Zeitschrift für Phytotherapie 2013; 34(02): 67-69
DOI: 10.1055/s-0033-1347326
Forschung
Kommentar
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Beurteilung der Facharbeiten Biologie Teil 1 und Teil 2

Jürgen Reichling

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Publication Date:
16 May 2013 (online)

 

Mit großem Interesse habe ich die Facharbeiten der »Jungen Forscher« gelesen und möchte den beteiligten Schülern meine Hochachtung über ihre jeweils geleistete Arbeit ausdrücken. Es ist mir natürlich bewusst, dass man in der Schule nur begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung hat, eine wissenschaftliche Arbeit durchzuführen. Meine kritischen Bemerkungen sind daher als konstruktive, begleitende Kritik zu verstehen.

Nach meinem Verständnis geht es bei »Jugend forscht« darum, dass die Jugendlichen sich eine wissenschaftliche Fragestellung erarbeiten und lernen sollen, eine solche Fragestellung nach wissenschaftlichen Kriterien zu beantworten (so weit möglich). Dazu gehören der exakte Umgang mit Daten, Methoden, Resultaten und die kritische Diskussion der erhaltenen Ergebnisse. Letzteres ist meiner Meinung nach von herausgehobener Bedeutung, da eine Diskussion sich auf die tatsächlich erhobenen Daten stützen sollte und nicht die Voreingenommenheit des Experimentators widerspiegeln darf. Eine Tugend von Forschern sollte es sein, eine kritische Distanz zu eigenen Wünschen, Vorstellungen, Erwartungen und Hypothesen einzunehmen. In diesem Sinne verstehe ich meine kritische Begleitung der Facharbeiten und nicht im Sinne eines »besser Wissens«.

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Braucht Übung und Erfahrung: Mikrobiologisches Arbeiten.
© Thomas Stephan/Thieme Verlagsgruppe

Anmerkungen zur Facharbeit Teil 1

Cola nitida wurde eine Zeit lang unter der Familie Sterculiaceae geführt. Aufgrund von molekularbiologischen Daten wurden nun alle Sterculiaceen in die Familie »Malvaceae « eingeordnet.

Die Arbeit zur antibakteriellen Wirkung von wässrigen und alkoholischen Extrakten aus den Samen beider Pflanzen ist von besonderem Interesse. Hier werden die Ergebnisse der experimentellen Arbeiten nur beschrieben, ohne dass Zahlen genannt werden. Dieser Teil der Arbeit ist in der vorliegenden Form vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen wenig zielführend und erfüllt auch nicht die selbstgesteckten Ziele. Ein solches Resultat kann von unabhängigen Wissenschaftlern weder nachvollzogen noch beurteilt werden. Es fehlen sowohl Angaben zur eingesetzten Extraktkonzentration (mg/ml) als auch zu den erhaltenen Hemmhöfen (in mm). Beide Größen stehen aber in unmittelbarem Zusammenhang zueinander, d.h., die Größe des Hemmhofes ist proportional zur eingesetzten Wirkstoffkonzentration. Man geht dabei davon aus, dass Hemmhöfe mindestens eine Größe von 8 mm erreichen müssen, damit man von einer antibakteriellen Wirkung sprechen kann. Die gleiche Feststellung gilt für das eingesetzte Antibiotikum. Ohne diese Angaben ist das Ergebnis nicht diskutierbar und überprüfbar, beides sind aber Grundvoraussetzungen für eine objektive wissenschaftliche Kommunikation.

Außerdem müssen immer auch Wachstumskontrollen mitgeführt werden, um zu verdeutlichen, dass die Wachstumsvoraussetzungen für die jeweilige Bakterienkultur unter den gewählten Bedingungen gewährleistet ist. Hierzu fehlen ebenfalls Angaben. Mir ist völlig bewusst, dass mikrobiologisches Arbeiten unter Schulbedingungen schwierig ist. Die gewählten Bedingungen sollten aber ausreichend sein, wenigstens die von mir oben angeführten Daten zu ermitteln. Eine notwendige Voraussetzung muss dabei allerdings erfüllt sein: Um Hemmhöfe ablesen zu können, müssen nicht nur entsprechend hohe Wirkstoffkonzentrationen eingesetzt werden, sondern es muss auch darauf geachtet werden, dass man gleichmäßig geschlossene Bakterienkulturen erhält. Dies ist keine leichte Aufgabe.

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Den genauen Blick schärfen: Schüler müssen auch wissenschaftliches Arbeiten lernen.
© Fotolia

Eine weitere Kritik betrifft die fehlende Diskussion zu diesem wichtigen Experiment und die Einordnung der eigenen Arbeit in möglicherweise bekannte Literatur. Nur so erfährt der interessierte Wissenschaftler, welche neuen Erkenntnisse die wissenschaftliche Untersuchung erbracht hat. Diese Einordnung fehlt, obwohl ein Blick ins Internet hierbei hätte helfen können. So hat sich z.B. eine Arbeitsgruppe mit der vergleichenden Untersuchung der antibakteriellen Wirkung von G.-kola- und C.- nitida-Samenextrakten beschäftigt. Die Ergebnisse wären für die vorliegende Arbeit von höchstem Interesse gewesen.


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Anmerkungen zu Teil 2

Für die mikrobiologischen Arbeiten gelten die gleichen Anmerkungen, wie sie unter Teil 1 schon ausgeführt wurden. Es fehlt eine einleuchtende Erklärung, warum Thymus vulgaris und Hypericum perforatum im Vergleich zu G. kola und C. nitida untersucht worden sind. Eine solche Erklärung ist aber notwendig, um den interessierten Lesern die Hintergründe der vorgelegten Untersuchung verständlich zu machen (wissenschaftliche Fragestellung!). Außerdem habe ich nicht verstanden, warum von Hypericum perforatum lediglich ein wässriger Extrakt hergestellt wurde und nicht auch ein alkoholischer Extrakt, wie dies bei G. kola und C. nitida geschehen ist. Ein wässriger Extrakt aus H. perforatum erfasst nicht die Hyperforine, die eigentlichen Träger der antimikrobiellen Wirkung dieser Pflanze. Die Gerbstoffe und Flavonoide, die sich im wässrigen Johanniskrautextrakt finden, besitzen nur eine leichte antimikrobielle Wirkung.

Es muss näher auf die Analyse der Inhaltsstoffe der 4 Heilpflanzen eingegangen werden. Stammen die Daten aus der Literatur oder ausschließlich aus den Untersuchungen der Firma Finzelberg oder sind Daten aus beiden Quellen vermischt dargestellt? Verwirrend ist die Tatsache, dass unter Thymus vulgaris Stoffe angegeben sind, die im ätherischen Öl, das ja getestet wurde, nicht enthalten sein können. Hingegen fehlt bei Hypericum perforatum die außerordentlich wichtige Stoffgruppe der Hyperforine.


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Anmerkungen zum Kapitel »Inhaltsstoffbezogene Wirkungen«

Dieser Teil meiner kritischen Begleitung soll den Blick für die Besonderheiten pflanzlicher Arzneimittel schärfen und dient nicht dazu, die sehr gut zusammengestellten Literaturdaten zur pharmakologischen Wirkung einzelner sekundärer pflanzlicher Inhaltsstoffe (kurz Sekundärstoffe genannt) zu schmälern. Nur hat das eine, nämlich die pharmakologischen Daten zur biologischen Wirkung von einzelnen Sekundärstoffen, nur bedingt etwas mit der klinischen/therapeutischen Wirksamkeit von Drogenzubereitungen bzw. pflanzlichen Arzneimitteln zu tun.

Da mir dieser Teil der Schülerarbeit sehr am Herzen liegt, sei mir gestattet, hierzu weiterführende und erklärende Ausführungen zu machen. Wichtig: In der Phytotherapie gilt der Extrakt bzw. die Drogenzubereitung als Wirkstoff des pflanzlichen Arzneimittels und nicht etwa ein chemisch definierter Sekundärstoff. Das bedeutet, dass ein chemisch definierter Sekundärstoff, der die Wirksamkeit einer Drogenzubereitung repräsentiert, für die meisten pflanzlichen Arzneimittel nicht bekannt ist. Es gibt kaum einen Drogenextrakt oder einen isolierten Sekundärstoff, der nicht in irgendeinem experimentell-pharmakologischen Testsystem/Prüfmodell auf pharmakologische Wirkungen hin positiv untersucht worden wäre. Anschließend wird meist über Wirkmechanismen spekuliert wie eine Wirksamkeit beim Menschen zustande kommen könnte, obwohl die Wirksamkeit selbst keineswegs gesichert ist, geschweige denn je in validen klinischen Studien nachgewiesen worden wäre. In solchen Arbeiten werden meist Begründungszusammenhänge konstruiert und Plausibilität an die Stelle klinischer Beweise gesetzt.

Bei strenger Auslegung besitzen nur wenige Sekundärstoffe eine wissenschaftlich belegte, therapiebezogene, pharmakologische Wirkung, auf der die klinische Wirksamkeit des jeweils betrachteten pflanzlichen Arzneimittels beruht. Beispiele hierfür wären u.a. Ajmalin in Rauvolfia-Wurzelextrakten, Colchicin in Colchicum-Extrakten, Digoxin in Digitalis-lanata-Extrakten. Aufgrund der teilweise starken Wirkung der Einzelsubstanzen sind heute nur noch diese im Handel und nur noch selten die entsprechenden Pflanzenextrakte (z.B. bei Digitalisglykosiden). Dies bedeutet aber, dass isolierte Einzelsubstanzen nicht zu den pflanzlichen Arzneimitteln gezählt werden. Bisher ist es nicht gelungen, selbst die klinisch belegte Wirksamkeit von pflanzlichen Arzneimitteln auf einzelne Sekundärstoffe zu reduzieren, dies gilt z.B. auch für so gut untersuchte Heilpflanzen wie Hypericum perforatum, Ginkgo biloba, Crataegus- Arten, Matricaria recutita. Die Gründe dafür sind vielfältig: fehlende Kenntnisse zur Pharmakokinetik vieler Sekundärstoffe (werden diese überhaupt resorbiert? Wenn ja, unverändert oder als Konjugate? Wie ist die tatsächliche Bioverfügbarkeit dieser Substanzen? Z.B. werden Flavonoide nur dann resorbiert, wenn sie als Glucoside vorliegen, im Blut liegen sie dann meist als Glucuronide oder Sulfate vor, in einer pharmakologisch unwirksamen Verbindung), ungenügende Konzentration eines Sekundärstoffes in der Pflanze, unverhältnismäßig hohe Konzentrationen in Invitro- Tests machen eine therapeutische Nutzung unwahrscheinlich.

Aus all diesen Erkenntnissen hat der Gesetzgeber zu Recht die Forderung abgeleitet, dass bei pflanzlichen Arzneimitteln die Drogenzubereitung als der Wirkstoff anzusehen ist und nicht einzelne Sekundärstoffe. Der Nachweis einer therapeutischen Wirksamkeit und eines medizinischen Nutzens für den Patienten kann nur durch klinische Wirksamkeitsstudien erbracht werden. Pharmakologische Studien zu Drogenzubereitungen bzw. einzelnen Sekundärstoffen können bei pflanzlichen Arzneimitteln bestenfalls unterstützend wirken. Aber auch in einem solchen Fall ist äußerste Vorsicht geboten und eine kritische Überprüfung der vorgelegten Daten und Interpretation derselben unausweichlich. Vor diesem Hintergrund ist die Datensammlung der Schüler zu den pharmakologischen Studien über einzelne Sekundärstoffe höchst interessant, sie ist aber nur bedingt tauglich zur Erklärung oder Ableitung der klinischen Wirksamkeit der hier bearbeiteten Heilpflanzen. Bis auf Garcinia kola werden alle anderen Heilpflanzen in der (europäischen) Phytotherapie genutzt:

  • > Hypericum perforatum (Droge: Hyperici herba): nach Kommission E/ESCOP: bei leichten bis mittelschweren depressiven Verstimmungszuständen. (Mengenmäßig vorherrschende Inhaltsstoffe: 2–4% Hyperforine, 2–4% Flavonoide (u.a. Biflavonoide), 6–15% Gerbstoffe)

  • > Thymus vulgaris (Droge: Thymi herba): nach Kommission E/ESCOP: Symptome der Bronchitis und des Keuchhustens; Katarrhe der oberen Luftwege. (Mengenmäßig vorherrschende Inhaltsstoffe: 1–2% ätherisches Öl mit Thymol/Carvacrol, bis 3% Hydroxyzimtsäuren, v.a. Rosmarinsäure, bis 2% Triterpene)

  • > Cola nitida (Droge: Colae semen): nach Kommission E: Bei geistiger und körperlicher Ermüdung. (Mengenmäßig vorherrschende Inhaltsstoffe: 1–2% Purinalkaloide; Gerbstoffe sind lediglich Nebenbestandteile).

Es handelt sich um 3 unterschiedliche, belegte Anwendungsgebiete. Die Sekundärstoffe, die möglicherweise an der Gesamtwirkung dieser 3 Heilpflanzen beteiligt sein könnten, beruhen auf völlig unterschiedlichen Inhaltsstoffen/Inhaltsstoffgruppen. Es reicht also nicht aus, nur Sekundärstoffe und ihre postulierten biologischen Wirkungen aufzuzählen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den oben angeführten Tatsachen ist unerlässlich, um einen tieferen Einblick in die Besonderheiten pflanzlicher Arzneimitteln sowie in deren therapeutischen Möglichkeiten und Grenzen zu erhalten.

Trotz der von mir geübten Kritik, finde ich es ermutigend, dass sich die Schüler so tiefgreifend mit pflanzlichen Arzneimitteln beschäftigt haben. Ich möchte ausdrücklich dazu ermuntern, in diesem Sinne weiterzuarbeiten. Meine Anmerkungen sind ausdrücklich als begleitende Kritik zu verstehen, die die Tür in die faszinierende Welt der Heilpflanzen – in Tradition und Moderne – weit aufstoßen möchte.


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Prof. Dr. Jürgen Reichling, Heidelberg

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Braucht Übung und Erfahrung: Mikrobiologisches Arbeiten.
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Den genauen Blick schärfen: Schüler müssen auch wissenschaftliches Arbeiten lernen.
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