ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2013; 122(05): 256-257
DOI: 10.1055/s-0033-1345760
Colloquium
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine neue Werkstoffgeneration – VITA ENAMIC – die Hybridkeramik der Zukunft?

Further Information

Publication History

Publication Date:
08 June 2013 (online)

 

    W. H. Mörmann

    Zoom Image

    Prof. Dr. Werner H. Mörmann untersuchte an der Universität Zürich im Rahmen von In-vitro-Tests die Hybridkeramik VITA ENAMIC. Darüber hinaus sammelte er erste Erfahrungen im klinischen Einsatz. VITA ENAMIC ist ein innovativer, zahnfarbener Verbundwerkstoff zur CAD/CAM-Herstellung von definitiven Einzelzahnversorgungen. Im folgenden Interview berichtet Prof. Mörmann von seinen Ergebnissen und Erkenntnissen.

    ? Prof. Mörmann, vor über 25 Jahren begann durch Ihre Pionierleistung die Erfolgsgeschichte des CEREC-Systems und damit auch die der VITABLOCS Feldspatkeramik. Jetzt ist mit VITA ENAMIC erstmals eine dentale Hybridkeramik verfügbar. Ist dies nun die Werkstoffgeneration der Zukunft, auf die viele Kliniker gewartet haben?

    Prof. Dr. Werner H. Mörmann: Die neue Hybridkeramik trifft heute auf das etablierte Materialspektrum der CAD/CAM-Technologie von der Hochleistungskeramik bis zum Polymerblock. Sie positioniert sich hier in der Mitte, indem sie den lang gehegten Traum von der elastischen ästhetischen Keramik realisiert. Alle vorliegenden Labortests zeigen, dass dieses Material die Anforderungen der Chairside-Anwendung hervorragend erfüllt. Ziel der CEREC-Entwicklung war es, dass der Zahnarzt den Patienten möglichst schnell und einfach mit Keramik-Restaurationen versorgen kann. Konnten wir eine Keramik mit einer der Zahnhartsubstanz angepassten Elastizität erwarten? Pionier dieser ästhetischen Hybridkeramik ist der amerikanische Zahnmediziner Prof. Dr. Russel A. Giordano, der seit 1996 an der Boston University daran gearbeitet hat. Extreme Verfeinerungsarbeit war bei der VITA Zahnfabrik erforderlich, bis die höchste Produktqualität erreicht wurde. Ich denke, wir sind überrascht, erfreut und gespannt, wie sich die neue Hybridkeramik in der Klinik langfristig bewähren wird. Die kurzfristigen klinischen Erfahrungen sind jedenfalls ausgezeichnet.

    ? Ganz konkret gefragt, wodurch unterscheidet sich die sogenannte Hybridkeramik aus Ihrer persönlichen Sicht von anderen, traditionellen dentalkeramischen, monolithischen Werkstoffkonzepten?

    Prof. Mörmann: Die Hybridkeramik besteht aus ästhetischer Silikatkeramik, die völlig homogen und isotrop von einem feinen Polymernetzwerk durchdrungen wird. Das Polymernetzwerk verleiht der Keramik in gewissem Maße elastische Eigenschaften, die denen des Dentins nahekommen und die z. B. bei einer adhäsiv befestigten Vollkrone eine wesentlich höhere Dauerbelastung zulassen, als es bei herkömmlichen Keramiken möglich ist. Dies weisen Dauerbelastungstests von PD Dr. Petra Güß an der Universität Freiburg im Breisgau und von Prof. Dr. Robert Kelly an der Universität von Connecticut nach.

    ? Sie haben die Hybridkeramik an der Universität in Zürich bereits von Beginn an erprobt und die Weiterentwicklung des Werkstoffs konstruktiv begleitet. Welche Werkstoffeigenschaften haben Sie persönlich in der klinischen Anwendung besonders überzeugt?

    Prof. Mörmann: Meine Untersuchungen zeigen, dass die Hybridkeramik sich sowohl im Schnell- als auch im Normalmodus des CEREC MC XL-Gerätes schneller als andere Keramiken für monolithische Restaurationen und ebenfalls schneller als Komposite schleifen lässt – bei gleichzeitig hoher Formpräzision. Zudem gewährleistet das Polymernetzwerk das bruchresistente Formschleifen dünn auslaufender Randpartien von Restaurationen. Mit der Hybridkeramik wird die höchste Standzeit der Schleifdiamanten im Vergleich zu allen anderen Materialien erreicht. Dies erhöht die Effizienz und die Wirtschaftlichkeit der CAD/CAM-Methode deutlich, was für die Praxis wichtig ist. Hinzu kommt in der klinischen Situation, dass sich das Material durch eine leichte Bearbeitbarkeit und Polierbarkeit auszeichnet. Diese Eigenschaften entsprechen in der Summe genau meinen Vorstellungen von einer effizienten Chairside-CAD/CAM-Behandlung.

    ? Worin liegt für Sie der besondere Nutzen dieser Hybridkeramik begründet, die gleichzeitig belastbar und elastisch ist? Oder anders gefragt, warum muss in diesem Zusammenhang der Begriff der sogenannten Festigkeit eines dentalen Werkstoffes möglicherweise neu definiert werden?

    Prof. Mörmann: Einzelzahnrestaurationen wie Inlays, Onlays, Kronen und Veneers können sich die Festigkeit betreffend meines Erachtens an den Eigenschaften des natürlichen Zahnes orientieren und weniger an extrem harten Hochleistungsgerüstmaterialien. Die Definition könnte heißen "Die Festigkeit eines dentalen Werkstoffes für Einzelrestaurationen soll im Verbund mit dem Restzahn annähernd die Belastbarkeit des natürlichen Zahnes erreichen". Denken Sie daran, dass die Biegefestigkeit des natürlichen Zahnschmelzes ohne seinen Untergrund gering ist. Er gewinnt seine Festigkeit durch die gewachsene innige (‚adhäsive‘) Verbindung mit dem Dentin. Die Entwicklung von CEREC war nur auf Basis der Adhäsiv-Technik möglich, die es erlaubte, keramische CEREC 1-/VITABLOCS Mark I-Werkstücke mit Seitenzahn-Compositen dauerhaft dicht einzusetzen. Die neue Hybridkeramik zeigt nach der gewohnten Ätzung mit Flusssäuregel ein hochretentives Ätzmuster und bietet damit beste Voraussetzungen für die dauerhafte adhäsive Befestigung. Durch die elastischen Eigenschaften des Materials ist die Belastbarkeit im Verbund mit der Zahnhartsubstanz stark erhöht, wie die erwähnten Untersuchungen zeigen. Deshalb ist auch im klinischen Einsatz eine frakturfreie hohe Langzeitbeständigkeit zu erwarten.

    ? Sie selbst haben zahlreiche Werkstofftests an der Universität Zürich durchgeführt. Was waren die konkreten Ziele dieser In-vitro-Tests? Gab es Ergebnisse, die Sie, nach über 25 Jahren CAD/CAM-Erfahrung, überrascht haben und wenn ja, welche?

    Prof. Mörmann: Ziel war es, einerseits die schon erwähnten Schleifeigenschaften der Hybridkeramik im Vergleich zu den etablierten Silikat-, Lithiumdisilikat- und Zirkoniumdioxidkeramiken sowie auch Komposit- und Polymermaterialien zu untersuchen. Andererseits interessierte die erzielbare Oberflächenqualität in Bezug auf die Abrasion des Materials im Kontaktbereich mit dem Antagonisten und die Abrasivität des Materials gegenüber dem natürlichen Zahnschmelz des Antagonisten. Außerdem wurden Härtemessungen an allen Materialien durchgeführt. Überraschend war für mich die deutlich geringere Härte der Hybridkeramik im Vergleich zu den etablierten Keramiken. Der neue Werkstoff abradiert den Schmelzantagonisten deutlich weniger als Silikat- und Lithiumdisilikatkeramik und ist damit das eindeutig schmelzfreundlichste Keramikmaterial. Bei Maschinenpolitur werden auf der Oberfläche der Hybridkeramik die gleichen Glanzwerte wie bei den Silikatkeramiken erzielt, nach abrasivem Zähne bürsten im Laborversuch bleibt der Glanz ähnlich gut wie bei Nanokomposit erhalten (Tab. [ 1 ]).

    ? Im Rahmen der klinischen Erprobung an der Universität Zürich wurden nicht nur Patienten mit der Hybridkeramik versorgt, sondern Sie selbst haben sich auch ein Inlay eingliedern lassen. Welches Feedback haben Sie bislang von den Patienten erhalten und was sind Ihre eigenen Erfahrungen als Patient?

    Prof. Mörmann: Patienten, welche schon Erfahrung mit CEREC-Restaurationen haben, bemerken die geringere Härte und gewisse Elastizität des Materials als angenehm. Dies entspricht auch meiner eigenen Erfahrung als Patient. Ich gehe natürlich davon aus, dass die Beständigkeit der Oberfläche von der Hybridkeramik der des natürlichen Zahnschmelzes entspricht. Meine klinischen Beobachtungen über 4–6 Monate, speziell die rasterelektronenmikroskopischen Befunde von Abrasionsfacetten, zeigen ein Verschleißbild auf der Hybridkeramik, das dem des Zahnschmelzes sehr ähnlich ist. Unsere Abrasionsmessungen in der Kaumaschine über 1,2 Millionen Kauzyklen bestätigen dies. So erzeugten die in der Kaumaschine eingebauten Schmelzhöcker auf VITA ENAMIC-Kontaktflächen 46,1 µm Höhenverlust und auf Kontroll-Zahnschmelz-Kontaktflächen ganz ähnlich 42,3 µm. Der Höhenverlust am Schmelzantagonisten selbst betrug 54,5 µm, wenn er gegen Schmelz in Funktion stand, und nur 27,6 µm, wenn er mit der Restaurationsfläche aus dem neuen Werkstoff Kontakt hatte. Demnach entspricht einerseits der Kauverschleiß der Hybridkeramik praktisch dem von natürlichem Zahnschmelz, während andererseits die Hybridkeramik den Zahnschmelz deutlich schont (Abb. [ 1 ]).

    ? Wo liegen nach Ihren Erkenntnissen die Möglichkeiten und Grenzen bei Indikation und Design von Hybridkeramik-Versorgungen?

    Prof. Mörmann: Die gewisse Elastizität der Hybridkeramik, die verminderte Sprödigkeit und reduzierte Härte erweitern das Eigenschaftsspektrum ihrer Basis-Silikatkeramik, indem die Hybridstruktur die Eigenschaften der natürlichen Zahnhartsubstanzen Schmelz und Dentin kombiniert. Ich erwarte, dass sich die Hybridkeramik aufgrund dieser Eigenschaften insbesondere für die Versorgung von avitalen Seitenzähnen mit Teil- und Vollkronen eignen wird. Jedenfalls sehen wir diese Indikation speziell in unseren Studentenkursen vor.

    ? Was können Sie zu den Verarbeitungs- und Schleifeigenschaften des neuen Werkstoffs berichten? Welche Erfahrungen haben Sie dazu bislang gemacht?

    Prof. Mörmann: Die besondere Eignung der Hybridkeramik für die formtreue, schnelle maschinelle Bearbeitung wurde schon erwähnt. Die im Vergleich zu den bekannten Keramiken leichtere manuelle Bearbeitbarkeit und Polierbarkeit macht die Hybridkeramik in der klinischen Chairside-Situation für den Zahnarzt besonders leicht bearbeitbar.

    ? Lassen Sie uns den Blick etwas in die Zukunft richten. Wo sehen Sie die Hybridkeramik in einigen Jahren?

    Prof. Mörmann: Alle Restaurationen, die aus der Hybridkeramik entstehen, sehe ich in einigen Jahren in der gleichen Position, in der sie heute beim Patienten eingesetzt werden. Ich erwarte, dass sich dieses Material klinisch in der Versorgung auch avitaler Zähne so gut bewährt, wie dies für die Versorgung vitaler Zähne mit Silikatkeramik aus Langzeitstudien bekannt ist.

    ! Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Mörmann!

    Zoom Image
    Tab. 1 Oberflächenqualität in Glanz und Rauigkeit nach Zahnbürstenabrasion.
    Zoom Image
    Abb. 1 Die Abrasion des VITA ENAMIC beträgt 46 μm und liegt im Vergleich zu Mark II etwas höher. Der Abtrag am Schmelz des Antagonisten durch VITA ENAMIC beträgt 28 μm. Mark II verursacht einen etwas höheren Antagonistenabtrag von 53 μm.
    Quelle: Universität Zürich, Zentrum für Zahnmedizin, Klinik für PPK, Abt. für Computergestützte Restaurative Zahnmedizin, Prof. Dr. W.H. Mörmann

    Nach einer Pressemeldung der
    VITA ZAHNFABRIK, Bad Säckingen


    #

    Zoom Image
    Zoom Image
    Tab. 1 Oberflächenqualität in Glanz und Rauigkeit nach Zahnbürstenabrasion.
    Zoom Image
    Abb. 1 Die Abrasion des VITA ENAMIC beträgt 46 μm und liegt im Vergleich zu Mark II etwas höher. Der Abtrag am Schmelz des Antagonisten durch VITA ENAMIC beträgt 28 μm. Mark II verursacht einen etwas höheren Antagonistenabtrag von 53 μm.
    Quelle: Universität Zürich, Zentrum für Zahnmedizin, Klinik für PPK, Abt. für Computergestützte Restaurative Zahnmedizin, Prof. Dr. W.H. Mörmann