Ergotherapeutin Silvia Hark auf dem Weg zu ihren Patienten
(Foto: S. Gritsch)
Dienstagnachmittag, 14 Uhr. Ich darf bei der wöchentlichen Teamsitzung im Karlsruher
Hardtwaldzentrum dabei sein. Dort sitze ich mit Christian Aldus, dem Ärztlichen Leiter
der Mobilen Geriatrischen Rehabilitation Karlsruhe, einer Ergo-, einer Physiotherapeutin,
der Logopädin und der Sozialarbeiterin im Besprechungsraum. Jeder hat seinen Stapel
Patientenakten vor sich. In der Dienstagsrunde geht das Team jeden einzelnen Patienten
durch. Dafür haben sie eine Stunde Zeit. Ein straffes Programm. Christian Aldus gibt
den Anstoß: „Beginnen wir mit Herrn Adler. Seiner Frau war ja wichtig, dass der Transfer
leichter geht. Welche Fortschritte gibt es dazu?“ Daraufhin fragt die Physiotherapeutin
an die Ergotherapeutin gewandt: „Wenn Herr Adler[*] im Bett liegt, weiß ich, wie ich vorgehen muss, aber wie machst du das auf dem Sofa
mit ihm?“ Die Ergotherapeutin erklärt i hrer Kollegin, worauf sie beim Transfer achtet,
und schlägt vor: „Üb doch du mit ihm im Bett, das Sofa übernehme ich.“ Dann schaltet
sich die Logopädin ein: „Mir sagte Herr Adler, er habe früher einen guten Wortschatz
gehabt und wolle Fremdwörter üben. Das und Hirnleistungstraining habe ich mit ihm
gemacht, aber eine Verlängerung braucht er in der Hinsicht nicht.“ Daraufhin entgegnet
die Ergotherapeutin: „In meinem Bereich gibt es noch Ziele, die wir im Rahmen einer
Verlängerung erreichen werden. Diese würden auch eine Erleichterung für die Ehefrau
schaffen. Da könnte ich ja dann deine Inhalte einfließen lassen.“ Als Letztes berichtet
auch die Sozialarbeiterin: „Ich habe die Eheleute über einige rechtl iche Dinge i
nformiert, unter anderem über Patientenverfügungen. Die Unterlagen habe ich zusammengestellt
und würde sie dir gerne morgen für die beiden mitgeben.“
Fasziniert verfolge ich die Teamsitzung. So habe ich mir interdisziplinäre Zusammenarbeit
immer vorgestellt. Hier läuft die Therapie tatsächlich Hand in Hand. Keiner macht
sich seinen Arbeitsbereich streitig, alle ziehen an einem Strang, und keiner fühlt
sich auf den Schlips getreten, wenn Zuständigkeitsbereiche überschritten werden. Die
Kommunikation läuft auf Augenhöhe, auch mit Christian Aldus.
Das Angebot ist einzigartig in BadenWürttemberg: An zwei Karlsruher Standorten, im
Norden und im Süden, betreuen zwei multiprofessionelle Teams derzeit fünfzehn Patienten.
Die Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden, Pflegetherapeuten, Sozialarbeiter,
Neuropsychologen und Ernährungsberater kommen dann zum Einsatz, wenn jemand nur im
häuslichen Bereich behandelt werden kann.
Reha in der gewohnten Umgebung
Reha in der gewohnten Umgebung
Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 80 Jahren. Sie kommen entweder nach
einem akuten Ereignis wie einem Schenkelhalsbruch aus der Klinik oder über den Hausarzt
zur Mobilen Geriatrischen Reha. Besonders ist bei ihnen, dass sie durch die Behandlung
zu Hause bessere Chancen auf eine erfolgreiche Rehabilitation haben als in einer stationären
Einrichtung. Häufig sind das Menschen mit einer Demenz, mit starken Sehbehinderungen
oder Patienten mit psychischen Störungen, die ihr vertrautes Umfeld brauchen. Meist
leben sie in gezielt angepassten Lebensverhältnissen. Der Aufenthalt in einer fremden
Umgebung mit fremden Bezugspersonen würde nicht zum Rehabilitationssprozess beitragen.
In diesen Fällen schließt die mobile geriatrische Reha die Lücke zwischen einer regulären
ambulanten und einer stationären Versorgung und stellt sich auf die Bedürfnisse der
Patienten ein.
Das Therapeutenteam ist an die Rahmenverträge mit den Krankenkassen gebunden. Insgesamt
stehen ihm pro Patient 40 Behandlungseinheiten über einen Zeitraum von etwa sechs
Wochen zur Verfügung. Falls erforderlich, wird die Therapie um weitere Einheiten verlängert.
Zu Beginn einer Rehabilitationsmaßnahme übernimmt Dr. Aldus den ersten Hausbesuch
und untersucht die Patienten. Dabei achtet er nicht nur auf deren physische und kognitive
Verfassung, sondern verschafft sich auch einen ersten Eindruck von den häuslichen
Gegebenheiten und unterhält sich mit den Angehörigen. Dazu führt er das geriatrische
Assessment mit Testelementen wie den Mini-MentalStatus-Test, den DemTect oder den
Chair-Rising-Test durch. Daraufhin stellt er den Rehabilitationsplan auf, entscheidet
also, welche Therapeuten aus dem interdisziplinären Team beteiligt sein sollen, und
leitet ihnen seine ersten Eindrücke und Ergebnisse weiter. So sind diese für den Erstkontakt
gerüstet und können mit der Behandlung beginnen.
Bei ihren Hausbesuchen berät Silvia Hark unter anderem über Hilfsmittelangebote, um
den Alltag der Patienten und ihrer Angehörigen zu erleichtern.
(Foto: S. Gritsch)
Zu Hause geht es um Teilhabe
Zu Hause geht es um Teilhabe
Bei meinem Besuch habe ich die Gelegenheit, mit der Ergotherapeutin Katrin Storbeck
aus dem Süd-Team zu sprechen. Sie arbeitet zu 50 Prozent in der Mobilen Geriatrischen
Reha und zu 50 Prozent in der Klinik für Rehabilitative Geriatrie. Das heißt, die
Unterschiede von der stationären zur ambulanten Rehabilitation erlebt sie tagtäglich.
„Zu Hause treten ganz andere Probleme auf, als sie in der stationären Reha für die
Patienten absehbar wären“, erklärt sie. Wenn sie stationär untergebrachte Patienten
nach ihren Zielen fragt, dann möchten sie häufig „einfach“ wieder gesund werden oder
besser laufen können. Patienten, die in ihrem gewohnten Umfeld bleiben, erleben ihre
Einschränkungen jedoch direkt im Alltag und können danach ihre Ziele ausrichten. Sie
möchten ihre Enkel wieder besuchen, wieder in die Tagespflege gehen, die Treppe vor
der Haustüre bewältigen oder sich wieder alleine waschen und anziehen können. Der
Arbeitsauftrag im gewohnten Umfeld unterscheidet sich also deutlich von dem in der
Klinik. Die Ziele der Patienten richten sich zu Hause stark auf Partizipation und
Teilhabe. So haben sie ein klares Ziel vor Augen und können besser nachvollziehen,
woran sie in der Therapie später arbeiten. Falls die Patienten zur Zielformulierung
kognitiv nicht mehr in der Lage sind, übernehmen das die Angehörigen. Als Basis führt
die Ergotherapeutin zu Beginn einer Behandlung das Ergo-Ass durch, meist auch den
Uhrzeichentest.
Damit die Behandlungen besser verteilt sind, haben die Therapeuten unterschiedliche
Arbeitszeiten. So ist Katrin Storbeck morgens für die Mobile Geriatrische Reha unterwegs
und arbeitet nachmittags in der Klinik. In der Zeit sind dann ihre Kollegen auf Hausbesuch.
Ein typischer Arbeitstag beginnt für die Ergotherapeutin im Büro. Dort schaut sie,
ob ihre Kollegen oder einer ihrer Patienten wichtige Infos oder eine Terminabsage
hinterlassen haben. Dann macht sie sich auf den Weg. In der Regel sieht sie ihre Patienten
zwei- bis dreimal pro Woche und kann so eine sehr intensive Beziehung zu ihnen aufbauen.
Da sie jeweils eine Dreiviertelstunde vor Ort ist, bevor sie zum nächsten Patienten
fährt, schafft sie drei Besuche pro Vormittag. Anschließend erledigt sie die Dokumentation,
kümmert sich um den Stundenplan für die darauffolgende Woche, leitet Hilfsmittelverordnungen
in die Wege, erledigt Telefonate mit Sanitätshäusern, Krankenkassen, Angehörigen und
Hausärzten.
Anleitung spielt eine große Rolle. Nur so kann der Transfer in den Alltag gelingen.
(Foto: S. Gritsch)
Intensive Angehörigenarbeit
Intensive Angehörigenarbeit
Was macht die Mobile Geriatrische Reha so besonders, frage ich Katrin Storbeck. „Die
intensive Angehörigenarbeit“, antwortet sie sofort. Die Ehefrau, der Vater oder die
Tochter seien während der Therapie meistens anwesend. So habe sie die Gelegenheit,
intensiv anzuleiten. Zum Beispiel, wie die Angehörigen den Transfer bewerkstelligen
oder den Patienten in den Alltag einbinden können. Außerdem lege das Therapeutenteam
viel Wert auf Aufklärungsarbeit. „Häufig erleben wir pflegende Angehörige am Rand
ihrer Belastungsgrenze. Wir verwenden viel Zeit darauf, sie zu unterstützen und zu
beraten“, erklärt die Ergotherapeutin. Hin und wieder berät sie die Angehörigen zusammen
mit dem Kollegen vom Sozialdienst, organisiert einen Schnuppertag in der Tagespflege
oder eine Nachbarschaftshilfe, um sie zu entlasten. Das bespricht sie frühzeitig im
Team, denn die Organisation braucht Anlaufzeit. Oft auch Überzeugungsarbeit. Denn
für viele - ob Angehörige oder Patienten - ist der Schritt in eine Tageseinrichtung
eine Überwindung.
Neben der intensiven Arbeit mit den Angehörigen schätzt Katrin Storbeck vor allem
die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sie sei viel enger als in der Klinik. „Und ich
schaue viel mehr über meinen Tellerrand“, sagt sie. „Wir sind im ständigen Austausch,
und jeder blickt hin und wieder über seinen typischen Fachbereich, um das zu erarbeiten,
was die Patienten gerade brauchen.“ Wenn erforderlich, behandelt sie gemeinsam mit
der Physiotherapeutin. Auf diese Weise können sie beispielsweise besser üben, mit
Patienten Treppen zu steigen oder ins Auto ein- und auszusteigen. Der Erfolg gibt
ihnen recht.
Die kollegiale Zusammenarbeit ist so intensiv, weil das Team recht klein ist. Das
heißt, Katrin Storbeck hat immer dieselben Ansprechpartner und muss nicht wie in der
Klinik erst herausfinden, welche Therapeuten zuständig sind. Man könnte meinen, eine
mobile Reha wäre das Optimum. Doch da ist Katrin Storbeck anderer Meinung: „Generell
ist so eine mobile Reha nicht für jeden angezeigt“, sagt sie. „Für viele ist die stationäre
Reha genau richtig, insbesondere, wenn spezielle Therapiegeräte erforderlich sind.
Unsere Patienten in der Mobilen Geriatrischen Rehabilitation sind einfach ein bisschen
besonders und profitieren deshalb sehr davon.“
Die Therapeutin nimmt die häusliche Situation unter die Lupe. Reicht das für den Rollstuhl?
(Foto: S. Gritsch)
Konkrete Unterstützung im Alltag
Konkrete Unterstützung im Alltag
Nach der Besprechung begleite ich Ergotherapeutin Silvia Hark aus dem Nord-Team auf
einen Hausbesuch zu Ehepaar Schmid[*], beide über 80 Jahre alt. Frau Schmid wurde nach einem Oberschenkelhalsbruch stationär
behandelt und kam anschließend in die Kurzzeitpflege. Dort machte sie jedoch nur wenige
Fortschritte, sodass das Team von der Mobilen Geriatrischen Reha sich dafür einsetzte,
dass Frau Schmid nach Hause zu ihrem Mann kam und dort Therapie erhielt. Damit sie
besser versorgt werden kann, steht das Pflegebett im Wohnzimmer. Hier übt Sylvia Hark
mit ihr das Aufstehen. Den Ehemann leitet sie an, denn sein Einsatz ist gefragt, wenn
seine Frau zur Toilette muss. Er ist ganz eifrig bei der Sache und unterstützt seine
Frau, wo er nur kann. Viele Tipps der Ergotherapeutin haben die Schmids schon angenommen,
zum Beispiel bei der Wohnraumanpassung, als es vor allem darum ging, die Wege zwischen
Wohnzimmer, Bad und Küche so hindernisfrei wie möglich zu gestalten.
Sylvia Hark ist den ganzen Tag außer Haus und fährt ihre Route ab. „Wenn etwas Wichtiges
wäre, kann ich jederzeit mit Christian Aldus telefonieren“, erzählt sie. Auch sie
empfindet die Teamarbeit als sehr eng und wertvoll. Besonders gefällt ihr, dass es
keine Konkurrenz zwischen den Berufsgruppen gibt, sondern viele bereichernde Schnittstellen.
Sie weiß aber auch, dass ihre Arbeitsbedingungen ganz besondere sind: „Diese Kommunikation
ist in einer Praxis zeitlich nicht machbar, dafür braucht es ein eingespieltes Team
vor Ort.“
Rehaklinik auf Rädern
Zurück im Hardtwaldzentrum treffe ich abschließend Ulrike Sinner, die Geschäftsführerin
der Mobilen Ambulanten Rehabilitation Karlsruhe (MARK) und der Paritätischen Sozialdienste
Karlsruhe. Sie ist stolz auf das multiprofessionelle Team unter der ärztlichen Leitung
des Geriaters Christian Aldus: „Auf diese Weise können wir Energien bündeln und den
Patienten einen enormen organisatorischen Aufwand abnehmen.“ Für sie ist die Mobile
Geriatrische Reha eine Art „Rehaklinik auf Rädern“, die im Alltag der Menschen ansetzt
und mit den unterschiedlichsten Kompetenzen auf deren Bedürfnisse eingeht. Und dass
dieses Angebot gut ankommt, bestätigen die Rückmeldungen von Patienten und Angehörigen
regelmäßig am Ende der Behandlung: „Können Sie nicht weitermachen?“, fragen sie dann.
Ein Angebot, das Schule machen sollte. Wir brauchen definitiv mehr davon!