Aktuelle Urol 2013; 44(04): 258-259
DOI: 10.1055/s-0033-1351765
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Urothelkarzinom – Lymphgefäße liefern exaktere Prognose

Contributor(s):
Bettina Rakowitz
Fritsche HM et al.
Eur Urol 2013;
63: 739-744
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Publication History

Publication Date:
31 July 2013 (online)

 
 

Der regionale Lymphknotenstatus gilt zwar aktuell als wichtigster Prognosefaktor bei einem Urothelkarzinom der Blase, hat als Vorhersagewert jedoch nur eine bedingte Aussagekraft. Ein Grund für Hans-Martin Fritsche und seine Kollegen nach einem weiteren, geeigneteren Parameter zu suchen. In einer prospektiven Studie erforschten sie in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Lymphgefäßeinbrüchen in der unmittelbaren Umgebung der Lymphknoten.
Eur Urol 2013; 63: 739–744

mit Kommentar

Perinodale Lymphgefäßeinbrüche (Lymphangiosis carinomatosa, LC) sind ein unabhängiger Prognosefaktor für die krebsbedingte Überlebensrate (cancerspecific survival, CSS) beim Urothelkarzinom der Blase. Diesen Schluss ziehen die Wissenschaftler aus ihrer prospektiven, multizentrischen Studie. Zwischen 2006 und 2010 wurden an verschiedenen deutschen Zentren insgesamt 662 Patienten radikal zystektomiert inkl. Lymphknotendissektion. Die Autoren schlossen in die Studie alle Patienten ein, die zwar einen regionalen Lymphknotenbefall, jedoch keine Fernmetastasen hatten und keine anschließende Chemotherapie erhielten. Die Nachbeobachtungszeit lag im Median bei 20 Monaten.

39 % der Patienten hatten perinodale LC

Bezogen auf die gesamte Studienpopulation lag die CSS nach 1 Jahr bei 77 %, nach 3 Jahren bei 44 % und nach 5 Jahren bei 27 %. Patienten ohne perinodale LC hatten eine 1-, 3- und 5-Jahres-Überlebensrate von 86, 54 und 34 %, während sich bei Patienten mit perinodaler LC die Werte auf 63, 28 und 16 reduzierten (p < 0,001). Die Cox-Regression ergab für perinodale LC eine Hazard Ratio (HR) von 2,36 (p = 0,004), beim Tumorstadium pT lag die HR bei 1,47 (p = 0,031).

Die Wissenschaftler teilten die Patienten des Weiteren in 3 Gruppen auf:

  • In der Gruppe der Patienten mit geringem Risiko (15,2 %) war keine perinodale LC nachweisbar, das Tumorstadium war ≤pT2. In dieser Gruppe lag die CSS nach 3 Jahren bei 81 %.

  • 50,6 % der Studienteilnehmer hatten ein mittleres Risiko: Sie hatten entweder eine perinodale Lymphgefäßinfiltration oder ein Tumorstadium ≥pT3. Diese Patienten hatten eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 48 % nach 3 Jahren.

  • Als hohes Risiko galt, wenn perinodale LC und ein Tumorstadium ≥pT3 zusammentrafen. Die 3-Jahres-CSS sank in dieser Gruppe auf 20 % (p < 0,001).

Fazit

Fritsche et al. suchten nach einem Faktor, der die Überlebenswahrscheinlichkeit für Patienten mit Urothelkarzinom der Blase zuverlässig vorhersagen kann. Bisher könne nur der Lymphknotenstatus gesichert eine Prognose bieten, sei jedoch meist zu ungenau. Eine perinodale Lymphgefäßinfiltration könnte nach Meinung der Autoren einen fortgeschrittenen Tumorbefall bedeuten und somit die Prognose senken. Diese These sahen die Wissenschaftler durch ihre Ergebnisse bestätigt: Die perinodale LC sei tatsächlich ein unabhängiger negativer Vorhersagewert für die krebsbedingte Überlebenswahrscheinlichkeit. Optimiert werde die Prognose durch die Kombination von perinodaler LC und dem Tumorstadium.


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Kommentar

Vielversprechender neuer Risikofaktor?

Regionale Lymphknotenmetastasen sind in bis zu 30 % der muskelinvasiven, mit Zystektomie und Lymphadenektomie behandelten Harnblasenkarzinomen nachweisbar und Indikator einer sehr schlechten Prognose. Dieses hohe Risiko verteilt sich allerdings nicht gleichmäßig in dieser Subpopulation, denn bis zu ein Drittel dieser Patienten kann durch Chirurgie alleine geheilt werden [ 1 ], [ 2 ]. Welche Patienten haben nun mit hoher Wahrscheinlichkeit eine systemische, tödliche und welche lediglich eine lokal fortgeschrittene Erkrankung?

Prospektive Multicenter-Studie mit zentralem Histologie-Review

Dieser Frage gehen Fritsche et al. in ihrer Studie nach. Und das stellen die Autoren gut an: Während viele ähnliche Studien retrospektiv und damit gewissen Kritikpunkten ausgesetzt sind, legen sie eine prospektive Studie auf. Um auf eine für statistische Untersuchungen hinreichend große Fallzahl zu kommen, sind mehrere Zentren involviert, die aber nach ähnlichen Vorgaben operieren, nachuntersuchen und adjuvant therapieren. So scheint dieses Patientenkollektiv trotz des Multicenter-Hintergrunds in dieser Hinsicht recht homogen. Schließlich gibt es einen zentralen Review der histologischen Schnitte aller metastatischen Lymphknoten durch einen Pathologen, um die bekannte "Interobserver-Variabilität" in der Befunderhebung histopathologischer Merkmale, einem wichtigen Bias, auszuschließen.

Fortgeschrittene Tumoren und limitierte Anzahl untersuchter Lymphknoten

Die so rekrutierte Kohorte weist gegenüber anderen vergleichbaren 3 wichtige Unterschiede auf:

  1. Der Anteil von 34,2 % pT4 Primärtumoren und

  2. die Häufigkeit positiver Resektionsränder (RR+) mit 26,6 %
    sind vergleichsweise hoch (pT4: 25 %–27,5 % [ 3 ]–[ 6 ]; RR+: 2 %-17 % [ 3 ], [ 5 ]-[ 7 ]).
    Dies suggeriert, dass Patienten mit weit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen in diesen Zentren überrepräsentiert sind, was einen Einfluss auf die Vergleichbarkeit der Resultate haben könnte.

  3. Die Anzahl untersuchter Lymphknoten pro Patient (Median: 14) ist eher gering, wurde doch bei vergleichbarem Ausmaß der Lymphadenektomie nahezu die doppelte Anzahl untersucht [ 8 ], [ 9 ].

Letzteres hat in erster Linie mit der pathologisch-anatomischen Untersuchung der Lymphadenektomie-Präparate zu tun, wie die Autoren richtig bemerken. Damit stellt sich aber die Frage nach dem Einfluss der "verborgenen" Histologie / Pathologie auf die Resultate. Es ist von einer relevanten Anzahl nicht untersuchter Lymphknoten auszugehen, von denen die negativen möglicherweise einen Einfluss auf die prognostische Relevanz der sog. "Lymph node density" (LND) und die positiven auf die des pN-Stadiums und der extranodalen Ausbreitung der Metastasen (ENE) gehabt hätten.

Vielzahl potenzieller Risikofaktoren untersucht

Bemerkenswert in dieser Studie ist die Vielzahl untersuchter potenzieller Prognosefaktoren bei nodal positiven Harnblasenkarzinomen. In Bezug auf etablierte bzw. diskutierte Risikofaktoren ergeben sich keine grundlegend neuen Befunde: Das Tumorstadium des Primärtumors war bereits in zahlreichen anderen Studien ein unabhängiger Risikofaktor, das pN-Stadium meist nicht [ 1 ], [ 6 ], [ 7 ], die Anzahl untersuchter Lymphknoten ist bei standardisierter, genau durchgeführter, erweiterter Lymphadenektomie auch univariat kein Prognosefaktor [ 1 ], [ 5 ]. Für ENE [ 1 ], [ 5 ], [ 7 ], [ 10 ], LND [ 1 ], [ 5 ], [ 11 ], [ 12 ] und den positiven Resektionsrand [ 6 ], [ 13 ] ist die Datenlage kontrovers.

Darüber hinaus zeigen die Autoren aber etwas ganz Neues: Die unabhängige prognostische Relevanz der perinodalen lymphovaskulären Invasion (pnLVI), die nie zuvor bei Blasenkarzinomen untersucht wurde. Und das ist spannend, werden doch im Zeitalter personalisierter Medizin dringend weitere Prognostikatoren bei diesen Tumoren benötigt, um z. B. Nachkontrollen und adjuvante Therapien zu individualisieren.

Prognostische Relevanz muss an unabhängiger Kohorte validiert werden

Darüber hinaus könnte die pnLVI Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen sein: Wie ist das molekulare Profil dieser intravaskulären Tumorkomponente, die offenbar gerne und vielleicht auch erfolgreich reist? Und welche therapeutischen Targets trägt sie in sich? Zugegeben, das ist Zukunftsmusik, zunächst muss die prognostische Relevanz der pnLVI an einer unabhängigen Kohorte validiert werden.

Dabei ist zu hoffen, dass der Zugewinn an prognostischer Treffsicherheit durch pnLVI dann höher als die für diese Studie angegebenen 0,1 % ausfällt, von einem Prognostikator wird gemeinhin mehr verlangt. Dennoch, das Verdienst dieser Arbeit ist, die Tür in die noch unbekannte Welt eines neuen prognostischen Biomarkers geöffnet zu haben. Pathologen zusammen mit Urologen sind nun gefordert, dessen Relevanz im Rahmen von weiteren Studien genauer zu prüfen.

Prof. Dr. Achim Fleischmann, Bern


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Prof. Dr. Achim Fleischmann


ist assoziierter Professor und leitender Arzt am Institut für Pathologie, Universität Bern

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