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DOI: 10.1055/s-0033-1345226
Risiken reduzieren mit der NASA-Methode – Passagiere auf kommerziellen Raumflügen
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
30. April 2013 (online)
Law J, Mathers CH, Fondy SR et al. NASA̓ s human system risk management approach and its applicability to commercial spaceflight. Aviat Space Environ Med 2013; 8: 68–73
Thema: Kommerzielle Raumflüge werden in naher Zukunft für private Passagiere durchgeführt. Im Gegensatz zu den im Allgemeinen sehr gesunden Berufsastronauten ist das Klientel der Raumfahrttouristen eher älter und daher durch Vorerkrankungen belastet. Besonders häufig sind Herz- und Lungenerkrankungen sowie Diabetes mellitus. Insgesamt ist die körperliche Belastbarkeit häufig herabgesetzt. Den Raumfahrttouristen erwarten jedoch ungewöhnliche körperliche Belastungen: Beschleunigungskräfte beim Start und Wiedereintritt in die Atmosphäre sowie circa 3- bis 5-minütige Schwerelosigkeit.
Projekt: Das "Gremium für menschliche Risiken (Human System Risk Board)" der NASA dokumentiert und handhabt alle Risiken für die menschliche Gesundheit von Raumfahrern und bedient sich dabei historischer Daten, integrierter medizinischer Modelle und einer Liste über bekannte medizinische Situationen in der Raumfahrt [ 1 ]. Es wurden 48 Risiken identifiziert und in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit des Auftretens und ihre Konsequenzen analysiert. Das jeweilige Risiko wurde in hoch, mittel oder niedrig eingestuft. Daraus resultierend ordnete man den jeweiligen Risiken Bedenklichkeitsstufen zu: eindeutige, mögliche und geringe Bedenken.
Ergebnisse: Es ist aus Raumfahrtmissionen bekannt, dass sich gerade in der ersten Zeit der Missionen die Hauptbeschwerden vor allem auf das Space Adaptation Syndrome (Raumfahrt-Anpassungs-Syndrom) und die Space Motion Sickness (Bewegungskrankheit) beziehen. Aber auch Rückenschmerzen und Kopfschmerzen werden in der ersten Zeit der Flüge angegeben. Insgesamt wurden 6 Kategorien identifiziert, die potenzielle Bedenken für einen kommerziellen Raumflug hervorrufen. Diese sind:
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Space Adaptation Syndrom (SAS)
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Verhalten: Angst, Medikamentenmissbrauch oder -überdosierung
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Gastrointestinale Beschwerden: Diarrhö, Gastroenteritis, Verdauungsstörungen
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Schmerzen: Kopfschmerzen (mit Ausnahme der Kopfschmerzen durch SAS), Verletzungen, Frakturen, Luxation, Verstauchung, Schürf- oder Platzwunden, Barotraumen
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Umgebungsbedingungen: Erstickungsanfall aufgrund von Schmutzpartikeln, Hornhautdefekte, Augenverätzungen, Hautausschlag, durch Kohlendioxid bedingter Kopfschmerz
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Seltene, aber ernst zu nehmende Umstände, die einer sofortigen medizinischen Behandlung bedürfen: akuter Brustschmerz/Angina Pectoris, allergische Reaktion, anaphylaktischer Schock, Vorhofflimmern, Krampfanfall, Schlaganfall, plötzlicher Herzstillstand
Selektion der Touristen und Beeinflussung der Umgebungsbedingungen sollten – wie auch bei den Berufsastronauten – die medizinischen Risiken reduzieren: Prävention ist besser als Therapie. Viele Verletzungen können durch sorgfältige Kabinenkontrolle sowie Einweisung und Training der Passagiere verhindert werden. So muss die Kabine vollständig frei von losen Schmutzpartikeln sein, um Augenverletzungen und Erstickungsanfälle zu verhindern. Sorgfältige Untersuchungen und Screenings können medizinische Notfälle reduzieren. Gegebenenfalls müssen vor dem Flug therapeutische Maßnahmen ergriffen werden.
Die während Raumfahrtmissionen aufgetretenen medizinischen Fälle wurden Missionsprofilen mit deutlich unterschiedlicher Dauer zugeordnet. Eine Prioritätenliste wurde erstellt, aus der ersichtlich ist, welche Situationen unbedingt beachtet werden sollten. Durch diese Methode können die Verfahren auch für Langzeitmissionen, wie zum Beispiel zum Mars, genutzt werden.
Fazit: Die NASA entwickelte ein Instrument basierend auf historischen Daten, integrierten medizinischen Modellen und bekannten medizinischen Situationen in der Raumfahrt zur Risikoeinschätzung für private und berufliche Astronauten. Daraus resultierend entstand eine Prioritätenliste für unterschiedlich lange Missionsprofile, die in Angriff genommen werden sollte, um das Risiko für die Astronauten zu reduzieren.


Diese Veröffentlichung zeigt die potenziellen medizinischen Risiken und Probleme auf, mit denen Passagiere von kommerziellen Raumflügen konfrontiert werden können. Durch Identifikation der Risiken und Bedenken aus vorausgegangenen Raumfahrtmissionen kann man Passagiere besser selektieren und aufklären sowie optimale Rahmenbedingungen schaffen. Dies ist ein wesentlicher Beitrag zur sicheren Raumfahrt. Natürlich bleibt zu beachten, dass bei Nutzung der historischen medizinischen Datenbank die Zahlen für eine signifikante Statistik aufgrund der wenigen Fallzahlen zu gering sind. Diese Veröffentlichung gibt dem (Flieger-)Arzt jedoch die Möglichkeit, potenzielle Passagiere bereits im Vorfeld einer Bewerbung um einen Raumflug zu beraten.
Dr. Claudia Stern, Götz Kluge, Dr. Martin Trammer, Dr. Indra Chaudhuri-Hahn, Peter Tuschy
Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin
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Literatur
- 1 McPhee JC, Charles JB. Human health and performance risks of space exploration missions. Houston, TX: National Aeronautics and Space Administration; 2009. Report No. NASA SP-2009-3405
Korrespondenz
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Literatur
- 1 McPhee JC, Charles JB. Human health and performance risks of space exploration missions. Houston, TX: National Aeronautics and Space Administration; 2009. Report No. NASA SP-2009-3405

