Therapieansätze bei der ALS beziehen sich einerseits auf pharmakologische
Vorgehensweisen, andererseits auf Ansätze der symptomatischen Therapie.
Pharmakologisch hat der Neurologe derzeit nur das Medikament mit dem Wirkstoff
Riluzol in der Hand. Riluzol ist hinsichtlich seines Nebenwirkungsprofils sehr gut
verträglich und seine Bedeutung wird unterschätzt. Es ist immerhin das einzige
Medikament, von dem in vier unabhängigen Studien eine Verlangsamung des
Krankheitsverlaufes gezeigt werden konnte. In der ersten Studie, in die Patienten
eingeschlossen wurden, die durchschnittlich noch ein Jahr zu leben hatten, gab es
einen Überlebensvorteil von knapp vier Monaten. Alle später generierten Daten
(retrospektiv und prospektiv) haben gezeigt, dass der Effekt vom Zeitpunkt des
Beginns der Therapie abhängig ist. Interessant ist, dass Riluzol zur Klasse der
Benzothiazole gehört, einer Gruppe von Substanzen, zu denen auch das Dexpramipexol
zählt.
Wahrscheinlich sind symptomatische Ansätze zur Therapie der ALS wirkungsvoller als
das Riluzol. Hinsichtlich der Ernährung des Schluckgestörten, aber auch intrinsisch
kataboler Patienten kann gesagt werden, dass der BMI ein eindeutiger prognostischer
Faktor für diese Erkrankung ist; dabei haben diejenigen Patienten mit einem hohen
BMI einen deutlichen Überlebensvorteil gegenüber den Patienten mit einem niedrigen
BMI. Therapeutisch relevante Faktoren sind einerseits die Dysphagie, aber auch
andererseits ein intrinsischer Katabolismus, der nach der heutigen Erkenntnislage
durch eine Beteiligung des Hypothalamus mit bestimmt wird. Es gibt auch Hinweise
dafür, dass der LDL-Spiegel, der Cholesterol- und der Triglyzerid-Spiegel im Blut
ebenfalls positive prognostische Faktoren darstellen. Es darf aber nicht darauf
geschlossen werden, dass eine Intervention, die das Ziel hat, hohe Lipidspiegel zu
erreichen, von Nutzen ist; hierzu bedarf es einer prospektiven kontrollierten
Studie. Der Nutzen der nicht-invasiven Heimbeatmung ist hinsichtlich Lebensqualität
und Lebenserwartung gesichert. Das Ausmaß dieses Nutzens hängt von der Form der ALS
ab; am meisten profitieren Patient mit thorakalem Beginn; spinale Patienten
überleben nach dem Eintritt der durch die CO2-Narkose verursachten
Symptome im Durchschnitt knapp ein Jahr mit der NIV. Um dieses Jahr zu erreichen,
muss der bulbäre Patient meist mit einer Maske versorgt werden, die das gesamte
Gesicht umfasst.
Es darf nicht unterschätzt werden, welche Rolle eine gute Hilfsmittelversorgung für
die Lebensqualität und auch den Aktionsradius des Patienten spielt. Die
erforderlichen Hilfsmittel müssen vorausschauend verordnet werden; zu den wichtigen
ALS-spezifischen Hilfsmitteln gehören ein Rollstuhl, auch ein elektrisch betriebener
Rollstuhl, Kommunikationshilfen, aber auch konventionelle Hilfsmittel wie eine
Peroneusschiene oder eine Nackenstütze.
Ein wichtiges Thema ist auch die Diskussion nicht belegter Therapien. Auf dem Feld
der ALS tummeln sich unseriöse Kolleginnen und Kollegen, die mit Hilfe von
Akupunktur, osteopathischen Methoden aber auch der immer präsenten
„Stammzelltherapie“ eine Gefahr für den Patienten darstellen. Es ist eine vornehme
ärztliche Aufgabe, den Patienten über die Motive dieser Therapeuten vollständig
aufzuklären.
Derzeitige Therapiestudien zielen einerseits auf die Beeinflussung der Ätiologie,
andererseits auf die Beeinflussung der Pathogenese der Erkrankung. Ätiologisch
orientiert ist der Einsatz von Oligonukleotiden, die die Transkription spezifischer
Gene verhindern sollen. Diese Methoden werden zurzeit für die Superoxid Dismutase
(SOD1) und das Gen C9ORF72 entwickelt. Eine aktuelle Studie beschäftigt sich mit der
Translation der SOD1; das Malariamedikament Pyrimethamin reduziert die Expression
der toxischen SOD1. Andere Therapiestudien übernehmen Ansätze aus dem Parkinsonfeld
(Rasagilin), wieder andere übersetzen Befunde, die zeigen, dass das Protein Nogo das
Sprouten im Muskel verhindert, durch den Einsatz monoklonaler Antikörper gegen
dieses Protein. Weitere Studien befassen sich unspezifischer mit einer Erhöhung der
Kontraktilität des Muskels.
Aus meiner Sicht kann man in der Zukunft therapeutische Fortschritte auf
pharmakologischer Ebene von Hypothesen-gestützten Ansätzen erwarten (Modifier Gene
wie PGC1 alpha, Ephrin A4 Rezeptor), aber auch von den neuen Erkenntnissen, die den
Ausbreitungsmodus molekularer Markermoleküle (TDP-43) kennzeichnen.