Keywords Ernährung - Diabetes mellitus Typ 2 - mediterrane Ernährung - traditionelle Ernährung
- Lebensstiländerung.
In wenigen Jahren werden die Folgen von Herzinfarkt, Schlaganfall,
Diabetes, Bluthochdruck oder Krebs die Haupttodesursachen für drei
Viertel der Weltbevölkerung sein. Die Ursachen dieser Krankheiten kennt
die Medizin offiziell bis heute nicht. Stattdessen erweitert sie
systematisch die Liste sog. Risikofaktoren für chronische Leiden. Ist
man der Ansicht, dass die Ursachen einer Krankheit nicht bekannt seien,
so gibt es für diese auch keine kausale Therapie; könnte man meinen.
Ernährung als Ursache von chronischen Krankheiten und Diabetes
Typ 2
Ernährung als Ursache von chronischen Krankheiten und Diabetes
Typ 2
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht die Hauptursache für
Entstehung und Zunahme chronischer Krankheiten weltweit in den
drastischen Änderungen der Ernährungsgewohnheiten in der 2. Hälfte des
20. Jahrhunderts. In erstaunlich kurzer Zeit sind auf der ganzen Welt
regionale Esskulturen und Kochpraktiken weitgehend verschwunden. Eine
traditionelle, überwiegend pflanzenbetonte Ernährung mit gering
verarbeiteten Lebensmitteln wurde von einer fett- und proteinreichen,
energiedichten Kost mit hohem Anteil an tierischen Nahrungsmitteln und
stark verarbeiteten Produkten (Zucker, Weißmehl) sowie geringem Gemüse-
und Obstverzehr verdrängt [[11] ]. Der hohe
Konsum von industriell hergestellten Nahrungsmitteln hat auch zu einer
Uniformierung des Geschmacks geführt, sodass viele Menschen heute keine
rechte Vorstellung davon haben, welchen Genuss einfach zubereitete
traditionelle Lebensmittel und Gerichte bieten können [[32] ].
Folgen der westlichen Ernährung
Parallel zu den Änderungen der Ernährungs- und Lebensgewohnheiten
sind plötzlich chronische Krankheiten aufgetreten, die vorher fast
unbekannt waren. Es ist in der medizinisch-wissenschaftlichen
Literatur umfangreich dokumentiert, dass es den großen Komplex der
Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2,
Herzinfarkt, Schlaganfall, Hypertonie, Rheuma, Karies und bestimmte
Krebsarten bei Völkern mit traditioneller Lebens- und Ernährungsweise
praktisch nicht gegeben hat [[25 ], [34 ], [37 ], [47 ]].
Die Folgen der westlichen Ernährung zeigen sich eindrucksvoll an
den Pima-Indianern im Süden der USA (Arizona). Diese haben mit 38 %
die weltweit höchste Typ-2-Diabetes-Rate. Eine zucker- und fettreiche
Ernährung hat bei den etwa 30000 Stammesangehörigen dazu geführt, dass
die Mehrzahl von ihnen krankhaftes Übergewicht hat. Bis vor wenigen
Jahrzehnten war dieses Volk auf eine einfache traditionelle Kost aus
Bohnen, Mais und Kartoffeln angepasst und zudem regelmäßig
wiederkehrende Hungerperioden gewohnt [[38] ]. In Deutschland war es in den
Nachkriegsjahren schwer möglich, Menschen mit Typ-2-Diabetes zu finden
[[13] ]. So lag die Prävalenz noch im Jahr
1960 bei lediglich 0,63 % [[26] ], der dama-
lige durchschnittliche Body-Mass-Index (BMI) der Bevölkerung bei 21
kg/m2 [[23] ]. In den letzten 50
Jahren ist die Diabetesrate in Deutschland um das 10- bis 12-Fache
angestiegen [[52] ]. Täglich erkranken
hierzulande fast 1000 Menschen an der Zivilisationskrankheit
Typ-2-Diabetes, 8–9 % der Bevölkerung (ca. 7 Mio. Menschen) befinden
sich deshalb in medizinischer Behandlung. Zudem wird die Krankhteit
wegen fehlender oder nicht wahr genommener Symptome oft erst mit
jahrelanger Verzögerung diagnostiziert. D. h. es gibt auch eine
erhebliche Dunkelziffer von ca. 4 Mio. Menschen. Unter den über 65
Jahre alten Menschen leidet jeder dritte bis vierte an dieser
Erkrankung. Weltweit leben heutzutage über 371 Mio. Menschen im Alter
von 20–79 Jahren mit Diabetes, 10-mal mehr als noch vor 25 Jahren
[[17 ], [36 ]].
Übergewicht, Fettleber und Diabetes
Übergewicht, Fettleber und Diabetes
Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Ausmaß der Körperfettmasse
und Diabetesrisiko. Dieses ist bereits erhöht, wenn das Körpergewicht im
oberen Normalbereich liegt, und steigt exponentiell mit zunehmendem BMI
bzw. Taillenumfang an. Adipositas betrifft etwa 80 % aller
Typ-2-Diabetiker und ist der mit Abstand wichtigste Risikofaktor für die
Manifestation dieses chronischen Leidens [[52] ]. Dyslipoproteinämie, Hypertonie und
beginnende Atherosklerose können bereits im Frühstadium des Prädiabetes
nachgewiesen werden. Eine Intervention durch Lifestyle-Modifikation ist
besonders in dieser Phase sehr effektiv [[1] ].
Die Mechanismen der gestörten Insulinsekretion bei Typ-2-Diabetes werden
intensiv erforscht und stellen sich immer komplexer dar. Die v. a.
Leber, Muskulatur und Fettgewebe betreffende Insulinresistenz kann durch
keine Therapie so wirksam beseitigt werden wie durch erfolgreiches
Gewichtsmanagement [[52] ].
Die durch Gewichtsreduktion bewirkte Besserung diverser metabolischer
Störungen und Risikofaktoren hängt auch mit dem Rückgang von
Entzündungsprozessen zusammen. Bei einer Gewichtsabnahme von mehr als 10
% können diverse Entzündungsmarker signifikant reduziert werden [[7] ]. Ein langfristig erfolgreicher Gewichtsverlust
von ≥ 5 % hat sich als nützlicher Parameter für eine effektive
Interventionsmaßnahme bei Diabetes Typ 2 erwiesen [[31] ]. Jüngste Studien zeigen, dass Typ-2-Diabetes
immer häufiger auch bei Patienten mit Normalgewicht auftritt. Erwachsene
Patienten, die bei der Erstdiagnose normalgewichtig sind, haben im
Vergleich zu übergewichtigen Patienten ein deutlich erhöhtes
Mortalitätsrisiko [[4] ].
Vermutlich haben normalgewichtige Diabetiker einen höheren
Körperfettgehalt (und evtl. auch Leberfettgehalt) und auch weniger
Muskelmasse als aufgrund ihres BMI zu erwarten ist. Adipöse mit gleichem
Gewicht haben heute oft 5–10 kg weniger Muskulatur als noch vor 20
Jahren [[50] ]. Nicht alle übergewichtigen
Menschen erkranken an Diabetes. Bei vermehrtem Fettgehalt der Leber
(> 5,5 %), was bei ca. 70 % aller Diabetiker der Fall ist, erhöht
sich das Risiko jedoch stark [[35] ]. Jeder
dritte bis vierte Erwachsene in den USA und Europa weist eine
nicht-alkoholische Fettleber auf. Eine Gewichtsreduktion von 5–10 % des
Körpergewichts führt zu einer therapeutisch wirksamen Reduktion des
Leberfettgehalts [[46] ]. Neben Änderung der
Essgewohnheiten und Gewichtsreduktion vermag auch regelmäßiges
Ausdauertraining bei gleich bleibendem Körpergewicht den Fettgehalt der
Leber effektiv zu reduzieren [[10] ].
Der oftmalige Ratschlag, sich kleine, realistische Abnehmziele zu
setzen, um langsamer, effektiver und lang anhaltender Körperfett
reduzieren zu können, ist wissenschaftlich nicht belegt. Zwischen
schneller Gewichtsreduktion und langsamem Entfetten gibt es hinsichtlich
Abnehmerfolg auf Dauer keinen Unterschied [[5] ]. Intensivdiätetische Maßnahmen wie strenge
Rohkost-Diät oder Buchinger-Fasten sind bei sachgerechter Durchführung
und anschließender vollwertiger, pflanzenbetonter Ernährung exzellente
Verfahren zur langfristigen Gewichtsnormalisierung [[41] ].
Moderne Ernährungsmedizin und Diabetes
Moderne Ernährungsmedizin und Diabetes
Die moderne Ernährungsforschung fokussiert sich auch bei Diabetes auf
den präventiven Aspekt der Ernährung und versucht über die Erforschung
der Wirkungen von Einzelsubstanzen die Zusammenhänge zwischen Ernährung
und Diabetes besser zu verstehen [[48] ].
Dieser reduktionistische, nährstofffixierte Ansatz ist aus mehreren
Gründen fragwürdig [[33] ]. Bezüglich der
Bedeutung spezifischer Nährstoffe in Prävention und Kontrolle von
Diabetes liegen teilweise solide Daten vor ([Tab.
1 ]). Es verdichten sich jedoch die Indizien dafür, dass die
Ernährung als Ganzes („the role of the total diet“) das entscheidende
Wirkprinzip ist und nicht die Effekte einzelner Nährstoffe [[18] ].
Tab. 1 Zusammenhang zwischen Ernährungsfaktoren und der
Progression von Diabetes mellitus Typ 2 [[18] ].
Effekte spezifischer Nährstoffe bei Diabetes
Ernährungsfaktor
Art der Assoziation
Evidenz*
* überzeugend = +++, wahrscheinlich = ++, gering = +
Gewicht/Adipositas
positiv
+++
Energie
positiv
+++
Alkoholkonsum moderat/exzessiv
negativ/positiv
++/+++
Glykämischer Index
positiv
+++
Makronährstoffe
Kohlenhydrate (Quantität)
positiv
+++
Kohlenhydrate (Qualität)
positiv
++
— Ballaststoffe
negativ
+++
— Einfache Kohlenhydrate
positiv
++
Fett (Quantität)
positiv
+++
Fett (Qualität)
positiv
++
— Transfettsäuren und gesättigte Fettsäuren
positiv
++
— Omega-3-Fettsäuren
negativ
+
— Einfach ungesättigte Fettsäuren
negativ
+
Lebensmittel
Getreideprodukte, Früchte, Gemüse gering verarbeitet
negativ
++
Mikronährstoffe
negativ
++
Chrom
negativ
+
Es liegen überzeugende Hinweise dafür vor, dass eine umfassende
Änderung des Lebensstils das primäre Ziel bei der Prävention von
Typ-2-Diabetes sein muss [[20] ]. Eine
Ernährung mit hohem Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln (Gemüse,
Vollkornprodukte), mit niedrigem glykämischen Index und niedriger
Energiedichte hat ein großes Potenzial, die Entstehung und Progression
von Diabetes zu verhindern [[18] ]. Es hat
sich auch gezeigt, dass verschiedene Formen einer vegetarischen
Ernährung das Risiko für Übergewicht und Diabetes Typ 2 deutlich
verringern [[49] ] und eine kohlenhydratreiche
Ernährung mit hohem Getreideanteil und niedrigem glykämischen Index
günstig bei Diabetes Typ 2 wirkt [[9] ], was z.
T. auf die Getreideballaststoffe zurückzuführen ist. Eine reichliche
Ballaststoffzufuhr wird mit einer Erhöhung der Insulinsensitivität in
Zusammenhang gebracht [[45] ]. Personen mit
Typ-1- und Typ-2-Diabetes wird von der European Association for the
Study of Diabetes (EASD) eine tägliche Ballaststoffzufuhr von 40 g
empfohlen (5 Portionen Gemüse und Obst täglich, 4-mal wöchentlich
Hülsenfrüchte, Getreideprodukte mit hohem Ballaststoffanteil). Damit
können der Blutzuckerspiegel um 10–15 % und die postprandialen
Blutzuckeranstiege um 25 % gesenkt werden [[24] ].
Abb. 1 Eine intensive Änderung des Lebensstils kann Diabetes
Typ 2 im Frühstadium mög-licherweise aufhalten. © Peter Atkins /
Fotolia.com
Food synergy: Konzept zum Verständnis der
Nahrungswirkungen
Food synergy: Konzept zum Verständnis der
Nahrungswirkungen
Zahlreiche Studien zeigen, dass eine pflanzenbetonte, gering
verarbeitete Kostform vorbeugend und heilend wirkt [[6] ]. Für die zugrundeliegenden Mechanismen gibt es
zwar gewisse Erklärungsansätze, im Grunde wissen wir aber bis heute
nicht, warum das Essen von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und
Getreideprodukten die menschliche Gesundheit positiv beeinflusst [[42] ].
In der wissenschaftlichen Literatur ist im Jahr 2001 erstmals der
Begriff „food synergy“ aufgetaucht. Das von David Jacobs vertretene
Konzept geht davon aus, dass die Inhaltsstoffe in einem Lebensmittel
koordiniert, d. h. aufeinander abgestimmt sind und nur in ihrer intakten
Gesamtheit additive und synergistische Effekte entfalten. Demnach
basiert das gesundheitsfördernde Wirkprinzip einer pflanzenbetonten,
vollwertigen Kost auf dem Zusammenwirken aller Nahrungsstoffe („the
hypothesis of orchestrated food synergy“). Im Konzept der food synergy
wird die Pufferwirkung von Lebensmitteln betont, was mit einer
langsameren Freisetzung und einer teilweise geringeren Bioverfügbarkeit
von Nährstoffen verbunden ist. Die Wissenschaft sollte sich laut Jacobs
vermehrt der Frage zuwenden, wie bestimmte Kostformen in ihrer Ganzheit
den Verlauf chronischer Leiden beeinflussen. Als Beispiel hierfür
erwähnt er die Lyon Diet Heart Study, mit welcher der Einfluss einer
traditionellen Ernährung auf eine chronische Erkrankung untersucht wurde
[[8] ].
Therapeutisches Potenzial traditioneller Ernährung
Therapeutisches Potenzial traditioneller Ernährung
Die Ernährung spielt eine gewaltige ursächliche Rolle bei der
Entstehung von krankhaften Zuständen wie Diabetes mellitus. Daraus lässt
sich logisch schlussfolgern, dass auch bei der Wiedererlangung der
Gesundheit die Ernährung die Grundlage der Therapie sein muss. Diese
Überlegung geht auf Hippokrates zurück: „Die meisten Krankheiten sind
heilbar durch genau die gleichen Dinge (Einwirkungen) wie die, durch die
sie auch entstehen. […] Man muss die Krankheiten von ihrem Ursprung her
behandeln.“ [[12] ].
Je mehr die moderne Ernährungswissenschaft die Prinzipien einer
präventiv wirksamen Ernährungsform entschlüsselt, desto mehr wird
offenbar, dass diese mit den typischen Kennzeichen traditioneller
Kostformen identisch sind. Zudem kristallisiert sich unter
Wissenschaftlern und Medizinern immer mehr die Erkenntnis heraus, dass
jene für den Gesunden zur Prävention vieler chronischer Krankheiten
empfohlenen Ernährungsprinzipien auch für viele chronische Leiden
sinnvoll, d. h. therapeutisch wirksam sind. Dies trifft z. B. auf die
traditionelle mediterrane Ernährung zu [[21 ],
[22 ], [44 ]] und
wird auch durch den zweiten Report vom World Cancer Research Fund (WCRF)
bestätigt. Demnach sollen sich Krebsbetroffene gemäß den Empfehlungen
für den Gesunden zur Krebsprävention ernähren [[53] ].
Umkehrung der westlichen Lebensweise bessert
Stoffwechselstörungen
Umkehrung der westlichen Lebensweise bessert
Stoffwechselstörungen
Anfang der 1980er-Jahre führte die Medizinerin Kerin O'Dea von der
Universität of South Australia ein wegweisendes Experiment durch,
welches das therapeutische Potenzial einer traditionellen Lebens- und
Ernährungsweise belegt. Ausgangspunkt für diese Studie war die
Fragestellung, ob sich eine vorübergehende Aufgabe des westlichen
Lebensstils und eine Rückkehr zum traditionellen Lebensstil positiv auf
Typ-2-Diabetes auswirken, welchen es bei traditionell lebenden
Aborigines in der ersten Hälfte des 20. Jh. nicht gab [[34] ].
Im Rahmen der Studie kehrten 10 übergewichtige, diabetische
Aborigines in ihre ursprüngliche Heimat in Nordwestaustralien zurück und
lebten 7 Wochen lang wie ihre Vorfahren. Essbares mussten sie sich
fortan durch Jagen und Sammeln selbst beschaffen. Während die Ernährung
vorher von Weißmehl, Zucker, Bier, Wein und fettem Fleisch geprägt war,
standen nun Vögel, Kängurus, Wurzeln, Feigen und Buschhonig auf dem
Speiseplan. Nach 7 Wochen stellte O'Dea anhand von Blutproben
auffallende Besserungen des Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsels fest
([Tab. 2 ]). Alle Versuchspersonen hatten an
Gewicht verloren, was sich durch die niedrige Energiezufuhr (1200
kcal/d) erklärt. Zuvor krankhaft erhöhte Blutdruck- und Triglyceridwerte
waren wieder normal, obwohl tierische Lebensmittel 64 % der gesamten
Energiezufuhr ausmachten. Die Fettzufuhr lag nur bei 13 %, was der
niedrige Fettgehalt wild lebender Tiere erklärt. Blutzucker- und
Insulinwerte waren erstaunlich gebessert.
Tab. 2 Veränderungen bei 10 Aborigines mit Typ-2-Diabetes
im Zuge einer 7-wöchigen Rückkehr zu einem traditionellen
Jäger-Sammler-Lebensstil (nach [[47] ]).
Effekte einer Ernährungsumstellung
Zu Studien-beginn
Nach 7 Wochen
p-Wert
Δ AUC = steigender area under the curve in 3 Stunden nach
oraler Gabe von 75 g Glukose.
Körpergewicht (kg)
81,9 ± 3,4
73,8 ± 2,8
< 0,001
Body-Mass-Index (kg/m2)
27,2 ± 1,1
24,5 ± 0,8
< 0,001
Nüchtern-Blutzucker (mmol/l)
11,6 ± 1,2
6,6 ± 0,5
< 0,001
2-h-Blutzucker (mmol/l)
18,5 ± 1,3
11,9 ± 0,9
< 0,001
Δ AUC Blutzucker (mmol/l/h)
15,0 ± 1,2
11,7 ± 1,2
< 0,005
Nüchtern-Insulin (mU/l)
23 ± 3
12 ± 1
< 0,005
2-h-Insulin (mU/l)
49 ± 9
59 ± 11
Δ AUC Insulin (mU/l/h)
61 ± 18
104 ± 21
< 0,05
O‘Deas Fazit: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bei einer
Gruppe von Aborigines durch eine relativ kurzfristige Umkehrung der
westlichen Lebensweise alle wesentlichen Stoffwechselstörungen des
Typ-2-Diabetes entweder im großen Maße besserten oder vollständig
normalisierten.“ [[27 ], [28 ]].
Regionale und saisonale Ernährungsweise
Die jeweilige traditionelle Ernährungsform ist in vielen Teilen der
Erde sehr unterschiedlich. In manchen Kulturkreisen werden/wurden
vermehrt pflanzliche Lebensmittel verzehrt, in anderen wiederum
vermehrt tierische [[34] ]. Das wesentliche
Merkmal traditioneller Kostformen ist der Verzehr von Lebensmitteln,
die regional und saisonal zur Verfügung stehen, gemäß Kollaths
Ernährungsmaxime „Esst nach Jahreszeiten!“ [[16] ]. Zudem werden die Lebensmittel nur soweit
verarbeitet, wie es für den Verzehr notwendig ist. Der therapeutische
Hauptwirkmechanismus traditioneller Ernährung dürfte im Weglassen von
stark verarbeiteten Nahrungsmitteln liegen.
Pflanzenbetonte Kost
In sehr vielen Industrienationen ist der hohe Konsum von tierischen
Lebensmitteln (v. a. Fleisch) als ein Kardinalfehler der Ernährung
anzusehen, weshalb eine pflanzenbetonte Kostform als Therapie zu
bevorzugen ist. Da kardiovaskuläre Erkrankungen die häufigsten
Folgeschäden bei Typ-2-Diabetikern und hauptsächlich für die
Mortalität in dieser Patientengruppe verantwortlich sind, kann bei
Diabetes auch eine Kostform empfohlen werden, die günstig auf
Herz-Kreislauf-Krankheiten wirkt [[51] ].
Ein gutes Beispiel hierfür ist die traditionelle mediterrane Ernährung
([Abb. 2 ]).
Abb. 2 Mediterrane Ernährung: Viel Gemüse, wenig Fleisch,
ungesätttigte Fettsäuren und ein wenig Wein.©
karelnoppe/Fotolia.com
Mediterrane Ernährung
Im Rahmen der Lyon Diet Heart Study konnten Mitte der 1990er-Jahre
erstmals die therapeutischen Wirkungen mediterraner Ernährung bei
Herzkranken dokumentiert werden [[21 ],
[22 ]]. Dabei wurden 605 Männer und Frauen,
die einen Herzinfarkt überlebt hatten, in 2 Gruppen eingeteilt. Die
Versuchsgruppe erhielt eine angepasste mediterrane Kost, in Anlehnung
an die traditionelle Ernährung auf Kreta: viel Wurzelgemüse, grünes
Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Getreideprodukte, mehr Fisch, weniger
Fleisch (Kasten 1 ). Für das Kochen wurden eine Rapsöl-Margarine
und Olivenöl verwendet. Die Vergleichsgruppe praktizierte eine
cholesterinarme Ernährung nach den Empfehlungen der American Heart
Association für Herzinfarkt-Patienten. Die Lyon-Studie zeigte bereits
nach 27 Monaten eine deutliche Überlegenheit der Versuchsgruppe
hinsichtlich Herztod, nichttödlichem Herzinfarkt und
Gesamtsterblichkeit. Unter der mediterranen Ernährung erlitten die
Teilnehmer 70 % weniger Zweitinfarkte und Todesfälle als in der Gruppe
mit cholesterinarmer Ernährung. Der therapeutische Effekt der
mediterranen Kost übertraf die Wirksamkeit damaliger
schulmedizinischer bzw. medikamentöser Therapiemethoden bei koronarer
Herzerkrankung ([Tab. 3 ]). Bemerkenswert ist,
dass die Ernährung von den Versuchspersonen aufgrund der ausführlichen
und professionellen Instruktion über 4 Jahre lang durchgehalten wurde.
Aufschlussreich ist die Reaktion der medizinischen Fachwelt auf die
1994 publizierte Studie:
Tab. 3 Vergleich verschiedener Interventionen auf die
Mortalität von Patienten mit koronarer Herzkrankheit (modifiziert
nach [[2] ]).
Effekte verschiedener KHK-Interventionen
LIPID Pravastatin
4S Simvastatin
GISSI Fischöl
GISSI Vitamin E
Lyon Mediterran
Mortalität total (%)
– 22
– 30
– 21
– 10
– 56
Mortalität kardiovaskulär (%)
– 25
– 35
– 30
– 18
– 65
Plötzlicher Tod (%)
– 13
– 42
– 45
– 35
– 64
Leben gerettet (n)
5
6
6
4
8
„Auch die Experten waren über den schnellen Erfolg der Kreta-Kost
bei der sekundären Prävention der koronaren Herzkrankheit überrascht.
[…] Da ein großer Teil der ‚scientific community‘ den Ergebnissen der
Lyon Diet Heart Study aber noch immer skeptisch gegenübersteht und der
Meinung ist, dass die Ergebnisse dieses clinical trials ‚zu schön
sind, um wahr zu sein‘, ist es dringend angezeigt, eine Replikation
der Lyon Diet Heart Study auf europäischer Ebene durchzuführen“ [[14] ].
Charakteristika der traditionellen mediterranen
Ernährung
(wie sie auf Kreta, im Großteil des restlichen Griechenlands und
in Süditalien Anfang der 1960er-Jahre praktiziert wurde)
(modifiziert nach [[3] ])
reichlicher Verzehr von Obst, (Wild-) Gemüse, Brot und
Getreideprodukten (Vollkorn), Kartoffeln, Hülsenfrüchten,
Nüssen, Samen und Kräutern
Bevorzugung von Ölen mit günstigem Fettsäu-renprofil:
Hauptfettlieferant = Olivenöl (zum Kochen und für Dressings),
sowie evtl. Raps-, Lein-, Walnussöl
täglicher mäßiger Verzehr von Vollfett-Milchprodukten (v. a.
Joghurt und Käse)
geringer Verzehr von Süßigkeiten und schnell resorbierbaren
Kohlenhydraten
frische Früchte als typische Nachspeise
Honig als Süßungsmittel
Olivenöl als Hauptfettquelle
mäßiger Verzehr von Fisch und Geflügel, wenig rotes Fleisch
und Eier
mäßiger Rotweinkonsum (ca. 1 Glas/d), i. d. R. zu bzw. nach
den Mahlzeiten
Lebensmittel aus regionalem und saisonalem Anbau
frische Zubereitung und geringe Verarbeitung der Lebensmittel
(teilweise unerhitzt), Vermeidung von Zusatzstoffen
Ernährungsweise eingebettet in aktiven, stressarmen
Lebensstil, d. h. reichlich Bewegung im Freien, Zeiten der Muße
(Siesta), Pflege familiärer und sozialer Kontakte
Praxis der Ernährungstherapie
Praxis der Ernährungstherapie
Gesteigerte körperliche Aktivität und Ernährungsumstellung, am besten
vermittelt durch entsprechendes Fachpersonal, sind bei frisch
diagnostiziertem Typ-2-Diabetes gemäß internationalen
Konsensusrichtlinien zentraler Bestandteil der Therapie [[1] ]. Vermitteltes Faktenwissen ohne psychologische
Betreuung scheint aber vielen Diabetikern langfristig nicht zu helfen.
Die Erfolgsraten üblicher Schulungsprogramme sind ernüchternd. Mehr als
80 % aller Typ-2-Diabetiker schaffen es nicht, ein paar Kilogramm
abzunehmen und regelmäßig Sport zu betreiben.
Erfahrungsgemäß fällt es vielen Menschen leichter, ihren Lebensstil
umfassend neu auszurichten anstatt nur den einen oder anderen Faktor zu
ändern, was auch therapeutisch wesentlich mehr bringt [[30] ]. Viele Patienten tun sich auch leichter
damit, bestimmte problematische Lebensmittel konsequent zu meiden als
sich im moderaten Verzehr zu üben [[51] ].
Im Rahmen geeigneter Maßnahmen zur Gewichtsreduktion ist auch die
Beachtung chronobiologischer Ernährungsprinzipien von großer Bedeutung
[[40] ]. Insulinresistenz und dauerhaft
erhöhte Insulinkonzentrationen wirken stark antilipolytisch, verhindern
also Fettabbau und Gewichtsreduktion. Ziel ist deshalb eine Senkung des
Insulinspiegels, der bei vielen kleinen Mahlzeiten am Tag bis zu 20
Stunden lang erhöht sein kann. Wenige größere Mahlzeiten (2–3) wirken
günstiger als mehrere kleinere Mahlzeiten täglich [[43] ].
Auch die Essgeschwindigkeit ist ein wichtiger Aspekt der
Ernährungstherapie. So konnte kürzlich an einer großen Zahl von
Typ-2-Diabetikern erstmals gezeigt werden, dass die selbst berichtete
Essgeschwindigkeit im engen Zusammenhang mit kardiovaskulären
Risikofaktoren steht. Langsames, gründliches Kauen hat therapeutisches
Potenzial [[29] ]. Es soll hier nicht
unerwähnt bleiben, dass neben der „Nahrung“ auch die „Bewegung“ als
Medikament für den Typ-2-Diabetiker anzusehen ist [[15] ].
Fazit
Lange Zeit war es üblich, Typ-2-Diabetes als chronisch progressive
Erkrankung mit unwiderruflicher Verschlechterung der Insulinresistenz
und ß-Zell-Funktion anzusehen. Die vorliegenden Daten und vielfach
dokumentierten Erfahrungsberichte belegen jedoch, dass besonders der neu
diagnostizierte Typ-2-Diabetiker ein potenziell reversibles Leiden hat.
Durch eine intensive Lifestyle-Modifikation, verbunden mit einer
Kalorienreduktion, ist eine komplette Reversion des Diabetes möglich
[[19] ]. Das Erfahrungswissen vieler
diätetisch arbeitender Ärzte liegt umfangreich dokumentiert vor und ist
jedem ernsthaft Hilfesuchenden zugänglich [[39] ]. Somit steht jedem Patienten die Möglichkeit
offen, durch Umstellung der Ernährung auf eine pflanzenbetonte,
vollwertige Kost seinen inneren Arzt frei gewähren zu lassen und seine
Erkrankung aktiv positiv zu beeinflussen.