Pneumologie 2013; 67(06): 349-353
DOI: 10.1055/s-0033-1344125
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stiftung Deutsche Heilstätte Davos und Agra

Jahresbericht 1965Foundation for the German Sanatorium in Davos and AgraAnnual Report 1965
R. Kropp
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. Robert Kropp
Liegnitzer Straße 5
36100 Petersberg

Publication History

Publication Date:
07 June 2013 (online)

 

Vorbemerkung

Nach der Entdeckung und Einführung der Tuberkulosemedikamente und der Etablierung der antituberkulösen Chemotherapie seit etwa der Mitte des letzten Jahrhunderts begannen für die Tuberkulose-Sanatorien und Tuberkulose-Heilstätten schwierige Zeiten, bis hin zur Schließung („Heilstätten-Sterben“) oder Umfirmierung für andere Aufgaben. Im Jahresbericht 1965 der Stiftung Deutsche Heilstätte Davos und Agra ist diese Situation sehr gut erkennbar. Wir haben uns deshalb entschlossen, diesen Bericht, leicht gekürzt, in dieser Zeitschrift, im Historischen Kaleidoskop, nachzudrucken.

Aus der im Jahresbericht 1965 angeführten Allergieabteilung heraus entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten die Hochgebirgsklinik Davos zu ihrer jetzigen Größe und zu einem auch international bekannten und renommierten Zentrum für die Behandlung von Allergien, Erkrankungen der Atemwege und der Lunge, der Haut bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen. 2013 kam neu die Etablierung der Klinik für Psychosomatik hinzu. Es bestehen enge Kooperationen unserer Kliniken mit dem Schweizerischen Institut für Allergie- und Asthmaforschung Davos (SIAF) und dem Christine Kühne-Center for Allergy Research and Education (CK-Care), Davos, Zürich und München.

Dr. Robert Kropp

Professor Dr. Tom Schaberg

PD Dr. Günter Menz


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1. Bericht des Präsidenten des Stiftungsrates über das Jahr 1965

Dass Stiftungen wie die unsrige es in unserer Zeit nicht leicht haben, spiegeln die Jahresberichte der letzten 10 Jahre mit besonderer Deutlichkeit wider. Wenn der Gesetzgeber mit den von ihm geschaffenen und immer weiter verbesserten sozialen Einrichtungen für den Menschen sorgt, dann ist es nicht zu verwundern, wenn es heutzutage kaum noch Stifter gibt, die bereit sind, einer auf karitative Wirksamkeit ausgerichteten Stiftung durch finanzielle Zuwendungen frisches Blut zuzuführen.

Vor diesem Hintergrund muss die Arbeit gesehen werden, die unsere Stiftung Tag für Tag in allen ihren Häusern tut ([Tab. 1]). Es wäre ganz gewiss nicht im Sinne des Stifters, wenn wir resignieren wollten. Aber es ist ein selbstverständliches Gebot nüchterner Verwaltung der uns anvertrauten Stiftung, dass nichts unterlassen und desto mehr getan wird, was dazu beitragen kann, dass unsere Häuser auch heute und in Zukunft den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden und ihre Aufgaben erfüllen können.

Tab. 1

Anstalten der Stiftung.

HOCHGEBIRGSKLINIK
DAVOS-WOLFGANG in Davos-Wolfgang
200 Betten. 1600 m. ü. M.
Chefarzt: Dr. med. Christian Virchow
Verwalter: Paul Ehinger
Mit zwei separierten Abteilungen:

  • SANATORIUM WOLFGANG: 135 Betten
    Leitender Arzt: Dr. Med. Christian Virchow

  • ASTHMA- UND ALLERGIE-KLINIK: 55 Betten
    Leitender Arzt: Dr. Med. Hans Düngemann

SANATORIUM AGRA in Agra bei Lugano
150 Betten. 540 m. ü. M.
Ab 1.6.1965 bis zur endgültigen Schließung als Tuberkulosehaus nur noch kurzfristig für Tessiner Tbc-Kranke offen.
Hausarzt: Dr. med. Attilio Crotti
Verwalter: Walter Eberli

OLGA-BURCHARD-HEIM in Agra bei Lugano
90 Betten. 550 m. ü. M.
Heim Für erholungsbedürftige Kinder
Hausarzt: Dr. med. Attilio Crotti

HAUS HILDEGARD in Arosa
60 Betten. 1800 m. ü. M.
Heim Für erholungsbedürftige Kinder
Hausarzt: Dr. med. F. Röthlisberger

Wie aus dem ärztlichen Bericht und den gegebenen Zahlen hervorgeht, war unsere Hochgebirgsklinik Davos Wolfgang mit ihrem Sanatorium Wolfgang und der neuen Asthma- und Allergie-Klinik im Laufe des Jahres 1965 voll belegt; es stehen jetzt immer Patienten auf der Warteliste.

Desto deutlicher sehen wir die Dringlichkeit und Notwendigkeit, die Modernisierung und Erneuerung unserer Häuser in Davos-Wolfgang weiterzuführen. Die Beratungen und Pläne über das, was als nächster Bauabschnitt möglich und nötig ist, beschäftigten den Stiftungsrat und die von ihm dafür eingesetzte Kommission das ganze Jahr in vielen Besprechungen und Sitzungen.

Schon im Bericht über das Jahr 1964 wurde darauf hingewiesen, dass der Stiftungsrat sich entschließen musste, das Sanatorium Agra für Tbc-Kranke zum 31. Mai 1965 endgültig zu schließen. Dies ist inzwischen geschehen. Dem Wunsche der Regierung des Kantons Tessin, die sogenannte ,,Tessiner Abteilung" zunächst noch offenzuhalten, konnten wir entsprechen und die vereinbarte Frist sogar noch bis 30. September 1966 verlängern. Über die künftigen Pläne für Agra ist auch im Berichtsjahr sehr intensiv beraten und mit Fachleuten verhandelt worden. Eine endgültige Entscheidung konnte der Stiftungsrat bis zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Berichtes noch nicht treffen.

Unsere Kindererholungsheime in Agra und Arosa waren, wie in den vergangenen Jahren, voll belegt und machen uns im Augenblick keine Sorgen.

Wir danken im Rückblick auf das Jahr 1965 ganz besonders den Sozialversicherungsträgern in Deutschland, die unserer Arbeit, aber auch unseren Anträgen zur Berichtigung der Kostensätze Verständnis entgegenbringen und uns durch die Zuweisung von Patienten ihr Interesse an der Erhaltung unserer Stiftung bekunden. Wir danken der Direktion, den Ärzten und Verwaltern, den Schwestern und allen anderen Mitarbeitern sowie den Geistlichen beider Konfessionen, die unseren Kranken durch ihren Einsatz und ihre Pflichttreue geholfen haben. Wir danken auch dem kleinen Kreis der Spender, die immer wieder durch ihre Gaben das freundliche Interesse an unserer Stiftung zum Ausdruck bringen.

Es wurde eingangs erwähnt, wie schwierig es in heutiger Zeit für eine Stiftung ist, neben den öffentlichen Institutionen zu bestehen, die immer weitreichendere Aufgaben zu erfüllen in der Lage sind. Die derzeitigen Schwierigkeiten können den Stiftungsrat aber nicht davon abhalten, den Willen des Stifters weiterhin so gut als möglich zu verwirklichen in der Überzeugung, dass karitative Einrichtungen wie unsere Stiftung auch in Zukunft ihren besonderen Platz und ihre Aufgabe in der Pflege und der Betreuung kranker Menschen haben.

Davos, im April 1966

Der Präsident des Stiftungsrates:

Max Müller-Schöll


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2. Hochgebirgsklinik Davos-Wolfgang
Ärztlicher Bericht über das Jahr 1965

Die Bekämpfung der Tuberkulose macht nur in wenigen Gebieten der Welt die erhofften Fortschritte. Das war das Fazit der im Oktober 1965 in München veranstalteten Internationalen Tuberkulose-Konferenz. Ein besonderes Problem bildet die während der Behandlung zu beobachtende Herauszüchtung von resistenten Bakterien, die gegen die gut wirksamen Medikamente unempfindlich sind. Die vor allem hierdurch bedingte zunehmende Zahl der chronischen Tuberkulosen bereitet in den meisten Ländern große Sorgen. Man ist sich allgemein darüber im Klaren, dass unter diesen Umständen auf qualifizierte Fachkliniken noch nicht verzichtet werden kann. Die epidemiologische Situation führte auch im vergangenen Jahr zur Vollbelegung der Tuberkuloseklinik in Davos-Wolfgang ([Tab. 2]).

Tab. 2

Belegung.

Bestand am 1. Januar 1965

166

Eintritte 1965

215

Entlassungen 1965

250

Bestand am 31. Dezember 1965

131

Durchschnittliche Kurdauer der 250 Entlassungen

273 Tage

Das Sanatorium Wolfgang war im Berichtsjahr mit durchschnittlich 158 Patienten bei total 57 744 Pflegetagen voll belegt.

Als besondere therapeutische Aufgabe empfanden auch wir die Betreuung der Kranken, bei denen in vorangegangenen Kuren kein befriedigender Behandlungserfolg erzielt werden konnte. Der größte Teil der Operationen und auch die lokalen, die Kavernen direkt angreifenden Verfahren, galten dieser Gruppe von Patienten ([Tab. 3]). Die kombinierte Chemotherapie mit geeigneten Zweitrangmitteln wurde weiter erprobt und mit Erfolg bei zahlreichen Kranken angewandt. Die Methoden des bakteriologischen Laboratoriums wurden zweckmäßig verbessert und ergänzt. Nach wie vor wird der bakteriologischen Resistenzprüfung großer Wert beigemessen ([Tab. 4]). Im klinischen Laboratorium wurden neue enzymatische Bestimmungsverfahren eingeführt. Auch mühten wir uns, die Kavernenlokalbehandlung weiter auszubauen. Neben den bereits erprobten Methoden wurden erste Versuche mit der intrakavernösen Instillation von Medikamentenplomben gemacht. Diese enthalten angereichert eine Reihe von Tuberkulostatika und verbleiben länger in dem zerstörten Hohlraum und entfalten dort ihre Wirkung. An neuen Tuberkulostatika wurden Capreomycin und Rifomycin klinischen Prüfungen unterzogen.

Tab. 3

Operationen und andere Eingriffe 1965.

Operationen 1965

Oberlappenresektionen

  1

Thorakoplastik

  1

Empyemhöhlenrevision mit Fistelübernähung

  1

Partielle Rippenresektionen

  3

Operative Empyemhöhleneröffnung

  1

Operation eines tuberkulösen Abszesses

  1

Monaldi-Anlage

  1

Bülau-Anlage

  1

Exstirpation eines Hauttumors

  1

Probeexzisionen (Nase und Oberschenkel)

  2

Cystoskopie

  1

Tonsillektomie

  1

Appendektomie

  1

Andere Eingriffe

Pleurapunktionen

384

Kavernenpunktionen

727

Pneumothorax-Füllungen

416

Bronchoskopien

 32

Bronchographien

 10

Kaustik

  5

Pneumothorax-Anlagen

  3

Bauchpneu-Anlage

  1

Tab. 4

Bakteriologische Resultate.

Beim Eintritt

Beim Austritt

29 mit Bakterien
142 ohne Bakterien

171 ohne Bakterien

Die Ereignisse innerhalb der Tuberkulose-Klinik unterschieden sich nicht wesentlich von denen der Vorjahre. Während des Umbaus eingeschobene Betten wurden wieder entfernt, so dass jetzt noch mehr Einzelzimmer zur Verfügung stehen. Das Verhältnis von Einzel- zu Doppelzimmern beträgt 76:36. Zimmer mit mehr als zwei Betten gibt es im Hause nicht. Diese Form der Unterbringung wird von unseren Patienten, die oft viele Monate in der Heilstätte verbringen müssen, zumeist sehr begrüßt.

Für die Patienten wurden zahlreiche interessante Vorträge, Filmabende und Konzerte veranstaltet. Die Spiele im Freien bereiteten den Kranken in den wenigen Sommermonaten – das Umgelände war bis in den Juni hinein mit Schnee bedeckt – große Freude. Besonders die Bocciabahnen und das Rasencrocket fanden unermüdliche Anhänger. Der bessere Empfang des Fernsehens erwies sich als Konkurrenz und verminderte die Besucherzahlen aller anderen Veranstaltungen. Die Bibliothek wurde ergänzt; dabei wurde durch Anschaffung geeigneter Bücher die Fortbildung besonders beachtet. Haussender und Radioprogramm wurden in Eigenregie von den Patienten geleitet. Die Beschäftigungstherapie wurde weiter gepflegt; doch machte sich gerade hier das Fehlen geeigneter Räume störend bemerkbar.

Die pflegerische Betreuung der Patienten oblag in der gewohnten gütigen Form den Diakonissenschwestern aus dem deutschen Mutterhaus Hensoltshöhe. Die Angestellten und Arbeiter der Verwaltung und des Wirtschaftstraktes standen auch im vergangenen Jahr unter Leitung von Herrn Verwalter Ehinger, der sich mit gewohntem Geschick mühen musste, alle Schwierigkeiten, die sich aus dem Arbeitskräftemangel und den durch die Zweigleisigkeit des Betriebes erhöhten Arbeitsanforderungen ergaben, zu überwinden. Allen Mitarbeitern des Hauses sei an dieser Stelle für alle Tätigkeit zum Wohle der Kranken herzlich gedankt.

Wie in den vergangenen Jahren standen uns die Davoser Spezialisten mit Rat und Tat zur Seite.

Dr. med. Christian Virchow


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3. Bericht über die Asthma- und Allergie-Klinik

Für die Asthma- und Allergie-Klinik sei zunächst die Indikationstabelle aufgeführt, die sich sehr bewährte. Alle genannten Indikationen wurden durch die einweisenden Ärzte und Kliniken berücksichtigt.

Asthma bronchiale
Rhinitis, Sinusitis und Bronchitis allergica (beispielsweise Heuschnupfen, Heuasthma, Mehlasthma)
Akute und chronische Bronchitis (vor allem mit asthmoider Komponente)

Absteigende Infektbronchitis (sinu-broncho-pulmonales Syndrom)
Bronchiektasen
Schleimhautallergien des Magen-Darm-Traktes
Berufsallergien, Hautallergien

Fast alle Sozialversicherungsträger erklärten sich bei entsprechender Begründung der Kurnotwendigkeit bereit, die Kosten für die Heilbehandlung in der Asthma- und Allergie-Klinik zu übernehmen. Die meisten Kranken wurden uns durch das Sozialamt der Deutschen Bundesbahn und einige Landesversicherungsanstalten zugewiesen. Darüber hinaus haben wir viele selbstzahlende Patienten betreut, unter denen sich zu unserer Freude auch einige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens befanden. Genugtuung bereitete uns, dass sich aus dem Nebeneinander der Allergieklinik mit dem Tuberkulose-Sanatorium bei den Patienten nie Klagen oder Schwierigkeiten ergaben. Ganz im Gegenteil zeigte sich bei den meisten Kranken mitleidsvolle Anteilnahme, die gelegentlich auch zu karitativem Tun Veranlassung gab. Allerdings achteten wir auch weiterhin auf strenge Trennung zwischen den Abteilungen. Außerdem half uns die Weitläufigkeit des Umgeländes.

Auf dem ärztlichen Sektor galt es, alle Probleme, die sich mit der schnell zunehmenden Belegung einstellten, zu meistern. Die vielfältigen diagnostischen Methoden, die wir in die Routineuntersuchung aufgenommen hatten, mussten standardisiert und rationalisiert werden. Einzelne diagnostische Verfahren wurden weiter ausgebaut, wobei uns sowohl die bakteriellen Allergien als auch die Aufdeckung von berufsbedingten Antigenen besonders interessierten. Unter den von uns behandelten Patienten überwogen die Kranken mit Asthma bronchiale oder asthmoider Bronchitis. Bei genauerer Differenzierung zeigte sich, dass die reinen Inhalationsallergien selten und dass sie zumeist mit bakteriellen Superinfekten kombiniert waren. Die Inhalationsallergie war zumeist bei den jüngeren Patienten ausgeprägter, während bei den älteren häufig reine Infektallergien konstatiert werden mussten. Die klimatischen Einflüsse des Hochgebirges machten sich in Übereinstimmung mit den Literaturangaben am günstigsten bei den noch nicht so alten Erkrankungsformen, die sich auf dem Boden einer Allergie gegen bekannte Umweltallergene entwickelt haben, bemerkbar. Die häufigste Lungenkomplikation stellte das Lungenemphysem dar. Die wesentlichste zusätzliche Erkrankung im Bereich der Atemwege war die chronische Sinusitis. Die Patienten lernten die zumeist unbekannte Hochgebirgslandschaft schätzen. Zu Kurbeginn wagte man lediglich leichte Terrain-Kuren im sanft ansteigenden Klinikpark. Am Ende der Kur getrauten sich viele mit gebesserter Atemkapazität und ärztlicher Erlaubnis auf die umgebenden Berge. Am Abend und bei schlechter Witterung wurden der zweckmäßig eingerichtete Fernsehraum und die Aufenthaltsräume mit ihren Möglichkeiten zu Spielen verschiedener Art besucht.

Sehr erfreut waren wir, dass wir zahlreichen Besuchern unsere neue unspezifische Abteilung zeigen konnten. Insgesamt dürften im Berichtsjahr 300 deutsche Ärzte, die sich an dem neuen Indikationsgebiet interessiert zeigten, in der Asthma- und Allergie-Klinik zu Besuch gewesen sein. Das gelang vor allem während des Fortbildungskongresses der Deutschen Ärztekammer in Davos im März 1965, an dem wir uns – wie in den Vorjahren – mit Vorträgen, Seminaren, Krankendemonstrationen beteiligten.

Zusammengefasst darf man feststellen, dass sich die Einrichtung der Klinik für unspezifische Lungenerkrankungen bereits im ersten vollen Jahr ihres Bestehens auf das beste bewährte, und dass wir damit rechnen dürfen, später einmal bei dem erhofften weiteren Rückgang der Tuberkulose den jetzt schon bestehenden Andrang befriedigen und weitere Teile unserer Klinik für Bronchitis- und Asthmakranke bereitstellen zu können.


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4. Sanatorium Agra

Das Berichtsjahr ist gekennzeichnet durch die auf Ende Mai erfolgte Schließung des Hauses für deutsche Tuberkulose-Patienten. Dieser Schritt war […] durch die immer unzureichendere Einweisung deutscher Patienten unvermeidlich geworden. Die seit einigen Jahren in Agra bestehende Abteilung für Tessiner Tbc-Kranke wurde auf Wunsch der Regierung des Kantons zunächst noch weitergeführt, da die zur anderweitigen Unterbringung der Tessiner Patienten eingeleiteten Maßnahmen noch nicht zu einer endgültigen Lösung geführt haben.

[…] Dank dem anerkennenswerten Einsatz der langjährigen Mitarbeiter in allen Betriebsbereichen konnte der eingeschränkte Betrieb so weitergeführt werden, dass die einwandfreie Versorgung der verbliebenen Patienten gewährleistet blieb.


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5. Sind Tuberkulose-Heilstätten im Hochgebirge noch erforderlich?

Wie aus der [Tab. 5] hervorgeht, hat – der Verminderung der Bettenzahl in Deutschland entsprechend – auch die Stiftung einen Großteil der früher für Tuberkulosepatienten zur Verfügung stehenden (insgesamt mehr als 500) Betten auf jetzt 145 reduziert. Eine weitere Zurücknahme um 20 Betten ist im Laufe des Jahres 1966 vorgesehen. Dann steht noch ein Gebäudekomplex mit 125 Betten zur Aufnahme von Tuberkulosepatienten bereit.

Tab. 5

Stiftung Deutsche Heilstätte Davos und Agra. Gegenüberstellung der Bettenzahl, die in den Häusern der Stiftung früher und heute für Tuberkulosekranke zur Verfügung standen.

Tuberkulosebetten

früher

heute

Hochgebirgsklinik Davos-Wolfgang (früher Deutsche Heilstätte Davos)

200

145

Sanatorium Agra

170

keine

Kinderheim Agra

 80

keine

Kinderheim Arosa

 48

keine

498

145

… Um einen genaueren Überblick über die Wirksamkeit von Kuren im Hochgebirge zu erhalten, haben wir vor einiger Zeit eine Aufgliederung unserer Patienten hinsichtlich der Einweisungsindikation durchgeführt ( [Tab. 6]). Beim Analysieren der einzelnen Gruppe ergab sich: Bei der Fülle von therapeutischen Maßnahmen, wie sie heute angewandt werden, lassen sich klare Untersuchungen mit eindeutigen Ergebnissen über den Nutzen der Klimabehandlung bei Tuberkulosekranken gar nicht mehr anstellen. Selbst die Erprobung eines Tuberkulostatikums, das gut dosiert werden kann, ist ja heutzutage mit großen Schwierigkeiten verbunden. Neben Chemotherapie und chirurgischen Verfahren sind bindende Schlüsse über Nutzen einer klimatischen Kur nicht möglich …

Tab. 6

Gruppierung der Heilverfahren.

A. Krankheitsformen

1. Pulmonale Tuberkulosen

242

(Unterteilung siehe unter 7):
Kurerfolg und Krankheitsformen

2. Extrapulmonale Tuberkulosen

Urogenital-Tuberkulosen
Haut-Tuberkulose
Peritoneal- Tuberkulose
Lymphknoten-Tuberkulose
Hüftgelenks-Tuberkulose

2
1
1
3
1





8

3. Zusätzliche, nichttuberkulöse Krankheiten

Chronische Bronchitis
Obstruktives Emphysem
Asthma
Diabetes mellitus
Silikose
Allergisches Ekzem

22
9
4
7
2
1

B. Arten des Heilverfahrens

1. Reguläre Kuren
2. Festigungskuren
3. Verlegungen in stationäre Weiterbehandlung
4. Vorzeitig beendete Kuren
5. Disziplinare Entlassungen
6. Gestorben
Häusliche Absonderung

171
15
21
17
5
7
14

… Nun gibt es trotzdem immer wieder einzelne Fälle von tuberkulösen Erkrankungen, bei denen die Chemotherapie von vornherein versagt oder langfristige Chemotherapie zur hochgradigen Resistenz gegen die gut verträglichen Tuberkulostatika führt. Auch ist die große Gruppe von Kranken zu bedenken, bei denen die meisten Tuberkulostatika wegen Begleiterkrankungen des Magen-Darm-Traktes, der Leber etc. nicht vertragen werden. Bei diesen Patienten sollte man die Möglichkeit erwägen, zusätzlich eine reizklimatische Behandlung im Hochgebirge durchzuführen. Das sollte im Allgemeinen zu einem frühen Zeitpunkt und nicht erst in den therapieresistenten Endstadien versucht werden. Hinzu kommt die große Zahl der Kranken, die hinsichtlich des bisherigen Tuberkulose-Verlaufes trotz guter Rückbildung unter Chemotherapie eine dispositionelle Schwächung erkennen ließen. Gerade bei dieser Gruppe der in ihrer natürlichen Resistenz geschädigten Personen ist die Behandlung mit der Rückbildung der gröberen morphologischen Veränderungen nicht ausreichend erfüllt. Für diese hat unseres Erachtens eine Umstimmungsbehandlung, wie sie durch eine Höhenklimakur möglich ist, eine besondere Bedeutung.

Im Gegensatz zur Tuberkulose, wo die anderen therapeutischen Möglichkeiten den Wert der Klimabehandlung in den Hintergrund gedrängt haben, gibt es eine echte Klimaindikation für einen großen Teil der unspezifischen Lungen- und Bronchialerkrankungen. Hierher gehören in erster Linie das Asthma bronchiale, die chronische Bronchitis und die Bronchiektasen. Diese Erkrankungen werden im Hochgebirge besonders gut beeinflusst und sind dort häufig (auch ohne Einsatz bestimmter Medikation) allein durch die klimatischen Bedingungen zu kurieren. Die Wirkung des Höhenklimas macht sich auch dadurch bemerkbar, dass man in den meisten allergischen Erkrankungsfällen mit Corticoid-Dauermedikation die Dosis im Hochgebirge absetzen oder reduzieren kann. Man hat sich in Davos-Wolfgang diese Gunst des Klimas in den letzten Jahren durch Ausbau einer Asthma- und Allergie-Klinik zunutze gemacht. Besonders günstige Resultate erzielt man bei den echten, durch exogene Allergie ausgelösten Bronchialerkrankungen. Den gleichen Erfolg erlangt man bei den anderen allergischen Leiden der Haut und der Schleimhäute, die gleichfalls im Hochgebirge gut beeinflusst werden. Hierbei spielt nicht nur die Keim- und Allergen-Armut des Klimas, sondern auch die im Hochgebirge verminderte Allergen-Potenz eine Rolle.

Da bei Zunahme der Tuberkulose in den höheren Altersklassen auch das gehäufte Auftreten begleitender Lungen- und Bronchialerkrankungen beobachtet wird, ergäbe sich hier für eine weitere Anzahl von Kranken eine sinnvolle Möglichkeit zu Kuren im Hochgebirge.

Auszug aus einem Referat anlässlich der Arbeitsausschuss-Sitzung des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose

Augsburg, Februar 1966


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6. Zusammenfassung

Aus den angeführten Gründen erscheint es ratsam, zur Betreuung Tuberkulosekranker auf die deutsche Hochgebirgsklinik in der Schweiz nicht zu verzichten. Um die besonders geeigneten Indikationen noch einmal zu umreißen, wäre als erste Gruppe zu nennen:

  1. a) die Tuberkulose in Kombination mit unspezifischen bronchialen und pulmonalen Begleiterkrankungen, wie spastischer und infektiöser Bronchitis, Asthma bronchiale, Bronchiektasen;
    b) die Tuberkulose in Kombination mit anderen allergischen Haut- und Schleimhauterkrankungen, wie beispielsweise der Neurodermitis constitutionalis.
    (In 1a und b besteht eine absolute Indikation zu einer Hochgebirgsklimakur.)

Als zweite Gruppe wären alle primär risikobelasteten Tuberkulose-Fälle zu nennen, bei denen:

  1. a) auf Grund anfänglicher Kavernengröße, Dickwandigkeit der Kaverne und Bazillenreichtum eine nur mäßige Chance der Rückbildung unter der üblichen Chemotherapie und heimischen Bedingungen besteht;
    b) die Risiken durch Stoffwechselkrankheiten (wie Diabetes) oder chronische Magen-Darmerkrankungen, die mit Resorptionsverminderung einhergehen (wie Zustand nach Magenresektion), erhöht sind;
    c) auf Grund der Familienanamnese und des bisherigen Verlaufs mit einer dispositionellen Schwächung der Abwehrkräfte gerechnet werden darf. (Hier ist darauf hinzuweisen, dass die früheren Einschränkungen hinsichtlich des exsudativen Stadiums nach Einführung der Chemotherapie nicht mehr gelten, vielmehr alle Tuberkuloseformen Aufnahme im Hochgebirge finden können).

  2. In einer dritten Gruppe kann man die Patienten zusammenfassen, unter der üblichen Therapie einen Rückbildungsstillstand erkennen lassen (bei denen zudem eine Unverträglichkeit der Tuberkulostatika vorliegt und die erst im Verlauf die in der vorgenannten Gruppe aufgeführte Risikoerhöhung aufweisen).

  3. Ferner sind nach wie vor Kuren im Hochgebirge zu empfehlen, die zum Zwecke der Umstimmung und zur Konsolidierung des Lungenbefundes dienen. Hierzu gehören in erster Linie alle die Kranken, die unter Chemotherapie Rückbildung eines anfangs mehr ausgedehnten offenen und kavernösen Lungenbefundes gezeigt haben, und ferner die Patienten, die größeren operativen oder Kollapsverfahren unterzogen werden mussten.

  4. Und schließlich sind alle die extrapulmonalen (mit Einschränkung auch pulmonalen) Tuberkuloseformen zu nennen, vor allem Lymphknoten-, Knochen- und Peritonealtuberkulose, die einer Heliotherapie unterzogen werden sollen und bei denen durch langfristige Kurbehandlung und Chemotherapie einem Rezidiv vorzubeugen ist.

Auf emotionelle Begründungen, wie Einzigartigkeit der Landschaft, günstige Einwirkungen auf die Psyche, Wahrung des Besitzes für deutsche Kranke etc. darf man in diesem Zusammenhang verzichten, obgleich sie nicht völlig außer Acht gelassen werden sollten.

Abschließend ist zu sagen, dass sich die günstige Entwicklung der Tuberkulose-Epidemiologie, zu der auch die Häuser der Deutschen Heilstätten-Stiftung in der Schweiz beigetragen haben, nicht ganz problemlos auf die Hochgebirgsklinik in Davos-Wolfgang auswirkt. Ähnlich ergeht es ja zahlreichen innerdeutschen Instituten gleicher Art, in denen wie in Davos und Agra viele Tausende von Patienten betreut werden konnten. Man muss damit rechnen, dass ein Teil der früheren Tuberkulose-Kliniken in den kommenden Jahren einem anderen Verwendungszweck zugeführt wird. Unseres Erachtens sollte dabei nicht zu früh auf klimatisch besonders begünstigte Kliniken verzichtet werden.


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Dr. Robert Kropp
Liegnitzer Straße 5
36100 Petersberg