Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48(4): 240-245
DOI: 10.1055/s-0033-1343758
Fachwissen
Topthema: Kinderanästhesie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kinderanästhesie – Macht Narkose dumm?

Does anesthesia harm childrens brain?
Karin Becke
,
Christian Siebert
,
Michael Dinkel
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Publication History

Publication Date:
30 April 2013 (online)

Zusammenfassung

Tierexperimentelle Daten, die einen Zusammenhang zwischen Anästhetikaexposition und längerfristiger Schädigung des sich entwickelnden Gehirns aufzeigen konnten, haben zu gesteigerter Aufmerksamkeit innerhalb der internationalen Anästhesiologie, aber auch bei Patienten, verunsicherten Eltern und Medien geführt. Die Bewertung der bisher vorliegenden Daten ergibt keine Evidenz für Änderungen der anästhesiologischen Routineverfahren, verbunden mit dem Auftrag, möglichst rasch durch verstärkte Grundlagen- und klinische Forschung Klarheit über die Mechanismen und mögliche Auswirkungen beim Menschen herzustellen.

Abstract

Animal data, that could show a correlation between anesthetic exposure and longterm damage to the developing brain, have raised concern within the international anesthesiology community, but also in patients, parents and media. The evaluation of the available literature does not provide evidence for changes in routine anesthetic practice associated with the order, to establish evidence through increased basic and clinical research about the mechanisms and possible effects in humans.

Kernaussagen

  • Die Gehirnentwicklung des Menschen durchläuft in den ersten 2 Lebensjahren einen komplexen Vernetzungsprozess.

  • Das Gehirn scheint in dieser Phase der intensiven Synaptogenese mit einer erhöhten Empfindlichkeit auf externe Einflüsse zu reagieren.

  • Apoptose ist ein an sich physiologischer Vorgang, bei dem nicht benötigte Nervenzellen eliminiert werden.

  • Anästhetika interagieren mit Neurotransmittersystemen, die maßgeblich an der neuronalen Differenzierung beteiligt sind.

  • In tierexperimentellen Untersuchungen gibt es klare Hinweise für anästhetikainduzierte Neurodegeneration mit konsekutiven Lern- und Gedächtnisstörungen nach Anästhetikaexposition.

  • Die retrospektiven epidemiologischen Daten beim Menschen sind nicht einheitlich und in ihrer Aussagekraft limitiert.

  • Internationale prospektive klinische Studien sind angelaufen; erste Auswertungen werden für 2014 erwartet.

  • Es ist nicht davon auszugehen, dass einzelne, klinisch kompetent durchgeführte und überwachte Anästhesien im Neugeborenen-, Säuglings- oder Kleinkindalter grundsätzlich zu Langzeitfolgen führen.

  • Der Faktor „Anästhesie“ beim sich entwickelnden Gehirn darf nie alleine als Auslöser späterer kognitiver oder Verhaltensauffälligkeiten betrachtet werden: Die individuellen multifaktoriellen Begleitumstände sind zu beachten: Operation, Krankenhausaufenthalt, psychosoziales Umfeld, familiäres Setting etc.

  • Es besteht internationaler Konsens, dass eine Änderung der Anästhesieverfahren bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern auf der Basis der aktuellen Datenlage nicht gerechtfertigt erscheint.

Ergänzendes Material