PSYCH up2date 2014; 8(02): 66
DOI: 10.1055/s-0033-1336937
Fallvignette
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Kleine“ Therapieerfolge mit großer Wirkung

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. März 2014 (online)

 

    Frau K. wird seit längerer Zeit mit den Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung, einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer Essstörung innerhalb der psychiatrischen Institutsambulanz behandelt.

    Wiederholt kam es im Behandlungsverlauf zu teilstationären Aufnahmen, verbunden mit längeren Aufenthalten im tagesklinischen Bereich. Durch diese kriseninterventorischen Maßnahmen konnte die Symptomatik der Patientin immer wieder gut stabilisiert werden. Insbesondere die depressive Symptomatik mit Antriebslosigkeit, deutlichen Stimmungsschwankungen, Grübelneigung sowie ausgeprägten Schlafstörungen prägte das klinische Bild. Zusätzlich stellte das Essverhalten der Patientin beinahe durchgängig ein zentrales Problem im Behandlungsverlauf dar. Hierbei kamen klassische Methoden der Verhaltenstherapie zum Einsatz.

    Vor einiger Zeit wurde nach einem tagesklinischen Aufenthalt eine dauerhafte ambulante Psychotherapie mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt etabliert. Hier konnte eine tragfähige therapeutische Beziehung zum behandelnden tagesklinischen Therapeuten in die ambulante Behandlung übertragen werden. Bezüglich des Behandlungsplans stand zunächst eine weitere Stabilisierung der depressiven Symptomatik sowie des Essverhaltens im Mittelpunkt. Des Weiteren wurde ein schrittweises Herangehen an die traumarelevanten Themen nach Erreichen dieser Ziele vereinbart. In der Zwischenzeit konnte zusätzlich die Aufnahme einer Biofeedback-Behandlung erreicht werden, um das hohe Anspannungsniveau von Frau K. mittels dieser Methode gezielt zu behandeln.

    Psychopharmakologisch wurde die Patientin mit einer Kombination aus einem Antidepressivum, einem niedrig dosierten Neuroleptikum – mit dem Ziel der Verbesserung des Schlafs sowie der Reduzierung der bestehenden Grübelneigung – und einem Präparat zur Reduzierung der Flashbacks behandelt.

    Diese multimodale Therapie bewirkte in einem 1. Schritt eine deutliche Verbesserung der Depression; auch Stimmung und Antrieb von Frau K. konnten gut gebessert werden und die Schlafqualität erhöhte sich sichtlich.

    Als zentrales Problem im Behandlungsverlauf stellten sich schließlich nach und nach die beträchtlichen Stressfaktoren im psychosozialen Bereich heraus. Die Patientin hatte sich entschieden, trotz fortgeschrittenen Alters eine Ausbildung zu beginnen, konnte aber mit dieser finanziellen Grundlage nur mit äußerster Mühe den Lebensunterhalt für sich und ihre 4 Kinder bestreiten. In der Folge kam es zu wiederholten Stimmungseinbrüchen. Familiäre Konflikte sowie partnerschaftliche Krisen waren an der Tagesordnung und führten immer wieder zu einer Destabilisierung der Patientin. Erschwerend kam das instabile Essverhalten hinzu, Frau K. konnte kaum zu einer strukturierten Therapie des Essverhaltens motiviert werden. Eine seit Längerem bestehende Schuldenproblematik sowie eine zu kleine Wohnung erschwerten die ohnehin belastende Lebenssituation.

    Innerhalb der ambulanten Psychotherapie standen immer wieder kriseninterventorische Gespräche auf der Tagesordnung, von einer Beschäftigung mit der traumarelevanten Problematik war man weit entfernt. Trotz der Unmöglichkeit, sich mit der bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung therapeutisch auseinanderzusetzen, konnten im weiteren Behandlungsverlauf einige Erfolge verzeichnet werden, die zu einer deutlichen, dauerhaften Stabilisierung der Patientin führten. Frau K. schaffte es, aufgrund einer intensiven Auseinandersetzung mit ihrer familiären Situation, „Ordnung“ in das vorher eher „chaotische“ Zusammenleben mit ihren Kindern zu bringen. Dies führte zu einer sichtlichen Entlastung der Patientin, was u. a. an ihrem sinkenden Anspannungsniveau zu beobachten war. Auch konnte sie eine Klärung der verfahrenen Situation mit ihrem Lebensgefährten herbeiführen und nahm bezüglich ihrer finanziellen Problematik Kontakt zur Schuldnerberatung auf.

    Diese kleinen Erfolge im Therapieverlauf führten bei der Patientin nicht nur zu einer dauerhafteren Stabilisierung, sondern ebneten für die geplante Fortsetzung der Psychotherapie ein schrittweises Herangehen an die bestehende posttraumatische Belastungsstörung.

    Was kann man aus diesem Fall lernen?

    Bei diesem Therapieverlauf ist herauszuheben, dass das zunächst anvisierte und dann aufgrund der psychosozialen Situation der Patientin in weite Ferne gerückte Therapieziel – die Beschäftigung mit der posttraumatische Belastungsstörung – durch beständiges Arbeiten an den Stressfaktoren wieder in den Fokus der ambulanten psychotherapeutischen Maßnahme gestellt werden konnte. Eine tragfähige therapeutische Beziehung unterstützte diesen Prozess enorm.

    Alexander Hasmann, Cham


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    Korrespondenzadresse:
    Dr. Alexander Hasmann, Leitender Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut (VT), Zentrum für Psychiatrie Cham der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum, August-Holzstraße 1, 93413 Cham, E-Mail: alexander.hasmann@medbo.de

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