Transfusionsmedizin 2013; 03(01): 7-8
DOI: 10.1055/s-0033-1341550
Aktuell referiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verhalten von Blutspendern – Warum hören Blutspender auf, Blut zu spenden?

Contributor(s):
Elke Ruchalla

Transfusion 2012;
52: 1871-1879
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Publication Date:
28 March 2013 (online)

 

Blut und Blutprodukte sind aus der modernen medizinischen Versorgung kaum mehr wegzudenken. Dafür wiederum ist die Bereitschaft von Menschen, Blut zu spenden, Voraussetzung – und das möglichst nicht nur einmalig. Inwieweit unerwünschte Ereignisse bei der Blutspende und möglicherweise damit verbundene psychologische Faktoren eine Rolle für die weitere Blutspende-Bereitschaft spielen, hat eine niederländische Arbeitsgruppe untersucht.
Transfusion 2012; 52: 1871–1879

Frauen berichten häufiger über vasovagale Reaktionen (VVR) bei der Blutspende als männliche Spender. Die Männer dagegen verzichten, wenn sie von einer VVR berichten, häufiger auf Folgespenden als Frauen.

So ein Ergebnis der Gruppe um Ingrid Veldhuizen, die dazu die Daten von insgesamt 12 051 gesunden Vollblutspendern (6511 Frauen, 5540 Männer) aus dem Jahr 2007 ausgewertet hatte. Die Spender hatten einen Fragebogen zu ihrer Einstellung zum Blutspenden beantwortet, der auf der "Theorie des geplanten Verhaltens" (TPB) von Ajzen beruht. Nach der TPB ist der beste Prädiktor für die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens die Absicht (Intention), dieses Verhalten zu zeigen. Die Absicht wiederum wird beeinflusst von

  • Selbstwahrnehmung des Verhaltens als bedeutsam (Self-Efficacy)

  • Einstellung zu dem Verhalten (kognitiv, affektiv)

  • sozialen und moralischen Normen.

In dem Fragebogen sollten auf einer 5-stufigen Likert-Skala Aussagen beurteilt werden wie z.B.:

  • "Ich möchte so lange wie möglich Blut spenden" (Parameter für Intention)

  • "Ich finde es schwierig, immer wieder Blut zu spenden" (Parameter für Self-Efficacy)

  • "Ich empfinde Blut spenden als positiv / negativ bzw. angenehm / unangenehm" (Parameter für kognitive bzw. affektive Einstellung)

  • "Meine Freunde finden, ich sollte so lange wie möglich Blut spenden" (Parameter für soziale Norm) bzw.

  • "Nicht Blut zu spenden widerspricht meinen Prinzipien" (Parameter für moralische Norm)

Darüber hinaus wurden ungewünschte Ereignisse wie VVR und Lokalreaktionen (z. B. Hämatome, Schmerzen an der Punktionsstelle) erfragt.

Mehr vasovagale Reaktionen bei Blutspenderinnen

Die Ergebnisse zeigten zunächst eine Häufigkeit der VVR von 4,1 % bei Frauen und 0,9 % bei Männern sowie von Lokalreaktionen von 7 % (Frauen) und 2 % (Männer). Bei den Frauen beendeten 1,29 % innerhalb von 2 Jahren nach einer VVR die Blutspenden, bei Männern waren es 0,34 %. Die entsprechenden Zahlen für Lokalreaktionen lagen bei 1,73 % (Frauen) bzw. 0,35 % (Männer). Nur das Auftreten einer VVR war signifikant mit dem Ende der Blutspende-Bereitschaft assoziiert.

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Vasovagale Reaktionen – auch neurokardiogene Synkope genannt – kommen nach einer Blutspende bei Frauen häufiger vor. Sie halten die Frauen jedoch seltener von ihrer Spendebereitschaft ab als Männer. (Symbolbild, Quelle: istockphoto)

Nach Adjustierung für die TPB-Parameter schwächte sich der Zusammenhang ab, blieb aber erhalten und war weiterhin bei männlichen Spendern etwa doppelt so hoch wie bei weiblichen (Odds Ratio 3,38 vs. 1,58).

Betrachtet man die TPB-Faktoren und die zukünftige Blutspende-Bereitschaft, so waren bei Frauen hohe Werte der Self-Efficacy und die positive Einstellung Prädiktoren für weitere Spenden, soziale Normen spielten eine geringe und moralische Normen keine Rolle. Bei Männern waren die Zusammenhänge ähnlich, allerdings waren hier weder soziale noch moralische Norman von Bedeutung.

Fazit

Frauen berichten deutlich häufiger über eine VVR nach einer Blutspende als Männer – Männer aber verlieren ihre Blutspende-Bereitschaft etwa doppelt so häufig wie Frauen, wenn sie eine VVR erlebt haben. Das mag an der stärkeren sozialen Akzeptanz einer VVR bei Frauen liegen, folgern die Autoren, durch die Männer seltener eine VVR "gestehen". Insgesamt scheint es bedeutsam, diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern genauer zu beleuchten, um der nachlassenden Blutspende-Bereitschaft zu begegnen.

Kommentar zu:

Transfusion 2012; 52: 1871–1879

Die Untersuchung von Feldhuizen und Kollegen ist insoweit von großem Interesse, als sie die Aufmerksamkeit auf ein besonderes Problem des deutschen Blutspendewesens lenkt, nämlich die derzeit unzureichende Erfassung von spendebedingten Nebenwirkungen auf der einen Seite sowie deren gezielte Auswertung hinsichtlich deren Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft und damit die Versorgungssicherung auf der anderen Seite. Weder sind gegenwärtig die Spendeeinrichtungen verpflichtet, nicht-schwerwiegende spendebedingte Reaktionen strukturiert zu erfassen, noch unterliegen solche Reaktionen einer Meldepflicht. Nach § 22 TFG sind lediglich epidemiologische Daten von auf Infektionsmarker bestätigt positive Personen meldepflichtig, nach § 63 (i) AMG lediglich tödliche oder lebensbedrohliche Reaktionen anlässlich einer Blut- oder Komponentenspende.

Da die Entwicklung des medizinischen Fortschrittes (Transfus Med Hemother 2010; 37: 141–148) ebenso wie der Anstieg der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung in den nächsten 30 Jahren einen stark zunehmenden Bedarf an Blut und Blutprodukten erwarten lassen (Vox Sanguinis 2011; 100: 10–21), müssen vermehrt solche Ansätze verfolgt werden wie die der vorliegenden Arbeit.

In unserem Blutspendedienst erleiden rund 0,4% der erschienenen Spender eine dokumentierte Reaktion, wovon wiederum etwa 2/3 auf vasovagale Reaktionen (VVR) ohne oder mit Bewusstlosigkeit entfallen. Die Ergebnisse der Arbeit von Feldhuizen legen nahe, dass solche Zahlen bei gut 7,5 Mio. Spenden (ca. 5 Mio. Vollblut- und weitere 2,5 Mio. Apheresespenden) pro Jahr in Deutschland langfristig einen relevanten Verlust an Blutspendewilligen mit sich bringen, da das Auftreten einer VVR signifikant mit dem Ende der Blutspendebereitschaft assoziiert ist. Eine denkbare Konsequenz aus solchen Beobachtungen könnte sein, weiterführende Techniken zur gezielten Ansprache von Spendewilligen im Anschluss an solche spendebedingten Reaktionen zu entwickeln, um zum Beispiel – auch abhängig vom Geschlecht – TPB-Parameter gezielt zu berücksichtigen.

Dr. med. Robert Deitenbeck,
Zentrum für Transfusionsmedizin Hagen, DRK-Blutspendedienst West


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Vasovagale Reaktionen – auch neurokardiogene Synkope genannt – kommen nach einer Blutspende bei Frauen häufiger vor. Sie halten die Frauen jedoch seltener von ihrer Spendebereitschaft ab als Männer. (Symbolbild, Quelle: istockphoto)