Vielversprechender neuer Risikofaktor?
Regionale Lymphknotenmetastasen sind in bis zu 30 % der muskelinvasiven, mit Zystektomie
und Lymphadenektomie behandelten Harnblasenkarzinomen nachweisbar und Indikator einer
sehr schlechten Prognose. Dieses hohe Risiko verteilt sich allerdings nicht gleichmäßig
in dieser Subpopulation, denn bis zu ein Drittel dieser Patienten kann durch Chirurgie
alleine geheilt werden [
1
], [
2
]. Welche Patienten haben nun mit hoher Wahrscheinlichkeit eine systemische, tödliche
und welche lediglich eine lokal fortgeschrittene Erkrankung?
Prospektive Multicenter-Studie mit zentralem Histologie-Review
Dieser Frage gehen Fritsche et al. in ihrer Studie nach. Und das stellen die Autoren
gut an: Während viele ähnliche Studien retrospektiv und damit gewissen Kritikpunkten
ausgesetzt sind, legen sie eine prospektive Studie auf. Um auf eine für statistische
Untersuchungen hinreichend große Fallzahl zu kommen, sind mehrere Zentren involviert,
die aber nach ähnlichen Vorgaben operieren, nachuntersuchen und adjuvant therapieren.
So scheint dieses Patientenkollektiv trotz des Multicenter-Hintergrunds in dieser
Hinsicht recht homogen. Schließlich gibt es einen zentralen Review der histologischen
Schnitte aller metastatischen Lymphknoten durch einen Pathologen, um die bekannte
"Interobserver-Variabilität" in der Befunderhebung histopathologischer Merkmale, einem
wichtigen Bias, auszuschließen.
Fortgeschrittene Tumoren und limitierte Anzahl untersuchter Lymphknoten
Die so rekrutierte Kohorte weist gegenüber anderen vergleichbaren 3 wichtige Unterschiede
auf:
-
Der Anteil von 34,2 % pT4 Primärtumoren und
-
die Häufigkeit positiver Resektionsränder (RR+) mit 26,6 %
sind vergleichsweise hoch (pT4: 25 %–27,5 % [
3
]–[
6
]; RR+: 2 %-17 % [
3
], [
5
]-[
7
]).
Dies suggeriert, dass Patienten mit weit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen in diesen
Zentren überrepräsentiert sind, was einen Einfluss auf die Vergleichbarkeit der Resultate
haben könnte.
-
Die Anzahl untersuchter Lymphknoten pro Patient (Median: 14) ist eher gering, wurde
doch bei vergleichbarem Ausmaß der Lymphadenektomie nahezu die doppelte Anzahl untersucht
[
8
], [
9
].
Letzteres hat in erster Linie mit der pathologisch-anatomischen Untersuchung der Lymphadenektomie-Präparate
zu tun, wie die Autoren richtig bemerken. Damit stellt sich aber die Frage nach dem
Einfluss der "verborgenen" Histologie / Pathologie auf die Resultate. Es ist von einer
relevanten Anzahl nicht untersuchter Lymphknoten auszugehen, von denen die negativen
möglicherweise einen Einfluss auf die prognostische Relevanz der sog. "Lymph node
density" (LND) und die positiven auf die des pN-Stadiums und der extranodalen Ausbreitung
der Metastasen (ENE) gehabt hätten.
Vielzahl potenzieller Risikofaktoren untersucht
Bemerkenswert in dieser Studie ist die Vielzahl untersuchter potenzieller Prognosefaktoren
bei nodal positiven Harnblasenkarzinomen. In Bezug auf etablierte bzw. diskutierte
Risikofaktoren ergeben sich keine grundlegend neuen Befunde: Das Tumorstadium des
Primärtumors war bereits in zahlreichen anderen Studien ein unabhängiger Risikofaktor,
das pN-Stadium meist nicht [
1
], [
6
], [
7
], die Anzahl untersuchter Lymphknoten ist bei standardisierter, genau durchgeführter,
erweiterter Lymphadenektomie auch univariat kein Prognosefaktor [
1
], [
5
]. Für ENE [
1
], [
5
], [
7
], [
10
], LND [
1
], [
5
], [
11
], [
12
] und den positiven Resektionsrand [
6
], [
13
] ist die Datenlage kontrovers.
Darüber hinaus zeigen die Autoren aber etwas ganz Neues: Die unabhängige prognostische
Relevanz der perinodalen lymphovaskulären Invasion (pnLVI), die nie zuvor bei Blasenkarzinomen
untersucht wurde. Und das ist spannend, werden doch im Zeitalter personalisierter
Medizin dringend weitere Prognostikatoren bei diesen Tumoren benötigt, um z. B. Nachkontrollen
und adjuvante Therapien zu individualisieren.
Prognostische Relevanz muss an unabhängiger Kohorte validiert werden
Darüber hinaus könnte die pnLVI Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen sein: Wie
ist das molekulare Profil dieser intravaskulären Tumorkomponente, die offenbar gerne
und vielleicht auch erfolgreich reist? Und welche therapeutischen Targets trägt sie
in sich? Zugegeben, das ist Zukunftsmusik, zunächst muss die prognostische Relevanz
der pnLVI an einer unabhängigen Kohorte validiert werden.
Dabei ist zu hoffen, dass der Zugewinn an prognostischer Treffsicherheit durch pnLVI
dann höher als die für diese Studie angegebenen 0,1 % ausfällt, von einem Prognostikator
wird gemeinhin mehr verlangt. Dennoch, das Verdienst dieser Arbeit ist, die Tür in
die noch unbekannte Welt eines neuen prognostischen Biomarkers geöffnet zu haben.
Pathologen zusammen mit Urologen sind nun gefordert, dessen Relevanz im Rahmen von
weiteren Studien genauer zu prüfen.
Prof. Dr. Achim Fleischmann, Bern