Psychiatr Prax 2013; 40(07): 401
DOI: 10.1055/s-0033-1349612
Mitteilungen der BDK
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen aus der Bundeskonferenz Deutscher Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie (BDK)

Gerhard Längle
1   Tübingen/Bad Schussenried
,
Thomas Pollmächer
2   Ingolstadt
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
07 October 2013 (online)

 

Bericht aus dem Arbeitskreis forensische Psychiatrie der BDK

Lange ist nicht mehr so viel Falsches über den Maßregelvollzug verbreitet worden, wie in diesem Jahr – ausgelöst durch den Fall Gustl Mollath, untermauert durch eine sehr tendenziöse Berichterstattung.

An dieser Stelle soll die Möglichkeit genutzt werden, einige Grundsätze der Unterbringung im Maßregelvollzug, Behandlungsstrategien, Lockerungen und prognostische Fragestellungen darzustellen.

Die Unterbringung im Maßregelvollzug erfordert das Vorliegen einer schweren Straftat, einer chronischen psychischen Erkrankung oder Suchterkrankung, eine deutliche Verbindung zwischen beidem und eine weiterbestehende Gefährlichkeit.[1]


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Die Unterbringungsanordnung erfolgt durch ein Gericht; dieses ist meist sachverständig beraten durch einen psychiatrischen Gutachter. Hier setzen sich mehr und mehr besondere Qualifikationen für Gutachter durch (Zertifikat der DGPPN, Schwerpunktbezeichnung der Ärztekammer, von den Ärztekammern geführte Listen über Prognosegutachter). Mittlerweile gibt es auch Standards für Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit und Standards für Gutachten zur Prognose[2] , [3].

Wenn Patienten in der forensischen Psychiatrie untergebracht sind, folgt die Behandlung bestimmten Standards. Solche Standards sind z. B. in Nordrhein Westfalen mit dem Landesbeauftragten[4] für den Maßregelvollzug u. a. zu den Themen Erstdiagnostik, Lockerungsentscheidungen, Behandlung verschiedener Krankheitsbilder und zur erforderlichen Dokumentation erstellt und veröffentlicht worden.

Als Beispiel für standardisierte Behandlungsabläufe im psychiatrischen Maßregelvollzug wird im Folgenden auf die Behandlungsstrategien für schizophren Erkrankte und auf Standards für Lockerungsentscheidungen eingegangen.

Schizophren Erkrankte im Maßregelvollzug haben meist eine allgemeinpsychiatrische Vorgeschichte mit Behandlungsabbrüchen, fehlender Entwicklung von Krankheitseinsicht und komorbider Belastung mit Drogenproblemen. Eine Studie der Universität Essen hat hierzu weitreichende Ergebnisse und Erkenntnisse geliefert.[5]

Das heißt, dass die Behandlung im Maßregelvollzug neben der Behandlung der schizophrenen Erkrankung die Drogenproblematik und den in der Regel vorhandenen Reifungsrückstand der Betroffenen berücksichtigen muss. Die Behandlung erfolgt durch gezielte einzel- und gruppentherapeutische Angebote der Psychoedukation und der Aufarbeitung der Lebens- und Delinquenzgeschichte, Einbindung in ergotherapeutische, kreativtherapeutische und schulische tagesstrukturierende Angebote und soziales Kompetenztraining. Dies mit dem Ziel der Re-Integration in ein anerkanntes Leben und das Netz der externen psychosozialen Versorgung.

Durch die flächendeckende Einrichtung forensischer Nachsorgeambulanzen in Deutschland ist es gelungen, das extern notwendige Risikomanagement beurlaubter oder entlassener Maßregelvollzugspatienten zu definieren und die Nachsorge auf verschiedene Schultern zu verteilen, wodurch ein rechtzeitiges Reagieren in Krisensituationen möglich wird und Deliktrückfälle verhindert werden können.[6]

Lockerungsentscheidungen sind notwendig, um Behandlungserfolge zu überprüfen und Belastungserprobungen unter Kontrolle durchzuführen. Lockerungen beinhalten begleitete Ausgänge, alleinige Ausgänge auf einem Klinikgelände oder nicht hoch gesicherte ummauerte Einrichtungen, Ausgänge außerhalb des Geländes, Tagesurlaube oder Dauerbeurlaubungen in vorgesehene Entlassungssituationen.

In der forensischen Behandlung erfolgen solche Lockerungsentscheidungen – zumindest, wenn es um Schwellenlockerungen geht wie erster alleiniger Ausgang, erster Stadtausgang etc. – in einem zweistufigen Entscheidungsprozess. Das heißt, es findet eine Behandlungsplankonferenz aller für den Patienten zuständigen Mitarbeiter statt, in der die Betroffenen auch selbst ein Votum abgeben können. Dann erfolgt eine Endkontrolle durch entweder einer Lockerungskonferenz der Klinik, einer oberärztlichen oder chefärztlichen Supervision der Entscheidung oder ein internes prognostisches Kurzgutachten.

Ganz wichtig ist, dass für eine Lockerungsentscheidung neben der Wertung der Grundgefährlichkeit der Behandlungsprozess, die Absprachefähigkeit des Patienten und die Begrenzung des eigentlichen Lockerungsgeschehens berücksichtigt werden müssen.

Lockerungsmissbräuche haben bei den Unterbringungen gemäß §§ 63, 64 StGB deutlich nachgelassen. Noch mehr gilt dies für gewaltsame Entweichungen oder auch Deliktrückfälle.[7] Dieses Ergebnis verweist darauf, dass die meisten der Entscheidungen richtig getroffen werden. Umso mehr verwundert der Ruf nach mehr Überprüfungen im Maßregelvollzug.

Nachdem das Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit und der Politik in den letzten Jahren zu immer mehr Gesetzesverschärfungen geführt hat und in der Folge zu einer deutlichen Verlängerung der Verweildauern im Maßregelvollzug geführt hat, kehrt sich die öffentliche Meinung zurzeit ins Gegenteil, mit der Forderung nach Verkürzungen der Verweildauern, was seitens des Arbeitskreises Forensik außerordentlich begrüßt wird.

Im Arbeitskreis Forensik der BDK sind alle ärztlichen Direktorinnen und Direktoren forensischer Kliniken und Chefärztinnen und Chefärzte von forensischen Abteilungen organisiert. Der Arbeitskreis trifft sich zweimal im Jahr in einer Klinik zu aktuellen Themen. Das nächste Treffen findet in Baden-Württemberg auf der Reichenau statt und wird sich mit dem Thema Erfolgsfaktoren und Qualitätskriterien im Maßregelvollzug beschäftigen. Der Arbeitskreis wird sich auch mit den aktuellen Vorschlägen des Justizministeriums zur Reform des Maßregelvollzugs befassen und dazu Stellung nehmen.

Dr. Jutta Muysers

Die Seitenzahl dieses Beitrags wurde am 18.7.2014 geändert.


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1 StGB. stgb.de, 02.05.2013


2 Boetticher et al. Mindestanforderungen an Prognosegutachten. NTZ 2006; Heft 10: 537 – 544


3 Boetticher et. al, Mindestanforderungen an Schuldfähigkeitsgutachten. NTZ 2005; 25: 57 – 62


4 Der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug NRW, 2010. Leitlinien.


5 Piontek K, Kutscher S. Straffälligkeit schizophrener Patienten. (in: K. Saimeh, Hrsg.). Bonn: Psychiatrie Verlag; 2010: 85 – 95


6 Seifert D. Gefährlichkeitsprognosen. Steinkopff Verlag; 2007


7 von der Haar M, Leipziger K. Ergebnisse der bundesweiten Erhebungen 2011, 2009. Bad Rehburg/Bayreuth: Eigendruck; 2011, 2009