bewegen. Sie profitieren von erfolgreichen Modellen, d. h. vom Kontakt zu Ex-Rauchern. Ausschlaggebend können sich darüber hinaus unerwartete Lebensereignisse wie Herzinfarkt oder Lungenkrebsdiagnose im Bekanntenkreis auswirken. Eine Möglichkeit, den Patienten anzuregen, Bilanz zu ziehen und persönliche Werte (wie Gesundheit) dem eigenen Verhalten (Rauchen) gegenüber zu stellen.

Eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Analyse kann mit dem Raucher erarbeiten, in welchen kritischen Lebenssituationen das Rauchen hilfreich ist:

  • Wird das Rauchen zur Stressbewältigung im Beruf eingesetzt?

  • Hilft es, eine innere Leere zu überbrücken?

  • Kann ein alternatives Verhalten an die Stelle der vermeintlichen Problembewältigung treten?

  • Es ist hilfreich, Ängste und Bedenken anzusprechen, beispielsweise Gewichtszunahme und Entzugserscheinungen.


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Stadium der Vorbereitung

In diesem Stadium ziehen Raucher einen Rauchstopp innerhalb der nächsten vier Wochen in Erwägung und sind bereits von den Vorteilen überzeugt. Unter Umständen fürchten sie sich vor Rückfällen und suchen nach geeigneten professionellen Maßnahmen bzw. nach ärztlicher Unterstützung beim Selbstversuch. Klassische Nichtrauchertrainings werden hauptsächlich von Rauchern in dieser Phase wahrgenommen, in der sich jedoch nur ein Fünftel aller Raucher befindet [36].

Beispiele für professionelle Angebote in der Tabakentwöhnung sind Nichtraucher in 6 Wochen (Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen), Das Rauchfrei-Programm (IFT München), Rauchfrei Werden (IRT München), Curriculum Tabakentwöhnung (Bundesärztekammer).


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Stadium der Handlung

Am erfolgreichsten ist die Punkt-Schluss-Methode im Vergleich zur schrittweisen Reduktion des Zigarettenkonsums. In der Handlungsphase geht es darum, die etablierten kognitiv-verhaltenstherapeutischen Veränderungstechniken in Gruppen- oder Einzeltherapie zur Vorbereitung und Durchführung des Ausstiegs einzusetzen. Auch ergänzende Methoden (Hypnose, Akupunktur) können zum Einsatz kommen. Hilfreich ist oft eine pharmakologische Unterstützung (Nikotinsubstitution, psychopharmakologische Therapie). In dieser Phase besteht eine große Rückfallgefahr, für die gut ausgearbeitete Rückfallpräventionsstrategien existieren [10].

Da etwa zwei Drittel aller Raucher in den ersten sechs Monaten rückfällig werden, sollten sie in dieser Zeit begleitet werden und an Auffrischsitzungen teilnehmen, die „Rückfallprophylaxe“ aktiv zum Thema machen. Problemlösefertigkeiten können aufgebaut, die kognitiven Voraussetzungen verbessert und die möglichen Versuchungssituationen antizipiert werden. Eine Verstärkung der neu erworbenen Rauchfreiheit in Form von Selbstbelohnung oder Anerkennung durch Therapeuten und Angehörige stützt die Veränderung.


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Stadium der Aufrechterhaltung

Nach erfolgreicher Tabakkarenz beginnt das Stadium, in dem es um die Aufrechterhaltung des Rauchstopps geht. Prochaska zufolge dauert dieses Stadium bis zu fünf Jahre [32]. In dieser Zeit braucht der Ex-Raucher die Möglichkeit zum Kontakt mit psychologischen Beratungsstellen bei kritischen Lebensereignissen und großer Rückfallgefahr. Die Raucherentwöhnung sollte in ein Nachsorgeprogramm eingebettet sein (z. B. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 01805–313131; Rauchertelefon des Deutschen Krebsforschungszentrums 06221–424200; „HelpLine-Bayern“ 0800–1418141).

Günstige Prädiktoren für dauerhafte Tabakabstinenz sind höheres Alter, geringere Stärke der körperlichen Abhängigkeit, hohe Selbstwirksamkeitserwartung bzw. hohe Abstinenzzuversicht und soziale Unterstützung. Gelingt es dem Raucher, zwei Phasen der Veränderung innerhalb eines Monats zu durchschreiten, so vervierfacht sich die Erfolgswahrscheinlichkeit. Wo möglich, sollten der nichtrauchende Partner und/oder andere soziale Bezugsgruppen zur Unterstützung des dauerhaften Nichtrauchens einbezogen werden.


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Abschlussstadium

Es ist dem Ex-Raucher endgültig gelungen, nicht mehr mit dem Rauchen anzufangen. Auch schwierige Versuchungssituationen führen nicht mehr zum Rückfall.

Interventionsprogramme sollen den Raucher von einem zum nächsten Stadium unterstützend begleiten und damit Schritt für Schritt einer dauerhaften Tabakkarenz näher bringen. Bereits der Wechsel in ein höheres Stadium ist ein Erfolg. Professionellen Angeboten in komprimierter Form gelingt es aber nicht selten, diesen Entwicklungsprozess innerhalb einer Woche bis zum 4./5. Stadium voranzubringen.

kurzgefasst

Die Raucherentwöhnung umfasst einen Prozess von bis zu 5 Jahren. Eine erfolgreiche kognitiv-verhaltenstherapeutische Intervention analysiert, in welchem der sechs Stadien des Veränderungsprozesses sich der Raucher befindet und welche Intervention hierfür hilfreich sein kann. Bereits der Wechsel in eine höhere Phase ist ein Erfolg.


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Medikamentöse und nicht-medikamentöse Unterstützung in der Tabakentwöhnung

Beratung alleine ist nicht so effektiv wie in Kombination mit medikamentöser Unterstützung. Deshalb können beide Maßnahmen angemessen kombiniert werden. Den größten Stellenwert in der medikamentösen Therapie haben derzeit nikotinhaltige Präparate sowie Vareniclin und Bupropion [7]. Die deutschen und amerikanischen Leitlinien empfehlen eine medikamentöse Begleittherapie.

Nikotinersatztherapie

Die Nikotinersatztherapie erwies sich in insgesamt 111 Studien (n = 40 000) als wirksam [35]. Nikotin ist nicht für die gesundheitlichen Schäden des Tabakkonsums verantwortlich. Aus diesem Grund kann es bei angemessener, am bisherigen Konsum orientierter Dosierung ohne Gefahr für 2–3 Monate verordnet werden. Ziel ist eine vollständige Entwöhnung durch langsame Dosisreduktion.

Nikotinpflaster

Die Pflaster geben Nikotin kontinuierlich ab und lindern so Entzugssymptome. Die Wirklatenz beträgt ca. 2 Stunden. Es gibt Präparate mit 16 und 24 Stunden Wirksamkeit. Ab 20 Zigaretten/Tag wird meist die höchste Dosierung für 4–8 Wochen verordnet, die weitere Reduktion erfolgt in 2 Stufen mit je 2-wöchigem Abstand. In ausgewählten Fällen ist eine Verlängerung der Therapie bis zu 6 Monaten bei täglichem Wechsel der Klebestelle möglich [23]. Eine Kontraindikation ist Pflasterallergie. Nikotinpflaster sind mit Nikotinkaugummis gut kombinierbar.


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Nikotinkaugummi

Der Nikotinkaugummi ermöglicht eine individuelle und bedarfsgerechte Nikotinzufuhr. So wird sowohl die Entzugssymptomatik gelindert als auch Suchtdruck vorgebeugt. Die maximale Wirkung tritt nach 20–30 min ein. Empfohlen wird eine Gabe nach Plan, um eine Abhängigkeitsentwicklung zu vermeiden. Es gibt Dosierungen von 2 und 4 mg. Ab 20 Zigaretten/Tag werden 4 mg empfohlen. Der Tagesbedarf sollte langsam reduziert werden, Ziel ist ein Absetzen nach 2–3 Monaten. Mögliche Nebenwirkungen sind Schleimhautirritationen und Magenbeschwerden [23].


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Nikotintabletten

Sublingualtabletten zergehen unter der Zunge innerhalb von 10–20 min, das Nikotin wird über die Mundschleimhaut aufgenommen. Die maximale Nikotinkonzentration wird nach ca. 20–30 min erreicht. Nebenwirkungen: siehe Nikotinkaugummi.


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Nikotinnasalspray

Die Anwendung ermöglicht hoch dosierte Nikotingaben über die Nasenschleimhaut. Das Wirkmaximum wird nach wenigen Minuten erreicht. Das Spray ist vor allem bei stark abhängigen Rauchern mit einem Fagerström-Score von mindestens 7 Punkten effektiv. Die durch die rasche Anflutung bedingte Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung kann durch konsequente Reduktion der Tagesdosis minimiert werden. Eine mögliche Nebenwirkung ist die schmerzhafte Gefäßkontraktion der Nasenschleimhaut. Unter den Nikotinersatzprodukten ist Nasenspray am effektivsten, kann aber in Deutschland nur über internationale Apotheken bezogen werden.


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Nicorette Inhaler

Im Mundstück des Inhalators befindet sich eine Kapsel, die bei Inhalation Nikotin freisetzt. Der Inhalator imitiert in seiner Handhabung die Zigarette und wird daher von Suchttherapeuten kritisch beurteilt. Als Nebenwirkung kann eine Schleimhautirritation auftreten.


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Vareniclin

Vareniclin ist seit 2007 für die Tabakentwöhnung zugelassen. Direkte Stimulation des spezifischen Nikotinrezeptors kann Verlangen und die Entzugssymptomatik dämpfen. Das Rauchen einer Zigarette führt so zu keinem befriedigenden Effekt, da das Nikotin keine zusätzliche Wirkung am Rezeptor entfalten kann. Vareniclin wird in den ersten 7 Tagen einschleichend dosiert, um das Auftreten von Übelkeit zu vermeiden. Der Rauchstopp soll spätestens am 8.  Tag erfolgen. Ab dem 8.  Tag wird 2 × 1 mg täglich als Enddosis für weitere 11 Wochen eingenommen. Bei hoher Rückfallgefahr kann Vareniclin für weitere 12 Wochen rezeptiert werden.

Vareniclin ist gemäß 7 Studien erfolgreicher als Placebo und eventuell wirksamer als Nikotinersatz (1 Studie) und Bupropion (3 Studien) [5] [13]. Mögliche Nebenwirkungen sind Schwindel, Übelkeit und Depressionen. Die Zulassungsbehörden haben wegen Suizidalität und kardialen Komplikationen vom Einsatz bei psychisch auffälligen oder kardial schwer erkrankten Patienten abgeraten [13]. Vareniclin ist rezeptpflichtig, jedoch nicht erstattungsfähig.


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Bupropion

Bupropion ist ein atypisches Antidepressivum, das die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin hemmt. Seit 2000 ist es zur Tabakentwöhnung in Deutschland zugelassen. In der 1. Therapiewoche wird morgens 1 × 150 mg, in der 2.  Woche werden 2 × 150 mg (morgens und nachmittags) verabreicht. Die Therapie dauert i. d. R. 8 Wochen und kann bei schwerer Entzugssymptomatik verlängert werden. Bupropion erhöht die langfristigen Abstinenzquoten [26], es ist ähnlich wirksam wie die Nikotinersatztherapie. Mögliche Nebenwirkungen sind Tremor, Schlafstörungen, Mundtrockenheit und Schwindel. Bei höherer Dosierung können Krampfanfälle mit einer Häufigkeit von 0,1 % auftreten. Bupropion ist rezeptpflichtig, jedoch nicht erstattungsfähig.


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Akupunktur

Akupunktur wird bei der Tabakentwöhnung häufig eingesetzt, obwohl bisher kein Effekt nachweisbar ist [37] und (inter)nationale Leitlinien sie nicht empfehlen [7] [23].


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Hypnose

Hypnose kann die Verhaltenstherapie unterstützen. Der Erfolg ist oft nur kurzfristig, kontrollierte Studien stehen noch aus [14]. Ergebnisse einer Studie der Universitätsklinik Tübingen und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf werden 2013 erwartet [5].

kurzgefasst

Medikamente und Nikotinersatztherapie können bei der Raucherentwöhnung unterstützend eingesetzt werden.

Konsequenz für Klink und Praxis
  • Rauchen ist eine der bedeutendsten vermeidbaren Ursachen von Erkrankung und vorzeitigem Tod, schädigt viele Organsysteme und schränkt damit auf längere Sicht die Lebensqualität stark ein.

  • Bei der Motivation zur Tabakentwöhnung und Aufrechterhaltung der Abstinenz kommt dem Hausarzt eine Schlüsselrolle zu. Bereits der empathisch formulierte ärztliche Rat, das Rauchen aufzugeben, hat hohe Wirksamkeit.

  • Bei der hausärztlichen Betreuung von Rauchern sollte das Thema immer wieder angesprochen und der Patient im Motivationsprozess an dem Punkt „abgeholt“ werden, an dem er sich gerade befindet.

  • Die Raucherentwöhnung ist ein stufenweiser Prozess, der kognitiv-verhaltenstherapeutisch und auch medikamentös erfolgreich unterstützt werden kann.


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Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Verbindung mit einer Firma haben, deren Produkt in diesem Beitrag eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).


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Dr. med. Peter Pommer
Internist und Pneumologe, Fachjournalist DFJV, Chefarzt der Abteilung für Pneumologie, Gesundheitszentrum Oberammergau
Hubertusstr. 2
82487 Oberammergau
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Abb. 1 Anteil der Raucherinnen und Raucher nach Bildung in verschiedenen Altersgruppen (Datenbasis: GEDA 2009).