ergopraxis 2013; 6(02): 30-32
DOI: 10.1055/s-0033-1334981
profession & perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Eine deutsche Ergotherapeutin in Dubai – „Jetzt lerne ich Arabisch“

Andrea Marciniak

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Publication Date:
07 February 2013 (online)

 

2011 verschlug es die Ergotherapeutin Andrea Marciniak in die Wüstenstadt Dubai. Sie ergriff die Chance, in einem Krankenhaus mit neurologisch-orthopädischem Schwerpunkt zu arbeiten. Sie schätzt besonders, dass sie dort Patienten aus aller Welt behandeln kann.


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Andrea Marciniak

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Andrea Marciniak, Ergotherapeutin BSc, war seit 2005 im Bereich Geriatrie, Neurologie und Orthopädie in Deutschland tätig. Seit 2011 arbeitet sie im Neuro Spinal Hospital in Dubai, Vereinigte Arabische Emirate (VAE).

Hätte mir jemand vor zwei Jahren gesagt, ich würde heute in Dubai arbeiten, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Jetzt lebe ich seit über einem Jahr in der Wüstenstadt und bin froh, dass das Leben nicht immer vorgeplante Wege geht.

Per Zufall zum Bewerbungsgespräch

Bei meinem ersten Urlaub in Dubai 2010 dachte ich nicht, dass ich einmal hier leben würde. Als es mich 2011 erneut nach Dubai zog, lernte ich per Zufall den Chief Executive Officer eines Krankenhauses kennen. Im Gespräch erzählte ich, dass ich Ergotherapeutin bin, und nachdem ich ihm meinen Lebenslauf zugeschickt hatte, lud mich die therapeutische Leitung zu einem Bewerbungsgespräch ein. Die Chance ergriff ich, und als sich die Leitung zwei Tage später für mich entschied, war mein erster Gedanke: Ich will es versuchen!


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Der mühevolle Weg zur Arbeitslizenz

Der Start war nicht ganz einfach. Zurück in Deutschland, musste ich erst einmal viele Dokumente organisieren, damit ich dann in Dubai das Verfahren für die Ergotherapie-Lizenz und Arbeitsberechtigung initiieren konnte. Voraussetzung ist eine Berufserfahrung von mindestens zwei Jahren und ein Bachelor- oder Masterabschluss. Ich ließ meine Ausbildungs-, Studien- und Arbeitszeugnisse, meine Berufsurkunde und das polizeiliche Führungszeugnis von einem amtlich beglaubigten Übersetzer ins Englische übersetzen. Berufsurkunde und Bachelorzeugnis wurden dann von der zuständigen Amtsbehörde beglaubigt, anschließend von der zuständigen Polizeidirektion überbeglaubigt und zuletzt von der Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) anerkannt.

Zu meinem Abflug Ende 2011 hatte ich mithilfe meiner Familie alle Dokumente zusammen und konnte mich für die Lizenzierung als Ergotherapeutin in Dubai anmelden. Dafür gibt es seit 2007 die Dubai Health Authority (DHA), eine zentrale Gesundheitsbehörde. Die DHA stellt die Qualität im Gesundheitswesen sicher und befasst sich unter anderem mit der Lizenzierung aller medizinischen Arbeitskräfte.

Die DHA erkannte meine Dokumente an und ließ mich zur Lizenzprüfung zu. Das hieß: Auf mich wartete eine mündliche Prüfung, bei der ich zu allen Fachbereichen der Ergotherapie befragt wurde. Ich verbrachte viel Vorbereitungszeit damit, die englischen Begriffe der ergotherapeutischen Fachtermini zu lernen. Die englische Sprache war für mich damals eine echte Herausforderung. Am Tag der Prüfung stand ich einem vierköpfigen internationalen Team aus Ergo- und Physiotherapeuten eine Stunde lang Rede und Antwort. Sie befragten mich querbeet zu funktioneller Anatomie, Krankheitsbildern, Hilfsmittelversorgung und zu ergotherapeutischen Therapieansätzen. Letztendlich waren die Prüfer mit meinen Antworten zufrieden und ich darf seitdem den Titel „Occupational Therapist Physiotherapy and Rehabilitation“ tragen.

DUBAI

Stadt und Emirat

Dubai ist mit 1,8 Millionen Einwohnern die größte Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate und die Hauptstadt des Emirats Dubai. Das Emirat liegt auf der Arabischen Halbinsel am Persischen Golf und erstreckt sich ins Landesinnere zwischen Abu Dhabi im Südwesten und Sharjah im Nordosten. Der größte Teil des Emirats Dubai besteht aus Wüste.


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Eine 50-Stunden-Woche ist normal

Seit November 2011 arbeite ich im Neuro Spinal Hospital, einem neurologisch und orthopädisch orientierten Krankenhaus. Es ist ein kleines, privates Krankenhaus mit 40 Betten. Die Patienten kommen stationär und ambulant zur Therapie.

Das Therapieteam besteht aus zwei Ergotherapeuten, zwei Logopäden, neun Physiotherapeuten, zwei Physiotherapieassistenten und zwei Helfern. Zudem gibt es zwei Respirationstherapeuten - zuständig für die Beatmung intubierter Patienten - und eine Ernährungsberaterin. Psychologen kommen ambulant in die Klinik.

Der klinikinterne Ablauf ähnelt dem, wie ich es aus Deutschland kenne: Das Therapeutenteam bespricht wöchentlich die Entwicklungen und Besonderheiten der Patienten. Morgens gibt es eine kurze Besprechung über Neuaufnahmen, geplante Operationen und Statusänderungen. Dann erfolgt die Tagesplanung. Die Therapie wird je nach Notwendigkeit und Möglichkeiten der Patienten in 30, 45 oder 60 Minuten Dauer angeboten. Die Ärzte verschreiben, wer welche Therapie erhält. Die Therapiedauer und die Dauer der Einheiten bei stationären Patienten werden in Absprache mit Therapeuten und Ärzten getroffen. Die Dauer für ambulante Patienten ist auf 45 Minuten festgelegt. In der Regel erhalten stationäre Patienten zwei bis vier Therapieeinheiten am Tag. Bei Bedarf bekommen die Therapeuten - auch ich als Ergotherapeutin - Unterstützung durch die Physiotherapieassistenten. Sie führen außerdem Kontrakturprophylaxe durch und sind für die Langzeitpatienten zuständig. Die Helfer erledigen in erster Linie den Bett-Rollstuhl-Transfer der Patienten und stellen Materialien wie Gehhilfen oder Büroutensilien bereit.

Besonders ist die Stellung der Frau im muslimischen Glauben. So dürfen Frauen nur von Frauen behandelt werden. Männer dürfen von Männern, aber auch von nichtmuslimischen Frauen behandelt werden.

Das Ärzteteam bespricht wöchentlich Patientenstatus, Fragen und Anregungen für andere Bereiche des Teams. Pro Profession ist ein Therapeut vertreten, der die Informationen dann weitergibt.

Von deutschen Arbeitszeiten bis zu 40 Stunden in der Woche habe ich mich längst verabschiedet. Eine 50-Stunden-Woche ist hier üblich. Ich arbeite jede Woche von Samstag bis Mittwoch, 10 Stunden am Tag. Der Verdienst ist dafür etwas höher als in Deutschland, vor allem da auf den Lohn keine Steuerabzüge erfolgen.


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Keine Ergotherapieausbildung möglich

Durch unser multiprofessionelles Team haben wir das Privileg, die Patienten ganzheitlich betrachten zu können. Für die Vereinigten Arabischen Emirate ist das etwas Besonderes. Die meisten Krankenhäuser beschäftigen primär Physiotherapeuten. Dann liegt der Fokus der Therapie eher auf funktionellen Aspekten.

Das Gesundheitssystem in den VAE ist sehr jung. Das erste Gesundheitszentrum wurde 1943 eröffnet, und erst 1998 wurde das Ziel gesetzt, den Zugang zur primären medizinischen Versorgung für die gesamte Bevölkerung zu gewährleisten [1]. Eine Ergotherapieschule sucht man hier vergeblich, und es gibt nur zwei Stellen, die Physiotherapeuten ausbilden: das Gulf Medical College in Ajman und die Sharjah University [2, 3]. Die Mehrheit der Therapeuten kommt aus dem Ausland, dementsprechend bunt sind die Teams.

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Dubai - Stadt mit vielen Wolkenkratzern und Luxushotels. Hier der Blick über Dubai Marina, einem Stadtteil mit künstlich angelegtem Kanal.
Fotos: A. Marciniak
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Außerhalb der Stadt liegt die Wüste. Wer einen Ausflug dahin plant, kann zum Beispiel eine Kameltour machen.
Fotos: A. Marciniak

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Englisch allein reicht nicht aus

Nicht nur mein Kollegenteam ist multikulturell, auch die Patienten und die Menschen in Dubai: Die ursprüngliche Bevölkerung der VAE, Emirati genannt, beträgt nur etwa 13 Prozent der Gesamtbevölkerung [4]. Durch die schnelle Entwicklung der Wüstenstadt zur internationalen Metropole kamen viele Arbeitskräfte aus aller Welt, sogenannte „Expats“. Diese stellen heute den Großteil der Bevölkerung dar.

Die Amtssprache in Dubai ist Englisch, und der fachliche Austausch in meinem Krankenhaus erfolgt ausschließlich auf Englisch. Bei meiner Einstellung benötigte ich keine Arabischkenntnisse. Allerdings merkte ich schnell, dass sich die Arbeit mit arabisch sprechenden Patienten schwierig gestaltet, wenn man deren Sprache nicht spricht: Bei meinem ersten Patienten, den ich neu aufnahm, betrat ich hochmotiviert den Raum und sprach ihn auf Englisch an. Leider konnte der arabisch sprechende ältere Herr nichts verstehen. Wir mussten uns mit Einwortsätzen und nonverbaler Kommunikation durch die Befunderhebung hangeln. Das war der Auslöser für mich, Arabisch zu lernen. Zu meinem Glück war mein Patient sehr geduldig.


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Es gibt kaum „Alterskrankheiten“

Wer in Dubai seinen Arbeitsplatz verliert, kündigt oder in den Ruhestand geht, verliert in der Regel die Aufenthaltserlaubnis. Das zeigt sich auch im Gesundheitsbereich: Ausländische Arbeitskräfte, die ernsthaft und langfristig erkranken, ziehen oftmals in ihr Heimatland zurück. Hohe Prozentzahlen von geriatrischen und chronisch kranken Patienten kennt man hier nicht. Auch die mit einem hohen Alter verbundenen Krankheitsbilder wie Demenz, Arthrose und Schlaganfall findet man hier selten und zumeist bei den Emiratis.

Pflegebedürftige Emiratis werden in der Regel im heimischen Umfeld betreut, meist mit Unterstützung privater Pflegekräfte. Besonders asiatische Arbeitskräfte werden gerne als Haushaltshilfen oder Pfleger eingestellt. Sie kommen auch mit ins Krankenhaus. Bei Bedarf werden sie dort von den Fachkräften angeleitet, zur optimalen Lagerung oder zur Durchführung therapeutischer Heimprogramme.

Eine flächendeckende Versorgung mit Alten- und Pflegeheimen gibt es in Dubai nicht. So kommt es vor, dass einheimische Langzeitpatienten in den Krankenhäusern verweilen. Die längste Aufenthaltsdauer eines Patienten mit Traumatic Brain Injury in meinem Krankenhaus beträgt etwa zehn Jahre. Als das Neuro Spinal Hospital eröffnet wurde, war er einer der ersten Patienten, die aufgenommen wurden.


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Die ADL haben eine andere Relevanz

Beim ADL-Training liegen die Ziele der einheimischen Patienten nur selten im Bereich der Selbstversorgung. Mir erzählte einmal ein junger Emirati, dass er sich das erste Mal den Bart rasierte, als er zum Studieren ins Ausland ging. Ich nahm an, dass er zuvor keinen Bartwuchs hatte, doch dies verneinte er. Als ich ihn fragte, ob er aus religiösen Gründen seinen Bart nicht stutzen wollte, lachte er herzhaft und erzählte, dass er es gewohnt war, alle zwei Tage in den Friseursalon zu gehen, um seinen Bart in Form bringen zu lassen.

Anders als in Deutschland wird es hier als selbstverständlich angesehen, sich bei der Selbstversorgung und Haushaltsführung unterstützen zu lassen. Viele Emiratis haben noch nie selbst gekocht oder geputzt. Ein anderer Patient klagte, er lebe allein in seiner Villa, seit seine Kinder ausgezogen seien. Auf die Frage, wer ihn nun bei einfachen Haushaltstätigkeiten unterstützen könnte, antwortete er: „Ich habe zwei Gärtner, die sich um die Außenanlagen kümmern, zwei Hausmädchen, die für mich putzen, und eine Köchin. Sie sind alle rund um die Uhr für mich verfügbar.“ Da seine Angestellten mit in seiner Villa wohnten, war er demnach ganz und gar nicht allein. Ein ADL-orientiertes Haushaltstraining verneinte er demzufolge.


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Bereicherndes multikulturelles Umfeld

Die ergotherapeutischen Schwerpunkte sind ähnlich wie in Deutschland. Bei den Emiratis stehen meist Freizeitaktivitäten im Vordergrund, bei ausländischen Patienten ist das Ziel der Therapie häufig die Arbeitsaufnahme. Neben dem ADL-Training sind ergotherapeutische Aufgaben die Hilfsmittel- und Schienenversorgung, die Anleitung und das Training mit denselben, die allgemeine Funktionsverbesserung der oberen Extremitäten, Wahrnehmungsförderung und kognitives Training.

Ich habe mich in Dubai gut eingelebt. Die Einblicke in die vielen Kulturen und Gewohnheiten sind bereichernd und geben mir neue Denkanstöße. Zwar kenne ich die Momente, in denen ich Deutschland vermisse, allem voran meine Familie und meine Freunde. Aber dennoch bin ich sehr glücklich mit meinem Leben hier. Ich habe vor, noch einige Jahre zu bleiben! In diesem Sinne: Viele Grüße aus der Wüste.

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Die Ergotherapie ist ähnlich wie in Deutschland: Es gibt funktionelle und alltagsorientierte Therapie, und die Teams arbeiten interdisziplinär zusammen. Der große Unterschied besteht im multikulturellen Umfeld.
Fotos: A. Marciniak

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Andrea Marciniak, Ergotherapeutin BSc, war seit 2005 im Bereich Geriatrie, Neurologie und Orthopädie in Deutschland tätig. Seit 2011 arbeitet sie im Neuro Spinal Hospital in Dubai, Vereinigte Arabische Emirate (VAE).
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Dubai - Stadt mit vielen Wolkenkratzern und Luxushotels. Hier der Blick über Dubai Marina, einem Stadtteil mit künstlich angelegtem Kanal.
Fotos: A. Marciniak
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Außerhalb der Stadt liegt die Wüste. Wer einen Ausflug dahin plant, kann zum Beispiel eine Kameltour machen.
Fotos: A. Marciniak
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Die Ergotherapie ist ähnlich wie in Deutschland: Es gibt funktionelle und alltagsorientierte Therapie, und die Teams arbeiten interdisziplinär zusammen. Der große Unterschied besteht im multikulturellen Umfeld.
Fotos: A. Marciniak