Herkömmliche Knochenleitungshörgeräte
Als Knochenleitung bezeichnet man die Übertragung von Schallwellen durch den
Schädelknochen zum Innenohr. Dieses physiologischen Prinzips bedienen sich
Hals-Nasen-Ohren-Ärzte z. B. bei den orientierenden Stimmgabeluntersuchungen des
Hörvermögens nach Weber und Rinne (oder aktuell die Datenbrille „Glass“ von
Google).
Seit über 30 Jahren stehen Knochenleitungshörgeräte für die Patientenversorgung zur
Verfügung (z. B. BAHA = bone anchored hearing aid). Im
Gegensatz zu konventionellen Hörgeräten wird das akustische Signal nicht mithilfe
von miniaturisierten Lautsprechern verstärkt, sondern über ein Vibrationselement auf
den Knochen übertragen. Die Ankopplung kann hierbei auf unterschiedliche Arten
erfolgen: Bei Kindern mit noch nicht ausreichend ausgebildeter Schädelkalotte wird
das Vibrationselement mit einem elastischen Stirnband an die Haut über dem
Ohrknochen gepresst. Ferner ist die Integration in das Bügelende einer Brille
möglich (Knochenleitungsbrille). Eine bessere Ankopplung an den Schädelknochen (und
damit eine bessere Klangqualität und -verstärkung) wird jedoch durch ein invasives
Verfahren erreicht, bei dem eine Schraube direkt in die Squama des Os temporale
implantiert wird, an die der Patient das eigentliche Knochenleitungshörgerät
mithilfe einer Schnappkupplung kraftschlüssig anbringen kann [1]. Bei der Operation wird ein definierter Hautdefekt angelegt, durch den
die BAHA-Schraube dauerhaft sichtbar ist. Zur Vermeidung einer Infektion wird der
Hautlappen um die Schraube herum von subkutanem Fettgewebe befreit, um eine direkte
narbige Verbindung mit dem Knochen einzugehen. Die Patienten sind angehalten,
täglich mit einer weichen Bürste Verschmutzungen an der Kontaktstelle zwischen
Schraube und Haut zu reinigen. Studien haben jedoch gezeigt, dass die
Komplikationsrate in der Langzeitbeobachtung mit 13,6 % Implantat-Verlustrate und
16,9 % schweren Hautreizungen im Schraubenbereich sehr hoch liegt [2], [3].
Das Knochenleitungsimplantat Bonebridge
2012 wurde nach präklinischen Studien an humanen Felsenbeinpräparaten und nicht
invasiven Tests an Normalhörenden [4] erstmalig ein
transkutan aktiviertes Knochenleitungssystem auf dem Markt eingeführt. Hierbei wird
das Vibrationselement im Rahmen einer einfachen Operation in das Mastoid eingebracht
und mithilfe von Osteosyntheseschrauben fixiert. Die Haut über dem Implantat ist
verschlossen. Die Steuerung des Implantats erfolgt durch einen auf der Haut
getragenen Prozessor, der zudem 2 Mikrofone sowie die Batterie enthält (vgl. [Abb. 1]). In der Mitte der Sende- und Implantatspule sind
jeweils Magnete angebracht, wodurch der Prozessor ohne weitere Fixierungen getragen
werden kann. Die Stromversorgung und Signalübermittlung zwischen Prozessor und
Implantat erfolgt per Induktion. Dieses Prinzip der transkutanen Signaltransduktion
hat sich bei Cochlea- und Mittelohrimplantaten bereits zigtausendfach bewährt.
Abb. 1 Schematische Darstellung der Funktionsweise eines
Bonebridge-Implantats (mit freundlicher Genehmigung der Firma MED-EL, Innsbruck,
Österreich).
Indikationsstellung
Die Indikationsstellung zur Versorgung mit einer Bonebridge erfolgt durch den
HNO-Arzt nach Durchführung einer Reinton- und Sprachaudiometrie. Die audiologischen
Kriterien sind entweder
oder
Da die Schallübertragung per Knochenleitung nicht von der Funktionsfähigkeit des
Mittelohrs abhängig ist, ist die Bonebridge eine ideale Versorgungsmöglichkeit bei
operativ nicht mehr verbesserbarer Schallleitungsschwerhörigkeit, chronischer Otitis
externa und media, Missbildungen des Ohres sowie Oto- oder Tympanosklerose, sofern
jeweils die o. g. audiologischen Vorbedingungen erfüllt sind.
Eine präoperative hochauflösende Computertomografie des Felsenbeins ist obligat,
um abzuschätzen, ob das Mastoid ausreichend groß für die Aufnahme des Implantats
angelegt ist. Kontakt zum Sinus sigmoideus oder zur Dura ist zu vermeiden.
Planungssoftware und intraoperative Navigation können die optimale
Positionierung des Implantats unterstützen [5], [6].
Operationsdurchführung
Die bogenförmige retroaurikuläre Inzision wird nicht direkt bis auf den
Schädelknochen geführt, sondern es wird ein Muskelperiostlappen präpariert, um
später durch einen kulissenartigen Verschluss eine direkte Infektionsstraße vom
Hautniveau bis zum Implantat zu verhindern. Anschließend wird die Oberfläche des
Mastoids exponiert.
Im Implantatset sind – bis auf einen separat erhältlichen Drehmomentschlüssel und
eine Messlehre für die Hautdicke – alle Komponenten zur Implantation enthalten (vgl.
[Abb. 2]). Mithilfe der Schablonen wird die Lage des
Implantats festgelegt. Sowohl für den eigentlichen Aktor („Transducer“) als auch für
das Implantatgehäuse (einschließlich der Empfangsspule oder „Coil“ gibt es je eine
Schablone („T“- und „C-Sizer“), die miteinander verbunden werden können ([Abb. 3] links). Nun wird mit Rosenbohrern absteigender
Größe die zylindrische Kavität angelegt. Hierbei ist ein zu weitreichender
Knochenabtrag unbedingt zu vermeiden, damit die Fixierungsschrauben beidseits des
Implantatkörpers ausreichend Halt finden.
Abb. 2 Implantatset bestehend aus Bonebridge-Implantat (A),
C(oil)-Sizer (B), T(ransducer)-Sizer (C), Versenkbohrer
(D), 2 × Titanschrauben sowie 1 Rescue-Schraube (E). Separat
verfügbar sind ferner eine Messlehre zur Bestimmung der Dicke des
Hautperiostlappens über dem Implantat (max. 7 mm für eine adäquate
Signaltransduktion) sowie ein mechanischer Drehmomentschlüssel.
Abb. 3 Positionierung und Bohrung der Kavität zur Aufnahme des
Vibrationselements. Links: Vorpositionierung mithilfe des C- und T-Sizers.
Kleines Teilbild: Ausbohren der zylindrischen Kavität mit Rosenbohrern
absteigender Größe. Rechts: Anlegen der Haltebohrungen mit dem
Versenkbohrer.
Mit dem Raspatorium nach Plester wird in direktem Knochenkontakt eine subperiostale
Tasche zur späteren Aufnahme des Implantatgehäuses gebildet. Eine darüber
hinausgehende Fixierung des Implantatgehäuses ist – im Gegensatz zu den Mittel- und
Innenohrimplantaten – aufgrund der steiferen Kabelverbindung zum Gehäuse und der
Fixierung des Aktors im Knochen nicht erforderlich. Auch wäre eine Versenkung des
Gehäuses in die Kalotte, wie sie z. B. bei Cochlea-Implantaten durchgeführt wird,
in
diesem Fall kontraproduktiv, da dadurch auch der Transducer tiefer eingesenkt werden
müsste und in Kontakt mit dem Sinus sigmoideus und/oder der Dura kommen könnte.
Mit dem Versenkbohrer mit integriertem Distanzstück werden unter Zuhilfenahme des
C-Sizers die 3,9 mm tiefen Bohrungen (1,4 mm Durchmesser) für die Halteschrauben
ausgeführt (vgl. [Abb. 3] rechts). Nun wird das Implantat
in die Periosttasche geschoben und der Aktor in die Kavität eingesetzt ([Abb. 4]). Das flexible Verbindungsstück zwischen Gehäuse
und Schwinger kann vorsichtig in die endgültige Position gebogen werden. Mit 2
Osteosyntheseschrauben (Länge 6 mm, Durchmesser 2 mm) wird das Implantat beidseitig
fixiert ([Abb. 5]). Im Set befindet sich weiterhin eine
Rescue-Schraube mit einem Durchmesser von 2,4 mm, um einen sicheren Halt des
Implantats zu gewährleisten, sofern die übliche Knochenschraube in dem Bohrloch
nicht greifen sollte. Zunächst werden die Schrauben händisch locker eingedreht und
anschließend mit dem Drehmomentschlüssel auf ca. 10–20 Ncm angezogen ([Abb. 6]). Hierdurch wird eine ausreichend kraftschlüssige
Fixierung des Implantats erreicht. Nach 3-schichtigem Wundverschluss (Naht des
Fisch-Lappens, Subkutan- und Hautnaht) sowie Anlage eines Kompressionsverbands ist
der Eingriff beendet. Das postoperative Prozedere umfasst eine bereits perioperativ
begonnene Breitbandantibiose, die für weitere 4 Tage fortgeführt wird, tägliche
Verbandswechsel, insbesondere mit Kontrolle einer etwaigen Serombildung über dem
Implantatgehäuse, Entlassung i. d. R. am 2. oder 3. postoperativen Tag sowie
Fädenentfernung am 7.–10. postoperativen Tag. Nach einer ca. 4-wöchigen
Einheilungsphase kann der externe Prozessor erstmalig aufgesetzt und durch einen in
das System eingewiesenen Audiologen in einem mehrstufigen Anpassungsprozess
eingestellt werden.
Abb. 4 Einsetzen des Implantats in die Periosttasche. Das Verbindungsstück
zwischen Gehäuse und Schwinger wird anschließend vorsichtig zurechtgebogen.
Abb. 5 Nach Platzierung des Transducers in die Kavität Befestigung
mithilfe der 2 Titanschrauben, die zunächst per Hand locker angezogen
werden.
Abb. 6 Abschließend Vollendung der kraftschlüssigen Verbindung zwischen
Implantat und Knochen durch Festziehen der Schrauben auf 10–20 Ncm.
Schlussfolgerung
Das Bonebridge-Implantat ist eine wertvolle Ergänzung des bestehenden Repertoires
implantierbarer Hörsysteme. Es kombiniert das physiologische Prinzip der
Knochenleitung mit dem bewährten Konzept der transkutanen Signaltransduktion
zwischen einem vollimplantierten Stimulator und einem äußerlich getragenen
Prozessor. Die Erfahrungen der in unserer Klinik bislang versorgten 9 Patienten
sowie die ersten publizierten Case Reports sind durchweg positiv; es sind derzeit
keine Komplikationen bekannt [7], [8], [9].